Deutschland hatte alles richtig gemacht. Immer zur rechten Zeit die korrekte Maßnahme gegen die Seuche, nicht so wie anderswo, etwa in den USA oder Brasilien, Russland oder Schweden. Es war bekannt, dass Staaten, die von Frauen regiert werden, prinzipiell besser mit der Pandemie umgehen als Staaten, in denen alte und womöglich noch weiße Männer das Sagen haben.
Die Hoffnung der Welt war auf jeder Seuchenverbreitungskarte zu sehen: flatten the curve hatte doch funktioniert! Deutschland machte es vor, leise und elegant und aus den Festreden dazu war als passende Botschaft immer irgendetwas mit Europa zu hören. Man würde bald darüber reden müssen, warum es keine EU-Seuchenstatistik gibt, keine gemeinsame Strategie der Verhinderung der Ausbreitung, keine EU-Corona-App und kein europaweites Intensivregister.
Deutschland machte alles richtig
Aber erstmal war Krise, erstmal machte jeder seins. Alle machten alles falsch, Deutschland alles richtig. Die Kanzlerin, nach ihren ersten Katastrophenreden zwar schnell wieder in häuslicher Unsichtbarkeit verschwunden, aber zweifellos die Führerin in schwerer Zeit, stieg zu neuen Beliebtheitsrekorden auf. Dem Gesundheitsminister wurden coronaleugnende fake news verziehen, dem Wirtschaftsminister unglückliche Versprecher wie der, es werde niemand wegen der Pandemie arbeitslos werden.
Dass der Eindruck vollkommen richtig sei, alles sei richtig gemacht worden, von der Bundesregierung und den Landesregierungen, selbst wenn die 16 verschiedene Regelpakete mit 356 verschiedenen Regelnverabschiedet hatten, war ein Eindruck, den Medien zu erwecken nicht müde wurden. Ruhe ist erste Bürgerpflicht! Und beruhigt werden muss das Volk, das ist in der Krise stets oberste Journalistenaufgabe. Aus dem Kampf gegen die rechte Forderung, Masken aufzusetzen, wurde so der Kampf gegen die rechte Forderung, die Maskenpflicht zu unterlaufen. Aus Kritik am Versagen der Regierung bei der Vorbereitung auf eine Pandemie ein Daueraufruf zum Händewaschen, Armbeugehusten und Zimmer lüften.
Jede Maßnahme hatte ihre Momente
Wie gesagt, alles war immer richtig, nur über die Zeitschiene hatte jede Maßnahme eben ihre Momente und auch wieder nicht. Fenster auf, Fenster zu, Grenzen auf, Grenzen zu, Schulen zu, Schulen auf, testen, nicht testen, die Infizierten zählen oder doch besser die Toten, mal eine richtig große Studie machen oder es doch sein lassen. So lange die Infektionszahlen im Inland überschaubar waren und die Wirtschaft sich dank staatlicher Geldspritzen zu erholen schien, war allen alles egal. Gelegentlich warnte sogar jemand vor einem "zweiten bundesweiten Lockdown" als habe es einen ersten gegeben, wo es doch nur einen föderalen Flickenteppich an Diesunddas gab, der - so Zeitgenossen, die es miterlebt haben - ausdrücklich bewies, wie vorteilhaft das regelvielfältige föderale System an sich ist.
Erinnerung färbt golden, was nie gewesen ist.
"Dieser Befund gilt nicht mehr", urteilt nun das Handelsblatt. Europa sei "das wahre Corona-Desaster", überrascht die "Welt" ihre Leser. Plötzlich herrscht Entsetzen darüber, dass ausgerechnet dort, wo sich die Öffentlichkeit in Corona-Leugner und Corona-Gläubige teilt, wobei erstere an die grundsätzliche Harmlosigkeit von Covid-19 glauben und letztere an den grundsätzlich richtigen Kurs der Regierung, die Todesraten höher sind als in den üblen Reichen der Versager Bolsonaro, Trump und Co. Was ist denn nun los? War es nicht auch richtig, wieder Urlaubsreisen zu erlauben? Und erst nach Ende der Saison für einen schmalen Moment lang zu diskutieren, ob es wohl angemessen hätte gewesen sein können, Rückkehrer durchweg zu testen.
Zweimal derselbe Fehler
War es nicht, es war ja wiedermal zu spät. Binnen von nur 200 Tagen gelang es der besten Corona-Politik, die weltweit zu haben ist, zweimal denselben Fehler zu machen. Obwohl im Ausland nach den Analysen deutscher Medien eigentlich überhaupt niemand bis heute überlebt haben kann, war der Verzicht auf Rückkehrertests so zielgenau wirksam wie die bis in den vermeintlichen "bundesweiten Lockdown" im Frühjahr offen gehaltenen Flughäfen. Die aktuellen Zahlen zeigen es: Wo viele auf einen Sprung daheim waren, um die Familie zu besuchen und das Zuckerfest zu feiern, entwickelten sich die neuen hotspots der alten Krise.
