Die wichtigsten Pandemieschlagworte änderten sich im Verlauf der Seuche mehrfach. |
Hannelore Heyne, geboren und aufgewachsen in der DDR, ist eine deutsche Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und transvokale Trainerin für Intersektionalität, Diversität-Inklusion, Rassismus- und Machtkritik sowie für kritische Sprachreflexion in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik bei der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Verschränkungen von Grammatik und Politik, der Translokalität des Verbalen und der Performativität von künstlichen Satzstrukturen.
Seit 1990 ist sie stimmberechtigtes Mitglied in der sprachkritischen Vokal-Bewegung in Deutschland und auch international aktiv. Sie ist Mitfrau* bei Generation DWDS e.V. ("Den wie Du sprichst" in Deutschland) und engagiert sich dort in der wissenschaftlichen Fachgruppe DiversifyingMattersmore. Seit 2016 ist sie zudem Executive Board Member von SWB (Speech without Borders Association for the Study of the Worldwide unified language). 2018 führte sie mit einer wissenschaftlichen Fachgruppe in Suhl und Gera einen konsultativen Prozess zur Erforschung der Umsetzung der Vorhaben der UN-Dekade für Menschen Nicht-Leser*Innen ostdeutscher Herkunft (2015 – 2024) durch, die aus dem EU-Fonds für die Entwicklung rückständiger Gebiete finanziert wurde.Da läuft die Endauswertung noch.
Dank Corona aber hat Hannelore Heyne nun im Auftrag der Bundesworthülsenfabrik eine Untersuchung über die aktuellen Veränderungen des Sprachgebrauches der Deutschen in der Seuchenzeit vornehmen können, die exklusive und insbesondere auch auf die mediale Vorordnung neuer verbaler und vokaler Diagnose- und Heilmittel eingeht. Heynes Auswertung liegt bereits vor, PPQ hat als erste wissenschaftliche Adresse exklusiv Zugang zu den Forschungsdaten erhalten.
Sprachlicher Ausnahmezustand
Nach sechs Monaten faktischem Ausnahmezustand in Deutschland haben viele Menschen im Lande den Eindruck gewonnen, dass sich nicht nur das Leben sich in vielerlei Hinsicht verändert hat, sondern auch das Sprechen. Themen, denen wir sprachlich Ausdruck zu verleihen versuchen, fallen in ein neues Wortnetz: Es besteht aus Wörtern, die es vorher auch schon gegeben hat, oder es besteht aus solchen, die erst im Laufe der letzten Wochen und Monate von der Bundesworthülsenfabrik in Berlin designt, gedreht oder entwickelt und dann durch Bundessprachanweisungen bzw. Verbalverordnungen allgemeinverbindlich etabliert wurden.
Historisch gesehen sind sechs Monate in der Sprachentwicklung eine kurze Zeit, doch dank Corona gehen die Uhren auch hier im Moment anders. Die Frage, worüber in diesen Zeiten wie gesprochen wird, welche Wörter gelernt werden mussten und welche Zusammenhänge zur Regierungspolitik durch ihre Verwendung gezeichnet wird, ist deshalb auch in diesem frühen Stadium schon Gegenstand unserer wissenschaftlichen Wirkungsforschung an der BWHF.
Das Netz, das sich um „Corona“ als weltweiter Krise entspinnt, ist oben in Form einer Mindmap dargestellt, die zentrale Bereiche der Bedeutungszuweisung zeigt, um die es in der aktuellen Situation geht. Über eine bundeseinheitliche Darstellung der Krise und der Seuchenbekämpfung in den Medien, die ein einheitliche Bezeichnung des Virus selbst und aller Fragen der Ausbreitung einschließt, ist es in deutschland schnell gelungen, das Bild einer beherrschten Frontlage zu zeigen.
So lagen besonders betroffenen Risikogebiete immer nur im Ausland, nie im Inland, verantwortlich für die Ausbreitung von Seuchen waren namenlose Phänomene wie das Skifahren, aber auch Großkonzerne und Demonstranten, nie aber bestimmte soziographische Gruppen oder religiöse Zusammenhänge, wie sie Kritiker etwa im Katholizismus oder bei Freikirchen zu erkennen glaubten.
