Dienstag, 21. Juli 2020

Rettung mit Rabatt: Die Solidarität der Teppichhändler

Elf Millionen Rettungsrabatt pro Stunde handelten die vier widerspenstigen EU-Staaten in Brüssel aus.

Immerhin haben sie 90 Stunden gebraucht, um die Europäische Union nach ihren eigenen Vorstellungen umzubauen. Der große Rettungsgipfel von Brüssel, der die Corona-Krise zum Anlass für Umbauarbeiten an der Staatengemeinschaft nahm wie ein Land, das Olympia veranstaltet, das Sportereignis nutzt, neue Autobahnen zu bauen, ignorierte die Europäischen Verträge, es fragte nicht nach Zustimmung bei den Europäern, er rief Notstand und Alarm und verordnete der wankenden, schwankenden, uneinigen und desparaten Versammlung von Staaten aus eigener Macht einen großen Integrationsschritt: Gemeinsame Schulden, eigentlich grundsätzlich verboten, von der kritischen Presse jedoch gefeiert als wachse da endlich zusammen, was zusammengehört.



Gemeinsamkeit mit Geld geklebt


Der Euro gerettet, die fragile Gemeinsamkeit mit Geld geklebt. In "dieser historischen Nacht" (Die Zeit) wurde nicht nur der EU-Haushalt mit ein paar Federstrichen verdoppelt, sondern es wurde die Haushaltshoheit der Parlamente ausgehebelt, der Inhalt der europäischen Verträge zu Makulatur erklärt und einer nach undemokratischen Regeln zustandegekommenen Versammlung von Kommissaren Macht übertragen, die sie nach den ursprünglichen Plänen der Gründerväter der Gemeinschaft nie hätten bekommen sollen.

Doch letztlich drängt zum Gelde hin alles und auch Vertragstreue ist nur eine Ware. Die von deutschen Medien gefeierte geschichtsträchtige Einigung von Brüssel wurde denn auch weniger erhandelt als erkauft: Zeitlich wurde die Rückzahlung der jetzt aufzunehmenden gemeinsamen Schulden auf einen Termin nach der Mitte des Jahrhunderts verlegt, wenn niemand von denen, die den Kreditvertrag jetzt unterschreiben werden, mehr am Leben sein wird.

Gezahlt wird später, viel später


Auch von den Menschen, die von dem als "Wiederaufbauhilfe" bezeichneten Helikoptergeld profitieren können, wird dann nur noch eine Minderheit leben. Wer heute über 40 ist, muss sich keine Gedanken machen. Am Rückzahltag in 38 Jahren, wenn die meisten der mit den Rettungsbillionen finanzierten "Investitionen in den Klimaschutz gehen, in Gebäudeisolation, öffentlichen Verkehr, Elektrifizierung und erneuerbare Energien" (Die Zeit) längst schon wieder verrostet, ab gerissen oder moralisch verschlissen sein werden, wird sein Name vermutlich nicht aufgerufen werden.

Das Wichtige am "Corona-Rettungsfonds" mit seinen abenteuerlichen Summen ist nicht die Hilfe für "Krankenhäuser und Altenheime, für Schul- und Ausbildungsmaßnahmen in Gebieten, wo die Pandemie viele Menschen arbeitslos" gemacht hat - das zeigt schon die Verteilung der Mittel, die sich keineswegs am Grad der Corona-Betroffenheit orientiert. Vielmehr geht es um die Gunst der Stunde, die genutzt werden sollte, EUropa fester zu binden, wie Sébastian Maillard, Chef eines selbsternanten "proeuropäischen Thinktanks" verraten hat: "An jeden so ausgegebenen Euro müsste man eine kleine europäische Flagge kleben, damit die Leute wirklich merken, dass es jetzt Europa ist, das für sie zahlt", meint er völlig unabhängig davon, dass Europa natürlich für niemanden nichts zahlt, weil es allein die Mitgliedsstaaten sind, die borgen.

Als "Beginn eines solidarischen Europas" wird der offene Bruch der EU-Verträge landauf, landab gefeiert, in einer einzigen Sekunde verdoppelt die Politik den EU-Haushalt, trickreich, denn das Prinzip, dass der Kreditnehmer für seine Schulden haftet, wird ausgehebelt zugunsten einer Haftung, die in knapp 40 Jahren der übernehmen muss, der sie am ehesten noch wird übernehmen können. Gab es bei der Einführung des Euro noch Auflagen, auch wenn sie nie eingehalten wurde, verzichtet die EU jetzt auf jeden Anschein von Vertragstreue oder demokratischer Legitimation. Gemeinsame Schulden seien halt wichtig, isso. "Vom wirtschaftlichen Prinzip her genauso wichtig wie eine gemeinsame Währung, nur sozialer, weil sie nämlich gemeinsame soziale Ausgaben ermöglichen", analysiert eine deutsche Zeitung sinnfrei, aber augenscheinlich hellauf begeistert von den Beschlüssen der Partei- und Staatsführungen.

