Der deutsche Fußball, lange Jahre erfolgsverwöhnt, wurde zuletzt geprägt von mühsam verhinderten Gerichtsverfahren, einem desaströsen WM-Abschneiden, einem Neuanfang mit gesichtslosem Personal und Vorwürfen, der Verband habe nun auch noch über Jahre gezielt Steuerzahlungen verkürzt. Wie abgeschnitten endete die Liebe der Deutschen zu ihrer Nationalmannschaft, die nach dem Willen des Verbandes nur noch "Die Mannschaft" hatte heißen sollen.
Trainer Joachim Löw, in guten Zeiten "Jogi" genannt wie ein Nationalmaskottchen, hatte seinen Hals glücklich über die Russland-Pleite gerettet. Um nun doch wieder unterm Seil zu stehen.
Cordon Bleu mit Merkel
Eine Ewigkeit droht zu enden. Wie Angela Merkel, mit der Löw seit Jahren Cordon Bleu isst, gehört der Bundestrainer zum Mobiliar einer Republik, die sich Mitte des ersten Jahrzehnts der 2000er Jahre gründete. Gerhard Schröder war gerade glücklich gescheitert beim Versuch, Prokura für eine weitere Verschlankung des Staates zu erhalten. Merkel kam, nicht weil jemand Merkel wollte, sondern weil niemand mehr Schröder sehen mochte.
Seitdem lebt die scheidende Kanzlerin davon, dass sich kaum noch jemand eine Welt vorstellen kann, in der sie nicht Kanzler war. Und Löw war eben immer ihr Bundestrainer. Eine ganze Generation ist im Wissen aufgewachsen, dass sich die beiden prägenden Figuren der letzten anderthalb Jahrzehnte um die beiden wichtigsten Fragen der deutschen Zukunft kümmern: Was wird mit der Verteidigung, auch der der Außengrenzen? Und wer stürmt?
Im Wasserglas
Dass die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, im Unterschied zu ihren Gegnern, die im Gemeinsinnfunk stets als "die Schweizer", "die Spanier" und "die Franzosen" bezeichnet werden, nur mit dem Kürzel "deutsche Mannschaft" versehen, mitten aus der sportlichen Russland-Krise in eine "Beziehungskrise" (NZZ) mit ihren früheren Fans rutscht, schien nach der Stabilisierung der Situation nach der Rückkehr aus dem Osten kaum vorstellbar. Wie Merkel nach der Welle an der Kritik nach dem großen Flüchtlingszustrom geblieben war, blieb auch Löw nach der Pleite bei Weltmeisterschaft.
Noch nicht fertig sei er, hieß es ebenso selbstbewusst wie es zuvor geheißen hatte, alles hänge vom eigenen Willen ab. Irrungen, Wirrungen, quälende Testspiele und etliche Kündigungen später rief Löw einen Neuanfang mit sich selbst in der Hauptrolle aus. Die meisten Weltmeister mussten gehen, was blieb war die Ödnis, die eine Mannschaft verströmte, die den Geist ihres Trainer verinnerlicht hatte. Wo ehedem Charakterköpfe wie Schweinsteiger, Podolski oder Klose das weiße Leibchen überzogen, tauchten nun in schnellem Wechsel Spieler auf, die kaum voneinander zu unterscheiden waren.
Klinisch sauber wie der Trainer-Rolli
Statt Mats Hummels, Thomas Müller und Jérôme Boateng Süle, Koch und Halstenberg, keimfreie, eifrige und hochtalentierte Leistungsträger aus Nachwuchsleistungszentren mit gewienerten Böden und straffem Stundenplan. Effenbergs Stinkefinger, Maiers und Hoeneß' Flucht aus Malente oder die 82er Partynächte mit Breitner, Rummenigge und Kaltz sind heute unvorstellbar. Klinisch sauber wie der Rolli des Mannes an der Linie und frisch geputzt wie der Mannschaftsbus müht sich die "Mannschaft" auf dem Platz um spielerischen Glanz, ohne noch emotionale Beteiligung erzeugen zu können.
Liegt es am DFB, einem immer wieder mit Finanzskandalen auffälligen Großverband, der in den guten alten Zeiten außerhalb von Recht und Gesetz zu stehen schien und bis heute so auftritt? Oder liegt es am Fußball-Überangebot, das selbst die größte Begeisterung perfekt erstickt, weil selbst der größte Tortenfan nach dem vierten Stück nur noch abwinken kann? Oder waren die jetzt coronabedingt leeren Ränge schon vor der Seuche nicht mehr voll, weil die zuvor schleichende Entfremdung zwischen den ballspielenden Millionären und der zahlenden Kulisse mit dem unerwarteten Ausscheiden in der WM-Vorrunde in Russland akut geworden ist?
