Mit seiner entschiedenen Corona-Strategie bewirbt sich Armin Laschet um den Platz im Kanzleramt. |
Man tut ja in Berlin seit Monaten, was man kann. Weiß aber leider nie, was es bringt. Vom ersten Tag der Corona-Krise an lag das Hauptaugenmerk aller Schutzmaßnahmen in Deutschland darauf, eine Eindämmung der Virusverbreitung durch Verordnungen zu erreichen, die sichtlich nicht die höchste Wirksamkeit versprachen, sondern bei höchstmöglicher Durchsetzbarkeit den größten Aufmerksamkeitseffekt in Aussicht stellten. Dabei blieb es immer, selbst als sich zum wiederholten Mal herausgestellt hat, dass es nahezu unmöglich ist, mit einem Nagel einen Hammer in die Wand zu schlagen.
Klare Schwerpunkte
Irritiert hat das jeweils nur kurzzeitig, immer gerade, bevor der nächste Nagel als Hammer dienen musste. Bereits im Frühjahr 2020 hatte eine Studie aus China ein mögliches Geheimnis der erfolgreichen Corona-Bekämpfung verraten: 20.000 Infizierte unter 60 liefern Intensivstationen und Beatmungsbetten genau so viele Patienten wie 540 Infizierte über 80. Die Bundesregierung überlegte nur kurz. Und beschloss dann, sich darauf zu konzentrieren, die 20.000 Infektionen zu verhindern, erst mit einem lockdown light, dann mit einem lockdown hard. Immer aber ohne Erfolg.
Auch eine knappe Woche nach dem einheitlichen europäischen Impfstart, der dann in etwa so einheitlich ausfiel wie alles in dieser Notgemeinschaft, ist es dabei geblieben. Die Briten lassen den zweiten Impfstoff zu, die USA haben die ersten Millionen Menschen geimpft, die Briten beinahe, die Israelis kommen auf tausende Impfungen pro Tag. Deutschland dagegen arbeitet an einem neuen Kapitel seines in den Medien immer noch als Erfolg gefeierten Corona-Desasters: So wie Anfang des vergangenen Jahren gelogen und betrogen wurde, um die endemischen Versäumnisse von Bund und Ländern bei der Krisenvorsorge vor der Öffentlichkeit zu verbergen, wird jetzt abgelenkt, weggeschwiegen und bemäntelt, dass die EU-Strategie der gemeinsamen Pandemiebekämpfung unter Federführung der EU-Kommission jetzt schon krachend gescheitert ist.
Langsamer Start
Europa impftstartet so langsam, dass es Jahre brauchen könnte, um die als Voraussetzung zur Rückkehr in die alte Normalität betrachtete Herdenimmunität zu erreichen. Deutschland liegt b bisher sogar noch dahinter: Bei den bisher erreichten Impfraten wären sechs bis sieben Jahre nötig, eine ausreichend große Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern zu impfen. Aber immerhin sind die Nachrichten voll von Einzelfällen, in denen Hochbetagte ihren Piks bereits erhalten haben.
Oder gibt es ihn etwa doch? Abseits der Fernsehzahlen und der erschütternden Nachrichten über verzögerte Impfstarts, aggressivere Corona-Varianten und eine mit einem Mal möglich unumgänglich erscheinende Schließung der deutschen Grenzen, nachdem EU-Partner wie die Niederlande ihre bereits geschlossen haben, wirft der sogenannte CoDAG-Bericht Nr. 4 vom 11.12.2020 zumindest für Bayern eine Einordnung der ersten zehn Corona-Monate zu.
Europa siegt zusammen, oder es geht gemeinsam unter - diese erfolgverheißende Devise galt auch bei der Impfstoffbestellung. Alle für einen und eine Ampulle für all in jeder Stadt - verschwenderische Mengen der neuen Heilsbringer aus der Spritze hatte die EU-Kommission für die Bürgerinnen und Bürger bestellt. Nur eben auch bei Herstellern, die noch nichts herstellen, weil ihr Impfstoff noch lange nicht fertig ist. Aber wenn das eines Tages soweit ist, sagt Ursula von der Leyen stolz, "haben wir mehr als zwei Milliarden Dosen". Für 440 Millionen EUropäer. Im ersten enttäuschenden Moment allerdings, nörgelt selbst die Jubelpresse, sei "nur eine Palette mit zwei Kisten" vom guten Stoff angekommen. Für ganz NRW.
Experiment aus dem Ruder
Das Corona-Experiment läuft, aber es läuft eben zunehmend aus dem Ruder. Dabei muss die Wirtschaft diesmal weiterlaufen, auch der Schulbetrieb und die Kindertagesstätten. Nachweislich ist nachgewiesen, so hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey eben erst nachweisen lassen, dass Kindergärten und Krippen keine Ansteckungsschwerpunkte sind. Auch Kneipen, Supermärkte, der öffentliche Nahverkehr, die Fußball-Bundesliga, Büros und Werkhallen, Arztpraxen und Freiluftveranstaltungen stehen außer Verdacht. Seit dem Wellenbrecher-Lockdown hat sich die Lage unentwegt nur verschärft, es sind Mutanten gekommen und gegangen, Notverordnungen und Krisenrunden, Weihnachten ist nicht ausgefallen, aber allein unterm Baum verbracht worden.
