Die Erfolgsbilanz von Angela Merkel kann sich sehen lassen - und das wird an der Urne honoriert. |
Die Alten sterben wie die Fliegen, die Jungen sind stinksauer wegen des Klima oder wegen der Ausländer, je nach landsmannschaftlicher Zugehörigkeit. Europa ist innerlich zerbrochen wie das transatlantische Verhältnis, mit China übt man sich im Fingerhakeln und mit Russland wird schon gar nicht mehr gesprochen. Um sich abzusichern, sind Truppen an die russische Grenze vorgeschoben worden, bei Amerika ging das nicht, weil die Heringsflotte der Bundeswehr auf Küstengewässer beschränkt ist.
Dafür aber hat Deutschland nach 16 Jahren Angela Merkel die berühmteste Impfstofffirma. Und die klimafreundlichsten Energiepreise. Das Land ist immer EU-Ratspräsident und für ein paar Tage auch noch im UN-Sicherheitsrat. Seit Jahren zwingt man Russland mit Sanktionen in die Knie, Trump wurde aus dem Amt genörgelt und die Insolvenzpflicht für Pleitefirmen ausgesetzt. Es gibt Kurzarbeitergeld für alle und erstmals ein bedingungsloses Grundeinkommen für Unternehmer, Impfzentren und verglichen mit früheren Zeiten sind weder Altersarmut noch Kinderarmut noch Armut überhaupt noch ein Thema. Das beste Deutschland aller Zeiten, trotz regional verhängter Ausgangssperen.
Nicht ohne meine Kanzlerin
Zeit für eine kritische Würdigung der Ära Merkel, die im kommenden Jahr enden wird, wenn es sich die Kanzlerin nicht doch noch anders überlegt. Die Stuttgarter Zeitung wagte sich als erste auf vermintes Gebiet: "Die Kanzlerin als Krisenmanagerin Der Erfolg von Angela Merkel" zündete ein Licht an in dunkler Zeit, das heller strahlte als so mancher Weihnachtsbaum im Schwäbischen. Ein Klassiker der Kanzlerpoesie heute schon - und Vorbild für eine ganze Schreibschule, die sich an die Maschinen setzen wird, sobald die auf den Recherchen aus Stuttgart beruhende neue "Spiegel"-Analyse zur Lage der Kanzlernation studiert und auswendig gelernt worden ist.
Der Merkel-Bonus" schreibt die alte Geschichte von Niedergang, Verzweiflung, Vergessenwerden Comeback neu: Wo Untergang war, als Volker Kauder, der stets treue Kettenhund der Frau aus Hamburg, bei seiner Wiederwahl vor zwei Jahren scheiterte und Kanzlerfans und Jubelstürmer in allen Redaktionsstuben die "Merkeldämmerung" ausriefen, ist nun wieder heller Sonnenschein: "Nie waren ihre Zustimmungswerte so hoch wie heute", freut sich Christiane Hoffmann vom "Spiegel" mit der Scheidenden, "die Pandemie verschafft Angela Merkel ein unglaubliches Comeback".
Die große Sorge in den Großraumredaktionen und Einzelschreibstuben, die Ära Merkel könnte am Ende als die in den Geschichtsbüchern stehen, die die Grundlagen dafür schuf, eine ehemals führende Wirtschaftsnation abzuwickeln, scheint abgewendet. Natürlich, die Klimaziele sind weit weg, das Wirtschaftswachstum ist im Keller, deutsche Firmen spielen weltweit nur noch zweite Liga, die Verschuldung ist wieder und immer noch über Maastricht-Niveau und bei der Pandemie, auf die Deutschland so gut vorbereitet war wie kaum ein anderes Land, denn immerhin war der Plan nur sieben Jahre alt, nicht 14 wie in Italien, gelang nach einem Sieg zur Halbzeit eine Aufholjagd, die Europas Kernmacht weit nach vorn in der Hitparade der hot spots katapultierte. Doch das Ansehen der Regierung, das ist super. Und das ist in der Krise das Allerwichtigste.