Sie mühen sich ja, unübersehbar. Und sie spektakeln nach Kräften wie beim 3:3 gegen die Schweiz, wenn auch unfreiwillig. Doch der Funke der Begeisterung, der vor der Heim-WM 2006 ein ganzes Land angeblich in einer spontanen Entzündung in ihre nationalistischen Großväter zurückverwandelt hatte, will einfach nicht mehr überspringen.
Trostlose Perspektiven
Passend zur trostlosen Atmosphäre in den Corona-Stadien ist im 15. Jahr des Bundestrainers Löw die Stimmung im Fußballvolk: Niemand erwartet mehr etwas, niemand bekommt es. Man spielt in der "Nations League", einem neuen Vehikel des europäischen Verbandes zur Profitmaximierung, ohne dass jemand weiß, weswegen, warum und weshalb.
Die Besten sind nicht dabei, weil Löw in seiner prekären Situation konsequent sein muss und die rausgeworfenen Müller, Hummels und Boateng nicht zurückholen kann. Zudem schmilzt das Personalreservoir, aus dem der Nationaltrainer schöpfen kann, mit jedem Jahr mehr: Inzwischen sind 56 Prozent der Spieler in der 1. Bundesliga nicht mehr für die deutsche Nationalmannschaft spielberechtigt. Nur noch 219 Kicker aus deutschen Vereinen kommen für das DFB-Team infrage - ein Reservoir von um die 30 braucht Löw - die Chance, berufen zu werden, steht für einen Profi, der einigermaßen geradeaus laufen kann, etwa bei 1:7.
Jeder siebte deutsche Spitzenkönner am Ball ist damit mittlerweile WM- und EM-tauglich, auf traditionell dünn besetzten Positionen im Sturm und auf Linksaußen steigt die Chance auf 1:3. Joachim Löw ist dennoch sicher, langfristig wieder Grund in die Mannschaft zu bekommen. Die Uefa nicht: Auf der Liste der "50 Top-Talente für die Zukunft", die der europäische Verband gerade veröffentlicht hat, steht mit Kai Havertz gerade mal ein einziger deutscher Feldspieler.
Fußball ist eh schlecht für das Klima, und gewerblicher Fußball ganz besonders. Der kann doch zusammen mit der Industrie gleich mit abgewickelt werden.
AntwortenLöschenDie Mannschaft und der DFB passen sich doch einfach nahtlos in das Gesamtbild unserer schönen Republik ein. Wieso sollte es dort komplett anders laufen als im restlichen Schland?
AntwortenLöschenCharakterköpfe sind nirgends mehr gefragt. Überall in Politik, Medien, Sport und Wirtschaft tummeln sich die gleichen stromlinienförmigen Funktionärstypen. Wehe dem, der wegen zu guter Leistungen, einer abweichender Meinung oder dem Eingehen eines Risikos auffällt.
Genau so wie von der Nationalmannschaft erwartet der Deutsche aus der Altbevölkerung von seinem Land noch irgendetwas großartiges. Bildung, Wirtschaft, Innovation, Militär, Sicherheit, Vermögen, Altersstruktur überall fallen wir langsam aber stetig zurück. Wenn es nicht schlechter als jetzt würde, wäre schon jeder zufrieden. Diese Einstellung mag verständlich sein, sie reicht aber nicht aus, um das Ruder herumzureißen und wieder nach vorne zu kommen. Die hungrigen und risikobereiten triumphieren am Schluss immer über die, die schon mit 15 von der Beamtenkarriere träumen.
Genau so wenig wie unseren Politikern etwas an unserem Land liegt, liegt den DFB-Leuten etwas am Fußball. Keiner brennt mehr für seine Passion. Der DFB-Präsident könnte morgen der Chef von Greenpeace sein und übermorgen die Leitung von VW übernehmen. Einen Unterschied würde keiner merken. Statt den Laden zukunftsfest zu machen, versucht jeder nur noch das maximale für sich selbst mitzunehmen, bevor das ganze Kartenhaus zusammenbricht.
Wenn man sich die nackten Daten ansieht ist die Zukunft für unser Land genau so düster wie die für unseren Fußballnachwuchs. Ob jetzt Merkel und Löw vorne dran sind oder ob wir nochmal die Pferde wechseln, ändert an der Gesamtsituation wohl nichts mehr. Die Dekadenz hat alle Bereiche unseres Lebens fest im Griff. Die Schussfahrt nach unten wird also leider wohl noch an Geschwindigkeit zunehmen statt abzunehmen.
Sehen sie sich die Spiele der Mannschaft daher lieber jetzt noch an. In einigen Jahren würden wir uns über die heutigen Ergebnisse sicher freuen.