Donnerstag, 27. Mai 2021

Streit mit der Schweiz: Verheerende Folgen falschen Volkswillens

Noch lebt die Schweiz von ihren offenen Grenzen, bald könnte es damit aber vorüber sein.

Sieben Jahre ist es her, dass die EU-Kommission die Schweiz streng ermahnen musste: Wer eine Volksabstimmung zur Masseneinwanderung abhält und sich dann auch noch bereit erklärt, das zweifelhafte Ergebnis zur Grundlage seiner umstrittenen Politik zu machen, der muss Konsequenzen befürchten. Direkt nach dem falschen Schweizer Votum zur Begrenzung der Zuwanderung setzte die EU-Kommission alle Gespräche über einen grenzüberschreitenden Stromhandel mit der Eidgenossenschaft aus, um ein Zeichen zu setzen. 

Die Schweiz habe sich mit dem rechtspopulistischen, antieuropäischen und desintegrativen Votum gegen eine Masseneinwanderung außerhalb der Partei- und Wertegemeinschaft der Union gestellt. "Das weitere Vorgehen muss im größeren Kontext der bilateralen Beziehungen analysiert werden". Fakt sei aber bereits, dass die EU auch ohne die Schweiz leben könne. Ob die Schweiz aber ohne die EU könne, werde sich erst noch zeigen.

Sieben Jahre wurde anschließend versucht, die unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten auf die lange Bank geschoben. Eine echte europäische Lösung also, mit der klug die offensichtliche Unmöglichkeit umschifft wurde, zwischen zwei unvereinbaren Positionen einen Kompromiss zu finden. Hier die EU, die vom Nicht-Mitglied Schweiz eine Einhaltung des Freizügigkeitsabkommen von 1999 fordert, dass die Schweizer  ihrer Regierung eben ausdrücklich aufgetragen hatten zu kündigen. 

Sieben Jahre retteten sich beide Seiten vor dem Eingeständnis der offenkundigen Unmöglichkeit einer Vereinbarung, indem sie immer weiter und weiter verhandelten. Jetzt aber ließ die Schweiz das Rahmenabkommen platzen: Die EU war ihr keinen Schritt entgegengekommen, um keinen Präzendenzfall für "Rosinenpickerei" zu schaffen, wie es der frühere Europa-Politiker Martin Schulz in seinen großen Tagen warnend genannt hatte. Die Schweiz wiederum war an die Ergebnisse der Volksabstimmung von 2014 gebunden.

Nach den Briten, die aus der EU austraten, um so etwas wie die Schweiz zu werden, stehen nun auch die Beziehungen der EU zur Schweiz vor dem Aus. Vom Anspruch, nicht nur für sich selbst und seine Mitgliedsstaaten Recht zu setzen, sondern die eigene, vor allem wirtschaftliche Macht als Absatzmarkt auch zu nutzen, Staaten ringsum mitzuregieren, kann die EU nicht abrücken - plant sie doch gerade mit den großen Klimagesetzen eine Ausweitung dieser Praxis: Wer künftig in die EU liefert, soll daheim in Afrika, in Asien und Lateinamerika EU-Vorschriften beachten, EU-CO2-Ziele erreichen helfen und nur Lieferketten betreiben dürfen, die EU-Standards erfüllen.

Wer nicht mitmacht, ist draußen, ihm bleibt der EU-Markt verschlossen - wie jetzt bald schon der Schweiz. Die sei selbst schuld, denn die umstrittene Volksabstimmung zur Masseneinwanderung hätte nie stattfinden dürfen, sagt Franz Zachmann. Der Exil-Schweizer, der als Kunstschaffender in Mecklenburg lebt,  hat den Populismus der angeblichen Meinungsfreiheit in der Schweiz von Anfang an kritisiert. Volksbegehren, die sich gegen Einwanderung wenden, könnten fast überall in Europa von vornherein mit einer hohen Zustimmungsquote rechnen, war er früh überzeugt. Wird tatsächlich abgestimmt, sei daher der Weg bis zum Erreichen einer Mehrheit kurz. Dann stehe man da mit "unschönen Ergebnissen".

 
Franz Zachmann, 59 und selbst bekennender Demokrat, hält es für einen "fatalen Grundfehler", die Volksabstimmung zur Masseneinwanderung überhaupt zugelassen zu haben. Zum Glück sei so etwas in der EU ausgeschlossen", sagt er. Das rühre wohl auch von den Beobachtungen her, die der große Zentralstaat nebenan bei dieser typisch schweizerischen Art der Mitbestimmung immer wieder gemacht habe. Nach dem Scheitern der Verhandlungen helfe nun nur noch eine harte Linie gegen die Schweizer Abnabelung.

