Donnerstag, 28. Mai 2020

Corona-Blues: Vorbeibei, Junimond



Früher war mehr Lametta. Aber früher war auch mehr Kunst. Alle großen Krisen der Vergangenheit hatten ihre eigene Musik, einen Soundtrack, der in Erinnerung geblieben ist. Lilli Marleen, The End, Sympathy for the devil, here we are now, entertain us. Popmusik lief stets auf der zweiten Spur mit, wenn die erste Geschichte schrieb. Von "Born in the GDR" bis zu Haseloffs "I`ve been looking for freedom" verläuft eine Rille, die niemand jemals verlassen kann.

Zugleich aber verstanden sich Künstler und Kulturschaffende immer auch als Indikatoren für gesellschaftliche Veränderungen. Immer fanden sich genügend im Heer der Heroen, die vorn mitmarschierten, wenn das Volk seinen Unwillen auf die Straßen trug. Für Deutschland galt dabei immer, dass die Regierenden konservativ sind, das Volk aber nach Fortschritt dürstete und seine Vorsänger also linke Avantgardisten sein mussten, die aufgrund ihres Künstleramtes schon lange wussten, wie das Morgen aussehen würde.

Die Avantgarde von gestern


Wer deutsch sang, hatte zwangsläufig eine Botschaft, die weltoffen war, aufgeklärt und friedlich. Aber selbstverständlich auch regierungskritisch. Man war für Frieden, für Demokratie, für Gerechtigkeit und "Freiheithaiehaieit" (Westernhagen). Der Sound dazu, gespielt von Bands, die alle gleich klangen, war globalisiert und handgemacht, edel produzierter Rockpop mit Bildungsanspruch. Es galt szeneübergreifend, dass lange Haare Menschenrecht sind, sie aber doch besser gepflegt sein müssten. Wo man sang, waren alle Brüder, so lange es keine Schlager waren und keine Volksmusik. Denn die singen böse Menschen.

Die Corona-Pandemie, die nahezu sämtlichen deutschen Unterhaltungskünstlern alle Betätigungsmöglichkeiten nahm, hat die Verhältnisse nun grundlegend herumgedreht. Während die eigentlichen Sprachrohre der breiten und progressiven Bevölkerungsmassen sich allenfalls noch um das Auskommen der eigenen Berufsgenossen kümmern, schweigt die binnen weniger Wochen aus der Freiheit der selbstbestimmten Selbstausbeutung in die Kerker drohender Erwerbsarbeit gestürzte
Szene der "Kunstschaffenden" (Allgemeine Zeitung) lauter noch als während der Flüchtlingskrise. Ein "deutscher Soulsänger" - das Adäquat des in der Wissenschaft der Pflanzenbestimmung legendären Blumenbaums - füllt die Amtspflichten des dauerrenitenten Querschädels komplett allein aus.

Der bunte Rest des Bedeutungspop


Der ganze bunte Rest aus Bedeutungspopproduzenten von Lindenberg über Prinzen, Silbermond und Grönemeyer und wie sie alle heißen schweigt und lässt die Stimmbänder ruhen. Kein Lied erklingt für oder gegen Corona. Ausländer, wirre Rapper  und ehemalige Punks müssen mit schnellgeschneiderter Gebrauchsmusik in die Bresche springen.

Der rockende Mittelstand und die Popsternchen hält sich zurück. Allenfalls dort, wo die Forderung nach einer Staatsrente für Kunstproduzenten erhoben wird, die als "Grundeinkommen" künftig jedem ermöglichen soll, hauptberuflich Gitarre zu zupfen, Gedichte zu schreiben oder Filme für Instagram zu drehen, wird es etwas lauter. Ausgerechnet Rockmusiker,  zu deren Tätigkeitsbeschreibung das Rebellentum gehört wie zum Bäcker das Frühaufstehen, reklamieren für ihre Tätigkeit nun Systemrelevanz.

Eben noch "Macht kaputt, was euch kaputtmacht", heute schon im Förderprogramm für Groko-Rock mit Aufklärungsabsicht, nächstes finanziert von der Bundeszentrale für Politische Bildung, Unterabteilung Staatliches Komitee für Unterhaltungskunst, Sparte Rock, Pop und Lieder (RPL). Über Corona singen hier wird heißen, die notwendigen Maßnahmen der Regierung mit allem Nachdruck gutzuheißen. "You know it's alright, it's okay" aus dem Bee Gees-Song "Stay in line" liefert das Muster für lauter Lieder, die im Geist des Dschungelbuch-Soundtracks fordern "Hör auf mich, glaube mir, Augen zu, vertraue mir!"