Plötzlich steht infrage, ob es klug war, nach 2015 zum zweiten Mal alle erstmals geschlossenen Grenzen wie besinnungslos zu öffnen, kaum dass die akute Gefahr vorüber zu sein schien. Und gleichzeitig keinerlei Vorstellungen darüber zu haben, dass es unter Umständen nicht schlecht wäre zu wissen, wer wann von wo kommt und was er mitbringt.
Vertrauen verspielt
Aus dem Hochgefühl, die Pandemie mit Hilfe der deutschen Sekundärtugenden Disziplin, Gehorsam und nationaler Solidarität schnell besiegt zu haben, fiel die Politik etwa Anfang Oktober in ein neues Loch aus Verzweiflung. Gut regieren und dabei, im kommenden Jahr ist Bundestagswahl!, auch noch gut aussehen, das ist im zweiten Anlauf schwer, schwerer noch als im ersten. Vertrauenskapital ist verspielt, seit nach dem inflationären "Feuer"-Ruf vom Mai niemand nirgendwo Flammen sehen oder wenigstens Rauch hatte riechen können.
Der eigenen Magie erlegen, die anfangs geraten hatte, sich ausschließlich auf die Zahl der Infizierten zu konzentrieren, um der Bevölkerung die Pandemie möglichst plastisch in größter Größe darzustellen, gibt es heute kein zurück. Bis heute weiß niemand, wie viele Infizierte überhaupt krank werden und wie viele von ihnen nicht mehr zu leiden haben als unter normalen Erkältung, weil solche Angaben den Widerstandswillen womöglich gelähmt hätten. Aber ausgerechnet jetzt umschalten, wo viel mehr an anderen Maßnahmen den Corona-Stäben nicht mehr einfällt, fiele auf.
So ist die Politik getrieben von den eigenen Vorgaben. Und die Bürgerinnen und Bürger reagieren mit ihren eigenen Zweifeln. Selbst der Rückgriff auf die Ratschläge der Experten überzeugt sie nicht mehr - schließlich sind das dieselben Spezialisten, die lange stur vom Maskentragen abgeraten hatten, ehe sie das Maskentragen zur Hauptwaffe gegen das Virus erklärten. "Zurückgewinnen" (Katrin Göring-Eckhardt) will die Politik nun erst einmal das Vertrauen. Sogar der Bundestag, der seit März wie eine Corona-Leiche im Strom der Ereignisse schwamm, soll vielleicht sogar gelegentlich über die Angemessenheit der Maßnahmen beraten, die bisher in den Corona-Runden der Exekutive so treffsicher ausgewürfelt und verkündet worden waren.
Ein Neuanfang der Corona-Strategie, auch diesmal mitten im Wettlauf mit dem Virus. Knappe acht Monate nach dem Eintreffen der Seuche steht das Land der Vorsorger und Planer da wie am ersten Tag. Jetzt geht es schon darum, wer es am Ende gewesen sein wird. Die EU zumindest hat Glück: Die Gemeinschaftsinstitutionen haben die Pandemie vom ersten Tag an den Nationalstaaten überlassen. Ihnen wird am Ende kein Vorwurf für nichts gemacht werden können, denn in der "größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg" gab es im Grunde genommen keine EU.
Seien Sie nicht so pessimistisch! Ich danke Mutter Erika von Herzen, daß sie täglich aufs neue mein und unser Leben rettet.
AntwortenLöschenIch wollte den üblichen Witz machen, dass Merkel, wenn die Meute ihre Richtung ändert, plötzlich auftaucht und voranstürmt, als sei sie nie in die andere Richtung gelaufen.
AntwortenLöschenWas lesen 'wir' bei Die Welt?
„Allein die Kanzlerin scheint den Ernst der Lage erkannt zu haben.“
Als sie den Ernst der Lage erkannte, war sie von einem Lichterkranz umhüllt, wie von mehreren Jungfrauen beobachtet wurde. In einem nächsten Schritt werden alle ihre Wesire, die sich als unfähig erwiesen haben, dem Scheiterhaufen übergeben.
P.S. Merkels Linie ist die Linie, der man zu folgen hat, um nicht als Abweichler zu gelten. Zu fragen, warum gestern eine andere Linie galt, ist schon Abweichlertum.
AntwortenLöschenP.P.S. Die Achse ist beim Thema Biden ja mal richtig aktuell.
P.P.P.P.P.P.P.P.P.P.P.P.S. schmunzeln mit Danisch:
„Im Vergleich zu dem, was an den Universitäten läuft, ist der Raketenmann, der beweisen will, dass die Erde flach ist, ein empirisch arbeitendes Physikgenie, ...“
Dieser Hetzartikel könnte einem unterschwellig ja glauben machen, wir hätten in unserem schönen Ländchen nicht die allerweltbeste Corona-Bekämpfungsstrategie. Das denken sie denn, wie viele Infizierte wir heute hätten, wenn sich unsere Regierungshelden nicht tagtäglich mit punkt- und zielgenauen Anweisungen und Verboten selbst in die Bresche geworfen hätten. Uiuiui.
