Peer Steinbrück war damals bei Schwarz-Gelb noch sicher, dass nur die SPD mit Geld umgehen kann. |
Sie hatte ihre Zeit, die Million. Es waren schöne Jahre, Jahrzehnte sogar, in denen mit ihr jongliert wurde, in denen die Sehnsucht vieler ihr allein galt. Eine Million. Eine einzige! Was könnte man alles tun! Kaufen, reisen, kündigen. Freiheit wie ein Geimpfter! Die Million, Minimum sechs Nullen und eine einzige 1 im billigsten Fall aller Fälle, prägte ganze Zeitalter. Der Millionär, das war wer. Ein Millionensegen, das klang nach etwas. Millionen hatten keine einzige Million und schauten deshalb aus der Ferne neidisch zu denen, die nicht nach Millionen zählten, aber Millionen hatten und deshalb in einer Parallelwelt leben durften, in der Neuwagen wie Brot gekauft und Flüge im vorderen Kabinenteil verbracht wurden, wo der Sieben-Stunden-Sessel fünfmal so viel kostet wie der ganze Urlaub der Leute im Anhängerteil.
Die Million war einst eine Bazooka
Lange galten selbst Bundesregierungen sieben-, acht- und neunstellige Summen als bazooka (Olaf Scholz) von ausreichendem "Wumms" (noch mal Scholz), um Arbeitsplätze, Firmen, ganze Branchen zu retten oder zu fördern. Wenn gerettet werden musste, taten es sechs oder sieben Nullen hinter der Zählzahl. Eine Million für den Mittelstand, zehn für ein Großunternehmen, auch mal 100 Millionen, ja. Aber mehr musste nie sein. Mehr war nie nötig. Mehr rafften nicht einmal die größten Betrüger zusammen.
Die Million war das magische Maß des Unvorstellbaren. Noch in den krudesten Filmen mit den verrücktesten Plänen zur schnellen Expropriation der Expropriateure schleppten die Täter*_:Innen Koffer, Kisten oder Säcke mit Scheinen in die Fluchtwagen, deren Wert nach Millionen zählte. Ein ähnliches Verhältnis zum Geld, wohl anerzogen über viele Jahre in Kinos und vor Fernsehgeräten, offenbarten Politiker: Hier mal eine Million für ein Kulturfestival, dort ein paar sparsame für die Elektromobilität. Tüftler und Erfinder mussten bescheiden sein, und mit wenig bazooka auskommen. Selbst die Großherzigkeit zur Förderung klimakterisch wichtigster Vorhaben zur Sicherstellung eines nachhaltigen Kaffeenachschubs zeugte von einer umfassenden Knauserichkeit.
Die Million ist heute knauserig
Was waren das für Zeiten. Sie sind vergangen, fast schon vergessen. Geht es heute um Rettung oder Förderung, um den guten Zweck oder ein Signal des allerbesten Wollens, dann vermögen Millionen selbst in großer Zahl kaum noch etwas auszurichten. Die Magie der sechs, der sieben oder acht Nullen, sie scheint erschöpft, sie sendet keine Zeichen mehr, sie ist Alltag, unauffällig, eine Enttäuschung. Tritt ein Bundespolitiker heute vor die Kameras, um ein neues, wichtiges Forschungsprojekt mit Geld zu bedenken, dann kann er nicht wie früher nur zwei Millionen springen lassen. Der Saal würde in Lachen ausbrechen, die Bürger*:_Innen und Bürgenden wären entsetzt, enttäuscht und sie würden Fragen stellen: Steht es so schlecht, dass wir uns nicht mehr leisten können als nur ein paar symbolische Euro? Zeigen sich nicht Wille und wahre Zuallementschlossenheit auch darin, dass man all in geht?
Der Todestag der Million als Maßstab für die wirklich große Entschlossenheit, als Gradmesser für Prioritäten und akute Rettungssymbolik waren jene "Stunden hektischer Krisendiplomatie" im Mai vor elf Jahren, als die Spitzen der EU sich eines Nachts entschlossen, die "amerikanische Krise" (Peer Steinbrück) an den Finanzmärkten, die sich von ihnen allen unerwartet in eine lebensbedrohliche Krise von Euro und EU verwandelt hatte, durch dicke, luftundurchlässige Schichten frischen Geldes zu ersticken. Das verwegene Unternehmen gelang, der organisatorische Zusammenhalt zumindest von 27 EU-Ländern blieb erhalten, gewahrt von nie versiegenden Geldquellen.
Nie versiegende Geldquellen
Der Preis aber , so lässt es sich ein Jahrzehnt später feststellen, war der frühe Tod der Million. Unbemerkt und unbetrauert musste die einst so mächtige Zahl, über Ewigkeiten der heros maximus aller politischen "Landschaftspflege" (Helmut Kohl), ihren Platz der Milliarde überlassen. Die übernahm und läutete Zeiten neuer Großzügigkeit ein. Egal, ob es um die Förderung der funkelnagelneuen "grünen Wasserstoffwelt" (Handelsblatt), um den "Aufbau globaler Lieferketten" für die neue Elektromobilität, um die Rettung des deutschen Waldes, vor dem Rechtsextremismus oder der Versteppung geht, ob der Maßstab regional, kontinental oder global angelegt wird oder ob das Projekt im besten Falle verspricht, die Völkerfamilien eines ganzen Erdteils finanziell zu verschwägern, verschwestern und zu verbrüdern: Ohne Milliarden und Abermilliarden ist kein Staat zu machen und schon gar keine Staatengemeinschaft.
Hoch und höher steigt der Einsatz mit jedem Mal, es kostet nur Nullen und die sind selbst ja keine Zahl! Die Milliarde ist die Einheitswährung der Errettung vor allem geworden, sie garantiert menschliches Leben und Wohlstand für alle Zeiten wie der Deckel des Säufers, der jeden Abend kommt und immer morgen zahlt. Ein gutes Gefühl, solche Kräfte zur Verfügung zu haben, so viel Kredit bei sich selbst und so viel Zukunft vor sich, dass schon die Gegenwart damit beheizt werden kann. Beunruhigend nur, dass die Milliarde zuletzt erste Schwächen zeigte. War die endgültige Errettung vor dem Staatsschuldenzusammenbruch vor nicht einmal ganz zehn Jahren noch für ein paar hundert Milliarden zu haben gewesen, gelang die beruhigende Beilegung der Pandemie nur durch die erstmalige Anrufung des Billionengottes.
Die gleichen Leute, die bei Milliarden nur mit den Schultern zucken, drehen bei 2 Cent
AntwortenLöschenmehr beim Benzinpreis komplett durch.
"Die Million, neun Nullen und eine einzige 1 im billigsten Fall aller Fälle, prägte ganze Zeitalter."
AntwortenLöschenIch habe noch gelernt, dass eine million 6 nullen hat. Ist das dann die Million V1.7 ?
danke, wir können hier nicht rechnen, wir wissen nur, was zählt
AntwortenLöschenWie Sie zum Ende sagen: Am Horizont leuchtet inzwischen schon die Billionen-Morgenröte auf. Da hilft es sicher, dass im Englischen die Milliarde "billion" heißt, da gewöhnen wir uns schon mal an das Wort und der nächste mentale Übergang wird glatter, gleitender, eleganter. Wenn auch nur der mentale.
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