Ein Effekt, der eintritt, wenn die Verhältnisse nicht mehr tanzen. War Rockmusik ursprünglich eine Ausdrucksform von unten, die  sich dem eigenen Selbstverständnis und dem Verständnis ihrer Hörer gemäß stets gegen das richtete, was als "oben" empfunden wurde, ist dieselbe Art Musik, domestiziert, gekämmt und gefönt und von sehr gut situierten Hauptamtlichen mit Vorstadt- oder City-Wohnsitz hergestellt, inzwischen fester Bestandteil der Lebenswelt der Regierenden. Lindenbergs Genösel gehört zur Ära Merkel wie das hellblaue Funktionärshemd, Grönemeyers Greinen und der schale Schabernack der Ärzte sind der Audio-Guide der Gemeinsinn-Republik. 

Audio-Guide der Gemeinsinn-Republik


Von Tim Bedzko über die Toten Hosen, Max Mutzke, Juli, Revolverheld und Fanta 4 bis hinunter in die prekären Einkommenlagen, in denen kein Mindeslohn gilt, sieht sich eine Szene, die gegen die Akzeptanz des Bestehenden groß und erfolgreich wurde, heute als Verteidiger und Bewahrer der Verhältnisse.  Sie liefern im Normalprogramm den Fahrstuhlsound für eine übersatte Gesellschaft, ein an Marketingkonzepte angepasstes Einheitsgeheul, klanglich für winzige Telefonlautsprecher optimiert, auf Absatzkanäle konzentriert und inhaltlich um jeden Anflug an Kontroverse amputiert. All die Musik ein einziger Mainstream, und der ist "im Zweifel deutlich links der Mitte, emanzipiert, ökologisch, nachhaltig, gendergerecht" (NZZ) - ein Aufstand ist undenkbar, ein Abweichen von der Linie purer Selbstmord.

Spiel nicht zu kaut, mein kleiner Freund, und spiel nur ja nicht eine andere Melodie, das ist die erste Leere, die junge Bands im Umkleideraum des ARD-Morgenmagazins beigebracht bekommen. Bands, die im Nachhall des Aufbruchs der Jugendrebellion der 60er gegen das bürgerliche Establishment ansangen, haben sich in die Begleitkapellen einer alternativlosen Staatspolitik mit Hang zur Hypermoral verwandelt, die ihr kleines Leid kritisch besingen, die Verhältnisse aber, die sie einst zum Tanzen bringen wollten, vorsorglich in Grabesruhe lassen. 

Rebellen mit staatstreuem Gratismus


Von Max Giesingers bis Clueso, Jennifer Rostocks und Annenmariekantereits rollt vom Fließband der klinisch reinen Staatstreue eine Woge an Gratismut und Kostenlos-Courage. Man ist jederzeit einsatzbereit im Dienst der Sache, man ruft zur Wahl oder sitzt in Talkshows, um mehr Klima zu fordern, mehr Gerechtigkeit, mehr von dem, was alle fordern. Niemand onaniert im Studio und keiner zückt eine Axt, um auf den Tisch zu schlagen. Nicht mal Scheiße sagt einer der guterzogenen Nachwuchskader.

Rockmusik, im Kindbett und in ihrer Pubertät ein Aufschrei gegen alles, was wart, ist mit der Generation der Ulla Endlichs, mit Mark Forster, mit Bosse und dem ganzen grauenhaften Heer der verwechselbaren Produkte der "Voice-of"-Industrie zum Soundtrack der gelähmten Gesellschaft geworden. Rebellisch sind hier allenfalls noch die von Kinderhänden in Bangladesh designzerfetzten Edeljeans, als Gesellschaftsschreck gilt schon, wer provokativ gesteht, weiterhin zuweilen Fleisch zu essen. 



13 Kommentare:

  1. Wir sitzen alle im gleichen U-Boot.

    https://www.youtube.com/watch?v=6b5H61Qvo9w

    Also laßt uns wenigstens noch ein bißchen Spaß dabei haben. Diese Familie hat jede Menge Spaß. Sieht man den beiden Buben zwar nicht an, Vater und Tochter kompensieren das.

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  2. Schöne Breitseite gegen den 'Bedeutungspop'. Diese ständige Bedeutungshuberei geht mir bei diesen ganzen ausgelutschten Mainstreamvögeln am meisten auf den Sack.

    Wenn man so herumfährt und -läuft, sieht man immer noch Aushänge mit Stellenangeboten. Den darbenden 'Künstlern' möchte ich zurufen bzw. zubrüllen: Get a fucking job.

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  3. Hase, Du bleibst hier...Mai 28, 2020

    ... Ich bau euch ein Lied...

