Dienstag, 8. September 2020
Am Ziel: Klimawandel besiegt Migration
Vor einem Jahr schien die Lage verzweifelt. Rechtspopulisten marschierten, rätselhafte Messermänner prägten die Diskussion in den asozialen Netzwerken. Medien schafften es kaum noch, unangenehme Details zu verschweigen. Bürger waren besorgt, Pegida und die AfD lagen im "ARD-Deutschlandtrend" (ARD) uneinholbar vorn und an der Spitze der Besorgnishitparade der Menschen rangierten offene Grenzen, Milliardenausgaben für Flüchtlingsheime und das Gefühl, nicht mehr Herr im eigenen Land zu sein.
Doch auch im Berliner Kanzleramt herrschte Ratlosigkeit. Da waren Auflagen der EU, da war die Weigerung der europäischen Partner, zu einer "europäischen Lösung" beizutragen. Und es fehlten eigene Antworten auf die Fragen der Bevölkerung jenseits von "wir schaffen das" und der Verabredung mit Rezep Erdogan, die nach Deutschland drängenden Flüchtlingen gegen Bezahlung in der Türkei zu internieren.
Doch wo die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten. Unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit gelang es Politik und Medien im "Klimasommer" des vergangenen Jahres, die gesellschaftliche Debatte zu drehen, dan kam Corona, und der Krieg gegen die Angst vor Fremden war gewonnen. "Recht klug wurde das zweite Gesetz der Mediendynamik genutzt", lobt der Medienforscher Hans Achtelbuscher, der am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung zu aktuellen Phänomenen wie dem Themensterben in den deutschen Medien, Sprachregelungsmechanismen und dem Einfluss subkutaner Wünsche auf die berichterstattete Realität forscht.
Diese Grundregel des globalen Medienschaffens besage, dass wichtige Themen in der Medienöffentlichkeit nie gleichzeitig stattfinden, sondern immer hintereinander. Achtelbuscher beschreibt es mit einer Eselsbrücke, die besagt, dass die Welt zwar in keinen Schuhkarton passe, aber unweigerlich immer in 15 Minuten "Tagesschau". "Es passiert einfach nicht mehr", sagt der Wissenschaftler, "oder das, was passiert, bleibt unerwähnt."
Als Annalena Baerbock im Sommer 2019 erstmals zum erst kurz zuvor in der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) kreierten Fachbegriff "Klimasommer" griff, um die neue Menschheitsbedrohung für alle Freibadbesucher begreifbar zu machen, läutete die Grünen-Chefin das Totenglöckchen für das bis dahin dominierende Thema im Meinungsstreit: Fast fünf Jahre hatten Einwanderung, Migration und der "Flüchtlingszustrom" (Angela Merkel) die Debatte bestimmt.
Dabei waren neueren Untersuchungen zufolge zwar kaum Betroffene befragt oder gehört worden. Trotz der Dominanz beruhigender Politikeraussagen - "Wir schaffen das" von Angela Merkel diente hier als Blaupause - gelang es jedoch nie, die gesellschaftliche Stimmung hinreichend so zu beruhigen, dass rechtsextreme Kritiker der Entwicklung hin zu großzügiger Hilfe und offenen Grenzen zum Schweigen gebracht worden wären.
Erst mit dem "Klimasommer" und einem klaren thematischen Fokus auf junge, attraktive Klimaaktivistinnen wie Greta Thunberg, Luisa Neubauer und die Klimakinder-Bewegung "Fridays for future" gelang es, die Dominanz der Fremdenfeindlichkeit zu brechen und das Flüchtlingsthema durch eine breite und emotional geführte Diskussion über die Klimakatastrophe, CO2-Einsparungen und die grüne Transformation Deutschlands zu ersetzen, später kam Corona wie ein Turbo dazu. "Wir konzentrieren uns immer auf ein Thema", hat ARD-Chef Tom Buhrow die Strategie beschrieben, "das wird dann mal wochenlang thematisiert und nichts anderes." Danach komme ein neues Thema, und das andere trete total in den Hintergrund.
Wo ein Körper ist, kann kein zweiter sein, weiß die klassische Physik, der Medienforscher aber weiß, dass dort, wo über ein Thema berichtet wird, kein Platz für ein anderes ist. Mit jeder Zeile, die die Klimagefahr beschwört und die Aussichten verdeutlicht, "dass diese Menschen, die heute 10 oder 20 Jahre alt sind, dann in einer ganz schrecklichen Zukunft leben werden", wie es der grüne Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter in atemberaubend direkte Worte fasst, bleibt eine Zeile weniger für "Hetze, Hass und Zweifel" (Claus Kleber), die drei Hauptfeinde der Gesellschaft.
So gelang es schließlich mit vereinten Anstrengungen, die Migration zurückzudrängen, indem dem regierungsamtlich besser handhabbaren Klimathema mehr Platz eingeräumt wurde. Hans Achtelbuscher sieht darin den Erfolg einer "klaren Medienstrategie", die das Auftauchen der jungen Schwedin Greta Thunberg "optimal als Gamechanger genutzt" habe.
Rechtspopulisten seien durch den Themenwechsel in die Defensive gedrängt worden und seitdem auf dem Rückzug, die Bundesregierung befinde sich klar in der Offensive, weil Rechtspopulisten und Fremdenfeinde keine Möglichkeit hätten, eigene Vorschläge zum Energieausstieg®© zu machen. "Die Exekutive hat sich spätestens mit Corona und Maskenpflicht das Agendasetting zurückgeholt", folgert Medienexperte Achtelbuscher, dessen wissenschaftliche Grundlagenforschung zur Frage des Themensterbens in deutschen Medien als wegweisend gilt. Diese Entwicklung sei unumkehrbar, weil senderbasiert. "Der Empfänger mag andere Wünsche haben", so Hans Achtelbuscher, "aber es fehlt ihm an Gelegenheit zur eigenständigen Inhaltsprägung."
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