AntwortenLöschenDas wagt man gar nicht zu denken. Zum Glück auch die Presse, bis auf ein paar Abweichler die es leider immer gibt, auch nicht. So kann auch die weiterhin unfehlbare Strategie unserer Kanzlerin und ihrer Diadochen bis zum Endsieg über das Virus weitergeführt werden. Zumindest bis der nächste Frühling die Infektionszahlen wieder wird sinken lassen.
Außer sie überspannen den Bogen diesmal und Otto-Normal-Michel beginnt sich zu wehren, weil die Wirtschaft langsam aber sicher zerbröselt, obwohl die Krankenhäuser weiterhin kaum mit Corona-Patienten belegt sind. Sollten dann die Umfragewerte unserer Wahlkämpfer gegen Boden sinken, wird ganz sicher ein neuer und viel besserer Bewertungsmaßstab aus dem Hut gezaubert werden, der es zulassen wird, alle jetzt getroffenen Maßnahmen wieder zu lockern.
Wann der Knackpunkt eintritt weiß aber niemand vorher. Das merkt man erst wenn es so weit ist. Das regieren unter der Bewahrung der Haltung bleibt schwierig. Bleiben wir gespannt.
Keiner wird sich wehren. Der Großteil geht bei jeder Tagesparole mit; übernehmen gar das Manipulative. "... den Kranken (testpositiven) wünschen wir gute Besserung..."
AntwortenLöschenKeiner wird sich wehren. -------
AntwortenLöschenEbend! (Diether Krebs sel.: Ein Pfund Nackend, bitte!)
Und: Es k a n n sich auch keiner wehren. Leserbriefe schreiben, die kontrollierte Pseudoopposition wählen, oder gar dort mitmischen, und mein Favorit: "Auf die Straße gehen ...) - Bitter auflach.
Auf das "Überspannen des Bogens" habe ich zuletzt vor ~ fünf Jahren gehofft, war schier närrisch von mir.
AntwortenLöschenIch kann den Fatalismus der drei letzten Kommentare durchaus verstehen. Wahrscheinlich habt ihr alle recht. Trotzdem soll man die Hoffnung ja nie aufgeben :-)
AntwortenLöschenIch möchte folgendes zu bedenken geben. Alle katastrophalen Entscheidungen der letzten Jahre haben den Wohlstand der breiten Masse noch nicht wirklich entscheidend angegriffen, obwohl sie langfristig natürlich allesamt verheerende Auswirkungen haben werden.
Diesmal aber vernichtet unsere Regierung unsere Wirtschaft großflächig und in kürzester Zeit.
Das kann man in dieser Breite nicht ewig mit Staatsknete zudecken, zumal wir auch noch für die komplette EU mitverantwortlich sind. Ich denke doch, das einige mehr als bisher aufwachen, wenn die Einbußen erst deutlich genug bei einem Selbst ankommen.
Auch in der ehem. DDR wurden die Leute irgendwann rappelig. Das hat 1988 auch noch keiner erwartet. Es hat also auch der langmütigste Deutsche mit gleichgeschalteten Medien eine Schmerzgrenze, so hoch sie auch liegen mag. Diesmal könnten wir diese möglicherweise reißen. Selbstverständlich glaube ich auch nicht an einen großen Regimechange, aber wenn wenigstens die Corona-Krise beendet würde, wäre doch schon was gewonnen. Lebensqualität auf jeden Fall.
Außerdem war Widerstand noch nie so billig zu haben wie heute. Niemand muss demonstrieren oder Leserbriefe schreiben. Es müssen nur die Umfrageergebnisse unserer staatstragenden Blockparteien in den Keller rauschen. Da nächstes Jahr große Wahl ist, würde das vollkommen ausreichen. Wenn die CDU nach dem ganzen Lockdown-Gedöns bei 20%, besser 15% stände, wäre Corona für die breite Masse morgen vorbei. Dessen bin ich mir sicher.
Das Urhorn gellte U n h e i l / schwang da Ziu das schneidende Schwert ...
AntwortenLöschenaus: Ludwig Renn (beiläufig homosechsmalschnell):
- Herniu und der blinde Asni -
>Auch in der ehem. DDR wurden die Leute irgendwann rappelig.
AntwortenLöschenRappelig sind die Leute jetzt schon, bloß dass es sich bei den Leuten nicht mehr um Europäer handelt. Das nächste 'Wir sind das Volk' werden Sie auf arabisch hören.
haben den Wohlstand der breiten Masse noch nicht wirklich entscheidend angegriffen -----------------------
AntwortenLöschenOh doch. Allerdings ohne wesentlichen Effekt.
Das Abmurksen des Ostblockes - wahrlich nicht ganz abzulehnen, war allerdings schon anderenorts geplant und beschlossen. Peinlich im Nachhinein wahrzunehmen, wie ich Nov.89 noch mit der Hammelherde schlappte. Egon, laß den Schnaps in Ruh', laß das Neue Forum zu.
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