Dienstag, 30. Juni 2020

Mythos Merkel-Maske: Kontrolle ist besser

Sichere Entfernung: Macron hat (rechte Hand) eine Maske mit nach Meseberg gebracht, Angela Merkel hat wie immer keine dabei.
 
Da war sie auf einmal wieder, im gewohnten und geliebten Milieu. Angela Merkel trug zur Feier des Tages der großen Rückkehr zum Normalmerkeln zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie kein blaues oder rotes Pokemon-Jäckchen, sondern unschuldiges Weiß, leicht eierfarben. Und sie strahlte glücklich in die Kameras, als sie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit einem buddhistischen Gruß vor ihrem Staatssschloss in Meseberg empfing. Endlich wieder Staatsgeschäfte auf die gute alte Art. Endlich wieder richtige Hinterzimmergespräche und Kaupeleien unter vier Augen, statt Milliardenverschieberei über Skype.

Die letzten Fragen der Menschheit


Dass Angela Merkel glücklich war, ließ sich sehen und es konnte sich sehen lassen, als sie und Macron auf der kleinen Tribüne Aufstellung genommen hatten, um die letzten Fragen der Menschheit einer ausgewählten Journalistenpublikum zu beantworten. Anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentenschaft, so hörte sich das an, würde im nächsten halben Jahr Europa neu gegründet, vom Kopf auf die Füße gestellt, wiederaufgebaut, umgebaut, klimamäßig ertüchtigt, mit neuen, alten Industrien ausgestattet, gerechter gemacht und ein Impfstoff für die ganze wird auch noch abfallen, weil Forscher aus allen europäischen Ländern bei der Entwicklung zusammenarbeiten.

Doch statt Applaus weiterer begeisterter Nachfragen zu Rolle und Bedeutung der neuen Absichteninitiative folgt plötzlich ein entsetzlicher Moment. Vor den Augen der uneingeweihten Weltpresse liest PPQ-Leserin Ariane Seifang, als Reporterin des WDR ins Schloss geeilt, eine Mitte Juni von PPQ aufgeworfene Frage vor: Warum ist die Kanzlerin nie mit Maske zu sehen?

Affront gegen Schweigeverabredung


Ein Tiefschlag. Angela Merkel ist die deutsche Politikerin, der die Macht inszenierter Fotografien am stärksten bewusst ist. Sie hat als junge Frau erlebt, wie die Bilder von der ungarischen Grenze, aus der Prager Botschaft und von den Demos gegen des SED-Regierung das System in der DDR zusammenbrechen ließen. Seitdem meidet Merkel Bilder, die gegen sie verwendet werden könnten - und um sie zu vermeiden, meidet sie in der Regel Termine außerhalb der kontrollierten Blase der Konferenzzimmer, Pressekonferenzen und Fernsehstudios.

In der großen Migrationskrise hat Merkel nie Grenzschützer besucht, keine Fabrik für Nothilfepässe, keine Seeretter und Jobcenter. Aber auch in ein Flüchtlingsheim musste sie von ihren Beratern erst getragen werden, als nach zwei Jahren "Zustrom" (Merkel) immer öfter gefragt wurde, warum eigentlich die Kanzlerin niemals dort zu erleben sei.

Abstand von der Welt da draußen


In der Seuchenzeit hielt sie genauso Abstand von der Welt da draußen: Weder tauchte die Kanzlerin wie Wladimir Putin in einem Krankenhaus auf, um sich nach altem Politikerbrauch "selbst ein Bild von der Lage zu machen" (DPA), noch besuchte sie hoffnungsfrohe junge Forscher bei einem Impfstoffhersteller, tapfere Verkäuferinnen bei Aldi oder die mutigen Virendetektive eines Gesundheitsamtes.

Merkel will nicht mit Maske gesehen werden, das zeigt schon der Umstand, dass es es von ihr im Unterschied zu nahezu allen ihren Regierungschefkollegen aus aller Welt keine Fotos gibt, die sie mit Maske zeigen. Eine Maske, so deutet Merkel das, wäre ein Zeichen für verletzliche Nahbarkeit, für die Anerkennung der "neuen Normalität" des Olaf Scholz und dafür, dass die Kanzlerin nicht aus dem Kanzlerbunker führt, sondern vorn an der Front. Ein Platz, an dem sie selbst sich aber gar nicht sieht.

Medien schweigen begeistert mit

Die deutschen Medien waren bisher einverstanden damit, dass Merkel aus dem Hintergrund regierte und dabei stets Gesicht zeigte. Dass die Kanzlerin nie mit Maske zu sehen war, fiel 537  Leitmedienredaktionen über zwölf Wochen hinweg nicht einmal auf - bis zu jenem Moment, indem Ariane Seifang das Rätsel in der Liveübertragung aus Meseberg zum Thema machte.

Und plötzlich ist es eins.  Die "Maskenfrage" (DPA) ist in der Welt, mit Mühe nur können die angeschlossenen Funkhäuser mit Merkels Antwort "Ich werde nicht verraten, wo ich einkaufen gehe" auf eine Art hausieren gehen, die leidlich verbirgt, dass die Kanzlerin keine Antwort gegeben hat.   Merkel sei bekannt für ihr "eindringliches Werben für den Mund-Nase-Schutz im Kampf gegen die Corona-Krise", analysiert die - spürbar überraschte - Danachrichtenagentur DPA. "Doch trägt die Kanzlerin selbst auch Maske?", fragt es.  Oder vermeide sie es etwa "ganz bewusst wie US-Präsident Donald Trump Fotos mit Maske, nur um ja kein Bild von Schwäche zu zeigen"?

Keinesfalls! Niemals! Ein purer Pandemie-Zufall! Findet Merkel. „Wenn ich die Abstandsregeln einhalte, brauche ich die Maske nicht aufzusetzen", sagt sie, "und wenn ich sie nicht einhalte und ich zum Beispiel einkaufen gehe, dann treffen wir uns nicht, offensichtlich“. Anderenfalls "hätten Sie mich auch schon mit Maske sehen können", schmunzelt sie Ariane Seifang an. "Ich verrate Ihnen aber nicht, wann ich wo einkaufen gehe“, setzt Merkel noch hinterher.

Kanzlerinitiative Klopapier


Im Deutschland des Jahres 2020, das sich noch kaum mehr erinnert an die Kanzlerinitiative Klopapier, reicht das. Damals im März, als Angela Merkel im Kampf gegen Hamsterer und Panikmacher für Fotografen einen bescheidenen Familieneinkauf in einem Berliner Supermarkt simulierte, hatte die ab morgen wieder mächtigste Frau Europas durchaus verraten, wo sie einkauft.

Heute verrät sie es nicht - und beides ist Staatspolitik, Weltdiplomatie, die hohe Kunst des selbstbestimmten Bildes, die Angela Merkel umso penibler beachtet, seit ein Schwächemoment wie der, der zum berühmten Flüchtlingsselfie mit Anas Modamani führte, ihr den Vorwurf einbrachte, sie lade die ganze Welt  nach Deutschland ein. Ein Maskenbild  der Kanzlerin, so sieht es die deutsche Rekordregierende, würde nun das gegenteil erreichen: Da draußen in der Welt, wo dank der emsigen Symbolpolitik der Bundesregierung viele überzeugt sind, Deutschland habe die Krise nahezu unbeschadet überstanden, könnten sorgsam gepflegte Mythen platzen: Deutschland verzeichnet bisher nur ein Drittel der Infektionen, die Russland zählt. Aber nahezu genau so viele Tote.

Gesicht zeigen


Maske tragen hieße, einen Ernst der Lage anerkennen, den niemand mehr gebrauchen kann. Deshalb nutzen Medien- und Polit-Deutschland wie von der Bundesregierung vorgeschrieben das von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) eigens für Corona geschaffene Kunstwort "Mund-Nase-Schutz", das harmloser klingt als Schutzmaske oder Seuchenschutz. deshalb hat Angela Merkel beschlossen, sich nie und nirgendwo mit Maske zu zeigen.

Denn jetzt ist es Zeit, Europa wiederaufzubauen, es muss in die Hände gespuckt werden - und da ist auch eine Formalmaske nur hinderlich. Deshalb meidet Angela Merkel Situationen, die dazu führen könnten, dass von ihr Fotos mit "Alltagsmaske" (BWHF) verbreitet werden: Merkel führt aus der Etappe, sie pressekonferenz und podcastet und wer die Farbe ihrer Blazer zu lesen weiß,  kann die Botschaft leicht entschlüsseln. Seit die Corona-App, eine Art Formalmaske für das Smartphone, erschien, trägt sie gelegentlich grün, die Farbe der Hoffnung.

Die ewige Schere: Arme Krisengewinner, reiche Profiteure

Die Schere zwischen Arm und Reich, sie klafft medial immer weiter auseinander. Auch Corona konnte daran nichts ändern.

Weltweit fluten Staaten ihre Märkte mit Geld, um die Bevölkerung nach dem Lockdown bei Laune zu halten. Dänemark schenkt jedem Bürger 1200 Euro, die USA haben Helikoptergeld von 600 Dollar pro Woche über Arbeitslosen abgeworfen, Deutschland kündigte 300 Extra-Euro Kindergeld für alle an, die sich Corona nicht leisten können und die EU-Länder des von der Krise wie immer am härtesten betroffenen Südens erhoffen sich aus dem großen digitalgrünen Wiederaufbauprogramm von EU-Chefin Ursula von der Leyen einen warmen Regen an Zuschüssen.

Dadurch werden besonders die Armen überall zu Krisengewinnern. Während Aktionäre seit März Milliarden verloren und viele Selbständige immer noch ohne Aufträge und Einkommen dastehen, sind etwa in Deutschland Hartz-4-Empfänger problemlos durch die Zeit der Einschränkungen gekommen. Die Stütze floss weiter, die Miete wurde bezahlt - die vom Soziologe Ulrich Beck beschriebene „Risikogesellschaft“ stellte sich als Einbahnstraße heraus: Auf der einen Seite der Seite der Schere zwischen Arm und Reich war das Risiko, Einkommen, Ersparnisse und Lebensqualität zu verlieren, gleich Null. Auf der anderen Seite hingegen bedeutete das wochenlange Verbot für unternehmerisches Handeln ohne Ausweichmöglichkeit eine Vollbelastung mit  allen Katastrophenfolgen.

