Dienstag, 9. Juni 2020
New York Times: Strafe einen, erziehe hundert
Meinungsstreit ja, aber doch bitte im Rahmen der Gesetze! Auch in den Gespaltenen Staaten von Amerika setzt sich inzwischen die deutsche Sicht durch, dass eine gesellschaftliche Debatte nicht geführt werden kann, wenn Ansichten, die weit außerhalb des von den erfolgreichsten Talkshowgästen bei Anne Will, Maischberger und Plasbeck vertretenen Spektrum stehen, eine Plattform zu Verfügung gestellt bekommen, um ihre kruden Sichtweisen öffentlich zu machen.
Hierzulande herrscht darüber weitgehend Konsens, seit schlagzeilenträchtige Fälle wie der der früheren Fernsehfrau Eva Herman, des Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin und - zuletzt - des Tübinger Bürgermeisters Boris Palmer vor öffentlichen Standgerichten verhandelt wurden. In den USA jedoch wehrte sich die Medienbranche lange gegen eine Verengung des sogenannten Meinungskorridors, weil vor allem Rechte, Rechtsradikale, Rechtspopulisten, Trumpisten und Rechtsextreme um ihren gesellschaftlichen Einfluss fürchteten.
Wohin es führt, wenn dermaßen wild und schrankenlos in der Öffentlichkeit herumgemeint wird, zeigt jetzt ein ernster und akuter Fall aus der renommierten "New York Times", die über Jahrzehnte mit dem Slogan “All the News That's Fit to Print” für sich warb. Kürzlich allerdings glaubte die Meinungsredaktion des Blattes gut beraten zu sein, einen Beitrag des Republikaners Tom Cotton abzudrucken. Cotton vertritt den Bundesstaat Arkansas im US-Senat, er gilt als Trump-Unterstützer und Hardliner, hält Waterboarding nicht für Folter und den russischen Einfluss auf die vergangene Präsidentenwahl für ein Märchen, das die Demokraten gestreut haben, um die Niederlage Hillary Clintons zu erklären.
Diesen erzkonservativen Hassprediger, der Covid-19 für ein Virus aus einem chinesischen Labor hält, meinte die New York Times, ausgerechnet zum Thema Black lives matters und friedlicher Protest gegen rassistische Polizeigewsalt zu Wort kommen lassen zu müssen. Tom Cotton lieferte und schrieb ein Stück unter dem Titel "Send In the Troops", also "Schickt die Truppen rein". Die Nation, so der Senator, müsse die Ordnung wiederherstellen, das Militär stehe bereit, gegen „Antifa-Terroristen“ vorzugehen.
Im Land der Freien gehörte bislang nicht allzu viel Mut dazu, diese Ansicht zu vertreten. Von den Indianerkriegen über den Bürgerkrieg bis zu Obamas Befehl an die Nationalgarde, die Grenze zu Mexiko abzuriegeln, an gab es immer wieder Inlandseinsätze des US-Militärs, so dass die Forderung danach, den hinderlichen Posse-Cornitatus-Act zu ändern, eigentlich keinen Aufruf zum Staatsstreich darstellt. Cotton forderte nicht, Menschen zu erschießen, er plädierte nicht für fahrende Standgerichte und er vertrat auch keineswegs die Ansicht, die USA müssten wegen George Floyd schnellstmöglich zu einer Militärdiktatur umgebaut werden.
Und doch entpuppte sich Tom Cottons Artikel als wegweisend: Nachdem der Beitrag den erwarteten Proteststurm provoziert hatte, forderte er ungeplant tatsächliche Opfer. Journalisten der NYT distanzierten sich von dem Text, den sie selbst gar nicht geschrieben hatten. Sie beschwerten sich bei der Leitung des Blattes, dass er abgedruckt worden sei. Leser forderten Konsequenzen. Im Inneren der ehemals liberalen Zeitung brach ein "Bürgerkrieg" (Fox News) darüber aus, was heutzutage noch denkbar, sagbar und, vor allem,öffentlich präsentierbar ist.
Es war eine kurze Schlacht. Dann musste James Bennet, nach "Spiegel"-Einschätzung "einflussreicher" Chef der Meinungsseite der New York Times, gehen, obwohl er den Cotton-Beitrag erklärtermaßen weder geschrieben noch redigiert, ja, nicht einmal vorab gelesen hatte.
Mangelnde revolutionäre Wachsamkeit wäre als Urteilsgrund unter Stalin oder Ulbricht in die Kaderakte des Genossen geschrieben worden. Die USA aber waren bisher eigentlich keine Gesellschaft, in der zweifelsfrei nicht strafbare Ansichten nicht geäußert werden können, ohne Gefahr zu laufen, den Job zu verlieren und den bürgerlichen Tod zu sterben. Bis zum Fall Cotton/Bennet, der hier neue Maßstäbe gesetzt hat: "Infolge der Kontroverse" um den Gastkommentar, schreibt die "Zeit", habe James Bennet "mit sofortiger Wirkung gekündigt".
