Moment der Erlösung in der Nachspielzeit: Terrence Boyd trifft zum 2:1. |
Sie fangen diesmal an, als würde alles neu anfangen. Nach dem Niedergang der vergangenen Wochen, der die Mannschaft des Halleschen FC exakt auf den Punkt zurückgeworfen hatte, an dem Trainer Florian Schnorrenberg die hochgradig abstiegsbedrohte Mannschaft vor einem Jahr übernommen hatte, startet die auf fünf Positionen umformierte Elf gegen den KFC Uerdingen wie die Feuerwehr. Gut, es ist ein Modell Robur, Höchstgeschwindigkeit Baujahr Mitte der 80er. Aber immerhin, da lebt noch etwas, das niemand nach dem Todesstoß von Kaiserslautern vermutet hatte.
Flanken in den Strafraum
Vor allem Braydon Manu, in der Winterpause von Präsident und Mannschaftsart auf eigene Kosten zurückgeholt, um die Situation, in die der Verein drei Monate später steckt, gar nicht nicht heraufzubeschwören, tut sich hervor. Der Leihspieler aus der 2. Liga kämpft und sprintet, er köpft sogar und über seine rechte Seite geschehen Dinge, die seit Wochen nicht mehr geschehen beim HFC: Flanken! In den Strafraum.
Dass dort niemand ist, mag eine Frage der Gewöhnung sein, es rechnet ja kein Boyd und schon gar kein Jan Sherbakowski mit hereinsegelnden Vorlagen von den Flügeln. Guttau ist der zweite auffällige Mann in der ersten halben Stunde. Der Ur-Hallenser, seit der Verletzung von Toni Lindenhahn der letzte Einheimische mit gelegentlicher Stammelf-Präsenz unter Schnorrenberg, wühlt sich über links nach vorn. Er flankt nicht, er schießt. Einmal trifft er sogar fast gegen Königshofer, den ehemaligen Mannschaftskameraden im Krefelder Tor, der es in Halle nie zur Stammkraft gebracht hat.
Und kein Elfmeter
Die Gäste tun wenig bis nichts, und das scheint keinem Span zu entspringen, sondern genau das zu sein, wozu die ewige Insolvenzelf nach Monaten der Herumschubserei, ausbleibender Gehaltszahlungen und fortwährender Unsicherheit nicht nur wegen Corona noch in der Lage ist. Ein Spiel auf ein Tor, allerdings nach Guttaus zwei Einschussversuchen und einem Fast-Elfmeter gegen Sherbakowski, der von Traore mit der Hand am Abschluss gehindert wird, ohne Ertrag.
Jetzt kommt der KFC besser ins Spiel, wobei "Spiel" der falsche Begriff ist. Not kämpft, kratzt und beißt gegen Elend. Alle geben alles, was sie haben, aber sonderlich viel ist das eben nicht. Überlebenskampf vor leeren Rängen, Frustfußball mit dem großen Vorteil, dass auch diesmal niemand live dabei sein muss, der nicht muss. Dem HFC jedenfalls rutscht die sichere im Griff geglaubte Begegnung sichtlich aus der Hand. Wie alle die Wochen schon geht vorn ab Strafraumgrenze nichts. Nicht bei Freistößen, nicht bei Ecken, schon gar nicht aus dem Spiel. Und das sorgt hinten trotz der bescheidenen Angriffsbemühungen der Uerdinger für ein Grundgefühl von Beunruhigung.
Zurecht. Nach Wiederanpfiff will Terrence Boyd es selbst machen, aber auch sein Freistoß touchiert nur die Lattenoberkante. Das war's dann auch vom Sturm des HFC, der nun nicht mehr zu sehen ist. Eine Einladung für den früheren Bundesligaverein, heute ein Russenklub aus dem Westen, den Oligarchengeld mühsam am Leben hält. Ein bisschen ausgeglichener ist es nun, schöner ist es nicht. Gebolze wechselt sich mit Gedresche ab, Fehlpass mit Einwurf zur falschen Farbe. In der 61.Minute passiert das aus hallescher Sicht unfassbare: Mike Feigenspan spielt rechts raus, wird drei Schritte weiter vorn wieder selbst angespielt. Und dann überwindet er den bis dahin vollkommen beschäftigungslosen Sven Müller mit einem sanften Heber von der Torauslinie.
Hängende Köpfe, hängende Schultern
Hingen bis dahin bei einigen HFC-Spieler nur die Schultern, gehen nun auch die Köpfe runter. Alles wie immer, Ende bekannt. Antonios Papdopulous stochert im Mittelfeld, Stipe Vucur feuert an. Boyd schießt in der 69. nicht den Ausgleich, sondern links am Königshofers Tor vorbei. Hände vors Gesicht. Abwehrspieler Fabian Menig ist mit einem Schuss in der 83. Minute der Mann, der die beste Chance des HFC verballert. Vermutlich würde jetzt keiner auf dem Platz noch fünf Euro auf die Leute in den roten Dressen setzen. Obwohl Sven Müller die endgültige Entscheidung noch einmal vertagt, als er Feigenspans zweiten Torschuss - aus sehr viel besserer zentraler Position - mit einer Krakenhand abwehrt.
Ein Glücksmoment für Florian Schnorrenberg. |
Es steht 1:1 und Schiedsrichter Gräfe zeigt wenig später fünf Nachspielminuten an. Jetzt passiert, was hier schon mal in einem Spiel gegen Hansa Rostock geschehen ist, als Toni Lindenhahn traf, während der Schiedsrichter schon Luft holte, um seine Pfeife zu blasen. Und dann noch mal, als Terrence Boyd Duisburg abschoss, als das Trillern schon in der Luft lag. In der 93. Minute legt Vucur den Ball blind in den Strafraum, eine Gegend, die bis dahin weitgehend unerkundet geblieben war. Laurenz Dehl verlängert. Und eben jener Terrence Boyd, der am Ende der Saison womöglich der Mann sein wird, dem der Klassenerhalt zu verdanken, trifft mit rechts ins linke Eck. 2:1.
Niederlagen abschaffen", hatten die Fans mit einem Banner in der Kurve gefordert. Klappt. Diese Niederlage ist mit Boyds Treffer abgeschafft. Wiedermal ein Wunder, wiedermal dem Tod von der Schippe gesprungen. Boyd rennt zu Schnorrenberg, die eisige Miene des Trainers taut in Sekunden. Ein breites Lachen trägt er jetzt im Gesicht, der Coach, der noch vier zwei Monaten sicher vor seiner zweiten vollständigen Amtszeit in Halle stand. Alle herzen alle. Alle lachen mit. Gestorben wird vielleicht, aber nicht heute.
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