Im Mai vor 20 Jahren machte ein Sozialdemokrat Front gegen den anderen. Johannes Rau, heute weitgehend vergessen, stellte sich gegen eine "Verknüpfung von Asyl und Einwanderung", wie es seinerzeit hieß. Und damit gegen seinen Parteigenossen, den amtierenden Innenminister Otto Schily.
Es war eine titanische Schlacht um des Kaisers Bart, die der am Ende einer lange, treu durchgedienten Partei- und Staatskarriere noch glücklich mit dem ersehnten des ersten Mannes im Staate abgefundene Bruder Johannes in jenen Tagen gegen den als Hardliner geltenden Ex-Grünen und früheren RAF-Anwalt Schily führte. Schily hatte zuvor vorgeschlagen, Deutschland Einwanderungsgesetze zu modernisieren. Es dürfe nicht länger das individuelle Asylrecht missbraucht werden, um dauernden Aufenthalt in Deutschland zu erlangen, weil es die einzige Möglichkeit sei, sich hier anzusiedeln. Vielmehr brauche das Land ein Einwanderungsrecht, das wie das australische oder kanadische Chancen für leistungsbereite Zuwanderer biete, nach Deutschland zu ziehen und hier zu arbeiten.
Johannes Rau, der - Kritiker sagen auch - wegen seiner grundsätzlich bigotten Haltung "Bruder Johannes" genannt wurde, widersprach dem. Ohne direkt auf Schily einzugehen, kritisierte er die Forderung des Innenministers nach einer Reduzierung der Asylbewerberzahlen, um dadurch Spielraum für andere Zuwanderung zu schaffen. Fragen von Asyl und Einwanderung dürften gar nicht verknüpft werden. "Es kann auf gar keinen Fall dazu kommen, dass man Asyl gegen Einwanderung aufrechnet", sagte er, denn "Einwanderung ist eigennützig, Asyl uneigennützig."
Haarspaltereien, die in der SPD-Fraktion selbstverständlich begeisterte Unterstützung fanden. Dieter Wiefelspütz, seinerzeit etwa in der Rolle besetzt, die heute ein Karl Lauterbach spielt, sah gar keinen Zusammenhang zwischen Asyl und Einwanderung. Wenn man die Zahl der Asylbewerber verringern wolle, müsse man Fluchtursachen bekämpfen, fabelte der Mann aus Lünen getreu einer Sprachregelung, deren Ursprung der Medienforscher Hans Achtelbuscher in einer späteren Untersuchung bis ins Jahr 1991 zurückverfolgen konnte.
Auch Wiefelspütz`Auffassung, "das geht nicht mit einer nationalen Regelung" wuchs später zu einem Klassiker, damals jedoch neigte eine rechtsnationale Union noch Schilys Vorschlag zu. In einer Einwanderungskommission der rot-grünen Bundesregierung werde man nicht mitmachen, das Angebot an die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), die Kommission zu leiten, sei ausschließlich ein "parteitaktisches Manöver", um "Unfrieden in der Union säen".
Auch Rau wandte sich gegen die Instrumentalisierung der Debatte. In seiner Rede "Ohne Angst und ohne Träumereien: Gemeinsam in Deutschland leben", die einen versuch darstellte, etwas Historisches zu sagen, verwies der Erfinder des Begriffes von der "institutionalisierten Verantwortungslosigkeit" darauf, dass "30 Prozent aller Kinder an deutschen Schulen aus zugewanderten oder kürzlich eingebürgerten Familien" satmmten und "an manchen Schulen sogar 60 Prozent und mehr" nichdeutscher Herkunft seien. Von 1990 bis 1998 hätten 50 Prozent aller Asylbewerber innerhalb der Europäischen Union in Deutschland um Asyl nachgesucht, davon sei etwa vier Prozent vom zuständigen Bundesamt Asylstatus zuerkannt worden.
Deshalb heiße es nun handeln, und zwar, so Rau, ohne Angst und ohne Träumereien. "Wir müssen Unsicherheit und Angst überwinden, die manchmal zu Fremdenfeindschaft, zu Hass und Gewalt führen", sagte Rau, und "wir müssen eine falsch verstandene Ausländerfreundlichkeit überwinden, die so tut, als gebe es überhaupt keine Probleme und Konflikte, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben."
