Bis in die Moderne hinein hält sich das alte Märchen davon, wie die Menschheit zum Fortschritt fand, als es ihr gelang, vom Jagen und Sammeln zum planmäßigen Anbau von landwirtschaftlichen Produkten überzugehen. Dieser Übergang zur Landwirtschaft gilt als
der große Sprung in der Menschheitsgeschichte, der am Anfang von Bevölkerungsvermehrung und Wirtschaftsgeschichte steht. Mit dem Bauern erst beginnt die Historie von
Fortschritt und Intelligenz, durch das Anbauen von Weizen, Hirse und Hopfen seien die Menschen dann immer
intelligenter geworden, bis sie zu dem wurden, was sie heute sind: Die Krone der Schöpfung, die die Geheimnisse der Natur entschlüsselt hat und heute Schafe zu
halten und künstliche Steaks zu züchten weiß.
Das spannende Leben der Sammler
Eine Erzählung, nach der der Mensch einst begeistert das entbehrungsreiche
und spannende Leben der Jäger und Sammler aufgab und sich glücklich niederließ, um als
Bauer ein angenehmes Dasein im Wohlstand zu genießen, viele Kinder zu haben und langfristig am Aufbau der modernen Gesellschaft mitzuwirken. Doch so groß der Konsens, der rund um diese Geschichte herrscht, so klein ist ihr Wahrheitsgehalt: Weder ist jemals bewiesen worden, dass die
Menschen im Laufe ihrer Evolution immer intelligenter wurden, noch stand die landwirtschaftliche
Revolution am Anfang einer Ära des angenehmen Lebens für alle.
Genaugenommen ist sogar das Gegenteil wahr. Der Alltag der Bauern war weitaus härter als der ihrer
Vorfahren. Während die ernteten, ohne jemals zu säen, zu bewässern, zu züchten, zu füttern und ihre Ressourcen zu planen, um ihr unmittelbares Umfeld nicht auszubeuten, mussten die Bauern all das tun, um zu überleben. Waren sie gut, gelang es ihnen, die Gesamtmenge
der verfügbaren Nahrung zu erhöhen, gelang ihnen das dauerhaft, war aber wieder zu wenig Nahrung da, weil die Zahl der zu ernährenden Menschen stieg. Die größere Menge an Nahrungsmitteln bedeutete
also keineswegs eine bessere Ernährung für alle oder mehr Freizeit für die Gemeinschaft. Ein Fluch. Je weniger Menschen unter Hunger litten, desto mehr konnten auf den Felder arbeiten, je mehr Nahrung sie erzeugten, desto größer war die folgende Bevölkerungsexplosion, je mehr Untertanen es gab, desto schneller entstand eine herrschende Elite.
Die Erfindung des Bauern
Die Erfindung des Bauern war für die Bauern selbst schrecklich. Aus freien Männern und Frauen, die herumstreifen konnten, wohin und wann sie wollten, wurden doppelt Abhängige, die auf ihr Feld aufpassen, ihr Dorf verteidigen und ihrem Herren Abgaben leisten mussten. Im
Durchschnitt arbeiteten die Bauern mehr als die Jäger und Sammler und bekamen
zum Dank eine ärmere Kost. Ein Betrug, der auch einer ist, obwohl ihn die Betroffenen nicht als solchen empfunden haben dürften.
Aber wer hat diesen Betrug zu verantworten? Wer ist schuld daran, dass der Mensch sich einer Lebensweise unterwarf, die zwar für seine Art zur Voraussetzungen einer unglaublichen Ausbreitung, für den Einzelnen aber zu einem bedrückenden Joch wurde? Böse Könige, fiese
Priester oder Händler, die ersten Kapitalisten? Keineswegs: Schuld daran waren Pflanzen wie der Weizen, der Reis und die Kartoffel. Denn nicht der Mensch domestizierte diese Pflanzen, wie er bis heute glaubt. Sondern
die Pflanzen unterwarfen sich den Homo sapiens, der ihnen als Helfer diente, ihre DNA in noch unglaublich vol größerem Maßstab über den Globus zu verteilen als es ihm selbst gelang.
