Mittwoch, 27. Mai 2020

Hungerwunder Prahlad Jani: Ende der Fastenzeit

Nach eigener Aussage hatte er 80 Jahre lang nur von Luft und Gottes Liebe gelebt: Prahlad Jani.
Er machte sie zu einem Teil der Medienwirklichkeit, die uralte Mär vom rätselhaften Yogi, der seit Jahrzehnten nicht gegessen und getrunken hat und dennoch frisch und fröhlich von Gott erzählt. Vor 17 Jahren machte sich der zauselbärtige Inder Prahlad Jani auf, die internationale Premiumpresse mit wundersamen Geschichten zu Schlagzeilen wie "Seit 70 Jahren auf Null-Diät" (20minuten) oder "70 Jahre ohne Nahrung: Ärzte untersuchen angeblichen Wunder-Yogi" (Spiegel) zu inspirieren. Tief gläubig reportierte der deutsche Journalismus das aus Indien einlaufende Gerücht, der angebliche Fakir sei "von angesehenen Medizinern durchleuchtet" (dpa) worden und er sei tatsächlich "unter ständiger Beoachtung zehn Tage ohne Essen und Trinken ausgekommen", wie es hieß. Jani habe dabei nur "einige Gramm Gewicht" verloren.

Nur ein paar Gramm Wahrheit


Medien, die sich heute fragen, wo das alles angefangen hat mit dem Glaube an "Verschwörungstheorien" und mit den bösen Vorurteilen über die "Lügenpresse", die seit einigen Tagen nahezu durchweg in "Verschwörungsmythen" umbenannt worden sind, der wird bei der Jani-Mär fündig. Wenn jemand in zehn Tagen ohne Essen einige Gramm Gewicht verliert, wäre er natürlich nach durchhungerten 25.000 Tagen faktisch nicht mehr da. Doch einer solchen, durchaus naheliegenden Lösung des überirdischen Problems gingen Wissenschaftsredakteure in wirklichen Qualitätsmedien schon damals eher weniger gern nach. Man darf so eine Sache auch nicht kaputtrecherchieren!

So wie aufklärende Fernsehsendungen zu EU-Rettungspaketen heute immer "Wohin mit dem ganzen Geld - wie rettet Deutschland richtig" heißen, nie aber "Woher kommt eigentlich das ganze Geld - und wer muss zahlen?", lief die Geschichte des mystischen Jogi unter "Rätsel", auf die auch "der untersuchende Arzt Dr. Sudhir Shah" keine Erklärungen habe.  Es sei eben einfach so, dass Jani als Achtjähriger von einer Gottheit berührt wurde und seitdem weder Hunger noch Durst verspüre. Der menschgewordene Hungerhaken ernähre sich von einer "Flüssigkeit, die aus einer Öffnung in seinem Gaumen" ströme. Ein Perpetuum Mobile, das sich selbst auffrisst, ohne dabei weniger zu werden - im Grunde genommen ein früher Prototyp der Finanzierung der EU.

Ein Fall von Autophagie


Als fiele Manna vom Himmel, schrieben sich die erklärten Vertreter der Aufklärung die Finger wund über das Wunder von Ahmedabad. Als Zeuge wurde immer wieder Sudhir Shar aufgerufen, ein ausgewiesener Spezialist für Hokus wie für Pokus: Einmal hatte der Wunder-Wissenschaftler einem Mann namens Hira Ratan Manek bestätigt, dass er ausschließlich von Sonnenlicht lebe, nachdem Manek  400 Tage unter Shahs Aufsicht auf jede Nahrung verzichtet hatte. Die Erfolgsdiät dieses Shah-Klienten: "Es reicht völlig, wenn man 40 Minuten pro Tag barfuß läuft und in die Sonne schaut." Shah nickte emsig zur Bestätigung: Sein 63-jähriger Patient habe seinen "energetischen Haushalt auf die Versorgung durch kosmische Quellen umgestellt", er nehme "über seine Zirbeldrüse Licht auf und wandele es durch Photosynthese in Energie um".

