Kontakt- und nun auch noch Ausgangsbeschränkungen, ein Alkoholverbot in der Öffentlichkeit, aber auch luftige Quarantäneregelungen, Maskenpflicht auf Parkplätzen, aber nicht im Ministerbüro, Kneipenschließungen, zugleich aber fortlaufend Besuch vom Corona-Zirkus der reisenden Fronttheater: Sachsens Regierung hat wegen steigender Infektionszahlen die Viruseindämmungsmaßnahmen ein weiteres Mal verschärft, dabei ging das Kabinett in Dresden noch über die Vereinbarungen des Corona-Kabinettes in Berlin hinaus, ebenso wie Bayern.
In der Bundeshauptstadt wird derweil zusehends nervöser auf die Dauer der verhängten Freiheitsbeschränkungen geschaut. Bis weit ins nächste Jahr geht der Blick, auf keinen Fall aber zurück, dorthin, wo die Ursachen für den zweiten Verlust der Kontroll über ein Virus liegen, das elf Monate nach seinem ersten Auftauchen wahrlich kaum noch als "neuartig" und unbekannt beschrieben werden kann.
Um die eigentliche Frage herum
Doch wo immer ausnahmsweise die Frage gestellt wird, wie es hat soweit kommen können, sind SPD-nahe wie teilstaatliche Nachrichtenportale peinlich genau bemüht, um die eigentliche Frage herumzulavieren. Jaja, schön wäre es gewesen, heißt es dann , man hätte "gut daran getan, uns von den Klassenbesten Tipps geben zu lassen, statt uns allein und ganz von vorn durch das dicke Pandemielehrbuch zu quälen". Dann wäre beim Aufkommen einer Seuche sofort gehandelt worden, statt lange herumzulavieren, man hätte "schnell eine Maskenpflicht und Abstandsregeln an belebten Orten im öffentlichen Raum" eingeführt, eine Infrastruktur für schnell verfügbare Tests mit raschen Ergebnissen aufgebaut und viertens "genug Personal für die Kontaktverfolgung bereitgestellt" - mit digitalem Datenabgleich statt handschriftlicher Zettelwirtschaft".
Als "fünftens" wird noch "klare Kommunikation statt politische Kakophonie" genannt - eine erstaunliche Analyseleistung angesichts der Tatsache, dass der herbstliche Kontrollverlust sich weder einer fehlenden Maskenpflicht noch fehlenden Abstandsregeln oder anderen versäumten Symbolmaßnahmen verdankt. Sondern der Furcht der EU vor dem Bedeutungsverlust, die die EU-Kommission schön im Frühsommer veranlasste, nach einer schnellstmöglichen Öffnungen der im März weitgehend geschlossenen innereuropäischen Grenzen zu rufen. Und damit genau das zu befördern, was die "Klassenbesten" (RND) in der Corona-Prüfung bis heute vermeiden: Begrenzte Kontrollräume aufzugeben, indem Kommen und Gehen wieder grenzen-, schranken- und regellos ermöglicht wird.
Symbolische Öffnung, tatsächliche Opfer
Vor allem die Verweigerung der Einsicht, dass Staaten, die mit strikten Einreisesperre verhindern, dass neue Virenlasten importiert werden, besser durch die Pandemie kommen als die, die darauf verzichten, hat Europa zum weltweiten hot spot der Corona-Pandemie gemacht. Auf keinem anderen Kontinent starben mehr Menschen an und mit Covid-19, auf keinem anderen sorgten die zur Pandemiebekämpfung verhängten Maßnahmen für einen so tiefen und langwierigen Wirtschaftseinbruch.
Und alles nur, weil die EU-Kommission, mit dem Aufkommen der ersten nationalen Eindämmungsbemühungen zu einem Königshof ohne Land degradiert, mit dem Abflachen der ersten Welle meinte, nun auch einmal wieder öffentlich auftauchen zu müssen. Scharf hatte die vor den Handy-Ermittlungen in der Berateraffäre nach Brüssel geflüchtete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im März Trumps Grenzschließungen wegen Corona kritisiert. Schon Mitte Mai verlangte die Führerin der im Seuchenkampf als taten-, funktions- und konturlos enttarnte EU-Chefin dann, dass die coronabedingt geschlossenen Grenzen umgehend wieder geöffnet werden müssten.
Als wollten sie Abbitte leisten für die sechs Wochen zuvor, in denen sie die EU-Kommission und ihre Präsidentin Ursula von der Leyen behandelt hatten wie eine lästige Fliege, stimmten die Staatschefs der Gemeinschaft zu.