Der domestizierte Mensch
Aus der Sicht des
Weizens beispielsweise ist die Weltgeschichte die eines genialen Konzeptes zur Eroberung aller Kontinente. Noch vor zehntausend Jahren war der Weizen eines von vielen
Wildgräsern, das nur im Nahen Osten vorkam. Dann überzeugte der Weizen den Menschen, sich um ihn zu kümmern. Und innerhalb weniger Jahrtausende
breitete er sich über die gesamte Welt aus. Nach den Überlebens- und
Fortpflanzungs gesetzen der Evolution ist der Weizen damit eines der
erfolgreichsten Lebewesen aller Zeiten. In Regionen wie dem Mittleren Westen
der Vereinigten Staaten, wo vor zehntausend Jahren noch nicht ein einziger
Weizenhalm wuchs, stehen heute ganze Landstriche voll damit. Weltweit sind 2,25 Millionen Quadratkilometer mit Weizen bedeckt.
Gelungen ist das dem Weizen nur, weil er sich den Menschen gefügig gemacht hat, ohne dass der es überhaupt begriff. Die Jäger und Sammler, die das Leben von Gelegenheitsgammlern führten, aber eine Unzahl von Entwicklungsmöglichkeiten hatten, verwandelten sich angesichts der Verlockung durch den Weizen in dessen Sklaven. Sie investierten Zeit, Energie und Einfallsreichtum in seine Vermehrung, sie optimierten und verbreiteten ihn und die anderen Kulturpflanzen, bis sich schließlich mehr als die Hälfte der Menschen auf der Welt von früh bis spät um diese Pflanzen kümmerten.
Ein genialer Trick
Ein genialer Trick, denn vor der Erfindung der
Landwirtschaft aßen Menschen eigentlich nur sehr selten irgendwelche Körner. Dennoch brachte der Weizen den Homo sapiens dazu, sein relativ angenehmes Leben in Freiheit gegen die armselige Existenz eines Pflanzenbetreuers einzutauschen. Im Gegenzug lockte er mit dem Versprechen einer besseren Ernährung, obwohl eine auf Getreide basierende Kost arm an Mineralien und Vitaminen, schwer verdaulich und ganz schlecht für Zähne und Zahnfleisch ist. Reingefallen! Denn trotzdem unterwarf sich der Mensch. Und er lebt seitdem in der Illusion, alles richtig gemacht zu haben, obwolh er deutlich weniger von der sogenannten landwirtschaftlichen Revolution profitiert hat als Weizen, Reis und Mais.
Das war harte Arbeit, denn der Weizen ist eine äußerst anspruchsvolle
Pflanze. Er mag keine Steine, weshalb sich die Sapiens krumm buckelten, um sie
von den Feldern zu sammeln. Er teilt seinen Lebensraum, sein Wasser und andere
Nährstoffe nicht gern mit anderen Pflanzen, also jäteten die Sapiens tagein,
tagaus unter der glühenden Sonne Unkraut. Der Weizen wird leicht krank, also
mussten die Sapiens nach Würmern und anderen Schädlingen Ausschau halten. Weizen
kann sich nicht vor anderen Organismen wie Kaninchen und Heuschrecken schützen,
die ihn gern fressen, weshalb er seinen Züchtern klarmachen mussten, dass auch das zu ihren Aufgaben gehört. Weizen ist durstig, also
schleppten die armen Sapiens Wasser aus Quellen und Flüssen herbei, um ihn zu
bewässern. Und der Weizen ist hungrig, weshalb die Menschen Tierkot sammelten,
um den Boden zu düngen, auf dem er wuchs.
Der Sklave des Weizens
Für derlei Arbeiten ist der Körper des Menschen eigentlich vollkommen ungeeignet.
Er ist dazu geschaffen, auf Bäume zu klettern und Gazellen zu jagen, auszuruhen, wenn ihm danach ist, und eigentlich reichte es ihm lange Zeit auch, zu essen, wenn etwas da ist. Erst die unheilvolle Allianz, die der Mensch mit dem Weizen schloss, verwandelte ihn in den übergewichtigen, überarbeiteten und übermüdeten modernen Menschen, der mit seiner Gesundheit den Preis für
den angeblichen Erfolg der landwirtschaftlichen Revolution zahlt. Rücken- und Gelenkschmerzen, Zivilisationskrankheiten, Diabetes, Leistenbrüche und Herzkrankheiten nahmen zu.
Zum Glück zwang der Weizen die Menschen aber, sich zu seiner Betreuung dauerhaft an bestimmten Orten niederzulassen, so dass es im Zuge des Fortschrittes nicht nur möglich wurde, aus den Überschüssen der Weizenproduktion Ärzte auszubilden, sondern auch, Fitness-Studios einzurichten. Dort bekämpft der vom Weizen domestizierte Mensch heute die Folgen seiner Unterwerfung unter die Bedürfnisse des Weizen, ohne um seine Rolle in diesem Spiel zu wissen. Dabei verrät das Wort domestizieren alles: Es kommt vom lateinischen
Wort domus für Haus. Dort lebt der Mensch, nicht der
Weizen.
