Sonntag, 5. September 2021

Wegweisende Beschlüsse: Bis in alle Ewigkeit

Der Traum von der Schuldenbremse wurde lange geträumt, er war nie wahr und soll nun für immer weichen.

Keine Scheu vor historischer Verantwortung, auch in den letzten Tagen der auslaufenden Legislaturperiode fasst der Deutsche Bundestag entschlossen weiter Beschlüsse, die weit über den Tag, das Jahr und die nächsten paar Wahlperioden hinausreichen. Mit dem Quotengesetz für private Aufsichtsräte nahm das Parlament die Wirtschaft in die Pflicht, mit dem Lieferkettengesetz wurden die Arbeitsbedingungen weltweit verbessert und die Klimabeschlüsse machten Deutschland vom Bummelletzten im Braunkohlezug zum global beneideten Vorreiter beim Energieausstieg. Vergleichbar bedeutsam war womöglich nur der Beschluss zur Einführung einer sogenannten "Schuldenbremse", der vor zehn Jahren in Kraft trat und beinahe ein ganzes Jahrzehnt Gültigkeit hatte.

Zehn Jahre historische Stunde

Auch damals war die Stunde historisch: Mit 418 Ja-Stimmen verabschiedete das Hohe Haus die erste Schuldenbremse für die Finanzen von Bund und Ländern seit der Unterzeichnung der europäischen Verträge, die 1992 mit ihren Maastrichter Kriterien  strenge Regeln für die künftige Staatsverschuldung aller EU-Mitgliedsstaaten festgelegt hatten. Das neue straffe Schuldenverbot, das die nie eingehaltenen Maastricht-Regelungen ergänzte und verschärfte, eröffnete der Postdemokratie völlig neue Schaffensräume: Nachdem es sich als weitgehend unmöglich erwiesen hatte, die Gegenwart zu regieren, verlegte sich die politische Klasse nunmehr darauf, Vorschriften zu erlassen, die als Leitplanken für das Leben künftiger Generationen dienen sollen.

Für alle Zeiten festgelegt wird, was nicht bei Fünf auf dem Baum ist: Von der Umwidmung der EZB zur Ersatzkasse der EU über die Errichtung der Schuldenunion auf dem Fundament der Versicherung, diese sei ausnahmsweise und einmalig, bis zur erklärten Absicht, die globalen Temperaturen durch einen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in den kommenden 80 Jahren stabil halten zu wollen, ist der aktuellen Politikergeneration keine Aufgabe zu groß für eine entschiedene Lösungsidee. Hauptsache, der Tag der Endlösung liegt weit genug von der aktuellen Amtszeit entfernt.

Gesetze für kommende Generationen

Es sind Gesetze, die vor allem andere binden, Generationen, die noch kommen, Menschen, die noch nicht geboren oder wenigstens noch nicht im wahlberechtigten Alter sind. Nach dem Willen des zur Zeit der Einführung der Schuldenbremse amtierenden Bundestages sollte es künftigen Volksvertretern weitgehend verboten sein, eigene Entscheidungen über Kreditaufnahmen zu fällen, um eigene politische Ziele zu verfolgen. Ein Konzept, das an Eltern erinnert, die ihre Kinder noch mit Mitten 30 ermahnen, vorsichtig zu fahren, nicht so viel zu trinken und sich die Nase zu putzen.

Zum zehnjährigen Jahrestag der Schuldenbremse sind allerdings schon zu einem guten Teil nicht mehr die Politiker in Amt und Würden, die den vorsorgenden Nanny-Staat seinerzeit in alle Ewigkeit hatten ausweiten wollen. Entsprechend grummelt es nun schon nach einem knappen Jahrzehnt über die angelegten Fesseln: Von Linkspartei bis CSU, von SPD bis Grünen möchte die Politik das Recht zurück, Schulden machen zu dürfen, so viel und so lange es nur geht. Natürlich sind dieselben publizistischen Gehilfen, die seinerzeit willfährig trompeteten, es gehe gar nicht ohne eine Schuldenbremse, diejenigen, die heute ins Horn der Abschaffer eben jener Schuldenbremse blasen.

Politik für die Ewigkeit

Politik für die Ewigkeit, sie hält immer nur sehr kurz. Das war so beim festen Entschluss, die EZB müsse so unabhängig sein wie die Bundesbank, das war so beim klaren Kurs auf eine EU, die keine Schuldenunion sein würde, und es zeigte sich zuletzt in der Corona-Krise, als das Mantra der offenen Grenzen genau so lange hielt wie sich ignorieren ließ, dass ein Infektionsgeschehen in einer offenen Gruppe niemals zu kontrollieren ist. Mit derselben Ernsthaftigkeit, mit der im Wahlkampf vor zwölf Jahren über die unbedingte Notwendigkeit der Schuldenbremse debattiert wurde, geht es nun darum, wie unbedingt notwendig, ja, unerlässlich, eine sofortige Abschaffung ist, die selbstverständlich dann auch für immer gelten muss.

Was das für den Energieausstieg, das Zwei-Grad-Ziel, die Weichenstellung zur Abschaffung des Verbrennungsmotors, der Umstellung der Gesellschaft auf ein Steuersystem, das sich am CO2-Ausstoß von Waren und Dienstleistungen orientiert, und alle weiteren klimagerechtigkeitsschaffenden Maßnahmen bedeutet, ist noch gar nicht abzusehen. Entgegen der Annahme der aktuell gewählten Parlamentarierinnen, Parlamentarier und Regierungsmitglieder liegt es gar nicht so weit außerhalb des Bereichs des Denkbaren, dass kommende Politikergenerationen die Ewigkeitsbeschlüsse des aktuellen Parlaments ebenso ändern wie das aktuelle Parlament die Gesetze früherer Parlamentarier geändert haben. 

Der große Plan von CDU, CSU, SPD, Grünen, FDP und Linker, jetzt und hier ein für alle mal und für alle kommenden Zeiten über alles zu entscheiden, was jemals zu entscheiden sein wird, wäre damit hinfällig. Man müsste womöglich, sollte sich das Scheitern herumsprechen, plötzlich wieder beginnen, in der Gegenwart zu regieren, statt gestrenge Vorschriften für eine möglichst weit entfernte Zukunft zu entwerfen. Das aber ist nicht das, was Politik will, denn dabei kommt es nur allzuoft zu Situationen, in denen der Termin für ein versprochenes Ergebnis heranrückt, während der, der es versprochen hat, sich noch im Amt befindet. Kleine Geister in hohen Posten fürchten den Moment der Abrechnung.

Große allerdings nutzen ihn, um sich für das Verfehlen des Ziels gleich zweimal feiern zu lassen.

1 Kommentar:

  1. Sehr grausam auf PIPI zu lesen - Ja, der Söder, d e r hätte den Sauladen wieder in Ordnung gebracht! (Har,har. Selbst sogar wenn, der große Sanhedrin hätte ihm heimgeleuchtet. Aber so was von.)
    Und das Merkel wäre auf ewig beschämt gewesen. (Sich am Boden wälz.)

    No. 3 - Waltz, Recitative and Aria
    Recitative
    MAX
    No, I can no longer bear the misery,
    The fear that robs me of all hope. ----- Aus dem Freischütz: Bot sich grad so an.

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