Arme Krisengewinner


Ein Zustand, den eigentlich gerade die Solidargemeinschaft ausschließen soll. Eine  Risikogesellschaft will die permanente Ungewissheit angesichts einer unbekannten Zukunft minimieren, indem sie die Unsicherheit durch Verteilung in kalkulierbare Risiken verwandelt. Im Fall von Corona aber gelang das nicht. Zwar waren es vor allem Zweifler an naturwissenschaftlichen Fakten, die vom Virus überdurchschnittlich häufig befallen wurden. Doch in der Auslaufrille der akuten Pandemiephase zeigt sich jetzt, dass auch die wirtschaftlich Aktive, die investierenden und unternehmerisch Bereitwilligen viel härter getroffen wurden als Beamte, Staatsangestellte und Empfänger staatlich garantierter Leistungen wie Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Pension oder Rente.

Selbst eine breitangelegte Medienkampagne, die für die ärmsten der Armen als Hauptopfergruppe von Corona wirbt, vermag nicht zu erklären, wie die krisenbedingten Wohlstandsverluste in den höheren Einkommens- und Vermögensschichten bei gleichbleibender Einkommenssituation in den unteren Bereichen zu einem weiteren Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich  führen konnte. Allein an den Weltbörsen hatten Gutsituierte, Wohlhabende und Reiche zwischen März und April nahezu 20 Billionen Euro Verlust gemacht - das entspricht immerhin einer Größenordnung von 13 EU-Wiederaufbauprogrammen.  Dennoch ist das Bemühen erkennbar, eine Erzählung zu etablieren, wonach  Covid-19 "Menschen, die ohnehin benachteiligt sind" (Tagesspiegel) noch weiter in Armut und "Abgehängtheit" (Neues Deutschland) getrieben habe.

Reiche Profiteure


Nur wenige Tatsachen der Lebenswirklichkeit sind allerdings so genau zu kalkulieren wie die von staatlichen Rettungs- und Stützungsprogrammen ausgelösen Phänome, die Populisten und Lobbyisten so gern wegdeuten würden. Wie vor zehn Jahren im Zuge der Finanzkrise teils sich die Risikogesellschaft in zwei Gruppen: Die eine trägt gesellschaftliche Risiken, indem sie sie in Form von Job-, Sicherheits- oder Vermögensverlusten hinzunehmen hat, wenn es zu Krisensituationen kommt, sie wird aber jeweils in der Folge für diese Risikoübernahme belohnt, indem - zumindest bisher - die folgende Erholung die Verluste mehr als ausgleicht.

Die andere Gruppe hingegen ist im Krisenfall kaum betroffen, weil sie direkt von staatlichen Alimenten ausgehalten wird. Sie teilt sich jedoch noch einmal ins sich in reine Leistungsempfänger, die von der nachfolgenden Erholung nach einem Einbruch nicht profitieren. Und den Angestellten des Staates, der Länder und Gemeinden, die das Beste beider Welten mitnehmen: Die risikolose Sicherheit, die nur der Staat geben kann, Aber auch den Wohlstand, den sich Selbständige, Unternehmer und Leistungserbringer in der freien Wirtschaft nur durch Risikobereitschaft erkaufen können.

Lokale Katastrophen werden so zu Momenten, in denen die Schere zwischen Arm und Reich ein Stück zusammenschnappt. In denen aber auch schon die Ankündigung des nächsten Auseinanderklaffens zu hören ist:Die gewaltigen staatlichen Hilfsprogramme, die größten, die jemals irgendwo ausgerufen wurden, verlagern die Kosten der Katastrophe ein weiteres Mal nur scheinbar auf alle. Doch wer keine Steuern zahlt, trägt sie nicht mit, wer keine Einkommenseinbußen hatte, profitiert, ohne einen Schaden gehabt zu haben. Und wer Aktien besitzt, sitzt am längeren Hebel: All das neue Geld, das die Geldfabriken der EU ausspucken wie ein Schnellfeuergewehr Geschosse,  muss schließlich irgendwohin.

Aus der Geldfabrik  aufs Konto


Über einige Stationen wird es wie schon nach der Finanzkrise in den Vermögen landen, in Aktienpreisen und in Immobilienwerten vor allem. Eine Inflation, die der kleine Mann nicht mitbekommt, außer, er denkt darüber nach, weshalb sich sein Großvater seinerzeit noch ein Häuschen bauen konnte, obwohl er nur Hilfsarbeiter war und seine Frau daheim auf die Kinder aufpasste, er selbst aber heute selbst zusammen mit seiner Herzensdame Mühe hat, sich das Gleiche zu leisten.
Der Versuch, die wirtschaftlichen Schäden der Pandemie in einer Geldflut zu ertränken, wie es Thomas Mayer in der "Welt" nennt, führt zu einer weiteren Runde der Überwälzung der Kosten der Katastrophe von den Nicht-Besitzenden zu den Besitzenden.

Denn "das zur Vermeidung von Einkommensausfällen im Lockdown und Wiederbelebung der Wirtschaft geschaffene Geld hilft zwar der Wirtschaft, treibt aber weit stärker die Vermögenspreise", schreibt Mayer das Paradoxon auf die Spitze: Wie nach der Finanzkrise, die vor allem die Menschen traf, die Vermögen hatten, weil sie Teile davon vernichtete, denselben aber im Nachhinein große Vermögenszuwächse bescherte, sind auch bei der Seuche die Vermögenden die zweifach Hauptbetroffenen:  Sie hatten die Verluste, sie zahlen für die Rettung und sie werden von dieser Rettung am stärksten profitieren.

Montag, 29. Juni 2020

Zitate zur Zeit: Klickbait außer Kontrolle

Die Taz möchte reden - und stellt den Geständnistext unter eine Überschrift, die bewusst an Fassbinders antisemitisches Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" erinnert.
"Mit einer Biografie als schwuler, urbaner Migrant lässt sich auf den Aufmerksamkeitsmärkten mehr Kapital generieren als mit einem Dasein als Normalo in Eisenhüttenstadt."


Stefan Reinecke bestätigt in der Taz, dass ein journalistisches Klickbait-Konzept gelegentlich außer Kontrolle gerät

Bläh-Bundestag: Hohes Haus mit halber Kraft

Eigentlich ganz einfach: Dank der Corona-Regeln war der Bundestag plötzlich nur noch halb so groß.

Es geht doch! Seit Jahren beteuerten alle Parteien, den Bundestag verkleinern zu wollen, um damit endlich wieder zu einem verfassungsmäßigen Wahlrecht zu kommen. Das Bundesverfassungsgericht hatte vor nunmehr acht Jahren genau das gefordert, zweimal wurde seitdem nach Regeln gewählt, die den Bundestag zwar immer größer machten, ihn  aber verfassungsrechtlich auf wackligen Füßen stehen lassen. Viel wurde versprochen. Viele Bundestagspräsidenten waren optimistisch. 14 Monate vor der nächsten Bundestagswahl aber schien eine Einigung kaum mehr möglich, denn nun endlich wird die Zeit knapp und eine Wahlrechtsreform könnte mit diesem Argument ein weiteres Mal verschoben werden.

Allerdings geschah dann dieses Corona-Wunder, kaum beachtet, obwohl im Parlamentsfernsehen live ausgestrahlt. Der Bundestag, nach der chinesischen Volkskammer weltweit zweitgrößten Parlaments und zugleich größte demokratische Volksvertretung globusweit, tagte pflichtgemäß. Aber in verringerter Stärke.  Obwohl dem 19. Deutschen Bundestag 709 Abgeordnete angehören - fast 80 mehr als dem letzten und 111 mehr eigentlich vorgesehen - nahmen an den letzten Sitzungen nur knapp halb so viele Parlamentarier teil. 

Jeder zweite Sitz blieb frei - doch die Einigung auf eine Wahlrechtsänderung, die eine weitere Vergrößerung des Bundestags verhindern soll, scheint nunmehr verzichtbar: Statt das Wahlrecht mit seinen undurchschaubaren  Ausgleichsmechanismen von Überhang- und Ausgleichsmandaten aufwendig zu ändern, um einen weiteren Anstieg der Zahl der Abgeordneten auf bis zu 850 zu verhindern, ließe sich der nächste Bundestag deutlich verkleinern, wenn sich die Parteien auf grundsätzliche Corona-Regeln einigen.

Jeder zweite gewählte Volksvertreter bleibt zu Hause und wird adäquat zu den Regeln für den einstweiligen Ruhestand im öffentlichen Dienst bezahlt. Der Staat sparte dadurch zwar nicht die vollen Diäten von von rund 120.000 Euro im Jahr, aber immerhin die Aufwendungen für Büroausstattung, teure Bahnfahrkarten, Flüge, Mieten für Abgeordnetenbüros und Mitarbeiter.

Da in Fernseh-Talkshows ohnehin stets nur eine Auswahl von etwa 37 Abgeordnetseienden auftritt, könnte diese Lösung den gordischen Knoten durchschlagen, der die Parteien  seit nahezu einem Jahrzehnt daran hindert, sich auf eine Verkleinerung des Parlament zu einigen. Bisher war das an der Angst aller Beteiligten gescheitert, durch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neuregelung selbst Mandate zu verlieren. Deshalb hatte die SPD zuletzt  Garantiezahl  von 690 Abgeordneten als gesetzliche Festlegung gefordert. Parteien wie die CDU, die noch direkt gewählte Abgeordnete in ihren Reihen haben, hätten danach verfassungswidrig auf Direktmandate verzichten sollen. Die SPD hoffte einerseits, mit einer solchen Lösung bis zu einer erneuten Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht in etwa sieben Jahren auf der sicheren Seite zu sein. Andererseits ist der Parteiführung klar, dass CDU und CSU einer solchen Reform nie zustimmen werden.

In der sich daraus ergebenden gegenseitigen Blockierung haben sich SPD und Union seit vielen Jahren bequem eingerichtet. Auch die drei Oppositionsparteien können mit dieser Blockade so gut leben, dass sie mit einem Vorschlag zur Verringerung der Zahl der Wahlkreise von 299 auf nur noch 250 direkt auf die Menge der Direktmandate zielten, die CDU, CSU und SPD treffen würde, kaum aber Grüne, AfD, FDP und Linke.  Eine „offenkundige Obstruktion“, wie die FDP zugegeben hat, und zwar aller Parteien gegen alle zum Nutzen aller. Bis nach der Sommerpause muss diese Strategie noch halten, danach wird die Zeit zu gering sein, um noch eine Wahlrechtsänderung ins Werk zu setzen und auch der nächste Bundestag kann nach nicht grundgesetzkonformen Regeln gewählt werden.

