Er schien in Rage zu sein, für seine Verhältnisse. Armin Laschet hatte sich ins Fernsehen eingeladen, um nach seinem Triumph über seine innerparteilichen Gegner erste Pflöcke einzuschlagen. Ganz ruhig und von den großen Medien kaum bemerkt, gründete der Rheinländer die Union mit ein paar Sätzen gleich völlig neu. Einerseits definierte er dazu den Begriff "rechts" neu, der nunmehr alles beschreibt, was sich rechts von links befindet. Andererseits aber führte er einen völlig neuen Begriff in die Programmatik der Union ein: Das "christdemokratische Menschenbild" sei es, auf dem die Werte der Union gründeten. Und "rechts" sei" alles, was ein Gedankengut ist, was mit dem christdemokratischen Menschenbild nicht vereinbar ist."
Für Beobachter wie den Medienwissenschaftler Hans Achtelbuscher eine wegweisende Neudefinition all dessen, was die CDU nach zwei Merkel-Jahrzehnten geworden ist. Achtelbucher, der am An-Institutes für Angewandte Entropie des Perleberger Instituts für Unionswissenschaften seit Jahren zum fluktuierenden Staatsverständnis des deutschen Konservatismus forscht, sieht hier einen Epochenbruch. "Es geht um nicht viel weniger als damals, als sich die SED-Spitze vom Gedanken der deutschen Einheit verabschiedete", sagt der Wissenschaftler. Mit dem "christdemokratischen Menschenbild" distanziere Laschet seine Partei vom überkommenden "christlichen Menschenbild", das in den Reihen der erfolgreichsten deutschen Partei traditionell als Richtschnur des Handelns galt.
PPQ.li sprach mit dem ausgewiesenen Insider der politischen Bedeutungslandschaft über die Auswirkungen des Hamilton-Moments der deutschen Christdemokratie.
PPQ.li: Herr Achtelbuscher, erklären Sie uns, was so bedeutsam daran ist, dass Armin Laschet neuerdings von einem christdemokratischen Menschenbild spricht?
Achtelbuscher: Ja, leider ist das medial weitgehend nicht wahrgenommen worden, man könnte sagen, man hat es ignoriert. Aber in der aktuell-historischen Unionsforschung sind wir uns weltweit einig, dass wir es hier mit einem Kipp-Punkt zu tun haben: Während die Partei selbst noch an ihren alten, überkommenen Werten festzuhalten glaubt, hat sich ihr Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat stillschweigend davon verabschiedet. Stattdessen nennt er jetzt eben diese neuen "christdemokratischen Werte", die aber nicht weiter definiert wurden bislang.
PPQ.li: Ich muss nachgreifen: Was ist der Unterschied? Warum ist das wichtig?
Achtelbuscher: Sie müssen bedenken, dass die Wurzeln des Christdemokratismus im Konservatismus eines Konrad Adenauer, aber sozialpolitisch eben auch in der christlichen Soziallehre eine Heiner Geißler liegen. Das sind also Werte, die als Maßstab dienen nicht zuletzt für das Verständnis von politischer Tageswahrheit. Ohne sie würde Politik orientierungslos, mit ihnen aber fesselt sie sich gewissermaßen selbst: Wer einen Wert hat, muss sich wertig verhalten. Doch das Verständnis dieser ewigen Werte wandelt sich eben mit den Jahrzehnten wandeln, obwohl Werte in ihrem Kern sind Werte sicherlich zeitlos sind. Es ergibt sich dann folglich eine wachsende Differenz zwischen Werten und Notwendigkeiten, die anschwellend nach einer Entscheidung ruft.
PPQ.li: Die Armin Laschet nun getroffen hat?
Achtelbuscher: So muss man das sehen. Mit seiner Berufung auf ein christdemokratisches Menschenbild, also auf christdemokratische Werte, distanziert sich Laschet deutlich von den christlichen Werten, wie sie Ewiggestrige wie der frühere Spitzenpolitiker Volker Kauder beharrlich zu vertreten glauben müssen. Kauder stellt sich damit außerhalb der neuen Christdemokratie, die Armin Laschet gerade gegründet hat. In der zählen nicht mehr christliche Werte, die von außen aufoktroyiert werden, sondern eben diese noch nicht ganz genau definierten christdemokratischen Werte, die der neuen Parteispitze mehr Beinfreiheit im ideologischen Bereich verschaffen.
PPQ.li: Das ist für einen Außenstehenden schwer zu verstehen. Wo liegen denn die Unterschiede, die das so bedeutsam erscheinen lassen?
Achtelbuscher: Ich weiß, das ist a auch der Grund, weshalb diese faktische Neugründung der Union in den Medien keinerlei Rolle spielt, so dass nicht einmal die Parteibasis der CDU bisher begriffen hat, wie ausgreifend Laschets Erneuerung ausgefallen ist. Wie gesagt, er macht das so geschickt, mit dieser leisen, einschläfernden Stimme, dass Inhalte beinahe nicht zu erahnen sind. Aber wir können festhalten, dass die Union christliche Werte wie den von der katholischen Amtskirche vertretenen unbedingten Lebensschutz nicht mehr teilt. Man ist mühsam dafür und ein bisschen dagegen, ein ideologischer Spagat, den Laschet als recht kleiner und eher wenig sportlicher Mann freilich nicht lange auszuhalten bereit ist. Mit dem Schwenk zu "christdemokratischen Werten" verschafft sich Armin Laschet die Möglichkeit, selbst zu definieren, was für ihn von Wert ist und worauf er auf dem weiteren Weg nach links verzichten möchte.