 
PPQ: Volksabstimmung gegen Masseneinwanderung - darüber waren von Anfang an viele empört, denn das ist doch schon von der Bezeichnung her ein Fall für den Verfassungsschutz. Wie kann es sein, dass so etwas in ihrer Heimat möglich wurde?

Zachmann: Viele fortschrittlich und demokratisch denkende Schweizer, die sich als Europäer sehen, haben das auch gedacht. Und doch ist es so gekommen. Für mich ist meine Heimat erstmal gestorben. Ich werde nicht mehr nach Luzern oder Bern fahren. Und im Fernsehen schaue ich mir Filme oder Shows aus der Schweiz auch nicht an. Höchstens Nachrichten. Mich interessiert, wie es dort nun abwärts gehen wird - die EU hat ja schon seit geraumer Zeit ein Handelsverbot für Schweizer Aktien verhängt, anfangs eine Sanktion, die erzieherische Funktion haben sollte. Nun wird das sicher ausgeweitet. Ich bin gespannt.

PPQ: Fürchten Sie als Schweizer persönliche Konsequenzen? Ausländerfeindlichkeit, vielleicht eine Ausweisung?

Zachmann: Ich bin inzwischen sicherheitshalber mit einer Deutschen verheiratet, da sehe ich im Moment also keine große Gefahr. Aber fest steht, dass die schweizerische Demokratie missbraucht worden ist und die Abstimmung als PR-Instrument für eine andere Schweiz genutzt wurde, die unserem europäischen Verständnis von Freiheit und Freizügigkeit widerspricht.

PPQ: Was stört Sie besonders?

Zachmann:
Die Naivität der Schweizer Regierung schauen. Ein so wichtiges Ereignis hätte niemals von einem völlig unbekannten Bürgerwillen abhängig gemacht werden dürfen - in einem Land, wo ohnehin jeder denkt, er könne mitbestimmen und sich dabei sogar dem rechtsstaatlichen Prinzip verweigert, dass es Verträge mit anderen Staaten gibt. Haben Sie hier in Deutschland jemals eine Volksabstimmung gemacht, als mit der europäischen Einigung ernst wurde? Nein, und das war gut so. Sonst wären Sie doch heute nicht dort, wo Sie sind.

PPQ: Zuletzt stand vor allem die Diskriminierung von Einwanderern aus Europa zwischen den beiden Verhandlungspartnern. Die Schweiz fürchtet die Einwanderung in ihr Sozialsystem und eine Bedrohung der nationalen Identität, weil die Entwicklung des Ausländeranteils von 14,1 Prozent im Jahre 1980 auf 23,2 Prozent im Jahre 2013 irrationale Ängste vor einer ausländischen Bevölkerungsmehrheit für das Jahr 2062 geweckt hatte. Wie realistisch ist das?

Zachmann: Das ist purer Populismus. Niemand kann heute schon wissen, was 2030, 2045, 2050 oder 2062 sein wird. Probleme, die es dann gibt, können wir nicht heute lösen! Die Schweizer Medien haben hier einfach nicht genug gewarnt, die deutschen haben mehr gehofft als aufgeklärt und sie werden in der Schweiz auch leider wenig gelesen.

 
PPQ: Der Abbruch der Verhandlungen hat nun nicht etwa zu einem großen Aufschrei geführt, jedenfalls kein so großer, wie damals der gegen das antieuropäische Abstimmungsergebnis. Hat Europa die Schweiz aufgegeben?

Zachmann: Ich fürchte es fast. Schon diese Börsensanktionen, eine Maßnahme, die im Normalfall gegen oder durch diktatorische Regime verhängt wird, die USA machen zum Beispiel so was mit China, fand ja öffentlich keinerlei Aufmerksamkeit. In der Schweiz sagen sich die Leute natürlich, wir haben die Hitlerzeit auf eigene Faust durchgestanden, den Kalten Krieg, all das, jetzt fangen wir nicht an, uns der EU zu unterwerfen. Aber dass sie in Brüssel für Mitbestimmung sind, aber gegen solche Ergebnisse, die Europa weit zurückwerfen, ist doch auch klar. Ein so großer Kontinent, der nicht mal eine Sprache spricht, keine gemeinsame Öffentlichkeit hat und abgesehen vom Geld auch kaum gemeinsame Interessen, der muss von oben regiert werden, im Grunde nach russischem Vorbild. Die Erwartung, dass  durch solche populistischen Mitbestimmungsaktionen ein Gemeinschaftsgefühl aufkommt, ist naiv. Kein Land ist durch so eine Veranstaltung je freier geworden. Das ist eine Illusion, die uns die Feinde unserer Ordnung verkaufen wollen.