Sonntag, 28. Juni 2020

Das Klima kippt: Hitzerekorde im Fernsehen

Dürredeutschland ist mittlerweile eine einzige Wüstenei geworden.

Hat es das überhaupt schon einmal gegeben? Ende Juni, 28 Grad, gelegentlich Regen und dann wieder Sonne, die gnadenlos vom Firmament herunterbrennt. Ein neuer Klimasommer! "Darbende Natur, schwitzende Bürger: Europa hatte den heißesten Sommer seit Menschengedenken. Straßendecken platzten, Börsenkurse sanken, Walen im Zoo drohte Sonnenbrand", beschreibt das Nachrichtenmagazin "Spiegel" die neueste Spiraldrehung einer angekündigten Klimakatastrophe. Das war vor 44 Jahren, als Sommer noch so warm waren, dass Schlagersänger sich "Sonnenschein von Juni bis September" herbeibarmten.

Heute ist alles viel schlimmer, und Deutschland ist auch dieses Mal die weltweit am schlimmsten betroffene Region. Gab der Deutsche Wetterdienst im vergangenen Jahr noch 185.000 Unwetterwarnungen heraus, also kaum mehr als 500 pro Tag, könnte die Warnungsfrequenz im Coronajahr 2020 weiter steigen. Noch zeigen die Zahlen ein unverständliches Desinteresse von Bürgerinnen und Bürgenden gegenüber der selbst für diese Jahreszeit so ungewöhnlichen "Hitzewelle" (DPA). Doch die Techniker sind informiert, Hitzehilfe ist unterwegs.

Medial jagt eine Hitzewelle die nächste, selbst tagelanger Regen reicht nicht mehr, die dauernde Dürre zu beenden. Das ZDF zeigt Deutschland inzwischen schon als eine einzige Wüstenei: Es gibt Regionen, die ungewöhnlich trocken sind. Regionen, die unter moderater, schwerer und extremer Dürre leiden Und es gibt den großen Rest, den die Dürre sogar "außergewöhnlich" (ZDF) trifft.


Früher, in der alten Zeit, als es nur Radio gab und drei Fernsehkanäle, die nach dem Dunkelwerden nur noch den Sendeschluss brachten, wusste man nie, wie das Wetter werden wird. Extremwetter wurden nach halbvergessenen Bauernregeln vorhergeraten, nicht nach streng wissenschaftlichen Algorhithmen, es fehlte an milliardenteuren Satelliten und Expertenberechnungen und sogar an modernen Wetterrechnern, die zigdutzend Terraflops pro Nanosekunde nutzen, um den fehlenden Regen vorherzusagen, der nachts fällt, wenn es niemand sieht.

Der Klimawandel ist real. So unfassbar heiß war es in Sibirien noch nie, auch die Arktis klagt über viel zu höchste Temperaturen. Auch in Deutschland fehlen nur noch zehn Grad, um die Rekorde vom vergangenen Jahr einzustellen. Jörg Kachelmann warnt bereits vor einer „Killerkatastrophenhitze mit 40 Grad“ in den kommenden Tagen.

Das wären 28 Grad mehr als die Durchschnittstemperatur vom Mai und doppelt so hoch wie das langjährige Monatsmittel, das allerdings Tages- und Nachttemperaturen fortlaufend umfasst. Der beschlossene Braunkohleausstieg zeigt offenbar keinerlei Wirkung, auch der vor vier Jahren vereinbarte Klimavertrag von Paris vermochte nicht, die verhängnisvolle Entwicklung zu bremsen. Das "Klimasoll" (DWD) ist in Gefahr, der Juli droht, zu kalt zu werden, obwohl das Frühjahr schon zu trocken war, während der Februar viel zu nass gewesen ist.

Linke gegen Aufrüstung: Märchenstunde in der Propagandabaracke

Mit frei erfundenen Fake News versucht die als Linkspartei auftretende SED, Stimmung gegen CDU zu machen.

Hass schüren, die Gesellschaft spalten, Fake News gezielt einsetzen, um das Klima im Lande anzuheizen- auch zum 75. Geburtstag der Christlich Demokratischen Union hat die Linke keinen Zweifel daran gelassen, dass selbst eine globale Seuche den Klassenkampf aus ihrer Sicht nicht beendet hat. Ganz im Gegenteil: Mit einem ganzen Blumenstrauß aus verächtlichmachenden Imitationen offizieller CDU-Plakate ging die derzeit unter dem Namen "Die Linke" auftretende aktuelle Inkarnation der früheren DDR-Staatspartei SED in den Nahkampf. Ziel dabei: Das längst verteidigungsmüde Deutschland der großen Koalition der früheren Volksparteien als militaristisches Regime von aufrüstungsbegeisterten Militaristen darzustellen.

Ein Unterfangen, das schon angesichts des Spitzenpersonals an den Schaltstellen der gerontokratischen früheren Militärmacht in der Mitte Europas so erfolgversprechend wirkt wie der Versuch, aus gebrauchten Teilen von Katja Kipping, Klaus Ernst, Mohamed Ali und Bernd Riexinger den jungen Gregor Gysi nachbauen zu wollen. Noch verzweifelter wird das Unternehmen, das den seit Jahren anhaltenden Niedergang der Linkspartei stoppen soll, aber durch die Geschichte, die die selbsternannte oberste deutsche Antikriegspartei mit sich schleppt: Als die Linke noch SED hieß und die DDR nach der wahren Lehre des wissenschaftlichen Marxismus-Leninimus regierte, lagen die Militärausgaben des DDR-Staatshaushaltes nicht bei 1,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes wie derzeit und auch keines von 1,5 oder 2,0 Prozent, wie es die Bundesregierung den Nato-Partnern im Jahr 2014 versprochen hatte.

Nein, die DDR gab mehr als doppelt so viel für Rüstung aus: Zwischen 1980 und 1989 lag die Ausgaben der DDR für Militär und Rüstungsgüter durchschnittlich bei 14,6 Milliarden Mark. Das entsprach einem Durchschnittswert von 6,89 Prozent des DDR-Staatshaushaltes und einem durchschnittlichen Anteil von 4,91 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Funktionärsrepublik. Die DDR gab damit mehr Geld für ihr Militär aus als die USA, die heute auf 3,3 Prozent ihrer BIP kommen.

Pro Kopf zahlte jeder DDR-Bürger pro Jahr 876,80 Mark, um die NVA kampffähig zu halten, neue Waffen anzuschaffen und das 500.000-Mann-Heer zu unterhalten, das die Sowjetunion "Westgruppe" nannte. 876 Mark entsprachen in der DDR einem dem Gehalt eines kleinen Angestellten oder eines einfachen Arbeiters - die derzeitigen deutschen Rüstungsausgaben in Höhe von 513 Euro liegen zwar umgerechnet numerisch höher, entsprechen aber nur einem Siebtel des durchschnittlichen Bruttomonatsgehaltes, so dass die Militärausgaben der Bundesrepublik heute faktisch nur noch bei einem Siebter der Beträge liegen, die die Linke ihrem Staatsvolk bis 1989 zu Rüstungszwecken abpresste.

Fakten, die die Linke nicht hindern, mit dem Slogan "Aufrüstung, mehr Aufrüstung, noch mehr Aufrüstung" Stimmung gegen angeblich "klingelnde Kassen" bei Rüstungskonzernen zu machen. Dabei sieht bei den deutschen Vertretern dieser Branche düster aus: Die Gewinne bei Rheinmetall, dem hierzulande größten, im Weltmaßstab aber kaum beachtenswerter Branchenvertreter, liegen heute nicht höher als vor zehn Jahren. Heckler&Koch, Hersteller des legendären Friedensgewehrs G36, schafft es immer mal wieder, der drohenden Pleite zu entgehen. Jenoptik und EADS geht es etwas besser, aber  von klingelnden Kassen und sprudelnden Gewinnen träumen sie in Jena und Toulouse genauso wie beim Panzerhersteller Krauss-Maffei Wegmann in München, der in guten Jahren eine Umsatzrendite erwirtschaftet, die unter der einer mobilen Eisdiele liegt.

Samstag, 27. Juni 2020

Zitate zur Zeit: Der Preis für den ganzen Scheiß

Glauben Sie ehrlich, dass einer von denen in der DFL sich eine einzige Sekunde Gedanken macht, was bei uns in den Köpfen vorgeht? Das ist denen alles scheißegal! Wir sind am Ende die, die den Preis bezahlen für den ganzen Scheiß. Diese Leute sitzen in ihren 5000 Euro teuren Bürostühlen und entscheiden über unsere Köpfe hinweg.

Chris Löwe von der SG Dynamo Dresden spricht über die Folgen des Funktionärsfußballs

Schwarze Polizei-Kolumnistin: Hautfarbe als Willensakt

Hengameh Yaghoobifarah sieht aus wie weiß, ist aber nun durch externe Zuschreibung Ehrenschwarz.

Der Polizeitext der Taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah hätte den Bundesinnenminister beinahe ein weiteres Mal seinen  sicher geglaubten Posten gekostet. Horst Seehofer, der Verfassungsminister aus Bayern, griff nach allgemeiner Lesart in die Pressefreiheit ein, als ankündigte, Yaghoobifarah wegen vermuteter Volksverhetzung anzeigen zu wollen. Wären nicht die deutschen Edelfedern, Komödianten und Rettungsflottenkapitäne wie ein Mensch aufgestanden, um das Allerschlimmste zu verhüten, hätte irgendein Staatsanwalt Seehofers Anzeige inzwischen wohl schon zwischen Aktendeckel geheftet, um abzuwarten, bis die Zeit reif ist, die Vorprüfung vermuteter Strafbarkeit mit einem Negativattest zu beenden.

So aber dient der Fall Yaghoobifarah weiterer Spaltung, gezielter Hassverbreitung und dem guten Zweck, Verfassungsorgane ungestraft verleumden zu dürfen. Prominente mit intaktem Untertanengeist wie er aus Heinrich Manns Meisterwerk "Der Untertan" bekannt ist, verabschiedeten eine Staatsratseingabe an Angela Merkel. Die Kanzlerin, in deren Vermögen es liegt, offene Grenzen nicht zu öffnen und geschlossene nicht geschlossen zu haben, möge Seehofers Vernichtugnsschlag gegen die freie Presse stoppen, appellierten Jan Böhmermann, Sibylle Berg, Deniz Yücel und Margarete Stokowski stilecht tief gebückt an die Gottkanzlerin, die letzte Instanz im Land, der echte Demokraten noch zutrauen, nach gusto zu entscheiden, was richtig und was falsch ist.

