Freitag, 9. Juli 2021

EZB: Zinsziel ohne Obergrenze

Wohlstand, der zum Himmel strebt: Europa macht mit seiner EZB die Geldschleusen auf. (Quelle: FAZ)

Es ist traditionell eine Institution, die zu den Institutionen passt, in deren Auftrag sie vollkommen unabhängig zugange ist. Die Europäische Zentralbank, kurz EZB, gilt als inzwischen wichtigster Pfeiler des Wohlstandes der europäischen Völker, denn sie kann mit einem Federstrich unendliche Geldquellen zum Sprudeln bringen - und sie tut das so engagiert, dass zuletzt aus Millionen erst Milliarden und schließlich dann Billionen wurden.

Ein Mandat für Historiker

Dabei sind Europas sogenannte "Währungshüter" (EZB) eng an ein Mandat gebunden, das ihnen auferlegt, Geld-, aber nicht Finanzpolitik zu machen. Das heißt, sie darf am Leitzins drehen, um die Inflation nicht überschießen oder einschlafen zu lassen. Aber damit nicht bezwecken, die Einnahmesituation der Staaten zu begünstigen, die ihre Anteilseigner sind. 

Wie super das gelingt, haben die vergangenen 20 Jahre gezeigt: Seit es den Euro als Gemeinschaftswährung gibt, ist es der EZB in keinem einzigen Jahr gelungen, ihr sogenanntes Inflationsziel zu erreichen. Das gilt sogar für die Jahre nachdem das erste unerreichbare Ziel von "unter zwei Prozent" immer wieder zuverlässig verfehlt wurde, schwenkte die EZB auf das schon etwas schwammigere „unter, aber nahe 2 Prozent" um. Nun steht als neues Ziel ein in sich um volle 360-Grad-flexibles "zwei Prozent, aber mit akzeptierten Abweichungen nach oben und unten".

Das passt, denn auch die EZB-Anteilseigner, also die Euro-Staaten, haben ihre früheren Vorhaben - ältere EU-Bürger*/_Innen erinnern sich an die sogenannten Maastricht-Kriterien - nie erreicht. Bis sie  schließlich stillschweigend beschlossen, sie seien erreicht, wenn jemand guten Willen zeige, sie eines, wenn auch fernen Tages erreichen zu wollen. Die EZB geht nun endlich denselben Weg: Zwei Jahrzehnte lang gelang es ihr erst nie,  die gefürchtete Inflation zu zügeln, dann aber auch nicht, sie deutlich über die deflationsgefährdete Marke von einem Prozent zu hieven.  

Billiges Geld für wankende Staaten

Jetzt, wo die Pandemiefolgen, die angeschlagenen globalen Lieferketten und die exzessiven Staatsausgaben die Geldentwertung auf Werte von zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Prozent katapultiert haben, gibt die EZB auf: Alles, was ist, ist gut. Hauptsache, es wird einem weiterhin abgenommen, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die erste Nicht-Ökonomin an der Spitze der EZB, die Dinge noch irgendwie im Griff haben. Die EZB, die noch nie ein Inflationsziel erreicht hat,  hat sie sich deshalb ein neues gegeben, das gar keins mehr ist.

Die Medien sind bereit, das zu glauben. Fast schon liebevoll werden die Feinheiten der EZB-Strategie besprochen, von einer "leichten Erhöhung" des Inflationszieles ist die Rede und von der Wichtigkeit des Klimaschutzes als von der EZB selbstgewählter neuer Aufgabe, die zwar  mit dem Mandat der Notenbanker nichts zu tun hat, aber von der klimabegeisterten Medienöffentlichkeit wohlwollend aufgenommen wird. Dass die EZB-Strategie  in den zurückliegenden Jahrzehnten niemals dazu geführt hat, dass ein angestrebtes Inflationsziel  erreicht wurde, muss ja nicht heißen, dass es bis in alle Ewigkeit so bleibt! Die EZB könnte ja nun, wo das Geld um zwei, drei Prozent im Jahr an Wert verliert, einfach die Zinsen erhöhen.