PPQ.li: Christdemokratisch verhält sich zu christlich etwa wie...
Achtelbuscher: ...wie sozialdemokratisch zu sozialistisch. Es ist das Gleiche, aber nicht dasselbe, ein offener Raum in Form eines fliegenden Baus, wie es im deutschen Baurecht heißt. Also ohne feste Fundamente, ohne für Ewigkeiten festgelegte Form. Armin Laschet hat sich dabei von gleichartigen europäischen Ideen inspirieren lassen, aber auch eine Anleihe beim Parteigespenst Hans-Georg Maaßen genommen, der in der Unionswissenschaft als Erfinder des Spezialbegriffes "christdemokratische Werte" gilt, der vor der Ersterwähnung durch Maaßen nicht nachzuweisen ist.
PPQ.li: Welche Bedeutung hat das für die CDU? Und für Deutschland?
Achtelbuscher: Da würde ich gar nicht zu hoch greifen können. Mit der Abkehr vom christlichen und der Hinwendung zu einer "christdemokratischen" Werteordnung, die er sich selbst ausdenkt, ist Armin Laschet so etwas wie der Martin Luther der CDU. Man muss bedenken: Der Name Armin Laschet heißt im Hermundurischen, wo Laschet herkommt, nicht umsonst "Herrmann der Lichtbringer" oder auch "Erleuchter", wenn man es indirekt übersetzt. Aus der historischen Entfernung wird man ihn also nicht viel tiefer einordnen als Luther, da bin ich sicher.
PPQ.li: Der Wähler und die Wählerin, aber vor allem die Wählenden bekommen es also bei der Bundestagswahl im Herbst mit einer ideologisch runderneuerten CDU zu tun?
Achtelbuscher: So glauben wir. Laschet hat das noch nicht offiziell gemacht, um keine Wähler zu verschrecken, aber das ist seine Art. Letztlich geht es ihm aber darum, sich von einer christlichen Kirche zu distanzieren, deren Ruf weitgehend ruiniert ist und die dazu auf Werte wert legt, die um die 2.000 oder noch mehr Jahre alt sind. Aus Laschets Sicht passt da wohl einiges nicht mehr zusammen, der zu beschleunigende Kohleausstieg etwa oder die kommende Klimaneutralität bis deutlich vor 2050, dazu steht ja nichts in den Grundsatzpapieren der Kirche. Christdemokratisch gesehen aber kann das im Handumdrehen ein Grundwert werden, wenn es der Parteivorsitzende so will.
Warum findet das in den Hauptstrommedien nicht statt?
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Nordrhein-Westfalen hebt epidemische Notlage auf
Nordrhein-Westfalen beendet die „epidemische Lage“. In Düsseldorf haben sich Vertreter der Regierungsfraktionen auf ein Ende des Ausnahmezustandes geeinigt: Ab dem 19. Juni entfallen die Sondervollmachten der Landesregierung.
https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/nordrhein-westfalen-epidemische-lage/
jetzt doch hier und da
AntwortenLöschenNiemand nimmt Laschets Umdeutung wahr, weil Werte heutzutage so was von Oldschool sind.
AntwortenLöschenWelche Partei hat den heutzutage noch irgendwelche ehernen Grundsätze? Grundsätzlich ist immer alles verhandelbar und machbar. Rote Linien von gestern werden heute nicht mal mehr mit einem Schulterzucken überschritten. Morgen wird nicht einmal einer mehr wissen, das dort irgendwann mal eine Linie existiert hat. Es ist daher vollkommen egal welche Werte heute verkündet werden, morgen gelten vielleicht noch die gleichen, vielleicht auch komplett andere. Jede historische Kontinuität gerät in Vergessenheit. Also, so what? Unsere Wahrheitsmedien machen das dann schon tagesaktuell jeweils passend.
Selbst unsere Kirchen sind doch nur noch graduell anders. Welche Werte sind für unsere christlichen Kirchen hierzulande denn noch fest und unverhandelbar? Dort kann doch inzwischen auch über alles nachgedacht und noch viel mehr gefordert werden. Die meisten Würdenträger dort schämen sich doch für die 2000 Jahre alten Werte. Noch einen Pabst wie Franziskus und Abtreibung, Priesterehe, homosexuelle Ehen, Sterbehilfe, usw. usf. sind OK.
Die Kirchen verlieren zwar ihre Mitglieder noch schneller als die Parteien, aber das scheint keinen zu stören. Statt eines Sinneswandels gibt es einfach immer mehr vom bereits nicht funktionierenden. Hauptsache Applaus von denen, die im Leben keinen regulären Gottesdienst besuchen werden.
Ich erwarte also von der Bischofskonferenz und der EKD sowieso ein mutiges Zeichen. Auch dort sollten dringend die überkommenen christlichen Werte endlich über Bord geworfen werden. Die neuen christdemokratischen Werte der CDU werden daher hervorragend mit denen der neuen Kirche zusammenpassen. Der Staat muss sich nur noch so etwas wie eine Kirchen-GEZ einfallen lassen. Nicht das der Haufen bei all den Austritten noch Pleite geht. Das kann doch niemand wollen.
Ach, die "Werte" der "Kirche": Seid untertan der Obrigkeit. Nur dann nicht, wenn die Obrigkeit die Popen etwas kürzer halten will: Dann muß man Gott mehr gehorchen als den Menschen.
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