Tue Merkel das nicht, werde man kollektiv vom Glauben an die Demokratie abfallen, drohten der Spaßmacher, die Exilschweizerin, der Doppelheimatler und die Berufsfeministin. Die Hamburger Wochenschrift "Die Zeit" übersetzte die Botschaft so: "Wir können nicht ermessen, welche Folgen Seehofers Repressionsversuch auf Journalistinnen und Journalisten hat, insbesondere auf jene, die aus der Perspektive von Minderheiten über Politik, Polizei, die sogenannte 'Mitte der Gesellschaft' schreiben." Das Wort "Rassismus", das zur Zeit eigentlich jedem Text hervorragend steht, kommt allerdings nicht vor.

Ein ernstes Versäumnis, das die frühere Flüchtlingsretterin Carola Rackete, inzwischen zur klimaschützenden Menschenrechtlerin umgeschult, jetzt endlich nachgearbeitet hat. "Wir machen mal eben alle die Augen zu und stellen uns ein Land vor, in dem das Innenministerium die Chefredaktion einer Zeitung einbestellt, weil ihnen die kritische Kolumne einer Schwarzen Journalistin nicht passt", schreibt sie unter korrekter Berücksichtigung der Regel, dass schwarze Menschen keine schwarzen Menschen sind, sondern "Schwarze Menschen".

Nun ist Hengameh Yaghoobifarah, Tochter iranischer Eltern, für das unbefangen schauende Auge nicht auf den ersten Blick sichtlich schwarz und auch kein bisschen Schwarz, wo immer auch der Unterschied genau liegen möge. Aber in einem "Land mit einem strukturellen Rassismusproblem" reichen schwarzes Haar und ein schwarzer Pullover, um durch externe Zuschreibung schwarz beziehungsweise Schwarz zu werden. Hengameh Yaghoobifarah gelang es durch Carola Racketes beherztes Aufdecken der für die Mehrheitsgesellschaft weißer Strukturrassisten unsichtbaren inneren Schwärze.

Ein kleiner Tweet gegen die Irrlehre der angeborenen Rasse, ein großer Sprung gegen den berüchtigten Rasse-Paragraphen des Grundgesetzes. Und der erste Fall weltweit - bisher war einzig der des Molly-Models Martina Big bekanntgeworden, einer mutigen jungen Frau aus dem tiefen Westen Deutschlands, dass sich durch bloße Willenkraft aus ihrer früheren weiß-rassistischen Impersonierung als Martina Adam lösen konnte und sich so in die unterdrückte Schwarze Frau Malaika Kubwa verwandelt hat.

Freitag, 26. Juni 2020

Euro-Münze: Verdünntes Silber für die Maus

Der Euro startete als Elefant, endet jetzt aber als Maus: Der innere Wert reicht nicht einmal mehr, um Zehn-Euro-Münzen herstellen zu können.

Früher kamen Könige und Kaiser, Forscher und Religionsreformatoren auf Geldmünzen, um ihre großen Werke nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Auch herausragende Baudenkmale fanden sich auf Geldstücken, zumal auf den Silbermünzen, die der Bundesfinanzminister als kleines Nebengeschäft zum Haushalt herausgibt. Doch Zeiten ändern sich und so ist es jetzt "Die Sendung mit der Maus", die per Sondermünze in Silber geehrt wird - eine Erziehungssendung, die der Gemeinsinnfunk seit 1971 ausstrahlt - viele Jahre für ein Publikum, das heute in Bundesregierung und Bundestag sitzt und zumindest Teile seiner Ausbildung der frühkindlichen Ansprache durch die Maus-Redaktion verdankt.

Die Dankbarkeit der Mausfans kommt pünktlich zur Ankündigung einer Gebührenerhöhung, und sie kommt mit der Nachricht, dass es eine 20-Euro-Sondermünze sein werde, die die "Kinder-Bildungsarbeit" (Spiegel) der Maus-Macher ehren werde und diesmal nicht mit einer sogenannten "Gedenkmünze" ohne Geldwert. Sondern mit richtigem Geld. Auch das ist ein subtiles Signal, denn bis vor einigen Jahren waren deutsche Euro-Gedenkmünzen aus Silber stets 10-Euro-Münzen. Dann allerdings begannen die Euro-Rettungsprogramme der EU-Staaten und der EZB zu wirken und der Silberpreis galoppierte den Geschäftsinteressen des Finanzministeriums davon.

Die Bundesregierung reagierte wie mittelalterliche König und Kaiser, und beschloss im Jahr 2011 Silbermünzen nicht mehr wie bis dahin aus neun Teilen Silber und einem Teil Kupfer herzustellen, weil solche Münzen nun einen höheren Materialwert hatten als ihr aufgedruckter Geldwert betrug. Stattdessen wurde die Metallmischung verdünnt - deutsche Silbermünzen waren nun Light-Münzen aus nur noch sechs Teilen Silber und vier Teilen Kupfer.

Allerdings war auch das ein tanz auf dem Vulkan drohender Verluste. Der Puffer zwischen Materialwert und Münzwert betrug nur wenige Cent, schon kurz nach der Erfindung der Silberkupfermünze trat der erste Fall ein, in dem die die zehn Gramm Silber, die sich in einer zehn Euro Münze befanden, 10,51 Euro wert waren.

Ein Minusgeschäft, das zur Geburtsstunde der 20-Euro-Münze wurde: Die Neuerfindung aus dem Jahr 2016 besteht wieder aus der alten Mischung mit einem Silbergehalt von 92,5 Prozent und einem Kupferanteil von 7,5 Prozent. Da das Gewicht der 20-Euro-Münze aber nicht höher ist als das der früheren 10-Euro-Münzen, liegt der aufgeprägte Eurowert sicher oberhalb des Materialwertes, so dass der Finanzminister mit jeder für 20 Euro verkauften Münze einen komfortablen Gewinn erzielt. Derzeit sind das rein rechnerisch etwa elf Euro

Guter Rassismus für eine bessere Welt

Rassismus, verkleidet als Anti-Rassismus: In der CSU glaubt man fest daran, dass Nagelfeen so aussehen.

Menschen in Gruppen einteilen, sie dadurch voneinander entfernen, um schließlich problemlos über alle so entstandenen Gruppen herrschen zu können, das ist von alters her eine Spezialität, die nur wenige beherrschen. Stalin etwa, der früh zur Nationalitätenfrage Stellung nahm, legte stets großen Wert auf eine Weltsicht, die den Georgier, Stalin selbst war einer, in der innersowjetischen Rangliste direkt hinter dem Russen einordnete.

Die Turkvölker, die Juden, die Deutschstämmigen und die Balten dagegen, sie galten dem Weltrevolutionär als lästige und potenziell gefährliche Kantonisten, denen man schon vorbeugend eine gewisse Aufmerksamkeit widmen musste, um sie daran zu hindern, eine bessere Welt unmöglich zu machen.

Eine bessere Welt, die aus besserem Menschenmaterial gebaut werden muss, das sich ihre künftigen Herrscher aber meist erst einmal selbst backen müssen: Gruppen, wie man sie benötigt, um andere Gruppen pauschal abwerten und zurücksetzen zu können, entstehen leider Gottes oft nicht von selbst. Es braucht Einfallsreichtum und Regierungsinitiative, um sie quasi im Labor zu erzeugen.  #blacklivesmatter ist aktuell ein herausragendes Beispiel, denn black meint in diesem Zusammenhang keineswegs das deutsche Schwarz. Nein, darauf, dass sein Leben zählt, kann sich jeder berufen, der nicht weiß ist. Letztere jedoch dürfen dem kein #whitelivesmatters entgegenhalten, denn das wäre rassistisch.

Alls Farben sind bunt, manche aber bunter als andere. Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit haben längst auch ihren Weg in die bundesdeutschen Parteizentralen gefunden. So gab die "Junge Union" gerade erst mit einem Werbemotiv zur Kampagne "Laut gegen Rassismus" einen tiefen Einblick in ihre Vorstellungswelt: Zu sehen ist eine offenbar aus Bayern stammende Frau aus einer mutmaßlich noch nicht sehr, sehr lange hier lebenden Familie im mittleren Alter, die die Frage stellt, ob sie wohl in einem Nagelstudio oder in der CSU-Parteizentrale arbeite? Klarer Fall - wer ersteres tippe, heißt es dazu, müsse mal dringend seine "Denkmuster" überprüfen.

Denkmuster, die bei den Werbern der CSU so verbacken sind, dass denen nicht die Idee kam, dass draußen im Lande vielleicht gar nicht alle automatisch glauben, dass Frauen exotischer Herkunft in Deutschland als Nagelfee Karriere machen und sich gleichzeitig vorstellen, alle CSU-Mitarbeiterinnen sähen aus wie die frühere Lacklandrätin Gabriele Pauli. 

Was für ein Erschrecken, als nach der Veröffentlichung des Motivs klar wurde, dass der beabsichtigte Zweck, sich selbst als antirassistische Aktivistenvereinigung zu inszenieren, ebenso schiefging wie der Versuch der Taz-Aktivistin Hengameh Yaghoobifarah, die klassische Methode faschistischer  und stalinistischer Abwertung von Menschen zu Müll zu nutzen, um sich wenigstens in der eigenen Vorstellung für einen Moment den Traum von einer Welt ohne Fremde mit fremden Ansichten zu erfüllen.

Sie reißen das Denkmal Roosevelts ab, das Denkmal eines Rollstuhlfahrers, der Hitler besiegte. Sie reißen Denkmale von Winston Churchill ab, ohne den der Zweite Weltkrieg mit Sicherheit anders ausgegangen wäre. Sie wollen Kant ausradieren, Kolumbus vergessen machen und die Erinnerung an frühere Verfehlungen der Menschheit terminieren. Lenin hingegen, der im jungen Sowjetrussland  Kirchenschätze rauben, Pastoren erschießen und Hunderttausende verhungern ließ, was er mit dem Satz, "der Bauer muss ein wenig Hunger leiden, um dadurch die Städte vor dem Verhungern zu bewahren" kommentierte, bekommt ein neues Denkmal. Aufgestellt von einer totalitären Sekte, die das enthemmte Gut- und Bessersein allüberall nutzt, um Geschichte nach eigenen Vorlieben umzuschreiben.