Die große Koalition der Merkel-Fans
Hier zeigt sich Angela Merkels überragende politische Klugheit: Nicht nur hat die in Ostdeutschland sozialisierte frühere Physikerin inzwischen bei all ihren politischen Entscheidungen sowohl CDU als auch SPD, Grüne und Linke hinter sich. Nein, wenn die Kanzlerin im Bundestag "ihre Corona-Politik verteidigt" ("Tagesschau") lässt sich auch ein bemerkenswert solidarischer Beitrag der größten deutschen Gemeinsinnsendung feststellen: Erst spricht Merkel. Darauf antwortet eine Abgeordnete ihres Koalitionspartners SPD. Darauf kommt die Wortmeldung eines Parlamentariers der CDU/CSU-Fraktion. Und abschließend sagt ein Grüner noch einige anerkennende Sätze.
Opposition findet nicht statt, denn es ist nicht die Stunde der Widerworte. Mit einer SPD, die von zwei weitgehend unsichtbaren und weithin unbekannten Genossen ohne Führungsanspruch geleitet wird, einer CDU, die sich eine kommissarische Parteichefin leistet und nicht weiß, welchen von drei schwachen Kandidaten sie zur Merkel-Nachfolgerin machen wird, und einer darüberhinausgehenden Parteienlandschaft, die von Traumtänzern, Trotzköpfen und Beinahe-Terroristen geprägt wird, erscheint die schon als lame duck beerdigte Merkel im Licht ihrer späten Tage plötzlich als einzige Heilsfigur.
Sie kann "Unheil vorhersehen"
Sie könne "Unheil vorhersehen" (Focus), sie denke "die Dinge vom Ende her" (DPA), sie habe immer schon gewarnt und immer schon gemahnt, wird sie mit Lob überschüttet. Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Sorglosigkeit und fehlende Umsicht mit einer eigenen Corona-Infektion bezahlt, steht Deutschlands Kapitänin wie ein Mann auf der Brücke. Sie verteilt Milliarden und Billionen wie ein Karnevalspräsident Kamelle, sie regiert Europa mit klugen Kompromissen und zeigt sich neuerdings sogar als Mensch voller Emotionen.
Da kommt Freude auf im Land und Dankbarkeit natürlich auch. 69 Prozent der Deutschen stehen hinter den aktuellen Eindämmungsverwirrungen, nach denen der gleichzeitige Besuch von Oma, Opa und eigenem Kind nur erlaubt ist, wenn das Treffen in einem der 3.500 deutschen Sonnenstudio stattfindet, die als Teil der systemrelevanten Infrastruktur natürlich auch im lockdown geöffnet bleiben. Jeder weiß, dass jeder seinen Beitrag leisten muss, damit die Pandemiewende ebenso erfolgreich werden kann wie es die Energiewende, die Integration der nach Deutschland Geflüchteten, die Digitalisierung, der Ausbau der Bildung und der Kampf gegen rechts zur Stärkung des Zusammenhalts der Gesellschaft bereits heute ist.
Jeder "Deutschland-Trend" der ARD - der Sender mit der "Tagesschau" - ist eine neue Volksabstimmung, die zugunsten der Kanzlerin ausgeht. Mag die Zahl der Infizierten auch gestiegen sein, seit der lockdown light verhängt wurde, um sie zu senken. Mag Deutschland seinen Nimbus als Land verloren haben, das sehr gut durch die Krise kommt. Mag die Anzahl der Toten um ein Vielfaches höher sein als in Japan, Bangladesh und Libyen.
Ursula von der Leyen, eine unbestechliche und unvoreingenommene Beobachterin der Geschehnisse, hat jetzt mit Nachdruck deutlich gemacht, wie die Dinge zu sehen sind: "Als sich das Coronavirus durch Europa fraß, erwies sich die Bundeskanzlerin als verlässliche Krisenmanagerin", schrieb die Frau, die von der Kanzlerin nach Brüssel gerettet wurde, als üble Nachstellungen wegen ihres Diensthandys drohten. Das zeichne Merkel über ihre gesamte Amtszeit aus, sie sei "grundklug" und "durchsetzungsstark" und könne, "wenn sie den Augenblick für günstig hält, mühelos die Gangart wechseln".
Mitten am Freitag konnte man beispielsweise im Deutschlandfunk folgende Meldung hören:
AntwortenLöschen„Bundeskanzlerin Merkel wird vom Seminar für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen für die ‚Rede des Jahres‘ gewürdigt.“
https://www.achgut.com/artikel/rethorik_ehrung_fuer_angela