    Jetzt, zum Abgesang des Corona-Notstandes, möchte ich auch einmal Danke sagen. Danke an das gesamte Redaktionsteam für viele schöne Schmökerstunden und Lachfalten. Aber auch an das Backoffice, den Wachmann, die Putzfrau und die Kollegen in der Kantine sei gedacht, herzlichen Dank und schöne Pfingstfeiertage.

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  4. "ich allenfalls noch um das Auskommen der eigenen Berufsgenossen kümmern,"

    Ein nachhaltiges Konzept. Keiner muss mehr arbeiten wenn wir uns darauf verständigen, dass jeder von dem lebt was sein Nachbar ihm gibt.

    "Rebellisch sind hier allenfalls noch die von Kinderhänden in Bangladesh designzerfetzten Edeljeans, als Gesellschaftsschreck gilt schon, wer provokativ gesteht, weiterhin zuweilen Fleisch zu essen."

    Gunnar Heinsohn:
    Alte Männer machen keine Revolution. Und das Alter steckt auch schon in den Köpfen der Jungen.

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  5. Ich bau euch ein Lied wäre heute noch vor Beginn des Mittagsmagazin zensiert.

    https://www.youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_kv2LvdGufF-CNDr7gU3BnsfWezHPNRXm0

    Und Demmler hätte lebenslang Berufsverbot als Dichter.

    Ein immer noch hörenswertes Album.

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  6. >> Goldfischteich 28. Mai 2020 at 19:08

    Was die SPD heute liefert, ist eine Karikatur dessen, was Adolf Hitler gegen Ende des WKII lieferte: Als alle noch einigermaßen brauchbaren Fahrzeuge, ob Autos, LKWs oder Züge samt ihren Waggons, gebraucht wurden zum Einsatz in der Endphase des Krieges, wurden sie stattdessen eingesetzt, bis zuletzt Juden in die Vernichtungslager zu deportieren. <<


    Und also kein Wunder, daß die den Krieg verloren haben. Liebste Kitty, habe soeben den Kugelschreiber erfunden ...

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  7. Sputnick 28. Mai 2020 at 20:17
    Eine ROTE Socke mit Rückgrad



    Na entlich. Hat mir irgendwieh gefehlt: Kahm nähmlich schon lange nicht. Wahr früher Standart.
    Nicht mein Haß, mein Eckel wahr es, der mir hungrig am Leben frahß. Wiederlich.

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  8. Wo wir schon bei den armen Würstchen sind, die in ihrem Homeoffice Fingernägel kauen, statt sich einen Duden zu kaufen und gutes Deutsch zu bimsen. Amri brachte die Leute mit einem Zettel um, schreibt die dpa in den Tagesspiegel rein.

    https://www.tagesspiegel.de/berlin/spurensuche-nach-anschlag-auf-breitscheidplatz-berliner-polizei-uebersah-zettel-im-amri-lkw/25869368.html

    Erst drei Wochen nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz fand die Polizei einen Zettel im LKW, mit dem Anis Amri elf Menschen tötete.

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  9. Da kann ich nur jedem empfehlen einmal bei der Rockantenne reinzuhören. Dort sollten sich ja die letzten Rebellen und Nonkonformisten sammeln. Pustekuchen. Absolut staatstragend bei wirklich allen Themen plus die tägliche Breitseite gegen Trump und das eigene Zielpublikum.
    Besser kann man es nicht machen. Zum Glück gibt es auch den Livestream ohne Moderatoren.
    Bei den Classikperlen kann man sich wenigstens in andere Zeiten zurückträumen.

    P.S. Kennt eigentlich jemand den Frisör von Gunnar Heinsohn? Göttlich, dieser Schnitt und
    diese Eleganz. Da muss ich auch mal hin zur Generalüberholung.

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  10. Der lachende MannMai 29, 2020

    @Anmerkung
    Wenn Sie einen DUDEN kaufen wollen, um gutes Deutsch zu bimsen, müssen sie ihn antiquarisch erwerben. Meiner stammt vom VEB Bibliographisches Institut Leipzig, Ausgabe 1975, ist frei von Wörtern, die im DUDEN nichts zu suchen haben, und enthält, was man bis vor einiger Zeit in diesem Werk erwartete, nämlich RECHTschreibung.

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  11. Der lachende MannMai 29, 2020

    Müssen Sie. Und da lese ich nun meinen Senf vor dem Absenden immer nochmal durch.

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  12. Ich brauche keinen Duden. Die da, die beim Tagesspiegel und anderen Schreiborganen.

    Meistens lese ich mein Zeugs auch erst, wenn es längst abgeschickt ist und auf den Servern der Welt in Frieden ruht. Ich lasse es dann auch in Frieden.

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  13. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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