Deutsche Medien standen bei Fuß und sie führten Protokoll. Nicht irgendwelche Wartezimmerblätter, sondern die ersten Adressen. "70 Jahre Nulldiät" staunte der "Spiegel", der Jani Hungerkur über all die Jahre getreulich verfolgte. Janis Methode klang für die Wissenschaftsexperten in Hamburg, Berlin und Hamburg wie die Lösung der Ernährungsprobleme der Welt. Sobald eine neue Version der immer gleichen Hungerjogi-Geschichte in seiner Heimatzeitung Ahmedabad Mirror erschien, wurde das Staunen  global. Selbst der Umstand, dass Jani irgendwann den Fehler machte, anzugeben, dass die Ärzte seinen Urin untersucht hätten, änderte nichts am Urvertrauen der Premiummedien am Hungermärchen, die selbst eben noch reportiert hatten, Jani müsse nie zur Toilette.

Der Tod holt ihn ein 


"Mediziner halten es für unvorstellbar, dass ein Mensch derart lange vollständig fasten kann", staunten die Berichterstatter. Der Mensch könne nach Expertenschätzungen maximal 60 Tage ohne Nahrung überleben – der Flüssigkeitsentzug hingegen sei schon nach wenigen Tagen tödlich, hieß es. Jani aber lebte. Was für ein Wunder! oder könnte es sich um Betrug handeln? Hautnah wurde der Yogi immer wieder "rund um die Uhr beobachtet" (DPA), einmal sogar vom Defence Institute of Physiology & Allied Sciences des nationalen Verteidigungsinstituts.

Aussagen von dessen Chef Govindasamy Ilavazhagan" übersetzte ein "Spiegel"-Reporter wie immer direkt aus dem "Ahmedabad Mirror". Ilavazhagan, ein Spezialist für die Behandlung der Höhenkrankheit, habe  "neue Untersuchungsergebnisse" angekündigt, die das Geheimnis um Yogi Jani endlich lüften würden. Dazu kam es niemals, es hat auch niemals mehr jemand danach gefragt, denn die Geschichte vom Hungerkünstler war natürlich viel schöner als es eine über einen Hungerbetrüger gewesen wäre.

Jetzt ist Prahlad Jani, das menschliche Perpetuum Mobile, das in seinem Heimatort gestorben. Jani wurde 90 Jahre alt.

3 Kommentare:

  1. Selbst wenn der Mann zu Lebzeiten noch ein Kochbuch herausgegeben hätte, wären ihm unsere investigativen Recherchiertitanen nicht draufgekommen. Lügen tun doch immer nur die Rechten.
    Das weiß man doch.

    AntwortenLöschen
  2. Süddeutsche 2010: 'Ein 76-jähriger Inder behauptet,...'
    Stuttgarter Nachrichten 2020: 'Nun ist er im Alter von 90 Jahren gestorben'.

    Nach Adam Riese ist er also zwischen 2010 und 2020 um 14 Jahre gealtert. Ein Wunder des Journalismus, 400 indische Ärzte haben das untersucht und sind ratlos.


    AntwortenLöschen
  3. Merkel hasst die AfD wie die Pest, sie ist also hoch motiviert und zudem äußerst mächtig. -----

    OT
    Woher nimmt C.Jahn auf Pipi diese Gewißheit, wenn nicht aus einem gewissem Maß an Einfalt heraus, das er mit gar vielen allerdings teilt? Wer "hasst" ein Überdruckventil, oder die Möhre, die vor der Nase des karrenziehenden Esels auf ewig baumelt? So viele Berichte. So viele Fragen.
    Außer Einfalt kommt latürnich gewollte Desinformation auch in Betracht. Per Anhalter durch die Galaxis: Das ist die ganz normale Paranoia. Die haben alle im Universum.

    AntwortenLöschen

Richtlinien für Lesermeinungen: Werte Nutzer, bitte beachten Sie bei ihren Einträgen stets die Maasregeln und die hier geltende Anettekette. Alle anderen Einträge werden nach den Vorgaben der aktuellen Meinungsfreiheitsschutzgesetze entschädigungslos gelöscht. Danke.