Drei lange Monate nach dem Entsolidarisierungsbeschluss der Rechtsparteien im dunkeldeutschen Sachsen-Anhalt wird langsam klar, welch riesige Bresche die Versagung der notwendigen Einnahmesteigerung in die bunte Programmvielfalt der Gemeinsinnsender geschlagen hat. Kaum mehr Hitler, statt deutscher Krimiproduktionen aus Istanbul Barcelona und Stockholm nur noch Doppelfolgen von "Barneby" und "Wilsberg" und keinerlei Biathlon-Medaillen deutscher Polizisten und Soldaten mehr - gerade im Langzeit-Lockdown hinterlässt das Spuren.
Zensur beim Schlagerstar
Menschen werden dünnhäutig, sie fürchten um ihre gewohnte Fernsehunterhaltung, aber natürlich auch um die finanziellen Möglichkeiten der staatlich verfassten Sendeanstalten, Fernsehlieblinge von früher weiter in Lohn und Brot zu halten. Auch da zeigen sich inzwischen die ersten Auswirkungen der Gürtel-Enger-Politik bei ARD und ZDF, wie ausgerechnet der 78-jährige Fernsehliebling Frank Schöbel jetzt erkennen musste. "Liebe Freunde, soeben lief im MDR „Musik für Sie“", eröffnete der Schlagerstar zweier Systeme seinen Fans gerade bei Facebook, ehe er Erstaunliches berichtete: "Sie haben den zweiten Vers meines Liedes „Danke liebe Freunde“ rausgeschnitten."
Nun stehen weder das Lebenswerk des Berliner Sympathen noch der konkrete Schöbel-Song im Verdacht, überschießend kritisch jemals irgendwelche Notwendigkeiten geleugnet oder zum Sturm irgendwelcher Barrikaden aufgerufen zu haben. Frank Schöbel war immer der Nette, der Liebe, der Angepasste, den alle mögen konnten, selbst die, die ihn nicht hören mochten. Erst als die DDR, in der er der größte Schlagerstar aller Zeiten war, unüberhörbar auf dem letzten Loch pfiff, wagte sich Schöbel mit seinem Lied "Wir brauchen keine Lügen mehr" aus der Beziehungskiste und ermutigte sich und andere "Und wir sperrn uns nicht mehr ins Lügendickicht ein, wo wir selber gefangen sind."
Cancel Culture in Dunkeldeutschland
Erst gar nicht, dann aber mit zunehmender Wackligkeit der alten Macht sehr gern gespielt, wurde die Lügen-Nummer zu Schöbels letzten DDR-Hit. Danach schaffte der Sänger vergleichsweise unangestrengt den Sprung aus dem Ostfernsehen der DDR ins Ostfernsehen, das jetzt Westfernsehen war. Der MDR war sein Haussender, man wusste, was man aneinander hatte: Der Sänger eine Abspielstation, um die sich sein altes Publikum wie um einen Kamin versammelt. Und der größte ostdeutsche Gemeinsinnsender ein bekanntes Gesicht, das verlässlich Unterhaltung produziert, und nur Unterhaltung.
Dass bei Schöbel, der immer noch in einer U70-Mannschaft Fußball spielt, nach 30 Jahren noch mal die Dissidentenmuskeln spielen würden, konnte niemand ahnen. Ist aber passiert. Im harmlos anschleichenden "Danke liebe Freunde" hat der König der Schlagersanftmut diese Zeilen versteckt: "Machst du gemütlich Fernsehn an - was muss man manchmal sehn - schrein sich fremde Menschen an - schalt ab - danke schön - vieles verlogen und nicht echt - wo bleibt nur das Gefühl - manches ist so ungerecht". Und das ist nun harter Stoff der Marke, die der MDR seinen sedierten Zuschauern nicht zumuten kann.
Gegen den satanischen Vers
Schöbels Lied wurde also beschnitten, nicht vorn oder hinten, sondern inmitten. Professionell, denn für ein anständiges Bootcampranking ist gerade noch genug Geld da. Die zweite Strophe flog raus, die mit den satanischen Versen. "Nur ratet mal warum? ", fragt Schöbel, "weil sie sich die Jacke angezogen haben." So viel gelogen, so viel Geschrei. Nichts echt, aber ungerecht - wer erkennt da nicht auf Anhieb die kostbar geframte Selbstbeschreibung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Land? Als Botschaft über den Sender gegangen, könnte das verunsichern, Menschen zweifeln lassen, sie gar dazu bringen, den Empfänger abzuschalten, so dass die Verkündigung der Details der nächsten Eindämmungsverordnung oder aber auch Lockerungsübung an ihnen vorbeigehen.
Das darf, das kann nicht zugelassen werden. Gut, dass es auch in Deutschland keine Cancel Culture gibt. Schöbel-Zensur ist vielmehr ein Teil des naturgegebenen Selbstverteidigungsrechts des "Staatssenders": Wo es wehtut, muss operiert werden, minimalinvasiv, aber wirksam, um Ansteckungsprozess frühzeitig zu verhindern.
Die Einsicht in die Notwendigkeit ist aber natürlich oft nicht gleich da, so auch in diesem Fall. "Das erinnert ganz stark an DDR Zeiten" klagt Frank Schöbel mit einem kruden historischen Vergleich. Der über viele Jahre auch wegen und durch den MDR so erfolgreiche Sänger will ganz offensichtlich noch nicht eingestehen, dass er einen groben, einen womöglich sogar staatsgefährdende Fehler begangen hat, den der MDR durch einen kühnen Schnitt in die Songeingeweide wenigstens notdürftig reparieren musste. Statt froh zu sein, dass nicht sein gesamtes Lied rückgängig gemacht werden musste, hat Schöbel angekündigt, er werde "weiterkämpfen". Ein wichtiger Programmhinweis für alle Schöbel-Fans: Beim MDR zu sehen sein wird euer Liebling also in Zukunft eher seltener.
Wilsberg?
AntwortenLöschenGerade gestern kam der neue "Wilsberg". Ein kleiner, aktuell sehr kritischer Dialog fiel mir auf:
"Ich komm' mir vor wie ein Staatsfeind."
"Momentan könntest du stolz darauf sein."
dieser beisenherz schreibt da doch drehbücher, oder? wenn ihm da jemand draufkommt, ist er raus
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