Pokerspiel als Sternstunde


Selten zuvor hat Schachern und Schangeln wie auf einem nordafrikanischen Souk größeren Beifall bekommen, selten nur wurde Pokerspiel pathetischer als Sternstunde zwischenstaatlicher Solidarität gerühmt. Dafür, dass die widerspenstigen Vier - "Erpresser" Europas (Conte) und zumindest 90 Stunden lang hartleibige Verhinderer des größten Schuldensprungs, den Europa jemals gemacht hat - am Ende doch zustimmten, bekommen sie Rabatte: Dänemark muss 125 Millionen Euro weniger einzahlen, die Niederlande sparen 345 Millionen Euro, Österreich fast 300, Schweden 200. Nur Deutschland bleibt bei seinem Schuldenanteil. Einer muss es ja machen.

Gelohnt haben sich die vier Tage von Brüssel damit für alle vier Staatschefs der Nordallianz: Rund elf Millionen Euro haben Rutte, Kurz, Frederiksen und Lövfen in jeder einzelnen Verhandlungsstunde für ihre Länder erwirtschaftet.

Deutschland hat jede einzelne Stunde in Brüssel 40 Millionen gekostet.

6 Kommentare:

  1. Ich freue mich schon auf die Chrustschow-Rede, die dermaleinst kommen muss, egal wer sie halten wird.

    AntwortenLöschen
  2. Eisberg in Sicht, aber es gibt keinerlei Kursänderungen der Schuldenstaaten. Nächstes Jahr braucht es dann 4 Billionen, dann 8, dann … In den 30iger Jahren hatten die chinesischen Bauern ihre Steuern auf 30 Jahre im Voraus entrichtet.
    Der Ritt auf dem Tiger endet. Die Regierungen in Italien und Frankreich werden in kurzer Frist von „Rotwesten“ aus dem Amt gejagt. Zahltag subito, Apocalypse now!

    AntwortenLöschen
  3. Solidarität mit Mateschitz (Roter Bulle, aber nicht Hauptmann Fuchs).
    -----
    Jedenfalls kochen mittlerweile auch in Deutschland die Emotionen gegen Mateschitz hoch. Der Sprecher der „Grünen Jugend“ in Krefeld verkündete auf Twitter: „Red Bull ist ein Faschogesöff und ich wünsche allen die das Zeug trinken den Herzkasper den das Zeug auslöst“.

    https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/red-bull-besitzer-dietrich-mateschitz-im-antirassistischen-kreuzfeuer/

    AntwortenLöschen
  4. Ob die vier sparsamen Egoisten mit ihren Rabatten langfristig glücklich werden, wird sich zeigen. Sicher haben sie es wenigstens ein wenig besser gemacht als wir und haben sich ein paar Jahre mehr bis zur Pleite rausgehandelt.
    Trotzdem haben sie beim Pipelinebau von Nord nach Süd mitgemacht. Das ist das wirklich Entscheidende. Anfangs sind ihre Leitungen halt etwas schmaler als unsere. Aber die Leitungen liegen jetzt, das ist das was zählt. Der Fuß ist in der Tür. Ab sofort werden diese Kanäle beständig geweitet werden, bis nichts mehr zum absaugen da ist und der Laden auseinander fliegt. Es ist traurig, das dies keiner dieser Titanen erkannt hat.

    Aber was lamentiere ich. Unser heldenhaftes Bundesverfassungsgericht, wird diesen Politikdarstellern schon zeigen wo der Hammer hängt und diesen verfassungswidrigen Vertrag
    in der Luft zerreisen. Uns kann also gar nichts passieren.

    Hi, Hi, Hi. Jetzt musste ich selbst ein bisschen lachen.

    AntwortenLöschen
  5. Die Titanic, sie fährt und fährt.

    AntwortenLöschen
  6. Der alte Witz vom Teppichhändler Ali: Wieso hast du die Hand auf mein Fröhlichsein getan und gesagt: "Verseichtes Zickenfell"? (Variante: Billige Kokosmatte)

    AntwortenLöschen

Richtlinien für Lesermeinungen: Werte Nutzer, bitte beachten Sie bei ihren Einträgen stets die Maasregeln und die hier geltende Anettekette. Alle anderen Einträge werden nach den Vorgaben der aktuellen Meinungsfreiheitsschutzgesetze entschädigungslos gelöscht. Danke.