Mehr Spielraum für mehr Schulden

Kann sie aber nicht. Jeder Versuch würde zu Staatspleiten, einer neuen Finanzkrise, Post-Covid-Depression und dem Zusammenbruch des Euro führen. Dass sich die EZB "beim Thema Inflation mehr Spielraum" verschafft, wie die öffentlichem Handeln gegenüber stets solidarische Nachrichtenagentur DPA analysiert, verdankt sich dem Umstand, dass ihr nichts anderes übrigbleibt: Seit Lagarde-Vorgänger Mario Draghi die Geldschleusen öffnete, gilt "Was immer es kostet" als Leitsatz der EZB-Politik. Mögen auch die himmelsstürmenden Schulden von heute es künftigen Generationen unmöglich machen, auf dieselbe Weise weiter hemmungslos aus der Zukunft zu borgen und deren Wohlstand zu verfrühstücken - "wer weiß denn schon, was morgen kommt, wohin der Wind uns weht", singen die Söhne Hamburgs, "ein Hoch auf diesen Augenblick, der nie und nie vergeht".

Zinstief rettet Europa

Das "Zinstief im Euroraum", das die Euro-Staaten seit mehr als einem Jahrzehnt finanziert, es soll weiterhin "mittelfristig Preisstabilität sicherzustellen", wie die nach Jahrzehnten in allerlei öffentlichen Ämtern vollkommen schmerzfreie Christine Lagarde verkündete, ohne eine Miene zu verziehen. Bisher hat das gut geklappt: Während Löhne und Gehälter in Maßen stiegen und der Konsum mit ausgeklügelten Methoden als nahezu inflationsfrei berechnet werden konnte, strömte das Jahr um Jahr neugeschaffene Geld begeistert in die Anlagemärkte. Der europäische Index Euro Stoxx schaffte über die vergangene zehn Jahre einen jährlichen Anstieg um sieben Prozent, der deutsche Dax kam sogar auf elf Prozent im Jahr. Um Gold zu kaufen, musste pro Jahr durchschnittlich fünf Prozent mehr gezahlt werden. Auch Immobilien wurden jedes Jahr um fünf Prozent teurer.

Glück für alle, die Geld haben

Gut für alle, die etwas vom Zentralbanksegen abbekommen haben. Wer Geld hat und genug Vernunft, es anzulegen, dem bescheren EZB und die amerikanische Zentralbank FED zuverlässig grandiose Vermögenszuwächse. Ob das verfehlte Inflationsziel nun zumindest zeitweise „moderat über dem Zielwert“ liegende Inflationsraten akzeptiert und „symmetrisches“ Inflationsziel genannt wird oder kroatischer Gurkensalat, ist vollkommen belanglos. Wichtig nur: Die EZB muss bei steigenden Preisen wie derzeit, wo Kupfer 50 Prozent teurer ist, Kaffee 25, Bohnen 59, Weizen 16 und Container 80, nicht nur einfach an ihrer extrem expansiven Geldpolitik festhalten können, sondern auch so tun können, als gehöre das zum großen Plan.

Ein Zinsziel ohne Obergrenze, das erinnert an Deutschlands Flüchtlingsmatrix mit atmendem Deckel, einer Notstanderfindung aus den Monaten nach der Grenzöffnungnichtschließung. Immense 18 Monate hat die EZB um die passende Formulierung "zwei Prozent aber auch drei oder ein, fünf oder null" gerungen. Man bleibe damit dem Ziel von zwei Prozent verpflichtet, hat Christine Lagarde alle Erwartungen erfüllt, die zu Hause in Frankreich an ihre Amtsübernahme geknüpft worden waren. 

Die beste aller Welten

Die daheim bereits verurteilte ehemalige IWF-Chefin hat sich die komplette Vergemeinschaftung der Schulden in der EU vorgenommen, um das unter seinen Defizit-Lasten taumelnde Frankreich zu stabilisieren. Deutsche Sparer sind die auserkorene Melkkuh, deren Milch der frommen Denkungsart ("Nullzins stört mich nicht, ich habe ja sowieso kein Geld") die Gemeinschaft auch in den kommenden Jahren nähren wird. Nullzins, Strafgebühren, steigende Preise, billiges Geld für die Finanzminister und höhere Gewinne für alle, die auf die Finanzmärkte ausweichen - noch auf Jahre hinweg garantiert die EZB die beste aller Welten für Staatsführer und Anleger.

