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Sollte Corona-Opfer provozieren, wurde aber weitgehend aus den Medien gehalten: Klimakinder posieren in der Elbphilharmonie.
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Die Internetaktion #allesdichtmachen ist nach Ansicht des
Medien- und Bedeutungsforschers Hans Achtelbuscher mit Blick auf die öffentliche Meinungsbildung problematisch, aber unerlässlich, um die Meinungsfronten zu klären. Als die Klimaaktivistin Luisa Neubauer kürzlich in der
Elbphilharmonie gemodelt habe, um auf das Leid der mehr als 80.000 Corona-Opfer hinzuweisen, sei die Absicht erkennbar gewesen, zu provozieren. "Doch erst Herr Leifers und seine Mitprominenten haben jetzt wirklich hämisch Narrative bedient, die aus Sicht der Parteizentralen und der Großraumbüros Bestandteil vieler Verschwörungserzählungen sind“, sagt der Sprecher des "Forums Starker Staat".
Angewandte Enthropie
Hans Achtelbuscher forscht seit Jahren am
An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung zu
aktuellen Phänomenen wie dem Absterben der deutschen Rücktrittskultur,
Sprachregelungsmechanismen und dem Einfluss subkutaner Wünsche auf die
berichterstattete Realität. Dass vermeintlich gleichgeschaltete Medien auf eine Künstleraktion, die ihnen eine vermeintliche Gleichschaltung vorwirft, nahezu durchweg im Duktus gleichgeschalteter Medien reagieren, hält der als Erfinder der Empörungseinheit EMP bekanntgewordene studierte Enthropologe für wegweisend. "Nachts sind alle Katzen grau und getroffene bellen", folgert der Wissenschaftler aus den ersten 72 Stunden der Schlacht um #allesdichtmachen.
Aus Sicht der Medienpsychologie sei die Kampagne heute schon ein Erfolg - erst recht, nachdem der Plattformmonopolist Youtube seiner Verantwortung gerecht geworden sein und die Sichtbarkeit der staatsskeptischen und womöglich staatsfeindlichen Video eingeschränkt habe. "Da spielen natürlich auch eigene Präpositionen für Angststörungen
hinein", beschreibt Achtelbuscher, "auch niemand in den Großraumredaktionen und den Gemeinsinnsendern will sich am Ende vorwerfen lassen, er habe Durchhaltekommentare verfasst, während die Regierung hunderttausende
Bürgerinnen und Bürger sterben ließ, weil sie Angst vor einem Lockdown hatte."
Betretungsverbot für leere Straßen
Das höchste Maß an vorstellbarer Sicherheit etwa sichergestellt durch ein Betretungsverbot für leere Straßen nach 22 Uhr gelte natürlich auch in den Redaktionen und Kommentatorenstuben als lächerlicher Quatsch, der sich niemandem erklären lasse, der noch bei Verstand sei. Einige Redaktionen hätten aus diesem Grund auch bereits Protestnoten ans Kanzleramt verfasst und sich dringend erbeten, Maßnahmen geliefert zu bekommen, deren glaubhafte Außendarstellung nicht unmöglich sei. "Sich dem dennoch anzuschließen, ist so gesehen eine Solidaritätserklärung", sagt Hans Achtelbuscher, "man gesteht zu, ob dick, ob dünn, wir fahren im selben Boot durch die Sch..."
Die Unruhe, die vor einigen Wochen Einzug gehalten hatte, als selbst verlässlichste Leitmedien wie der Spiegel, die SZ, die Taz und die FR über eine rumpelnde Impfkampagne, ein schlechtes Krisenmanagement und sinkendes Vertrauen in die Fähigkeiten von EU, Bund und Ländern zum angemessenen und grundrechtskonformen Umgang mit der Pandemie bliesen, ist gewichen. "Man hat sich da sicherlich noch einmal tief in die Augen geschaut und gesagt, wir stehen das nun doch besser zusammen durch." Schnell seien Grenzgänger wie der CDU-Influencer Rezo, der schreibende Ruheständler Heribert Prantl und eben auch die aufmüpfige Luisa Neubauer mit ihrer provokanten Mode-Demonstration ausgegrenzt und "stillgemacht" (Achtelbuscher) worden.
