Die Mutter aller Pakte wurde zwischen Stalin und Hitler geschlossen. Mittlerweile aber hat der "Pakt" seinen schlechten Leumund verloren. |
Es wimmelt wieder vor zusammengesetzten Substantiven, dem Machtmittel der politischen Klasse: Mit dem "Europa-Aufbauplan", dem "Wiederaufbaupaket", dem "Masterplan Schienenverkehr", einem "Strukturstärkungsgesetz" und dem "Deutschlandpakt" für "doppelt so viele Bahnnutzer, mehr Zugverbindungen, pünktlichere Züge" (Deutschlandfunk) schiebt die Bundesregierung den Sprachpaktregler im Zuge der Corona-Krise ganz nach oben. Das Volk möge schnell und gründlich begreifen, dass alles getan werden wird, um den Eindruck zu vermitteln, dass alles getan wird.
Zwölf Fliegen mit einer Klappe
Zwei Fliegen mit einer Klappe war gestern. Unter zehn, zwölf oder fünfzehn macht es heute niemand mehr. Wenn es darum geht, die Folgen von Corona mit Steuerbillionen wegzufördern, reicht es nicht, nur das zu erreichen. Gleichzeitig muss das Klima gerettet und die Digitalisierung vollendet werden, Deutschland muss sich Produktion aus China zurückholen und den Euro retten. So viele Bälle in der Luft und so wenige Hände. Da hilft nur ein Pakt, der alle verpflichtet, mitzufangen.
Es waren Hitler und Stalin, die den Begriff eigentlich für alle Zeiten vernichtet hatten. Der Pakt der beiden Diktatoren über die Aufteilung Polens und des Baltikums brachte dem Pakt einen so schlechten Leumund ein, dass kalte Krieger aus dem Westen den "Warschauer Vertrag" der kommunistischen Staaten im Osten Europas denunziatorisch den "Warschauer Pakt" nannten.
Erst Gerhard Schröder gelang es, den Namen "Pakt" reinzuwaschen: Der Niedersachse, auf eine fast schon trumpsche Weise unbefangen in seiner Art zu regieren, rief alleweil Pakte aus. Unter dem Sozialdemokraten gab es Pakt auf Pakt, zwischen Gewerkschaften und SPD, zwischen Arbeitgebern und Regierung, zwischen Kirchen und Behörden. „Da nahm Abraham Schafe und Rinder und gab sie dem Abimelech, und sie schlossen einen Pakt miteinander“, heißt es im Alten Testament und so hieß es nun auch in Deutschland, denn Angela Merkel später griff gern auf Schröders Strategie zurück. Einerseits wurden stets neue "Bundesbeauftragte" ernannt, wenn neue Probleme auftauchten. Andererseits rief die Regierung zur Problemlösung einen "Pakt" aus.
Pakte und Pakete
Vom "Pakt für Forschung und Innovation", dem "Pakt für die Pflege" bis zum "Pakt für Prävention" bis zum von der UN geschlossenen "Migrationspakt" war es nur ein kleiner Schritt, mittlerweile aber ist der "Pakt" im Werkzeugkasten der Symbolpolitik ein Standardarbeitsgerät. Ob Bahnkunden "künftig einfacher und schneller ans Ziel kommen" oder der Rechtsstaat sicherer werden soll, ob Schulen zu digitalisieren sind oder ob es gilt, Kindesmissbrauch zu bekämpfen: 2012 halt der "Euro-Plus-Pakt", die gemeinsame Währung zu retten, der "Pakt für den Rechtsstaat" sorgte für "einen starken Staat, der Sicherheit schafft und Rechte wahrt" (Bundesregierung) und der "Digitalpakt Schule" elektrifizierte die Bildung.
Dazu gab es natürlich auch noch den EU-Türkei-Pakt, den "Nationalen Pakt gegen Kindesmissbrauch", den "Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte", den "Ausbildungspakt" und zahlreiche weitere Pakte zu allen möglichen Themen, die keinesfalls verwechselt werden dürfen mit den "Paketen", die auf teilweise gleichen, teilweise abweichenden Problemfeldern jeweils "geschnürt" (DPA) wurden und werden, um um bei medialen Nachfragen auf bereits laufende Bemühungen verweisen zu können.
Das eine ist Symbolpolitik, das andere Symbolpolitik mit akuter Haushaltswirkung. Wie bei den bekannten und besonders in der Politik beliebten Zehn-Punkte-Plänen geht es bei Pakten nicht vordergründig um Problemlösung, sondern vor allem um den Nachweis von Handlungsfähigkeit. Ähnlich wie ein "Klimaziel" funktioniert der Pakt appellatorisch: Symbolisch bekennt sich die Regierung zu einer Schwerpunktsetzung, um an einer thematischen Front Ruhe herzustellen. Getrieben von der Dynamik der eigenen Versprechen gibt es jedoch binnen kurzer Zeit so viele Pakte zu so vielen Schwerpunkte, dass es keine Schwerpunkte mehr gibt.
Schnelles Verschwinden
In dieser Phase der Problembekämpfung muss zwingend ein "Masterplan" ausgerufen werden, der dem rein papiernen Charakter des "Paktes" und dem monetären Moment des "Paktes" einen strategisch riechenden Überbau aus zusätzlichen Versprechen verpasst. Zuletzt gab es den "Masterplan Ladeinfrastruktur" und den "Masterplan Integration", den "Masterplan Energiewende" und den "Masterplan Klimaschutz", den "Masterplan Güterverkehr und Logistik" und den "Masterplan Informationsgesellschaft". Allen eigen ist, dass sie binnen kurzer Zeit aus den Medien verschwinden. Und binnen nur wenig längerer aus dem Bewusstsein selbst ihrer Planer.
Der Plan ist, mit Pakt, Paket und Masterplan so "ehrgeizige" (Tagesschau) Ziele zu formulieren, dass deren Erreichung zur Nebensache wird. Wenn beim "Masterplan Schienenverkehr" darauf gezielt wird, dass in zehn Jahren doppelt so viele Menschen mit der Bahn fahren sollen wie bisher, dann ist klar, dass in zehn Jahren niemand sich mehr erinnern wird, wer das verkündet und warum es nicht geklappt hat.
Ein wunderbares Beispiel bietet hier der "Europäische Pakt für die Jugend", der 2006 geschlossen wurde, um "junge Menschen in die Lage zu versetzen, Verantwortung zu übernehmen und günstige Bedingungen zu schaffen, die es ihnen erlauben, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln", damit "ein nachhaltiges Wachstum, eine kontinuierliche Entwicklung und der sozialen Zusammenhalt in der Europäischen Union" möglich werden, verschwand um das Jahr 2009 herum aus der öffentlichen Wahrnehmung und allen Politikerreden. Seitdem ist er auch nie wieder aufgetaucht.
Ein Pakt hat also etwa die Funktion und Wirkung eines sehr, sehr ernst gemeinten Gebets. Man mag sich kaum vorstellen, wie es in Deutschland ohne all diese Pakte und Paktierer aussähe.
AntwortenLöschenSiehe Frühwerke von Walter Moers: "Der Pakt" - "He, nehmen Sie gefälligst den Huf aus meiner Tür!"
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