Homeoffice als Heilsversprechen
Auswirkungen, die die Krise auf das öffentliche Leben hat, wurden durch die Erfindung neuer Worthülsen kompensiert. Bundesligapause, Homeoffice, digital, Kurzarbeit, Kita- und Schulschließungen, um nur einige stark diskutierte Felder zu nennen, lenkten ab vom inneren Kern eines anfänglichen Regierungsversagens. Gesamtgesellschaftlich stand auf einmal die Frage nach systemrelevanten Bereichen, bei der jede einzelne Branche vom Herzchirurgen bis zum Harfenspieler reklamierte, auch er sei es, auch wenn es in beiden genannten Beispielen nicht so aussah.
Verschiedene Wortarbeiten kreisten stets um die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Infektion und zum Nachweis herausragender Tatkraft und Entschlossenheit von den Regierungen der Länder verhängt wurden: ob Ausgangssperre oder -beschränkung, Kontaktverbot, Armbeugehusten, Quarantänepflicht, Maskenbußgeld oder Einwegtreppe - flächendeckend geht es um das Prinzip, in einer ausweglosen Situation Abstand vom Vorwurf zu halten, man habe nicht rechtzeitig und dann falsch reagiert.
Durch englische Begriffe in die globale Leidensgemeinschaft
Die vermehrte Verwendung von englischsprachigen Begriffen soll dabei bewirken, dass die Deutschen sich nicht isoliert, sondern als privilegierter Teil einer weltweiten Opfergemeinschaft fühlen. Privilegiert, weil hierzulande selbst die Isolierung einer infizierten Person als komoder Glücksfall gelten kann, der eine schnelle Ansteckung anderer Personen verhindert. Hier sind auch besonders die im Internet kurzzeitig verwendeten Hashtags hervorzuheben, die das sogenannte Social Distancing unterstreichen wollten: #WirbleibenZuhause, #stayathome und #flattenthecurve.
Eine Wortbildung, die im Zusammenhang mit dem Social-Distancing-Prinzip genannt wird, aber auch im völligen Widerspruch dazu steht, ist die Corona-Party, also das bewusste verabreden, obwohl von den Behörden Distanz angeordnet ist. In der Berichterstattung war das nur ein kurzes Aufflammen, das sich Phänomen ohnehin nicht behördlich kontrollieren ließ.
Das Bingo-Prinzip der Corona-Sprache
Die Gesamtschau der Medienberichterstattung zeigt darüberhinaus eine Mehrzahl von Wortbildungen, die nach dem alten Bingo-Prinzip der Bundesworthülsenfabrik zusammengesetzt sind. Der Versuch einer thematischen Ordnung ergibt ein Bild coronaler Kranzschwäche: Emotionsbeladene Warnformale wie Corona-Angst und Corona-Wahnsinn stehen neben tröstenden Versprechungen von medizinisch-gesundheitlicher Bedeutung wie Corona-Impfstoff und Corona-Station.
Die "Corona-Zeiten" brachten zudem eine Corona-Debatte, eine Corona-Politik und in der Umwidmung der EU zur Schuldengemeinschaft auch Corona-Bonds und Corona-Hilfen hervor. Nicht zu vergessen sind die Corona-Ferien und die bei den Medien beliebten Corona-Ticker, in denen der aktuelle Stand der Corona-Maßnahmen, die Beschlusslage zum Corona-Bußgeldkatalog und die Zahl der Corona-Infizierten nach dem Wortbildungsmuster aus Corona+Substantiv registriert werden.
Im Wittgenstein’schen Sinne des Sprachspiels hat die Seuche den Alltagswortschatz der Deutschen in kürzerer Zeit stärker durcheinandergewirbelt als irgendein anderes Ereignis seit Klimawandel, Großer Koalition, Finanzkrise und dem Beginn der Ära des interessegeleiteten Faktenchecks als Ersatz für den früher üblichen Journalismus. Was von den vielen neuen Begriffen bleiben wird, steht heute noch nicht fest. Ihre Beitrag zur Anerziehung von Gehorsam, Folgsamkeit und Disziplin aber ist kaum zu unterschätzen.
Wittgenstein zu Corona
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