PPQ:
Bundespräsident Joachim Gauck hat damals nach dem falschen Abstimmungsergebnis einen Besuch in der die Schweiz abgesagt und stattdessen ist er demonstrativ nach Indien gefahren, in die größte Demokratie der Welt, in der die Grundrechte aller Menschen noch uneingeschränkt respektiert werden. Im Rückblick gesehen eine starke Geste, die aber erfolglos geblieben ist. Sollten andere Politiker seinem Beispiel jetzt folgen?

Zachmann:
Mit Namen und Hausnummer: Ja, konkret muss Europa darauf dringen, dass Joe Biden und Wladimir Putin die Eigensinnigkeit der Eidgenossenschaft mit ihrem geplanten Treffen in Genf nicht noch aufwerten. Das fände ich fände gut. Es ist wahrscheinlich für keinen Politiker eine gute Idee, jetzt in die Schweiz zu fahren. Alle, die es doch tun, sollten aufpassen, nicht zur Staffage für ein Regime zu werden, das die unbedingte Mitbestimmung durch direkte Demokratie höher wichtet als einen Konsens unter Demokraten, wie er in EU-Europa zum Glück die Regel ist.

 

13 Kommentare:

  1. >> dass die schweizerische Demokratie missbraucht worden ist

    Da ist der Zachmann voll auf der Linie des Speichel.

    >> Menschenrechtler kritisieren immer wieder, dass Russland seine Gesetze missbrauche ...

    Nun noch eine Frage.

    >> Regime zu werden, das die unbedingte Mitbestimmung durch direkte Demokratie höher wichtet als einen Konsens unter Demokraten, wie er in EU-Europa zum Glück die Regel ist.

    Hat PPQ bei dem sehr langen Interview nebenbei in Erfahrung bringen können, was dem Zachmann in den Trank gemischt wurde? Ich will das auch.

    AntwortenLöschen
  2. er bezieht klar position! gegen die, die versuchen, freiheiten, die ihnen großzügig gewährt werden, zu missbrauchen! eine wichtige stimme, gerade aus mecklenburg!

    AntwortenLöschen
  3. Klare Position in MVP beziehen finde ich ja auch Klasse. Ich wollte aber wissen, was der getrunken hat. Das nehme ich bei meinem nächsten Ostseeaufenthalt auch.
    ---
    Jana Werner hat auch so ein sensationelles Interview führen dürfen. Sie wollte wissen, warum zwischen Politikern auf der einen und Künstlern und Intellektuellen auf der anderen Seite der Erdscheibe nichts mehr durchgeht. Da diffundiert nichts, auch nicht osmotisch.

    WELT: Aber warum ist diese Distanz entstanden?

    Björn Engholm: Mutige, kluge Köpfe haben wir auch heute noch, die aktuell im Zusammenhang mit Corona aufklären, wie Karl Lauterbach und Christian Drosten.

    https://www.welt.de/politik/deutschland/article231392477/Bjoern-Engholm-Wir-muessen-lernen-Unbequemes-zuzulassen.html
    ---
    Siehste, der Björn trinkt auch sowas. Küstennebel ist das aber nicht, denn damit kommen einem solche klugen Gedanken nie und nimmer in den Kopf rein.

    Also. Was trinken die in Küstennähe während der Interviews?




    AntwortenLöschen
  4. ich nehme an, es ist einfach verzweiflung. haben wir als kinder nicht alle geglaubt, dass der wolf die geislein komplett in einem stück verschlungen hat? und dann die wackersteine? und dass tauben ruckediekuh machen, nur weil sich das auf "schuh" reimt?

    AntwortenLöschen
  5. Hase, Du bleibst hier ...Mai 27, 2021

    Da schießt der Wilhelm Tell dem Maas den Apfel direkt vom Kopf und der fällt der Kanzlerin direkt in den Schoß. Direkt ? Da war doch was ? Aahh, direkte Demokratie. Welche schwefliche Partei tritt nochmal dafür ein ? Bei Tichys Wahlwette liegen die bei 27 Prozent für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Da geht noch was, oder ?

