Gut jetzt! Genug schlechte Nachrichten für dieses Jahr! Die aus den Polenrandgebiet bei Bautzen stammende Rapperin Janice Böhmerfrau nimmt die Aufforderung der Bundesregierung ernst, auch mal das Positive zu sehen. In ihrem Hip-Hop-Hit "Eins, zwei, drei, Weihnachtspolizei" nimmt die 23-Jährige kein Blatt vor den Mund, ohne ein Hehl daraus zu machen, dass sie entschieden zu ihrer eigenen Meinung steht: "Zwei, drei, vier, Behörde vor der Tür" reimt sie da, "vier, fünf, sechs, doch die Gäste sind versteckt".
Janice Böhmerfrau rappt. |
Das sind Weihnachtsgeschichten, wie auch Janice Böhmerfrau sie auf ihrem Debütalbum "Seltene Obst- und Gemüsesorten" erzählt. Da ist die autobiografische Story über ihr Burnout schon in der dritten Klasse, ihre Grenzgänge hinüber ins erzkatholisch-undemokratische Polen und die lange Reise zu sich selbst, die die bildhübsche Sängerin, die alle ihre Hits selbst schreibt, auch nach Argentinien, Spanien und in die innere Mongolei führte.
Von überallher hat Böhmerfrau Einflüsse und Ideen mitgebracht, ihr saftiger Sound aus kruden Beats und garstigen Reimen erinnert gleichermaßen an Michael Jackson und Metallica, an Anathema und Caroline af Ugglas. Weihnachtsmusik, die in die Stille Nacht passt wie Bachs Oratorien und die kraftvollen Arien von Pavarotti in den alten Zeiten, als das Singen noch gestattet war. Mit den Corona-Zahlen steigt vielerorts auch die Verzweiflung darüber, langsam selbst nicht mehr zu wissen, ob deutsche Opferzahlen, wenn sie so hoch sind wie die in den USA, immer noch beweisen, dass die deutsche Corona-Politik sehr gut funktioniert. Oder ob 28.500 Corona-Tote bei jährlich annähernd 900.000 Sterbefällen nun drei Prozent sind. Oder doch schon dieses "Völkersterben von seiner schönsten Seite", das Litvack-Preisträger Deniz Yücel in einem seiner nachhaltigsten Stücke besang.
Böhmerfrau, selbstbewusst, in Gedanken und Kostümen bunt und mit einer Stimme gesegnet, die zuweilen an Joe Cocker erinnert, zeigt, wie es geht. Dort, wo sie herkommt, einem kleinen Ort in der Gosse der Straße der Gewalt, schmeckt die Luft nicht nach Liebe, sondern nach dem Staub des Kohleausstieges. Lehrstellen sind knapp, aber Leerstellen überall zu sehen. Die Jugend zieht weg, soweit sie noch da ist, selbst zu Weihnachten kehren nicht alle zurück, nicht einmal in diesem Jahr, indem es unter Umständen gar nicht gestattet wäre.
Gemeinsam mit ihrer Band, den "Men in Red", hält Janice Böhmerfrau dem sterbenden Land eine Ausgabe des "Spiegel" vor. Dort, wo "Rechte nach der Macht greifen" (Spiegel), fordert die hübsche Newcomerin "Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle", sie ruft nach der "Weihnachtspolizei" und jubelt kindlich-unschuldig "das gibt ein Bußgeld!" Staatsversagen war gestern, heute wird durchgegriffen. Und es sind die singenden Erben der zwei Diktaturen im Osten, die verstanden haben, wie unendlich wichtig das ist in einer Zeit, in der Christen zum ersten Mal seit der Verfolgung im alten Rom wieder nicht unverfroren und halböffentlich zu ihren Anbetungstreffen und Andachten zusammenkommen dürfen.
Der Rap kann uns retten, glaubt Böhmerfrau, deren große Liebe den kleinen Reimen gilt. Wenn sie könnte, wie sie wollte, würde sie ihre rhymes mit großem Orchester aufführen, im Gewandhaus oder einem Gemeinsinnsendesaal. Doch die gelernte Fleischfachverkäuferin, die seit dem ersten Lehrjahr vegetarisch lebt, weiß, auch dort wird in Zukunft nicht gespart werden müssen, so dass es eher weiterhin die Großkopferten der Kunst- und Kulturbranche sein werden, die im Studio auswendig gebimste Standardantworten auf auswendig gebimste Standradfragen geben, ehe ein belangloses Lied singen.
Bange machen gilt nicht, Janice Böhmerfrau hat mit "Eins, zwei, drei, Weihnachtspolizei" ein erstes kritisches Zeichen dafür gesetzt, dass die Tradition des "roten Feuerwehrmannes" Degenhardt und des Friedenssängers Hannes Wader weitergetragen wird. Es ist nun an den Hörerinnen, Hörern und übrigen Hörenden draußen an den Empfangsgeräten zu entscheiden, ob sie schon reif genug sind, die Botschaft zu verstehen. Und weiterzutragen als ein kleines Licht in dunklen Tagen.
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