Naheliegend, dass das wohl im berühmten "in beiderseitigem Einvernehmen" erfolgte, weil der eben noch so einflussreiche Meinungsmacher sich vermutlich neuen Aufgaben zuwenden und sich aus ganz persönlichen Gründen einfach auch mal mehr um seine Familie und die Kinder kümmern will.
Dass unter seiner Aufsicht ein Satz wie "Vor allem eines wird die Ordnung auf unseren Straßen wieder herstellen: eine überwältigende Machtdemonstration, um Gesetzesbrecher zu vertreiben, festzunehmen und schließlich abzuschrecken" unter die News geriet, die fit genug sind, von der NYT verbreitet zu werden, erweitert Amerikas Meinungsfreiheitsspektrum aber trotz Bennets freiwilligem Rückzug um eine sehr deutsche Dimension. Hier hat Maos "Strafe einen, erziehe hundert" das gesellschaftliche Klima stets davor bewahrt, außer Kontrolle zu geraten.
Debatten finden unter grundsätzlich Gleichgesinnten statt, um winzige Details bei der Feinjustierung grundsätzlich richtiger, weil alternativloser Weichenstellungen zu besprechen. Wer diese Kleinteiligkeit ablehnt und Grundsätzliches erörtern will, stellt sich automatisch selbst ins Abseits. Mit ihm ist des Redens nicht länger, denn jede Minute, die er am Gespräch beteiligt werden würde, wertete seine abweichenden Ansichten nur unnötig auf. Der Schaden, Falschmeinende gewähren zu lassen, ist damit immer größer als der, ihnen rechtzeitig in den Arm zu fallen.
Sowohl Bennet als auch Cotton aber dürfen, das an die Adresse als jener, sofort wieder die unzulässige Vergleiche mit düsteren Zeiten in tiefer Vergangenheit ziehen, vorerst weiterleben. Selbst eine Haftstrafe riskieren die beiden nicht - wohl aber helfen sie auch so, ein Zeichen zu setzen für eine neue Verantwortlichkeit vielleicht sogar im besten Bemühen für Gesagtes und Gemeintes. Andere werden genau hinschauen. Und ihre Lektion hoffentlich schon lernen, ehe sie selbst das Bedürfnis in sich spüren, nach einer Falschäußerung ein Kündigungsschreiben abzufassen.
Wir brauchen uns nichts einzubilden auf unsere DDR 2.0 mit der Pionierleiterin Erika. In Wirklichkeit ahmen unsere Besten in Presse und Parteien nur wieder die Amis nach.
AntwortenLöschen"Mangelnde revolutionäre Wachsamkeit wäre als Urteilsgrund unter Stalin oder Ulbricht in die Kaderakte des Genossen geschrieben worden."
AntwortenLöschenHerrlich.
Bundesverfassungsgericht enttarnt Verfassungsfeind innerhalb der Bundesregierung, bestraft ihn, erzog damit aber genau Null Menschen. Der Täter ist als renitent bekannt und scheißt auf Gerichtsurteile.
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https://www.bild.de/politik/2020/politik/wegen-afd-kritik-justiz-klatsche-fuer-seehofer-71151498.bild.html?wtmc=ob.feed
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Justiz-Klatsche für Seehofer
In einem Interview übte Seehofer 2018 harsche Kritik an der AfD, nannte sie unter anderem „staatszersetzend“. Eine Zeit lang stand der Text auch auf der Ministeriumsseite.
Das geht zu weit, urteilt Karlsruhe. Die Bundesregierung muss Neutralität wahren.
„Die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung endet dort, wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen beginnt“, sagte der scheidende Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle am Dienstag bei seiner voraussichtlich letzten Urteilsverkündung.
verantwortlich ist nur der altersrenitente voßkuhle. zum glück nicht mehr lange, dann übernimmt ein verlässlicherer mann
AntwortenLöschenAchso. Habe ich mich eben geirrt. Ich dachte, die meinen das ernst.
AntwortenLöschenDie auslaufenden oder gar Ex-Verfassungsgerichtspräsidenten werden alle rechts (Herzog, Papier, sic!). Das ist schlimm.
AntwortenLöschenEs ist heute wie damals. Für das Anmahnen oder auch nur Erwähnen von eitel Selbstverständlichkeiten ist man ein Schwerverbrecher.
AntwortenLöschenIn den USA wird der total freiwillige Rücktritt von Bennet wenigstens teilweise noch von einigen Halbnazis bedauert. Dort gibt es leider noch eine handvoll Medien die etwas rechts der New York Times stehen. Schlimm genug.
AntwortenLöschenDa sind wir zum Glück schon einen Schritt weiter. Hier hätte die Entfernung dieses letzten Aufrechten durchgängig zu Jubelstürmen und Applausorgien geführt. Wenigstens im Meinungsfreiheitsschutz sind wir den Amis noch voraus. Tu felix Germania.