    AntwortenLöschen
  6. Hase, Du bleibst hier ...Mai 27, 2021

    @ Anmerkung. Im echten Norden trinkt man Mann und Fru, ein Doppelkümmel. Der Engholm trinkt sicher irgendein gepanschtes Zeugs von Sylt, Designerteuerzeugs, ohne Charakter.

    AntwortenLöschen
  7. Ich tippe auch auf Kümmel. Ich habe es als Lehrling mal aus versehen getrunken.
    Das wiederlichste Zeug was es gibt. Ich habe damals alles weggeschluckt was genug
    Prozente hatte, aber Kümmel nie wieder.

    AntwortenLöschen
  8. also mal im Ernst: der Engholm, lebt der überhaupt noch?

    AntwortenLöschen
  9. >>Im Gegenteil! Die AfD kann einen „elder Statesman“ als Gllionsfigur gut gebrauchen – zeigt sich ja immer wieder bei internen Querelen.

    ridgleylisp 27. Mai 2021 at 15:16

    „Gallionsfigur“ <<
    -----------------------------------------------
    Totesstrafe für Legasnicker. Wann höhrt dieser Spuck (inzwischen auch auf EIKE)auf?

    AntwortenLöschen
  10. Das wiederlichste Zeug

    Ich alter weißer Mann würde es "widerlichste" schreiben. Aber um eines Vokales willen -jota - kloppt man sich seit eineinhalb Tausend Jahren die Rübe ein.

    AntwortenLöschen
  11. re Schweiz; "deutschlandfunk" agitiert massiv gegen den Nachbarn ; würde mich nicht wundern wenn der schweizer Dienst massiv gegen d-Funk Redakteure vorgeht

    AntwortenLöschen
  12. Boy TellMai 28, 2021

    Man mag von den Meineidgenossen halten, was man will: sie haben es verstanden, als einzige in Europa nicht von Nazideutschland angegriffen, erobert und besetzt zu werden, und sie haben sich Wohlstand generiert, indem sie globalen Verbrechersyndikaten und Diktatoren diskrete Geldspeicher anboten.

    Alles wunderbar basisdemokratisch, bis die Amis davon zurecht die Schnauze voll hatten und das heiliges Bankgeheimnis aufsprengten.

    Die saubere Schweiz spielt übrigens auch bei schmutzigen Wirecardaktionen eine Rolle, denn sie war zu allen Zeiten Tummelplatz diverser Geldwäscher und Geheimdienste.

    Unter der propagierten adretten Heidiidylle gammelt also verdammt viel Dreck vor sich hin und stinkt zum Himmel.

    Unter imposanten unschuldig schneeweißen Fotomotiven wie Matterhorn, Eiger, Mönch und Jungfrau lauert also ein räudiger Drache, der seine geldgierige Seele für ein paar Franken jedem Teufel verkauft hat und das auch weiterhin tut.

    Basisdemokratisch per Volksentscheid, versteht sich.
    Eine wahrhaft Ehrenwerte Gesellschaft.

    AntwortenLöschen
  13. bis die Amis davon zurecht die Schnauze voll hatten ...

    Nur zum Teil, nicht völlig einverstanden: Soll ich Partei ergreifen, wenn ein mächtiger Strolch einem schwächeren solchen aufweist, wer Herrchen und wer Hundchen ist?
    Nebenbei: Sogenannte Steuerhinterziehung ist recht oft eitel Notwehr*.

    Einige seltsame Sitten und Gebräuche haben bzw. hatten sie auch: Für einen km/h zu schnell muß man schon latzen, krank ist das. Oder, bis in die Achtziger, haben sie Kinder, deren Vater durch Unfall oder Krankheit auf immer ausgeschieden war, in "intakte Familien" verbracht, i.d.R. als Sklaven auf einen Bauernhof.

    *Ich war vierzehn Jahre selbstständig, wer da nicht wenigstens die "Grauzone" ausnutzt, kann schon zu Anfang schlicht einpacken.

    AntwortenLöschen

Richtlinien für Lesermeinungen: Werte Nutzer, bitte beachten Sie bei ihren Einträgen stets die Maasregeln und die hier geltende Anettekette. Alle anderen Einträge werden nach den Vorgaben der aktuellen Meinungsfreiheitsschutzgesetze entschädigungslos gelöscht. Danke.