Montag, 15. Juni 2020

Rassismus gegen Ostdeutsche: Warum nicht mal kein Ossi?

"Warum nicht mal ein Ossi" fragt die westdeutsche "Zeit" ironisch und sie greift damit einen Partizipationsskandal auf, den das ehemals ostdeutsche Mitmachportal PPQ vor Jahren aufgedeckt hatte.

Herbert Haase wurde 1976 in Bautzen geboren. Er studierte Politikwissenschaften in Saarbrücken und Klimatechnik in Bremen, arbeitet heute beim renommierten Klimawatch-Institut in Grimma und befeuerte zuletzt mit einer wegweisenden Studie über die CO2-Einspareffekte warmer Winter die Diskussion um das Klimapäckchen der Bundesregierung. Das hört sich nach der ganz normalen Biografie eines jungen, relativ erfolgreichen Mannes an, der seiner Herkunft ein Schnippchen geschlagen hat und heute Altersgenossen aus Weil der Stadt, Wuppertal und Gelsenkirchen auf Augenhöhe begegnet.

So ist es aber nicht. Herbert Haase ist ostdeutsch. Er hat einen früheren NVA-Offizier als Vater und eine ehemalige Gewerkschaftsfunktionärin zur Mutter, beide Elternteile sind weiß, beide sind hörbar Ostdeutsche und zudem Sachsen, eine Provenienz, die auch Haase anzuhören ist. Von früh an musste der Wissenschaftler sich mit einem alltäglichen Rassismus auseinandersetzen.

Ungefragt sprach man seinen Dialekt an. Man erkundigte sich nach seiner Herkunft, vermeintlich ganz freundlich. Oder man staunte darüber, dass er sich doch bemühe, so gut wie möglich Hochdeutsch zu sprechen. Auch wenn so mancher Kommentar freundlich gemeint war und ist, Herbert Haase hat in stets als Verletzung empfunden. „Mikroaggressionen“, so nennt er seine persönlichen Erlebnisse mit dem Alltagsrassismus, den er in seinen Lehrjahren "drüben im Westen", wie er sagt, immer wieder leben musste. Herablassung. Ungebetene väterliche Ratschläge von Gleichaltrigen. Mitleid. Alles das sei ihm begegnet, als er versucht habe, sich in die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft zu integrieren, so gut es ihm möglich war, sagt Haase.

Kolonialismus ausgespart


Im Gespräch mit PPQ erzählt er zum Beispiel über Erfahrungen während der Studienzeit, die ihn jahrelang traumatisierten. Rückblickend, so Haase, sei er empört, wie selten im Gespräch mit westdeutschen Studienfreunden über die trennenden Erfahrungen von Ost- und Westdeutschen gesprochen worden sei. Interesse hätten ausschließlich Verfolgungserlebnisse geweckt, das ganz normale Leben in einer sowjetischen Kolonie aber habe genauso wenig interessiert wie die Erlebnisse der indigenen Ost-Bevölkerung in den Wendejahren."Das spielte keine Rolle, man war auf sich selbst fixiert und durchweg der Meinung, dass die Ossis dankbar zu sein hätten und der Solizuschlag, den man zahle, genug Respekt für ein Leben sei."

Schon in der Schule in Bautzen bemerkte Herbert Haase, dass die vormalige DDR in den Lehrplänen kaum mehr eine Rolle spielte, sobald sie verschwunden war. Das sei heute bei seinen eigenen Kindern, Haase hat zwei Jungen und ein Mädchen, nicht anders „Der Lehrplan geht von einem westdeutschen Standard aus. Alles was davon abweicht, wird ignoriert“, urteilt er.

Das viel diskutierte „O-Wort“


Obwohl Haase das als eine Form von Rassismus empfindet, weil es "dem, was die Definition Rassismus nennt, genau entspricht", beschäftigt ihn die Verwendung des „O-Wortes“ in der klassischen Berichterstattung der Leitmedien beinahe noch mehr als direkte persönliche Zurücksetzungserfahrungen wegen seiner Sprache, seiner ostdeutsch geprägten Gewohnheiten und einer anerzogenen Vorliebe für Bier und Bratwurst anstelle von entrecôte und baroso. Auch wenn die Verwendung des diskriminierenden Begriffes "Ossi" zuletzt zurückging, finde er sich doch noch in zahllosen älteren Beiträgen, die im Internet problemlos aufzufinden seien. "Jedes einzelne Mal verletzt mich", gesteht er.

Soll das Wort stehen bleiben oder eliminiert werden? Haase spricht sich klar für eine Entfernung aus, um Menschen, vor allem Kinder, erst gar nicht an das Wort zu gewöhnen, das Lebensleistungen herabsetzt, unzulässig in Gruppen einsortiert und wie ein Betreuungsangebot klingt. Die Sensibilisierung für Sprache beginne schließlich schon im frühen Kindesalter, sagt er.

Ansonsten „wünsche ich mir“, so Haase, „dass ich das gar nicht mehr thematisieren muss.“ Derzeit müsse er das aber immer wieder tun, auch auf die Gefahr hin, dass es "natürlich Menschen gebe, die sich schon allein vom Vorwurf angegriffen fühlen, dass eine solche herablassende Bezeichnung die Einstiegsdroge in den Rassismus ist". Das Leugnen von Vorurteilen gehöre aber wohl zum Verhalten aller Rassisten, das sei aus zahlreichen Studien zum kolonialen Erbe bekannt.