Und die gute alte Wissenschaft kann auch nicht helfen. Löst Alkohol nun Covid-19 aus? Spätes Zubettgehen? Eine Geburt in der alten Bundesrepublik? Rauchen? Schlemmen? Die Hemmschwelle für strengere Maßnahmen sinkt aber vor allem, wo sicher geglaubte Wahlchancen sich unversehens absentieren. in deutschen Corona-Hochburgen zu senken. Statt bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern greifen Ausgehverbot, Gaststättenschließung und Hamsterpflicht nun schon bei 35 binnen sieben Tagen. Schlägt die Vorwarngröße an, wird die Maskenpflicht ausgeweitet, wegen Ostern oder Pfingsten oder dem Sommerurlaub. Wer trotz der insgesamt traurigen Situation feiern will, muss das mit weniger Gästen tun und spontane Zusammenrottungen auf öffentlichen Plätzen können von den Behörden von amtswegen aufgelöst werden.
Fallzahlen bei Hochbetagten
Adjustiert auf die Einwohnerzahl zeige sich keine ausgeprägte Übersterblichkeit, aber eine "problematische Entwicklung der Fallzahlen bei den Hochbetagten", heißt es da. Dort verfehlten "die bisherigen Corona-Maßnahmen den notwendigen Schutz". Auch der jüngst verschärfte lockdown habe keinen deutlichen Rückgang bewirkt. Immerhin aber gebe es, anders als die Dauersirene in den Medien vermuten lasse, "seit der 3. Oktoberwoche insgesamt einen stabilen Verlauf."
Fakt bleiben muss, dass jede Maßnahme erfolgreicher ist als ihr Vorgänger. Inzidenz, Föderalismus, Gemeinsamkeit, Verhältnismäßigkeit, Bundestag und Hygienepflicht - Bund und Länder haben sich in den zurückliegenden 200 Tagen immer wieder und immer zu spät darauf geeinigt, die Corona-Pandemie mit Hilfe entschlossener Maßnahmen in den Griff zu bekommen. Zuletzt galt eine Maskenpflicht bundesweit beim Betreten von Gaststätten und beim Einkaufen - anschließend schossen die Zahlen explosionsartig in die Höhe. Es musste nachgeschärft werden, aber auch das nützte nichts. Wenn das Wetter nun mal nicht mitspielt und die schulen geöffnet bleiben. Was soll man machen?
Hohe Zahlen, großer Erfolg
Die Zahlen bleiben hoch, die Stimmung ist im Keller. Doch der steile Anstieg ist gestoppt. Und dank des Impfstoffes, dessen Verabreichung medientechnisch in jedem einzelnen Fall von wenigstens einem Tagesschau-Team begleitet wird, wächst Hoffnung auf ein Ende des Dramas: Wäre jetzt genug da vom Vakzin, dann wäre alles schnell überstanden.
So aber ist bloß nicht mitrechnen erste Bürgerpflicht. "Bereits 18.454 Menschen gegen Covid geimpft" bejubelte die sozialdemokratische Beteiligung Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) nach dem ersten Angriff an der Impffront. Wenn das kein Grund zur Freude ist, wären doch bei gleichbleibendem Verlauf schon in einem Jahr beinahe sieben Millionen Deutsche immunisiert, zumindest zur Hälfte. Da zwei Spritzen notwendig sind, wären es aber wohl eher drei bis vier Millionen. Zum Vergleich: Die erste Million hatten die beiden Corona-Versagerstaaten USA und Großbritannien binnen vier Wochen geschafft gehabt.
Langsam, aber gerecht
Nun, in Deutschland wie in der EU, Regionen, auf die die Welt in diesen Tagen wie gebannt schaut, geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um Gerechtigkeit. So lange alle nichts haben, ist alles in Ordnung, zumindest solange bei allen Impfstoffentwicklern gleichermaßen Bestellungen aufgegeben wurden, ganz egal, ob sie ein Corona-Mittel im Angebot haben. Das dient dem Frieden in der Gemeinschaft, die die Nachwehen der Maskenkriege vom Frühjahr noch längst nicht verwunden hat. Damals kämpften Partner miteinander um chinesische Mundlappen und Symbolmasken aus Bangladesh und fast schien es, als seien alle früheren Treueschwüre, alle Liebeserklärungen und heiligen Verträge damit hinfällig.
Der Impfstoff, eingekauft auch bei der französischen Firma Sanofi, die keinen hat, ebenso aber auch bei der deutschen Firma Curevac, die noch emsig forscht, brachte den Frieden zurück. Am Hintereingang der Unternehmen, die wirklich liefern können, bestellte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Nachschlag, schließlich steht die Bundestagswahl vor der Tür und trotz aller Impfgegner und Impfverweigerer leben genug Leute im Land, die eines nicht allzu fernen Tages vermutlich fragen werden, ob sie denn nun zum Impfen privat nach Polen oder in die Türkei fahren müssen.
Im Meinungsmixer
Im Moment geht es noch, gerade so. Das Publikum ist gut beschäftigt mit Debatten über die von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) punktgenau in den Meinungsmixer geworfenen Begriffe "Priorisierung" und "Lizensierung", über bundesbehördliche Produktionsbeschleunigungen und die Einführung einer warp speed-ähnlichen Kriegswirtschaft in der Impfstoffherstellung. Enteignen, zentral planen und dabei auch gar kein bisschen mehr europäisch denken, das ist etwa die Idee von ganz links bis zu den früheren Liberalen, den Schattengewächsen des Ausnahmezustandes.
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