Freitag, 26. Februar 2021

Flucht nach vorn: Wie die deutschen Medien ihre Regierung im Stich lassen

Entsetzen, Erschrecken, blanker Schock, Verblüffung und sogar Angst - als treue Zuschauer*innen der beliebtesten deutschen Nachrichtensendung "Tagesschau" gestern auf die Internetseite der staatlich finanzierten Sendung schauten, erwartete sie ein böses Erwachen. "Impfdesaster mit Ansage" titelte die Redaktion, auf die in im bisherigen Verlauf der Corona-Pandemie immer Verlass gewesen war. Die "Tagesschau" vermittelte vom ersten Tag an stets getreulich, wie richtig alle Maßnahmen der Regierung waren, wie alternativlos und gut die Schritte von Gesundheitsminister, Kanzlerin und Ministerpräsidenten im Kampf gegen die Krise und wie glücklich die Einwohner Deutschlands sein konnten, den Weltuntergang hier und nicht irgendwo anders erleben zu dürfen.  

Die "Tagesschau" und die Triumph-Trompeten

Noch Mitte Februar, als selbst EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen fast schon versucht war, die größte EU-Impfkampagne aller Zeiten als nicht ganz so durchschlagenden Erfolg zu bezeichnen, blies die "Tagesschau" noch die Triumph-Trompeten und wies Skeptiker, Zweifler und Kritiker harsch in die Schranken: Deutschland sei überhaupt nicht Letzter und Langsamster bei den Impfungen, wie im Netz kursierende fake news behaupteten. Richtig sei vielmehr, dass das Land bei den Impfungen pro Kopf weit vor Bangladesch liege und insgesamt weit mehr Menschen geimpft habe als Gibraltar.  

Ein Leistungsnachweis des Gemeinsinnfunks, der trotz zuletzt nicht weiter erhöhter Zahlungen beweist, wie gut er immer noch nach unter vermitteln kann, wie gut die Beschlüsse sind, die oben gefällt wurden. Doch mit dem 25. Februar 2021 scheint diese Ära der gedeihlichen Zusammenarbeit von Exekutive und Übermittlungsbeauftragten beendet. Erstmals wendet sich die wichtigste Redaktion des größten Staatswohlsenders gegen vermeintliche Missstände des erfolgreichen deutschen Corona-Managements - ein besorgniserregendes Zeichen, denn die "Tagesschau" ist mit ihrem plötzlichen Verrat an der gemeinsamen Seuchenstrategie von Bundesregierung, Ministerpräsidenten, Parlamenten und deutschen Medien nicht allein. 

Ein plötzliches Umkippen in Unwillen

Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, die "Welt", die FAZ, sogar der bisher immer tapfer für Angela Merkel und Jens Spahn kämpfende "Spiegel" - überall ist ein plötzliches Umkippen in Unwillen mit der irrlichternden Regierungstaktik im Umgang mit der Pandemie zu sehen. Wo Kritiker der stets zu spät getroffenen Regierungsentscheidungen zu Maskentragen, Grenzschließungen und Impfstoffbestellung bisher verlässlich als Leugner, Leerdenker und rechtsextremistische Feinde unserer Ordnung gebrandmarkt worden waren, zielen die Kanonen auf einmal nicht mehr auf die Spatzen. Sondern in Richtung der deutschen und europäischen Institutionen, denen Deutschland und die EU es verdanken, dass das alte Europa weltweit am schwersten von der Pandemie getroffen wurde.

Ein spätes Erwachen, denn obwohl die EU weit mehr Todesopfer zählt als selbst die USA, deren Tote in deutschen Medien laut betrauert werden, standen die deutschen Leitmedien von wenigen Ausnahmen abgesehen gegen alle Fakten, gegen jede Erkenntnis und trotz besseren Wissens in Treue fest zur wendungsreichen und sprunghaften Eindämmungspolitik. Mochte auch gelogen werden wie bei den Masken, mochten Infektionen monatelang importiert werden, mochte die teuerste Corona-Warnapp der Welt sich als untauglich erweisen und jedermann schnell klar geworden sein, dass niemand bei Bund und Ländern in der Lage ist, einen Blick auf erfolgreiche Corona-Strategien anderer Länder zu werfen - deutsche Medien taten es. Am liebsten, indem sie jeweils dort hinschauten, wo es noch schlechter lief. Um dann zu loben, wie gut es Deutschland hat.