Corona-Demo der Klimakinder
Als wichtige Lehre dürfe man mitnehmen, dass es gelang, die großangelegte Corona-Demo der Klimakinder nahezu komplett aus den Medien herauszuhalten. Proteste gab es nirgendwo, ähnlich wie nach der Abfolge immer hanebüchener scheinender Eindämmungsmaßnahmen der Bundesregierung. Im Ergebnis ermutige das ausschließlich innerte Echo die Fortsetzung des verfolgten Kurses. "Sobald man gemerkt hat, dass man im Grunde machen kann, was
man will, macht man das eben auch."
Über den klug gesetzten Kontrareiz der Liefert-Legion war Hans Achtelbuscher denn auch eher erfreut als betrübt. Nach den derzeit geltenden Satire-Gesetzen sei zwar das Sterben an und mit Corona für humoristische Anprangerungen zugelassen, nicht aber die Benutzung von Zynismus zum Zwecke der Belustigung. "Narrative, die einen
eindeutigen Fokus auf die Aufwiegelung zum Zweifel legen und selbst für den
aufmerksamen Beobachter nicht als sogenannten ,Böhmermann' erkennbar sind, werten im medialen Alltagsgeschäft dramatisch ab", warnt Hans Achtelbuscher vor der Versuchung, nicht alles zu glauben.
Er rechne in den kommenden Wochen zwar nicht mit einem generellen Kritikverbot an der Regierung, rechne aber doch mit Eindämmungsmaßnahmen gegen Zynismus, Zweifel und verharmlosenden Humor. "Es wundert mich nicht, dass der Applaus für die Lieferts-Filme bei Youtube größer ist als der Protest, der dem Schauspieler entgegenschlägt." So hätten mehr als 53.000 von Lieferts 1,3 Millionen Zuschauern dessen zynischen Ausbruch positiv bewertet, nur 6.500 hingegen negativ. "Das Verhältnis ist also umgekehrt zu dem, was wir als mediales wahrnehmen könne", sagt Achtelbuscher, "und das macht uns klar, dass die Herstellung einer Einheitlichkeit auch hier dringend notwendig ist."
Es gehe darum, die übertrieben polemisch dargestellte Kritik seitens der #allesdichtmachen-Aktion, die in keinem Fall hilfreich sei, um die letzten drei, vier schweren Monate der Pandemie zu überstehen, zur Versachlichung des öffentlichen Diskurses zu nutzen. "Wer her als Nachahmer auftreten möchte, muss wissen, was ihm blüht", sagt Achtelbuscher. „Verschwörungsideologische Narrative oder Narrative, die als verschwörungsideologische Narrative verstanden oder missverstanden werden können, dürfen durch solche Aktionen ausgemerzt werden.“
Zurückrudern im kippenden Boot
Dass die Seite allesdichtmachen.de erst offline gegangen war und dann mit einem langen Entschuldigungsschreiben versuchte, den Angriff auf die gemeinsamen Werte von Grundgesetz, EU und Ministerpräsidentenkonferenz zu einem bloßen Missverständnis zu verniedlichen, sei ermutigend. "So sieht es immer aus, wenn jemand zurückrudert, aber eigentlich schon aus dem Boot kippt." Verdeutlicht werde das durch den Umstand, dass mehrere Teilnehmer der unabgestimmten Aktion sich schon Stunden nach dem Start von ihren Beiträgen distanziert hatten und den Schulterschluss mit ihren Kritikern suchten.
Wir können daran sehen, wie viel Mut dazugehört, wie Meret Becker, Kostja Ullmann, Heike Makatsch oder Ken Duken erst in den Widerstand zu gehen und dann vor aller Augen umzukippen", erklärt Hans Achtelbuscher. Er plädiere dafür, den jungen Leuten eine zweite Chance zu geben. "Sie haben einen Fehler gemacht, aber wenn sie ihn jetzt einräumen, Selbstkritik üben und umkehren, dann sollten wir als Gesellschaft die Großherzigkeit haben, sie wieder aufzunehmen." Ein bisschen Gras müsse sein, es dürfe "ruhig über solche kleinen Affären wachsen", findet Deutschlands führender Enthropologe. "Man kann das später ja immer noch in einem Halbsatz erwähnen, um die Disziplin aufrechtzuerhalten."