Auch Ostdeutsche sind  keine Rasse


Ihm sei klar, gesteht Haase, dass Ostdeutsche keine Rasse seien. Doch da es nach neuen Erkenntnissen  sowieso überhaupt keine Rassen gebe, könne sich Rassismus zweifellos auch gegen die nicht rassisch determinierte Gruppe der FrüherinderDDRlebenden und deren unschuldige Nachkommen richten."Das Recht nehme ich mir, mich da auch als Nichtrasseangehöriger getroffen zu fühlen."

"Total gefreut" habe er sich aber kürzlich, als ein Tankwart in der Nähe von Bernkastel-Rues ihm nach einem kurzen Disput über seine von einer ostdeutschen Sparkasse ausgestellte Geldkarte mitgeteilt habe, dass er "bisher gar nicht wusste, dass wir im Osten eigene Sparkassen haben". Herbert Haase wiederum hatte bis dahin nicht gewusst, "dass das im Westen kaum gewusst wird". Ein Hoffnungszeichen, denn, sagt er, „es zeigt, dass auch Menschen, die nicht vom Rassismus betroffen sind, dazulernen können.“


4 Kommentare:

  1. Abgesehen von der rassistischen affirmative action in Richtung dieses Ossis (nur wir selbst dürfen uns so nennen), gibt es schwerwiegende Gründe, ihn nicht zum Richter am BVerfg zu machen:
    -Theologiestudium
    -Umweltaktivist
    -SPD-Mitglied

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  2. Das Fraiming sollte abgeschafft oder doch stark verstärkt werden!

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  3. Zuerst habe ich gedacht, das Sie mich mit diesem Artikel der "Zeit" wieder aufs Glatteis locken möchten.
    Aber den gibt es ja wirklich. Wie es aussieht wird also demnächst der erste Quotenneger aus dem Osten Richter am Bundesverfassungsgericht. War ja auch Zeit.

    Ich war aber schon früher der Meinung, dass das Übergehen des Ostens bei öffentlichen Positionen nicht nur am bornierten Stolz der Wessis liegt. Unsere politischen Seilschaften sind inzwischen komplett autark kennen einfach keine Seiteneinsteiger mehr. Einen Posten erhält nur noch, wer sich ein Leben lang hochgedient hat und damit seine absolute Fähigkeit den Vorgesetzten zu gehorchen ununterbrochen nachgewiesen hat.
    Ein Nachrücken der Ostdeutschen an die Fleischtröge der Macht in den ca. ersten 30 Jahren nach der Wiedervereinigung war somit so gut wie ausgeschlossen. Zu unsicher die möglichen Kandidaten ohne Trackrecord und welcher Anwärter, der schon mitten in der Ochsentour stand, hätte denn auf den ihm sicher zustehenden Posten verzichten sollen? Unendlich viele gibt es ja trotz ständiger Ausweitung auch nicht.
    Das hätte das ganze fein austarierte Machtgefüge der westdeutschen Postenritter durcheinander gebracht.
    Jetzt aber, 30 Jahre später, stehen auch die ersten Ossis im entsprechenden Alter und mit der nachgewiesenen Treue bei allen Abstimmungen und Lebenslagen langsam bereit.

    Ich kann sie daher beruhigen, auch im Osten werden jetzt immer mehr stromlienenförmig geschliffene und staatstragende Absolventen die Kaderschulen der Parteien verlassen und den Kampf um die Posten und Pöstchen im Lande aufnehmen. Ich wage daher zu behaupten, das die Ossiquote im Laufe der Zeit, langsam aber stetig zunehmen wird. So in etwa 20 Jahren, werden die Ostdeutschen dann wohl prozentual ihrer Bevölkerung auch an den Posten beteiligt sein.

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  4. Zweifelsohne gibt es heute weltweit gentechnisch und wissenschaftlich nachweisbar Rassen auch bei Menschen, die über Familien und Stämme durch Vererbung und Umweltbedingungen im Laufe von Jahrtausenden zu indigenen Völkern wuchsen, eigene Sprachen entwickelten und auch optisch und genetisch unterscheidbar sind. Dies dürfte auch für "Sachsen" gelten. Es ist mir als Flüchtling aus Mitteldeutschland stammend unerklärlich, warum sich ein Sachse seiner Herkunft schämt? Auch andere deutsche Stämme haben gewöhnungsbedürftige Dialekte entwickelt. Auch in anderen Nationen gibt es große Sprachunterschiede und Sitten und Gebräuche. Es ist für mich ein Zeichen von mangelndem Selbstbewußtsein, wenn jemand seine "Rasse", seinen Stamm, sein Volk als minderwertig ansieht.Es gibt z.B. Nahrungsunverträglichkeiten und genetische Besonderheiten die man kennen sollte, wenn man bestimmten "Rassen" angehört, sonst wird man nicht alt. Ein Richter, der bezweifelt, daß es "Rassen", und das nicht nur bei Menschen gibt, und der sich für seine Abstammung schämt, scheint mir da zum "Recht sprechen" wenig geeignet.
    Elli

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