Auf einmal überall Versagen

Erst mit dem Versagen bei der Impfstoffbestellung der EU, das zugleich die Unfähigkeit Deutschlands zeigte, eine auch nur halbwegs erfolgreiche Verteilung des wenigen vorhandenen Impfstoffes zu organisieren, scheinen selbst die treuesten Propagandisten des Heile-Welt-Journalismus nun die Nerven zu verlieren. Plötzlich wird überall geschimpft und kritisiert, selbst das SPD-nahe Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), seit zwölf Monaten eine stete Quelle verlässlicher Regierungspropaganda, lässt ein Großkollektiv seiner Edelfedern dreist "Die 10 größten Fehler der deutschen Corona-Politik" auflisten - damit andeutend, dass es noch viele, viele mehr gebe. Etwa bei der EU, der der im politischen Berlin als "Reichsnachrichtendienst" verspottete RND einen zornigen Beitrag mit dem Titel "Europa in der Corona-Krise: Zu zaghaft, zu langsam, zu eigensinnig" widmet.

Schlimm. Gleich zwei Fehlerartikel an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Zwei mehr als in den 365 Tagen zuvor. Doch wie schlimm muss es erst um den moralischen Zustand von Redaktionen bestellt sein, die 500 Tote am Tag brauchen, ehe sie beginnen, nicht mehr nur zu fragen, wie fantastisch und toll das wieder alles gelaufen ist und was da faul ist im Staate Dänemark, in den USA und Brasilien. Sondern auch direkt vor der Haustür? Natürlich bedurfte es erst einer Freigabe durch die Kanzlerin, die Mitte Februar selbst von "Fehlern" gesprochen hatte und damit wohl die Schleusen öffnete, durch die nun schlagartig ganze Batterien umgedrehter Kanonen gezogen werden.

10 Kommentare:

  1. Revolution! Es hat gerade mal ein Jahr gedauert, bis sich die Betonköpfigkeit der Deutschen Demokratischen Regierung nicht mehr schönschwindeln ließ.

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  2. ich war auch entsetzt. ein bisschen mehr durchhaltevermögen hätte man schon erwarten dürfen, das ging doch früher auch

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  3. DAS Phänomen schlichthin ist Herbert Prantl.
    Grundrechte sind keine Privilegien hat er gesagt. Und Man kann Leben nicht dadurch schützen, dass man Leben totschlägt

    Wer hätte gedacht, dass Prantl auf seine alten Tage Nazi wird?

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  4. zu: Volker hat gesagt:

    Vielleicht hat er ´ne neue Flamme, die rechts brennt.

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  5. Der Prantl hat den Trend bloß früh gewittert. Er ist die Wetterfahne mit den am feinsten geölten Kugellagern. Jahrzehntelange Erfahrung.

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  6. und der oben: tiervergleiche lösche ich, du kannst sie aber der taz anbieten

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  7. Der lachende MannFebruar 27, 2021

    @PPQ Den Tiervergleich habe ich verpaßt. Könnten Sie sich denn dazu verstehen, gelöschte Beiträge wieder sichtbar zu machen, wenn der Bittsteller ein berechtigtes (zum Beispiel ein wissenschaftliches) Interesse vorträgt?

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  8. das ist technisch nicht möglich

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  9. @PPQ Den Tiervergleich habe ich verpaßt ...

    Das war ich. Ich habe Politiker einerseits, Journalisten andererseits, mit Maden, Schweinen und Ratten ... geht nur auf Deutsch, dem Blogwart war es nicht recht, je nun.
    Ich ehre ihn. Wer in Rolfs Szene-Schenke gezecht, ist mir Blutsbruder.

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