Mehr Selbstbetrug war nie, nie auch mehr Staunen darüber, dass der Besen, den man selbst gerufen hat, nun auf einmal wirklich ganz von selbst kehrt.

Donnerstag, 25. Juni 2020

HFC: Fußball wie am Flippertisch

Pascal Sohm trifft per Kopf, auch eine Seltenheit.

"Schnorre" nennen sie ihn, den neuen Trainer des Halleschen FC, der aussieht wie ein großer Junge und spricht, als sei Abstiegskampf eine Quelle steten Vergnügens. Seit "Schnorre" an die Saale kam, hat die vierte Hälfte der HFC-Saison begonnen: War die erste noch geprägt von einem sportlichen Rekordlauf, der aussah, als könne er nur mit einem magischen Home Run in Liga 2 enden, bestand der zweite aus einem selbst in Halle noch nie gesehenen Absturz vom Tabellenführer bis in die Abstiegsränge. Teil 3 war dann das Missverständnis mit Kurzzeittrainer Ismail Atalan, ein irritierendes Interim, in dem alles noch schlimmer wurde, obwohl es ohnehin schlimmer war als überhaupt möglich.

Dann kam Florian "Schnorre" Schnorrenberg, ein hagerer Kerl, von dem noch zuvor irgendjemand gehört hatte. Er legte die Hand auf. Oder sprach Gebete. Und er leitete tatsächlich eine Wende ein, wie Egon Krenz es genannt hätte. Das lecke Schiff HFC fuhr wieder, die Stürmer trafen und einmal, ein einziges Mal, blieb die Abwehr sogar so dicht, dass Torwart Kai Eisele nicht noch einmal hinter sich greifen musste.

Das Wunder von der Saale machte Hoffnung, dass der Klassenerhalt doch noch gelingen kann - eine Hoffnung, die nach der Begegnung mit dem alten und bereits abgestiegenen Rivalen aus Jena nun neues Futter erhalten hat. Zahlen lügen nicht: Der HFC steht jetzt auf Platz 6 der Formtabelle der Liga, vor ihm nur Aufstiegskandidaten und Vereine, die sich dafür halten. Trotz des späten, unverdienten und nur durch eine miserable Schiedsrichterleistung ermöglichten 1:1 gegen Magdeburg und die Auswärtsniederlage der B-Elf bei 1860 Mölders ist der HFC aus dem Loch geklettert, in das ihn Werweißwasauchimmer im Spätherbst vergangenen Jahres gestürzt hatte.

Mehr noch. Schnorrenbergs Ausbeute liegt bei drei Siegen, einem Remis und einer Niederlage aus fünf Spielen mit 13:8 Toren. Das macht zehn von 15 Punkten - ein Punkteschnitt von 2, der jede Mannschaft zum sicheren Aufsteiger machen würde. Zum Vergleich:  Trainervorgänger Atalan hatte es auf ein Unentschieden und vier Niederlagen gebracht, mit 4 zu 12 Toren und einem Punkteschnitt von 0,2 - das liegt sogar nur bei einem Fünftel dessen, was Jena zustandegebracht hat, der erste Absteiger, der feststand.

Boyd macht das 5:3. Aufatmen in Halle.
So viele Rätsel immer noch, so viele Fragen. Und das Spiel gegen die frühere Oberliga-Konkurrenz von den "Kernbergen" (Waldefried Forkefeld) beantwortet im Grunde genommen nicht eine. Denn der HFC in Bestbesetzung, der im menschenleeren Erdgas-Sportpark antritt, gleicht über weite Strecken der furchtsamen Truppe aus dem Atalan-Interim. Es gibt wenig Zuordnung und es ist kein Plan zu sehen, außer vielleicht der, dass Julian Guttau schnell außen durchlaufen und nach innen auf Terrence Boyd flanken könnte. Davon abgesehen sollen es die langen Bälle von Sebastian Mai richten, scharf geschlagen, sehr gut gezielt. Doch jeder einzelne Versuch prallt an Jenas Abwehr ab wie an einer Gummiwand.

Es braucht deshalb eine der neuen, gerade noch im rechten Moment erfundenen Waffen des Schnorre-HFC, um das Spiel in die richtige, in die rettende Richtung zu lenken. Ecke Toni Lindenhahn, Kopfball Pascal Sohm. 1:0 in der 8. Minute, ein Standardtor, wiedermal - bis zum Amtsantritt des Neuen auf der HFC-Bank war das bei Halle so selten wie eine Klatschmohnblüte auf dem Rasen des früheren Wabbel-Stadions.

Statt aber nun mal langsam ins Spiel zu finden, hühnerhaufen die Roten weiter, als wüssten sie noch gar nicht, dass sie wieder der Aufstiegs-HFC sind, nicht her der Abstiegs-HFC. Nur fünf Minuten nach der Führung, fünf Minuten, in denen nur der FC Carl-Zeiss spielt, schlägt es bei Eisele ein. 1:1.

Die Köpfe runter, die Stimmung mit. Jena spielt weiter, schön über die Außen. Schnorres Rettungskommando ist damit beschäftigt, nicht die Übersicht zu verlieren. Und verliert sie dann doch: Daniele Gabriele bekommt einen Ball von rechts serviert, als er mutterseelenallein im Strafraum steht und so genug Platz hat, zu einem Seitfallzieher der sehenswerteren Art anzusetzen. Peng. 2:1 für den Absteiger.

Zum Glück für die jetzt sichtlich angeknockten Gastgeber betreibt dessen Abwehr eine noch größere Schießbude als der HFC. Drei Minuten und einen weiteren Sohm-Treffer braucht es, um den Rückstand zu egalisieren und das Ziel, drei lebenswichtige Punkte gegen den Abstieg zu holen, wenigstens im Blick zu behalten. Sohm diesmal per Fuß. Der Schnorre-HFC lebt wieder, aber es ist beileibe kein schönes Leben.

Besser wird es, als Julian Guttau, seit Wochen einer der Besten in Rot und Weiß, fünf Minuten nach Wiederanpfiff zu einer Ecke antritt, diesmal von links. Kommt so, wie HFC-Ecken jahrelang nicht kamen. Erwischt Kapitän Mai voll am Kopf, weil der ganz allein in die Luft gestiegen ist. Und prallt von dort unaufhaltsam zum 3:2 in die Maschen des Jenaer Kastens.

Das muss es nun gewesen sein. Souveränität und Gelassenheit, eine klare Linie und ein bisschen Siegesgewissheit, sie müssen sich doch nach diesem Spielverlauf einstellen. Aber nein, tun sie nicht. Jena lässt den Ball laufen, Halle läuft hinterher. Und nach knapp zehn Minuten steht es auf einmal 3:3, nachdem Aytac Sulu nach einer Ecke in Mai-Manier eingeköpft hat.

Ein Fußballspiel wie am Flipperautomaten. Wild springt der Ball, wild flackert die Anzeigetafel. Eine halbe Stunde ist nur noch zu spielen und Schnorres Männer scheinen der Verzweiflung nahe. Abgesehen von Guttaus Vorstößen auf der linken Seite ist immer noch keine Medizin in Sicht, die gegen eine Jenaer Mannschaft helfen könnte, die spielt, als machte ihr es ihr ziemlichen Spaß, Hale Abstiegsschmerzen zu  bereiten.

Zum Glück aber ist da ja noch Terrence Boyd, bis dahin weitgehend abgemeldet und mit erstaunlichen Schwierigkeiten, sich bei der Ballannahme zu behaupten. Doch in der 63. Minute wittert der selbsternannte "Zyklop" eine Chance, wo keine ist: Sulu hüpft der Ball vom Fuß, Boyd schnappt ihn sich, umläuft Jenas Keeper Niemann und trifft zur erlösenden erneuten Führung. Eine Anzahlung auf drei Punkte, die erst in der 82. Minute sicher sind, als Guttau noch mal außen durchläuft und nach innen passt, wo Boyd nicht einmal mehr schießen, sondern den Ball nur nur in Richtung Tor umlenken muss.

Dann endlich ist es vorüber, ein wichtiger, vielleicht überlebenswichtiger Sieg im Kasten, der drei der sechs Punkte bringt, die der Hallesche FC noch brauchen wird, um nicht in der kommenden Saison wieder gegen Jena spielen zu müssen, eine Elf, die seit Jahrzehnten einer der Angstgegner für Halle ist. Der letzte Heimsieg gegen die Thüringer vor diesem 5:3 datierte immerhin aus dem April 1991, als eine Mannschaft mit Torwart Jens Adler, Dirk Wüllbier und Lutz Schülbe mit 2:0 gewann.

Eurobonds: Modell Subprime

Kredite für alle, auch für die, die es sich nicht leisten können. Das ist jetzt auch das Motto der EU.
Als Bill Clinton, der Zigarrenpräsident und damalige Kopf des besseren Amerika, Ende der 90er Jahre Gutes tat, dachte er sich nichts Böses dabei. Clinton wollte helfen, er wollte dafür sorgen, dass auch die, die sich ein eigenes Haus nicht leisten können, weil sie viel zu wenig Geld verdienen, eines besitzen dürfen. Clinton verfügte also einfach, dass der staatliche Immobilienfinanzierer Fannie Mae Kredite auch an Schuldner vergeben dürfe, die nicht ausreichend waren. Die New York Times lobte, wie gut das wirkte: Fannie Mae reduzierte die Vorschriften zu Sicherheiten und Rückzahlungsauflagen.

Und es begannen goldene Zeiten für alle. Von nun an funktionierte die Welt ganz einfach: Immer mehr Menschen in Amerika konnten sich Immobilienbesitz leisten. Immer mehr Häuser wurden verkauft. Die Preise stiegen aufgrund der wachsenden Nachfrage immer höher. Bei steigenden Preisen mussten die Banken überhaupt keine Sorge um die Rückzahlung ausgereichter Kredite haben, denn entweder zahlten die Schuldner, oder das betreffende Objekt fiel an die Bank. Die es zu noch höheren Preisen verkaufen konnte, um den ausgefallenen Kredit zu decken.

Den Rest an Risiko sicherten gewiefte Investmentbanker durch ein Prinzip ab, das sie Bündelung nannten. Die Zahlungsverpflichtungen von ein paar sicheren Schuldnern wurden mit ein paar anderen von recht verlässlichen zusammengeschnallt und anschließend mit Forderungen zusammengemixt, deren Rückzahlung einigermaßen unsicher schien, weil die Kreditnehmer - siehe oben - eigentlich mangels ausreichend hoher Einkommen niemals große Kredite hätten aufnehmen dürfen.

Geradezu genial, dieses Prinzip Subprime. Einerseits bekamen nun alle Geld, andererseits hatten alle irgendwo das Gefühl, das Ganze sei eine absolut sichere Sache. Niemand musste zu hohe Zinsen zahlen, die Regierung freute sich über die vielen neuen Hauseigentümer und die Bauwirtschaft boomte, weil Menschen, die niemals auf die Idee gekommen wären, dass sie sich eines Tages eine eigene Wohnimmobilie leisten können könnten, auf einmal zu Bauherren wurden.

Ein Traum, den auch die EU träumt. Wie die berühmten Subprime-Kredite sollen auch die als "Euro-Bonds" oder "Corona-Bonds" oder - nächstes Mal vielleicht - "Digitalbonds" angepriesenen gemeinsamen Schulden der EU-Mitgliedsländer gute Schuldner und drohende Totalausfälle zusammenschnallen, auf dass für alle genug da sei. Deutschland bürgt mit seiner Leistungskraft für Italien, Österreich für Spanien und alle zusammen bürgen für Griechenland - das hält die Zinsen niedrig, zumindest für die Schuldner, die sonst so hohe zahlen müssten, dass sie gar keinen Kredit aufnehmen könnten.

Wie einst die US-Regierung mehr Kredite an Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen ermöglichen wollte, hofft die EU heute, dass gemeinsame Schulden die weitere Erhöhung der Schuldenlast erleichtern. Durch die Beteiligung seriöser Bürgen wird das Geld für die Staaten billiger, die es sich sonst nicht leisten könnten, noch mehr Kredite aufzunehmen. Euro-Bonds bündeln sichere und riskante Schulden in einem Paket, von dem die Gläubiger zuversichtlich annehmen, dass am Ende schon irgendwer zahlen wird, so lange Deutschland, Dänemark, die Niederlande, Schweden und Österreich an Bord sind.

Bis zur Finanzkrise von 2008 hat das bei den amerikanischen Subprime-Krediten ja auch ganz hervorragend geklappt.



Mittwoch, 24. Juni 2020

ze.tt: Erziehungsjournalismus am Ende

Zahllose Lesende werden die Kopf und Herz ansprechenden Texte der "Zeit"-Tochter ze.tt vermissen.

Erst traf es buzzfeed.de, dann folgte das Qualitätsportal bento und nun erreicht die Krise des Erziehungsjournalismus mit dem "Zeit"-Ableger ze.tt erneut ein führendes Organ der fortwährenden Weltverbesserung. "Wirtschaftliche Ausfälle" durch Corona haben das Online-Magazin der "Zeit" scheitern lassen - die Verlagsgruppe aus Hamburg schließt die Internetseite "für junge Zielgruppen" ("Zeit") und macht aus dem Journal für "Liebe & Sex", "Selbstfindung & Psyche" und "Feminismus & Körperkult" ab September als Ressort in den Hauptauftritt von Zeit Online.

Ein Rückschlag, der gerade die Jüngsten und Schwächsten in der Gesellschaft trifft. Nirgendwo sonst konnten sich Mädchen und Jungen, aber auch Angehörige aller anderen Geschlechter so entspannt über die Grundfragen unserer Zeit informieren. "Geld verdienen oder Welt verbessern – musst du dich entscheiden?", "Warum es keinen Rassismus gegen Weiße gibt" oder "Wie benutze ich eine Menstruationstasse" - ze.tt schrieb dort, wo das Lesen wehtut und gab nebenbei Tipps, wie auch junge Menschen ohne Erbschuld sich schnell und passgenau einfügen können in die Gesellschaft der EWrwachsenen mit ihren leeren Ritualen und verlogenen Beteuerungen. ze.tt gab "elf Tipps, wie du Schwarzen Menschen jetzt beistehen kannst, wenn du weiß bist" und befahl "diese fünf antirassistischen Bücher, Podcasts und Filme solltet ihr euch jetzt anschauen". Eigentlich hätte die anvisierte junge Generation darauf fliegen müssen.

Vom Reißbret einer Werbeagentur


Die aber versagte dem im Flüchtlingssommer 2015 gestarteten Projekt die Solidarität. ze.tt brachte es in guten Tagen auf einen schlechten Platz in den unteren Bereichen der 1000 meistbesuchten deutschen Webseiten. In schlechten lag man sogar noch hinter bento.de und jetzt.de, den von "Spiegel" und SZ lancierten Konkurrenzangeboten für die am Reißbrett einer Werbeagentur imaginierte Zielgruppe einer zahlungskräftigen Großstadtjugend, die sich vom schwäbischen Partypeople ebenso "krass" (ze.tt) unterscheidet wie vom ostdeutschen Nazischlagetot. Bei Youtube sammelte das professionell seo-optimierte Angebot in fünf Jahren knapp 10.000 Abonnenten. Bei Facebook, einer zentralen Ausspielplattform für Texte über die Geschichte des Bikinis und die Probleme von "Sinti*zze und Rom*nja" gelang es den ze.tt-Communitymanagern, zuweilen bis zu sechs Kommentare heranzuschaffen.

Bei ze.tt war der junge Mensch blöd, aber gut. Sein größtes Problem bestand in der Sorge, dass Corona die Nachfrage nach Pläötzen in Frauenhäöusern erhöhen könnte, dass das Wort "Rasse" im Grundgesetzt verbleibt und ein geplanter "Afrozensus" (ze.tt) womöglich zu spät kommt, um "Schwarze Lebensrealitäten in Deutschland erfasst werden".

ze.tt war fünf Jahre zweifellos Teil dieser schwarzen Realität, ein dunkles Loch, in das der Blick fiel wie in einen Abgrund. Musik war hier wichtig für den "Wochenstart", einen Moment, den ze.tt-Redakteure auf eine derart panische Weise fürchteten, dass beschwörende Berichte über Rezepte gegen eben jenen "Wochenstart" sich wie ein roter Faden durch die fünf Jahre des öffentlich weitgehend ignorierten Kampfes der "neuen Online-Plattform für Geschichten, Ideen und Gefühle" (Zeit) für eine bessere Welt mit besseren Menschen zieht.

Das Scheitern des Versuchs, für ausgedachte Leser und gegen die Realität anzuschreiben, wird nun selbstironisch kommentiert. "Wann Aufgeben die bessere Lösung ist" heißt es aktueller Text im ze.tt-Bereich "Green", der zahlenden Mitgliedern des Green-Klubs seit Januar 2020 "noch mehr Texte im gewohnten ze.tt-Stil" bot – "divers, feministisch, jung und inklusiv".

Ein Leben in der Menstruationstasse


Hier waren die Lesenden "okay so wie du bist!" (Original ohne Komma). Aber sie waren eben nicht zahlreich genug, um die wichtige Zuspruchsfunktion von ze.tt weiter aufrechterhalten und die stolze Anzahl von 16 festen Mitarbeitern und drei studentischen Hilfskräften bezahlenzu können. Die Berichterstattung aus einer eingebildeten Welt voller erfundener Probleme, ausgerichtet an der Vorgabe, alles solle und müsse vor allem immer richtig "divers" sein, hat den Praxistest nicht bestanden.

Was ze.tt-Chefredakteurin Marieke Reimann ("Die sieben wichtigsten Zitate aus Angela Merkels TV-Ansprache") keineswegs anficht. "Mein Team hat in den letzten Jahren bewiesen, dass eine diversere Berichterstattung in Deutschland möglich ist und auf eine immer noch stark wachsende Community trifft", schwurbelt die gebürtige Rostockerin, die von Berlin aus einst hatte "den Blick für den Osten schärfen" wollen. Der kam entsprechend zuletzt im Oktober 2019 bei ze.tt vor. Ein echter "Schwerpunkt" (Reimann). Und danach war ja auch schon Black lives matter.

Ein Riesenerfolg geht pleite


Ein Riesenerfolg also, dieses ze.tt, nicht nur für den Osten, auch für die Diversität und die "Zeit". "Uns ist es gelungen, all diejenigen abzuholen, die sonst maximal als "Randgruppen" in den Medien erwähnt werden" versichert sich Reimann, für die bei der "Zeit" eine Anschlussverwendung geplant ist. Wie viele wertvolle Redakteure entlassen werden, hat die "Zeit" noch nicht öffentlich gemacht. Doch auch ohne die Diversspezialisten soll ze.tt als "als Aushängeschild der Zeit für diverse Berichterstattung erhalten" bleiben und durch die Auflösung der einst aus Kostenspargründen gegründeten ze.tt GmbH und die Überführung der Reste des Projekts in ein Ressort der "Zeit" "langfristig auf eine wirtschaftlich zukunftsfähige Basis" gestellt werden.

Die Welt, weiß Christian Röpke, "Chief Digital Officer" der Zeit Verlagsgruppe und Geschäftsführer von Zeit Online, braucht ein "journalistisches Angebot für alle Themen aus der Lebensrealität der Millennials".

Woker Untertanengeist: Bitte, bitte, liebe Obrigkeit

Der Deutschlandfunk berichtet breit über den Kriechaufstand der Medienprominez, die mutig eine Staatsratseingabe an die "sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin" richteten.
Im berühmten Timotheusbrief forderte der alt und krank gewordene Paulus die Jünger Jesu' auf, für die Obrigkeit zu beten: "So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle" hieß es da mit Blick auf Christenmenschen, denen es nicht immer recht war, einfach zu tun, was ihnen gesagt wurde, und die sich keiner Lebensführung befleißigten, die "dem Auftrag" entspricht. Doch wie soll eine Kirche funktionieren, wenn nicht alle mitmachen? Und wie eine Welt, in der jeder meint, Forderungen an alle aus seinen Gedankengängen ableiten zu dürfen? 

Majestätsbeleidigung


Die Frage ist aktuell und sie wird unterschiedlich beantwortet. So finden die einen, dass die Polizei-Kolumne der Taz-Autorin Hengameh Yaghoobifarah dringend der Überprüfung ihres womöglich volksverhetzenden Inhalts durch die Staatsanwaltschaft bedürfe. Das wäre in einem demokratischen Gemeinwesen ein simpler Alltagsvorgang, der Staatsanwalt prüft die Anzeige, er prüft Wortwahl und Beleidigungspotenzial. Und er entscheidet dann, ob hier ein Straftatbestand vorliegt und ein Gericht deshalb entscheiden muss, ob der eine Anklage oder gar ein Urteil zulässt. Andere hingegen sind der Ansicht, schon allein die Anzeige schränke die Freiheit der Presse unzulässig ein. 



Eine Majestätsbeleidigung geradezu, das anders sehen zu wollen. Yahoofahrrads Zeilen seien doch eine lustige Satire, Satire aber dürfe bekanntlich alles, denn sie "braucht die Provokation, die Ungerechtigkeit, das Überspitzen und Übertreiben bis hin zum Tabubruch. Satire ohne Biss ist keine!",  wie die Bundeszentrale für politische Bildung die aktuellen Satirerichtlinien zuletzt zutreffend definierte.

Wenn also jemand sagt, er habe Satire betrieben, dann muss man ihn gewähren lassen, denn "Satire war und ist ein feines Messinstrument, an dem sich der Grad der Freiheit einer Gesellschaft ablesen lässt" (Bundeszentrale). Hierzulande könnte der Urheber eines Facebook-Posts, in dem die Frau des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff flapsig als "Blitzmädel" bezeichnet worden war, eine wunderbar verschrobene Geschichte darüber erzählen, denn bei der Beleidigung von Staatsoberhäuptern endet die satirische Freiheit natürlich. 


Woke Meinungsfreiheitskämpfer


Für wirklich woke Meinungsfreiheitskämpfer aber ist die Grenze dessen, was nicht gesagt und getan werden darf, schon früher erreicht: Als Bundesinnenminister Horst Seehofer, ein wahrlich bundesweit bekannter Satiriker, in seinem ersten Sketch über die neuen Stuttgarter Partygebräuche ankündigte, Frau Yahoofahrrad wegen mutmaßlicher Gewalthetze durch extensives Hassposten anzeigen zu wollen, standen die friends of pressefreiheit auf wie ein mensch, um den "massiven Angriff gegen die Presse- und Meinungsfreiheit" (*sic) noch im Anlauf abzuwehren.

Und wie sie das taten. Mit einer Petition, der Staatsratseingabe des guten Bundesbürgers,  zeigte eine ganze Kompanie aus Überzeugungstätern mit Jan Böhmermann, Sibylle Berg, Deniz Yücel und Carola Rackete an der Spitze, wie es sich im knien protestieren lässt. An "Sie, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin" richten sie ihr Ansinnen, die verfassungsmäßig dritte Führungsperson im Land möge doch ein Machtwort sprechen, dass "die Meinungsfreiheit in Deutschland weiterhin gewahrt bleibt". Merkel müsse Seehofer dazu verdonnern, seine angedrohte Strafanzeige gegen Hengameh Yaghoobifarah nicht zu stellen, sie müsse ihn veranlassen, sich zu entschuldigen, und zudem "dafür sorgen, dass wir alle in Sicherheit unsere Arbeit machen und unsere Meinungen äußern können."

Gebückter Untertanengeist


Tief gebückter Untertanengeist, der sich selbst als Bittsteller sieht, dessen Drohung "nur so kann unser Glaube an die demokratischen Grundwerte bewahrt werden" ernsthafte Zweifel an der Verfassungstreue der Verfasser und Unterzeichner weckt. Was denn, wenn nicht? Was denn, wenn Seehofer, was er tatsächlich getan hat, keine Anzeige erstattet? Aber sich nicht entschuldigt? was denn, wenn man hierzulande auch in Zukunft nicht einfach alles sagen oder schreiben darf, weil die neuen Meinungsfreiheitsschutzgesetze noch ein bisschen unklar sind, was das Gefährdungspotential  von satirischen Zuspitzungen und die Missbrauchsmöglichkeiten der weiterhin so großzügig gewährten Witzausübungschancen betrifft?

Böhmermann, ein Spezialist für  Ekelgedichte, der die Rolle der Frau beim Rechtsruck stets ignoriert hat, wird aus Protest vielleicht morgen schon eine "Tagesschau"-Sendung auslassen. Berg, die aus dem Schweizer Exil auf der Suche nach hassenswerten Gegner ist, könnte den ihr zugesprochenen Johann-Peter-Hebel-Preis ablehnen, dessen Werk den nationalistischen Separatismus der Alemannen feiert, wiewohl die doch das Glück hatten, im großen Reich der Ostfranken aufgehen zu dürfen. Deniz Yücel schließlich, ein Verfechter der Benutzung von Fachtermini wie "dumm"  und lustiger Beschreibungen wie "lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur",  gibt seinen Doppelpass ab und setzt künftig ganz auf den seiner Zweitheimat Türkei. Und Rettungskapitänin Carola Rackete, als Journalistin noch gar nicht so bekannt, sticht wieder in See, zu Gestaden, an denen die Obrigkeit ihre Gnade noch auf inständiges Bitten verteilt.

Paulus jedenfalls hätte seine Freude an den Anführern des ersten Kriechaufstandes der Neuzeit, der nur noch übertroffen werden könnte von einem Bitt- und Dankgebet, von den inzwischen mehr als 2.000 Unterzeichnern der Staatsratseingabe mit glänzenden Augen und Blumen im Haar vor dem Kanzleramt in Berlin getanzt, auf dass die Göttliche sich gnädig zeige und  ein Urteil fälle, dass den Glauben leben lässt.

*auf

Dienstag, 23. Juni 2020

Stuttgart 20: Wer sind die neuen Partypeople?

Gegen *Partypeople und *Krawallmacher früherer Tage wurden noch konsequent durchgegriffen.

Sie sind überwiegend jung, sie sind zu einem guten Teil männlich und sie machen in diesen letzten Tagen der Pandemieaufregung den Westen Deutschlands unsicher: Angehörige der "Partyszene" (DPA) dominieren plötzlich die Schlagzeilen, obwohl bisher eigentlich noch nie von ihrem gesellschaftlichen Gefährdungspotenzial die Rede gewesen ist. . Wer aber sind diese jungen Männer? Wer gehört zur neuaufgetauchten "Eventszene". Wer ist damit gemeint, wen die staatliche Nachrichtenagentur DPA von "Gewalttätern" schreibt?

Welche Sprachregelungen gelten gerade? Wie muss das Grauen umschrieben werden? Eine PPQ-Analyse der geläufigsten Bezeichnungen für die rätselhafte Menschengruppe, die am Wochenende Stuttgart in Schutt und Scherben legte.



Junge Männer - eine der Silvesternacht 2015/2016 entdeckte Spontanbildung, die bereits 2017 zu einem vielfach beachteten Medienphänomen wurde. Seit 2202 hat sich der Beitrag von *jungen Männern zum Nachrichtenaufkommen Forschungsergebnissen des An-Institutes für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung etwa verdreifacht.

Krawallmacher - dabei handelt es sich in der Regel um *junge Männer, die im selben Text bei der Zweiterwähnung aber mit einem Synonym benannt werden müssen. Krawallmacher sind das Jungemänneräquivalent zu "Keeper" bei Reportagen über die Heldentaten von Fußballtorhütern. Der Begriff wurde 1953 in der DDR erfunden, als ein Angriff von rias-hörigen Westagenten gegen die erste Arbeiter- und Bauernrepublik zurückgeschlagen werden musste.

Krawalltouristen - eine spezifischere Bezeichnung für *Krawallmacher, bei der das mutmaßliche Zugereistsein der Betreffenden betont wird. Das folgt der im dunkeldeutschen Mittweida entworfenen Medienstrategie, Zugereiste für Gewaltausbrüche verantwortlich zu machen. Wurde beim G20-Gipfel in Hamburg erfolgreich getestet.

Personen - neutrale Alternative zu *Krawalltouristen, *junge Männer und *Krawallmacher, gern im Zusammenhang mit "kleine Gruppen" verwendet. Kommt *Personen im selben Text vor wie mindestens einer der anderen Signalbegriffe und wird diese Mischung kombiniert mit *Partygänger, *Jugendliche und/oder *Straftäter, weiß der kundige Mediennutzer, was gemeint ist.

Partygänger - die Innovation der derzeitigen Empörungsaufwallung. *Partygänger sind *junge Männer, wobei junge Frauen aus Gründen der Gendergerechtigkeit mitgedacht werden müssen, weil sie wegen der Unschuldsvermutung nicht mitgenannt werden dürfen. *Partygänger zeichnen sich durch das Fehlen aller anderen Eigenschaften außer der aus, dass sie auf Partys gehen - selbst in der ausklingenden "Corona-Zeit" (MDR), in der Partys verboten sind.


Jugendliche - tauchten vor einem Jahr zum ersten Mal überdominant im Vergleich zu *junge Männer auf, als die Rheinische Post von "Vorfällen" im Düsseldorfer Rheinbad berichtete, die allerdings später von ARD-Faktenfindern aufwendig wieder unauffindbar gemacht werden konnten. Die "Gruppe Jugendlicher", um die es gegangen war, hatte weder "Tumult" und "Randale" ausgelöst, noch ein "Klima der Angst" geschaffen, sondern friedlich im Becken gespielt.

Tobende Menge - mit diesem Begriff wird versucht, eine Vermassung der mutmaßlichen *Straftäter (auch "Täter") zu suggerieren, um ein Pauschalurteil über alle Anwesenden fällen zu können. Die Fügung stammt aus dem Sportberichterstatterdeutsch, ist aber seit dem Wochenende auch im politischen Berlin hoffähig.

Straftäter - eigentlich "mutmaßliche", aber wenn die Fahne weht, ist der Verstand in der Trompete und es kommt auf Feinheiten nicht mehr an. "Straftäter" oder *Gewalttäter wird als weiteres Synonym für das Unaussprechliche genutzt, vor allem in längeren Analysetexten von scharfen Kritikern der Verhältnisse, der Polizeiarbeit und der Aufsichtstätigkeit der zuständigen Ministerien.

Vermummte Männer - gemeint sind *Partygänger, Angehörige *tobender Mengen und *Personen im Allgemeinen, über die geschrieben oder gesprochen werden muss, ohne dass sie konkret benannt werde dürfen. Enthalten sind hier jeweils auch *Jugendliche sowie

Deutsche - sorgen für die wenigen Glücksmomente in der Berichterstattung, weil sie Entlastung vor dem Vorwurf bieten, in Texten und packenden Reportagen aus ohne Zustimmung der Urheber zusammengeschnipselten Youtube-Videos ohne Quellenangabe einseitig nur *junge Männer, *Jugendliche und *Personen für die "idiotische Zerstörungsgewalt" (Cem Özdemir)  verantwortlich zu machen.

Nicht-Deutsche - Nebensatzvokabel in Spätsendungen und Magazinbeiträgen, die sich investigativ gerieren, dabei aber nur den Falschen Munition liefern. Oft wird hier zusätzlich auch noch von abwertend von *Passdeutschen gesprochen.

Randalierer/Randalierende - falsche und korrekt genderneutralisierte Versionen von *Krawallmacher, gern von Studioreportern verwendet, die den Mauerfall vor 30 Jahren nicht miterlebt, aber den letzten Befehl des Politbüros an die DDR-Grenztruppen nicht vegressen haben, *Krawallmacher ausreisen zu lassen, aber nicht wieder ein.

Rechtsbrecher - siehe *Straftäter. *Rechtsbrecher sind rechtsidentisch mit *junge Männer, *Jugendliche und *Personen, aber trotz der harschen Wortwahl nur medial verurteilt.

Feiernde Menschen - auch *vermummte Männer, *Deutsche und *Nicht-Deutsche. Synonym für

Clubgänger - wie *feiernde Menschen in den beschriebenen Situationen nicht feiern, weil sie sich in *Krawalltouristen verwandelt haben, sind *Clubgänger keine *Clubgänger, sondern frühere Clubgehende, die durch die vorübergehenden Corona-Maßnahmen gehindert sind, ihrer Passion nachzugehen und deshalb nicht in Clubs gehen, sondern als *vermummte Männer zu einer *tobenden Menge von *Jugendlichen werden.

Bürgerkrieg auf der Partymeile: Einfach mal niederknien

Hass aus dem Netz: Ein Meme erklärt das neue Wort "Partyszene" in einfacher Sprache.
Die weiße Mehrheitsgesellschaft gibt sich einer Illusion von Neutralität hin. Sie muss in Debatten mehr nachgeben wollen und lernen, dass auch Minderheiten das Recht haben, zu bestimmen, wo es lang geht. Für das Versäumnis, dies so viele Jahre nicht verstanden zu haben, muss sich die alte, weiße Mehrheit entschuldigen, um Verzeihung bitten und ein paar Wochen auf der Sonnenbank wären auch nicht verkehrt. Stuttgart zeigt, was uns sonst drohen könnte.

Ein Kommentar von PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl


Svenja Prant liebt offene Worte.
Sie kamen nachts, sie belästigten einen Drogenkäufer, von dem sie nicht einmal sicher wussten, dass er wirklich einer ist. Eine typische Polizeikontrolle in Deutschland, 2020: Oft werden junge Männer kontrolliert, öfter jedenfalls als ältere oder ganz alte. Häufig finden solche Kontrollen dort statt, wo der Spaß im Mittelpunkt steht, in Partyparks, bei illegalen Autorennen, in den Drogenkaufhäusern der Hauptstadt oder dort, wo der Staat meint, mit messerfreien Zonen Macht demonstrieren zu müssen.

Die Vorgänge in Schwaben, ein gespenstischer Hauch von Bürgerkrieg, sie haben ihre Wurzeln zweifellos dort, wo eine Mehrheit sich als "normale Bürger" begreifender Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft einbildet, Plätze, Straßen und Park freigeben zu müssen, um den noch lebendigen Teil der Gesellschaft aus ihren eigenen wohlsortierten Eigenheimsiedlungen wegzuhalten. Genau dorthin schicken sie dann aber die Polizei, um der entspannten Spaßkultur einer neuen Generation die eigenen, längst obsoleten Regeln überzuhelfen.

Der Löwe und der Löffel


Das Ergebnis ist Krawall, Randale, sind zerbrochene Schaufenster und zerstörte Polizeifahrzeuge und ein neues Wort: "Partyszene". Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um, wer den Löwen reizt, der muss einen langen Löffel haben, um mit dem Teufel zu essen. schon diese Formulierungen, ausgewählt aus klassischen Texten der deutschen Hochliteratur von Kant bis Karl Marx, zeigen, wo das wirkliche Problem liegt. Das Fremde wird als fremd wahrgenommen, die deutsche Mustererkennung zeigt alles, was nicht der Gewohnheit seitengescheitelter Gymnasiasten auf der Bühne von "Jugend forscht" entspricht, als verdächtig ein. Die Bettlerin am Wegesrand? Sicher eine Romafrau. Der Schweinerschießer bei Tönnies? Bestimmt ein Rumäne. Der Mann dort mit dem dunklen Bart. Womöglich ein Syrer. Und das Mädchen daneben mit den schmalen Augen vielleicht eine Asiatin?

Vorurteile zerstören den Liberalismus einer Gesellschaft, die sich mit den neuen Meinungsfreiheitsschutzgesetzen gerade entschlossen hatte, dem Hass und der Hetze in den sozialen Netzwerken die Stirn zu bieten. Kaum verabschiedet, wanderte der Generalverdacht  gegen die jugendliche Partyszene auf die Straße. Geradezu bilderbuchmäßig provozierten die Beamten in Baden-Württemberg. Und als sich erster Widerstand gegen die Willkür Luft machte, knieten die Frauen und Männer in Uniform nicht etwa einfach nieder, um zu zeigen, dass die Lektion hierzulande verstanden wurde, die George Floyd der Welt erteilt hat. Nein, keineswegs. Stattdessen wurden Verstärkungen zusammengezogen, Hubschrauber in die Luft geschickt und es wurde alles auf eine Kraftprobe angelegt.

Scherben und Schockwellen


Die Scherben liegen am nächsten Tag überall. Die Konfrontation schickt Schockwellen in die Politik, die ihr Köln-Trauma bewältigt hat wie Euro-Krise, Flüchtlingskrise und wirtschaftlichen Niedergang. Nicht auf das offene Bein schauen. Dann tut es auch nicht weh.

Es muss aber wehtun, wenn es heilen soll. Und weil diese Heilung Menschen helfen soll, heißt es, abseits der schieren Tatsachen einen möglichst unbeteiligten Blick auf die Dinge werfen und sich mit Lenin, dem in Gelsenkirchen gerade erst mit einem neuen Denkmal geehrten Klassiker der Unterdrückungstechniken, zu fragen: Was tun?

Die Antwort kann nicht neutral sein, sie kann nicht die Mehrheit aus der Haftung für die Taten einer Minderheit nehmen, so klein diese auch sei. Neutralität würde die Bereitschaft bedeuten, alle beteiligten Seiten zu Wort kommen zu lassen. Geht das? Nein, denn die Meinungsfreiheit hat Grenzen überall dort, wo der Verdacht besteht, dass widersprochen werden soll, dass  menschenverachtende Positionen bezogen und europa- oder demokratiefeindliche Ansichten  verbreitet werden könnten.

Das ist die handwerkliche Seite einer Auseinandersetzung, die Medien in die Pflicht nimmt, sich jeder Berichterstattung zu enthalten, wo Doppelstandards und Fake-News-Unterstellungen drohen, allein nicht mehr auszureichen, um den Kampf um die Köpfe zu gewinnen. Es ist schäbig, Stuttgart  anders zu nennen als ein Ergebnis einer Kombination aus Alkohol, jugendlichem Ungestüm, anderen Drogen und dem Handeln einer Polizei, die außer Rand und Band geraten ist und zumindest gelegentlich wild um sich schießt. Wer sich hier einreiht, betreibt das Geschäft der Falschen, er leitet Wasser auf die Mühlen der Friedensfeinde, die vom Bürgerkrieg träumen und bereits Konserven horten.

Schnell zurück zur Kontrolle


Nein, heißen muss es jetzt Zusammenstehen, Engagement zeigen und im Diskurs über Ursache und Folgen schnell die Kontrolle zu gewinnen. Die Ankündigung schärferer Gesetze kann hier ebenso hilfreich sein wie die Forderung nach höheren Strafen, alle Bemühungen aber müssen die Täter ins Visier nehmen, die nicht am Kneipentisch sitzen, sondern in den Polizeipräsidien und Polizeiwachen. Dort muss endlich verstanden werden, dass die Zeiten vorüber sind, in denen ein Staat wie der deutsche sein Gewaltmonopol nicht nur behauptet, sondern auch durchgesetzt hat.

Nur ein solcher scharfer und entschlossener Schritt zurück wird die Verunsicherung weichen lassen,  die bis weit hinein in ein Milieu reicht, das sich selbst wohl als liberal bezeichnen würde und sich im Augenblick fragt, welches die richtige Seite ist: Die eines anmaßenden Staates, der den Kauf noch des kleinsten Tütchens im Park unterbinden will, gleichzeitig aber Parteien zulässt, die offen gegen Europa und die Migration hetzen. Grünen-Wähler, Bioladenkunden, scharfe Kritiker von Frauenfeinden und Rassisten müssen sich entscheiden, wo sie stehen. Es reicht nicht, das sogenannte N-Wort nicht zu sagen, körperliche Übergriffe auf andere zu meiden, nicht mehr bei dem Supermarkt zu kaufen, der im Verdacht steht, Billigfleisch zu verkaufen und für den Abriss von Statuen zu sein, die für die falschen Werte einer falschen Zeit stehen.

Die Urangst der dominanzverwöhnten Schicht


Es braucht viel mehr, weil Anliegen und Ansichten der sogenannten weißen Mehrheitsgesellschaft nicht weniger berechtigt wären als die aller anderen, aber auch nicht mehr, selbst wenn es der Name nahelegt. Diese Erkenntnis ist schwerer Stoff für eine "dominanzverwöhnte Schicht" (Tagesspiegel), aber natürlich können sich ja auch Weiße im privaten Rahmen und mit gesenkter Stimme ebenso weiterhin zum Rassismus äußern wie Männer zur Gleichberechtigung oder Chefredakteure öffentlich-rechtlicher Sender zu Rolle und Bedeutung von Kurzarbeit. Aber ein Recht, in der öffentlichen Debatte gehört zu werden, hat niemand. Genauso wie niemand erwarten kann, dass ein jugendlicher Partyteilnehmer den Anweisungen eines ihm unbekannten Polizeibeamten folgt, obwohl der sich weigert, zuvor kniend seinen Respekt zu bezeugen.
Unter den Palmen von Stuttgart feierte ein buntes Völkchen friedlich - bis die Polizei aufmarschierte