Ein Faschist im Mantel eines internationalistisch gesinnten Genossen? Ein Mann aus einer Vergangenheit, die nicht anerkennen will, dass es durchaus heflen kann "vor Problemen die Augen zu verschließen oder allein schon ihre Beschreibung als Ausländerfeindlichkeit hinzustellen" (Rau)?
Zwei Jahrzehnte und die von Rau schließlich doch geleistete Unterschrift unter ein neues Einwanderungsgesetz, das genaugenommen kein einziges Problem löste, lässt sich sagen, dass der große Richtungsstreit des Jahres 2000 ein politischer Theaterdonner blieb, der so schnell verhallte, wie der Zuzug nach Deutschland aus der Öffentlichkeit verschwand.
In den zwei Jahrzehnten seit Raus Träumereien vor dem offenen Mikrophon und Schilys hilflosen Versuchen, das Asylrecht in die Tube eines Individualrechtes zurückzudrücken, blieb alles, wie es war, und nicht einmal die Parolen änderten sich. Einzig Johannes Rau, der 2006 starb und den großen Zuzug von 2015 verpasste, wurde vergessen. Und Otto Schily, der der fremdenfeindlichen Ansicht war, dass nur drei Prozent der Menschen, die jährlich nach Deutschland flüchten, asylwürdig sei, es sich bei 97 Prozent hingegen um "Wirtschaftsflüchtlinge" (Schily) handelte, verschwand aus dem Diskurs seiner Partei.
Was oder wem nützen Worte (in irgendwelchen Rechtsvorlagen), wenn sie nicht mit Inhalt gefüllt werden, wenn es an Geist und Wille fehlt sie umzusetzen? Was oder wem nützen Worte, wenn keiner sie mehr versteht, wenn es keinen interessiert?
AntwortenLöschenDie Zeiten von 2000 müssen tolle Zeiten gewesen sein. Als die Politiker vor sich hinwurstelten, wahlweise belächelt, ertragen, bestaunt vom Rest der Republik. Es gab Ansätze wie dieser "Streit", wo sogar Argumente vorgebracht wurden, um eine Daseinsberechtigung dieser erwähnten Kaste aufrechtzuerhalten.
Matze ist doof.
AntwortenLöschen@gerry: fantastisch, oder?
AntwortenLöschenSchweigepflicht am Gesäß: Vor so zehn Jahren erzählte mir ein Westkollege, daß sich die Hohe Gemahlin des frommen Johannes ab und wann im Bimbeswehrkrankenhaus die aus ehelichem Gezänke hervorgegangenen Beulen hätte löten lassen. So es stimmen sollte, hätte er also Ollenhauer heißen sollen.
AntwortenLöschenHalbgott in Weiß
>> kämpfte der Hamburger Sozi und Museumsschiffehrenkapitän in stolzer Isolation gegen den "Haufen rechtsradikaler Arschlöcher im Parlament", der dort seit Ende 2017 lungert, hetzt und spaltet (und von Arschlöchern versteht der Mann was). <<
AntwortenLöschenKlonovsky ist nicht hoch genug zu preisen (auch wenn ich in EINEM Punkt mit ihm gegenteiliger Ansicht bin), aber ein bitterer Nachgeschmack bleibt: Der genannte Sozi sitzt warm (sic) und hat einen schönen Pfennig in der Hand (Brüder Grimm, "Hans heiratet").
Halbgott in Weiß
Ich bitte um Entschuldigung für OT, aber ich muß jetzt einmal fragen: Wann geht denn endlich die Geschichte weiter, deren Beginn ein Bernd vor sechs Wochen? acht Wochen? zehn Wochen hier zu veröffentlichen begonnen hatte? Kann mich leider schon nicht mehr an die Namen der Protagonisten erinnern. Auf jeden Fall spielte eine Frau mit, die mich vom Äußeren her an Svenja Prantl (die echte) erinnerte.
AntwortenLöschenhttps://russia-insider.com/en/russia-commissions-worlds-largest-nuclear-icebreaker-ship-arctic-its-monster/ri29872
AntwortenLöschenDer lachende Mann hat gesagt...
AntwortenLöschenIch bitte um Entschuldigung für OT
Dem schließe ich mich an: Wie geht es weiter? Butter bei die Fische.