6 Kommentare:

  1. Hase, Du bleibst hier ...Juli 09, 2021

    Was nach einem Fiasko aussieht, kann noch ewig weitergehen. Da alle mitmachen, oder besser mitmachen müssen. Keiner legt die Karten auf den Tisch und will sehen.

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  2. Solange die Preise zwar kontinuierlich aber in nur kleinen Schritten angehoben werden, ist die Wahrnehmung des mündigen Bürgers die jenes Frosches, der nicht kapiert, dass er gekocht wird, weil die Wassertemperatur sehr langsam erhöht wurde.

    Vermutlich werden sie erst aufwachen, wenn sie für den Erwerb eines Brötchens wieder mit einer Schubkarre voll Geld zum Bäcker müssen. Dann macht Inflation erst so richtig Spaß. Sie werden dafür aber garantiert auch dieses Mal andere Sündenböcke finden als sich selbst.

    No Limit. All In. Grenzenlos weltoffene Spielsucht. Eine Spekulatiusorgie folgt der anderen, weil sie ihren feisten Hals nie voll kriegen.

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  3. Incasso 2Juli 09, 2021

    Die obige Schulden-Diagrammkurve verläuft synchron zu den Regenmengen, die das beste aller Gullischlands seit einigen Wochen in Seen- und Sturzbachlandschaften umgestalten, wo eigentlich benutzbare trockene Infrastruktur sein sollte.

    Da haben unsere fürstlich bezahlten Planungsexperten in den unfehlbaren Behörden wohl in naiver Schönwetterlaune berechnet, was eine Kanalisation maximal schlucken und ableiten können muss und wo Baugrund ausgewiesen wird, der überschwemmungssicher sein möge. Tja, so naturfern kreativ sind sie halt, unsere Amtsschimmelgenies in Amt und Würden und bei von ihnen verordnetem Pfusch garantiert NIE verantwortlich und somit auch NIE regresspflichtig.

    Aber wehe, deine Gartenhecke ragt 2 cm über eine offizielle Grenze. Dann werden aus solchen schlafmützigen Schnarchsäcken ratzfatz feuerspeiende Präzisionsdrachen. Die EU und ihre Einrichtungen sind folglich nur die Zentralen dieses allgemeinen Systemversagens durch Möchtegernschlaumeier.

    Man kann dieser kollektiven Idiotendiktatur nur entkommen, wenn man entweder ganz oben durch Reichtum oder ganz unten durch Armut nicht mehr auf deren Kontrollradar ist. Wer zu den sogenannten Leistungsträgern der Mittelschicht gehört, den plündern sie nimmersatt aus, um z.B. geschmacklose teure Kunst auf Marktplätze zu stellen. So hat sich schon so mancher Lokalfürst ein Denkmal gesetzt. Fehlt nur noch, dass jeder Bürger das Ding grüßen soll wie einst Wilhelm Tell den Gesslerhut. Genug beflissene Kontrollbüttel für so einem Irrsinn wird man auch heute sicher problemlos finden. Schöne neue Demokraturwelt.

    Überall dicke Hose auf Pump. Und wer's kritisiert, gilt als Nestbeschmutzer. Kronen der Schöpfung, oder doch nur Nacktaffen? Man kann davon ausgehen, dass mindestens 70% der Bürger diese Realität für das Nonplusultra an Staatsform und somit für weiterführbar halten. Eine Änderung zum Besseren ist also kaum zu befürchten.

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  4. Aber es ist gut für's Klima oder. Vielleicht hilft es auch gegen Kindergrafopornie und Rechts.
    Früher war es 'zum Wohle des Volkes' und für 'Frieden und Sozialismus', etwas weiter zurück für Gott bzw. gegen Gottlosigkeit. Sie wussten immer, wie man Widersprechen schwer macht.

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  6. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

    Na, jedem, wie er es braucht.

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