>> Gelegenheitsgammler
AntwortenLöschenWas sind Schaulüstlinge wie Steinmeier, Merkel oder Lindh, die ihren morbiden Grusel am Hochwasser auslebten?
Alle entwickelten Zivilisationen waren im Ursprung bäuerlich, bildeten Hierarchien mit dynastischen Herrschern und Staatswesen mit Beamten und Heeren, die mit dem produzierten Überschuss unterhalten wurden (Steuern). All das hat der Weizen vollbracht. Vielleicht sollten wir einen Weizenkult aufziehen.
AntwortenLöschenIch glaub mich zu erinnern, dass die Weizenzucht das grosse Hobby des roten Paranoikers Stalin war. Er glaubte, dass ihm selbst der Weizen gehorchen konnte und alles nur eine Frage des Klassenbewusstseins war.
AntwortenLöschenInteressant, einmal die gegenteilige Blickrichtung einzunehmen. Allerdings sehe ich die Limitierung auf Bauer = Weizen(an)bauer nicht so richtig ein... was ist mit Bauer = Schweinebauer? Ist Viehzucht noch Jäger und Sammler oder schon Bauer? Bei dieser Art ist der teuflische Weizen ganz außen vor... dennoch muss sich der freie Mensch auch für diese Nahrungsquelle krumm und bucklig machen. Haben die Schweine über uns gewonnen? Diese Schweine... sind inzwischen sogar auf Karibikinseln zu finden.
AntwortenLöschenJa dieses idyllische Leben als Jäger und Sammler. Wer würde nicht gerne im Winter bei Eiseskälte in einer zugigen Höhle vor sich hindämmern. Mit 30 Jahren jämmerlich wegen einer Bilddarmentzündung das zeitliche segnen, wenn man nicht schon vorher von einem wilden Mammut zu Muss verarbeitet wurde. Seine Gefährtin dem stärkeren Nachbarn abtreten, weil es kein
AntwortenLöschenRecht und Gesetz gibt. Den Tod der meisten seiner Nachkommen noch im Kindesalter miterleben zu müssen, stärkt sicher auch den Charakter.
Wer das freie und unabhängige Jägerleben immer noch genießen will, wenn er einen Eiterzahn hat, kann das gerne tun. Ich unterwerfe mich hiermit offiziell unter die segensreiche Herrschaft des Weizens. Ehre und Lob sei ihm.
"Er ist dazu geschaffen, auf Bäume zu klettern und Gazellen zu jagen"
AntwortenLöschenHa, durschaut!
PPQ hat gelesen. Harari, Kurze Geschichte der Menschheit.
Zugegeben, einiges ist richtig dort. Jedoch sieht das alles so aus, als haette er von Praktikanten schreiben lassen. Ich glaube nicht mal, dass er "sein" Buch selbst gelesen hat.
Im Uebrigen ist der Mensch nicht dazu geschaffen, auf Bäume zu klettern und Gazellen zu jagen.
>nicht dazu geschaffen ... Gazellen zu jagen
AntwortenLöschenDoch, ist er. Der Mensch kann dank seiner effektiven Schweißkühlung fast jedes Tier, das keine Schweißkühlung hat, bis zum Wärmekollaps der Beute verfolgen, ohne Probleme stundenlang. Kein Fell zu haben und in Afrika zu leben ist dem zuträglich. Wird heute noch von einigen Stämmen in Afrika praktiziert.
Doch, nach Marvin Harris war die späte Altsteinzeit entsprechend zur Erinnerung ans Paradies. Zwanzigstundenwoche, die sekundäre Produktion (Gewandungen, Waffen, Werkzeuge, Schmuck)war ein Plaisier, wie der Hobbybastler in seiner Werkstatt tut, und die Mädels waren wegen des proteinbetonten Futters* nicht so furchtbar fruchtbar wie später. Die Figurinen von Torsi adipöser Weiber wären, möglicherweise, Ausdruck von eitel Wunschdenken gewesen.
AntwortenLöschenNur mal so in die Tüte gesprochen. Konjunktiv.
*Wer kennt noch Anja Langer? Ein Latissimus dorsi wie eine Gleitflugechse.
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschen