Freitag, 28. August 2020

Zweite Welle: Zeit für straffe Zügel

Von Medien eher wenig beachtet, bietet das Intensivregister einen Überblick über die wirkliche Corona-Lage.


Überall zweite Welle, überall höchste Infektionsraten seit Monaten, überall  verlängerte Maßnahmen und angezogene Zügel. Deutschland, bisher das Land mit der weißen Corona-Weste, das als einziges weltweit ohne vorhergehende Übung alles richtig machte, als es darauf ankam, steuert unverhofft auf einen "heißen Corona-Herbst" (DPA) zu. Die "zweite Welle" (Markus Söder) schwappt aus den "Urlaubsländern" (DPA) herein, Partytouristen und Ballermanntrinker, aber vor allem auch in Qualitätsblättern wie der Frankfurter Rundschau nicht weiter erörterbare Ursachen schüren die Angst, Corona könnte noch nicht vorbei sein, obwohl die "Lockerungen" (Armin Laschet) vom Juni und die Rückkehr zum Regelspielbetrieb in der Bundesliga doch so viel Hoffnung gemacht hatten.

Müde Menschen, Nerven blank


Die Menschen sind müde geworden, müde von einem "Krieg" (Emmanuel Macron) mit einem "unsichtbaren Feind" (Emmanuel Macron), der seit dem Shutdown vom März beinahe schon 40 Wochen währt - die letzte derart große Herausforderung forderte Deutschland und die Deutschen mit 296 Wochen kaum länger. Die Nerven liegen blank, die Bundestagswahl steht quasi schon vor der Tür und die Furcht grassiert im politischen Berlin, dass die Alltagserfahrungen der Menschen nach und nach dazu führen, dass alle Vermummungsvorschriften, alle Kontaktauflagen und Hygieneanweisungen stillschweigend ignoriert werden.

Das Problem der Politik ist, dass auch nach einem halben Pandemiejahr kaum jemand im Land jemanden kennt, der an Corona erkrankt war. Im Alltagsleben spielt Covid-19 damit keine Rolle, hier und da taucht im weiteren Bekanntenkreis ein Infizierter auf, zumindest in den Städten, trotz aller Bemühungen von Politik und Medien, Infizierte als Seuchenopfer zu zählen, lebt das Land aber mittlerweile im gefühlten Wissen, dass zwischen Corona und den großen Seuchenklassikern in der Weltuntergangsliteratur doch der eine oder andere Unterschied besteht.

Sterben wie bei Stephen King


Sterben bei Stephen King oder Justin Cronin in der Regel mindestens 95 Prozent aller Menschen, sind es bei Corona allenfalls fünf. Dazu aber muss die Zahl der bedauerns- und betrauernswerten  Opfer auch schon tapfer hochgerechnet werden. Das aber muss, weil sonst niemand mehr verstehen würde, was eigentlich gespielt wird: Erst war alles im Griff und hervorragend vorbereitet, dann war Italien und es brach Panik aus, Masken, die nichts nützten, wurden zur offiziellen Geheimwaffe, und Grenzen schlossen sich um Wochen verspätet wie von selbst in einem Höllentempo, obwohl das praktisch überhaupt nicht möglich ist.


Medientechnisch gesehen sind inzwischen 312 Söders ein Dive-Intensiv-Register, 2.134 "Neuinfektionen" entsprechen einer Erwähnung der Bundesstatistik der intensivmedizinischen Versorgung von Patientinnen und Patienten mit COVID-19 und 31.288 Auftritte von Ministerpräsidenten kommen auf eine Wortmeldung der Bundeskanzlerin. Die hat die akute Phase der Krise hinter sich gelassen, diese unangenehmen Monate, als sie aus dem Backoffice auftauchen und Fernsehansprachen halten musste. Ihren letzten großen öffentlichen Auftritt hatte Angela Merkel damals im Juli, als Deutschland antrat, die EU-Präsidentschaft zu übernehmen und das Schicksal des Kontinentes endgültig zum Guten zu wenden.

Seitdem ist nicht nur die Ratspräsidentschaft vollkommen aus den Schlagzeilen verschwunden, die Kanzlerin spricht auch wieder über die wirklich wichtigen Dinge. Corona gehört nicht mehr dazu, das macht jetzt wieder der Spahn, der macht das gut, der mahnt und erinnert und schafft es im Zusammenspiel mit Annegret Kramp-Karrenbauer, Markus Söder, Laschet, der SPD-Spitze und dem virologischen Stuhlkreis aus Drosten, Lauterbach, Streeck und Kekule, eine akademische Diskussion um schärfere Corona-Schutzmaßnahmen zu führen, die akuten Handlungsbedarf simuliert, ohne das gesellschaftliche Stresslevel wirklich zu erhöhen.

Über die Unfähigkeit eines nach eigener Wahrnehmung hocheffizient betriebenen Seuchenmanagements, auch nur regelmäßige täglich Meldungen der Gesundheitsämter zu organisieren, den Maskeneinkauf ohne Millionenschaden abzuwickeln oder eine App programmieren zu lassen, die funktioniert, wird eher nicht gesprochen. Und noch weniger nur über eben jenes DIVI Intensiv-Register, das zu Beginn der Pandemie noch Taktgeber sein sollte für Deutschlands Tanz mit dem Virus.

Vergessene Ziele der Pandemiebekämpfung


Die Älteren erinnern sich an die frühen Ziele der Pandemiebekämpfung: Die exponentielle Ausbreitung von Corona sollte gestoppt werden, um das Gesundheitswesen nicht zu überfordern. Die Bundesregierung stellte Geld bereit, um die Zahl der zur Verfügung stehenden Intensivbetten zu erhöhen, die Bilder aus Bergamo mahnten, sie vor allem sollten aus deutschen Krankenhäusern niemals in deutsche Wohnzimmer verklappt werden. Dass asymptomatisch Infizierte für Corona symptomatisch sind und Hotspots wie bei Tönnies, im Urlaubsland Kosovo oder bei "Familienfeiern" in Hessen (FR) entstehen, weil Infizierte mangels irgendwelcher Krankheitsanzeichen keinen Moment auf die Idee kommen, sie könnten womöglich infiziert sein, war damals nicht bekannt.

Heute ist es nicht mehr relevant. Nachdem die Wirtschaft auf nahe Null gefahren, Billionenwerte vernichtet, Arbeitsplätze auf Streichlisten gesetzt und die Staatschulden in einem Ruck verdoppelt wurden, sind aktuell 223 Corona-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung 22, davon werden  133 invasiv beatmet. Insgesamt wurden in den vergangenen Corona-Monaten deutschlandweit  16.351 Menschen mit Covid-19 auf Intensivstationen betreut, dennoch verstarben 3.960 von ihnen. Ist das schon die zweite Welle, fragt Helmholtz-Institut Eine berechtigte Frage, sind von 30.561 aktuell betreibbaren Intensivbetten in Deutschland doch 223 mit Covid-19-Patienten belegt.

2 Kommentare:

  1. Es gab nach April 2020 keinen Grund mit Maßnahmen zu beginnen und jetzt gibts keinen Grund damit aufzuhören.

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