Die zweite Welle aus dem Urlaubssommer
Der Beitrag der EU-Kommission, die Mitte März ihre großes Hilfspaket von 750 Milliarden Soforthilfe verkündet hatte, aber auch acht Monate später vollkommen unfähig scheint, sich auf dessen Konditionen zu einigen, war diese symbolische Öffnung der Grenzen. Mit der sie eigentlich schon begann, die zweite Welle, die das eigentlich bereits befriedete Deutschland drei Monate nach dem verheerenden Urlaubssommer 2020 in in Lage brachte, die nach Auffassung der Bundeskanzlerin nur noch die Wahl zwischen Volkstod, shutdown, lockdown und lockdown light ließ.
Als die "Zeit"-Journalistin Vanessa Vu in der Talkshow"Anne Will" von "offenen Grenzen" als Pandemietreiber sprach und Vietnam als Beispiel dafür nannte, wie sich eine Seuche mit Hilfe überschauberer Kontrollräume schnell einhegen lässt, antwortete ihr ein brüllendes Schweigen.
Dabei war die Grenzöffnung im Sommer eine bittere Fehlentscheidung, die bis heute zehntausende Menschen das Leben gekostet hat. Mit mehr als 400.000 Toten - eine eigene Statistik zu den EU-Staaten gibt es aus naheliegenden Gründen bis heute nicht - hat das vereinte Europa die Vereinigten Staaten bei den Todesopfern der Pandemie längst hinter sich gelassen. Und mit einer täglichen Ansteckungsrate von 192.000 liegt Europa auch hier vor den USA, die nur noch auf 165.000 kommen.
Erstaunlich daran ist, dass die Bundesregierung ebenso wie die Medien im Land kein Interesse daran zeigt, nach den Ursachen für die so verheerende zweite Welle zu suchen. Dass ein Zählappell nur Sinn hat, wenn auf dem Appellplatz nicht fortwährendes Kommen und Gehen herrscht, ist bekannt, dass ausgerechnet die offenen Grenzen bei der Ursachenfindung keine Rolle spielen, ist nicht zu übersehen. Als hätten China, Taiwan oder Neuseeland nicht gezeigt, dass Abschottung und Kontrolle die einzigen Mittel sind, um die Seuche einzudämmen, verzichtete Europa darauf, Abstand zu halten.
Der Urlaubsspaß malt die Corona-Karte
Die Corona-Landkarte Deutschlands wird so bis heute von den Ansteckungsclustern gemalt, die im Sommer
ihren Ursprung haben, als sich symptomlose und damit unerkannte Virenträger aus dem Urlaub in
Süd- und Osteuropa zurückmeldeten. Ohne Quarantäne. Ohne Tests. Ohne daran gehindert zu werden, ihr Urlaubsmitbringsel weiterzugeben. Bis heute können Einreisende nach Deutschland nach der Landung oder dem Aussteigen aus dem Zug ungetestet und ohne überwachte Quarantäne gehen, wohin sie wollen, und treffen, wen sie mögen.
Zum zweiten Mal wurden dem Krankheitserreger alle Grenzen geöffnet, diesmal nicht nur wider besseren Glaubens wie im Frühjahr, sondern wider besseren Wissens. Es ging um ein Symbol, dass es die Sache wert schien: Den Menschen zu zeigen, dass Europa weiterhin zusammensteht, dass eine Gemeinschaft sich ihre "Werte" nicht einmal von der fürchterlichsten Pandemie "seit dem Zweiten Weltkrieg" (Merkel) abhandeln lässt und dass es gemeinsam immer besser voran geht als allein.
Der zweite Verlust der Kontrolle
Von Abstandhalten war in diesem Moment nicht mehr die Rede. Das kam erst später, als sich zeigte, dass die Auflösung überschaubarer Kontrollräume unweigerlich zum Verlust der Kontrolle über das Virus führt.
Und damit zu den überfüllten Intensivstationen und fehlenden Beatmungsbetten, also in eine
Situation, in der der Bundesregierung ihre bis dahin als überaus gelungen
verkaufte Pandemiepolitik um die Ohren zu fliegen droht. Es war der Moment, als der Befehl erging, den fehlenden Abstand im Großen durch die Verschärfung der Abstandsregeln im Kleinen auszugleichen. Die Suche nach den Gründen für das Desaster aber scheint den großen Medienhäusern, den Virologen und der Politik nach wie vor verzichtbar, ja, sogar nach Kräften zu vermeiden. Was im August noch sagbar war, spielt inzwischen keine Rolle mehr. Wobei das Handeln der Verantwortlichen Klartext darüber spricht, das sie durchaus ganz genau wissen, was sie nicht getan haben.
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