Torsten Ziegner in besseren Tagen: Aus Leidenschaft auf der HFC-Bank wurde zuletzt pures Leiden. |
Sein letztes Spiel absolvierte er in einer Art Halbschlaf. Torsten Ziegner, ein Fußballtrainer, der in Normalform an der Linie auf- und abtigert, ruft und mit den Armen rudert, saß in seinem Schalensitz, als wolle er die letzten Minuten, die ihm im Trainersessel des Halleschen Fußballklub vergönnt sein würden, möglichst ausgiebig genießen. Das, was im Spiel seiner Mannschaft gegen Unterhaching auf dem Platz passierte, soweit kannte Ziegner die Elf, die er seit anderthalb Jahren trainiert, ist von außen ohnehin nicht zu beeinflussen.
Talfahrt voller Torspektakel
Es war wieder ein wildes Hauen und Stechen, ein Anrennen und hinten jede Sicherheit aufgeben. Ein Torspektakel mit mehr als einem halben Dutzend Treffern. Das Ziegners Team ein weiteres Mal glatt verlor. 3:5 diesmal, nach 1:6 und vorher 3:4. 24 Stunden später griffen die Mechanismen des Fußballgeschäfts. Die Vereinsführung stellte Torsten Ziegner frei. Eine Entlassung, die auf eine Talfahrt folgt, die mit einem 3:3 gegen Meppen begann. Es war das Spiel, das mit der besten Halbzeit startete, die der HFC in der laufenden Saison gespielt hat. Und es war das Spiel, in dem es der HFC nicht schaffte, eine Balance zwischen orkanartigem Sturm und halbwegs stabiler Abwehr zu finden.
Ein Leiden, das chronisch wurde. Abgesehen von einigen anämischen Auftritten etwa gegen den ewigen Feind aus dem Norden und die eingeschworene Gegnerschaft aus Rostock, die sang- wie klanglos mit 0:1 weggeschenkt wurden, fand Torsten Ziegner immer eine Aufstellung, die Leidenschaft, Vorwärtsdrang und Kampfgeist auf den Rasen brachte. Wo Sven Köhler, immer noch die prägendste Trainergestalt des HFC im neuen Jahrtausend, für sachlichen Ergebnisfussball stand, wollte der ebenfalls aus Thüringen stammende Ziegner den Fans Spektakel schenken.
Der kleine Klopp aus Halle
Als kleiner Klopp sah er sich, der vorn verteidigen lässt, der überfallartig wegwalzt, was an Widerstand vom Gegner kommt, dem immer ein Rezept einfällt, und das ohne Rechenschieber und Laptop. So lange das Konzept neu war, funktionierte es. Nach Jahren des grauen Fußballbrotes erlebten die leidgewohnten HFC-Fans eine Art Fußballmärchen voller Leidenschaft, Freude und Euphorie. Gegner waren überrascht von der Wucht, mit der der HFC Angriffe vortrug. Gegner staunten darüber, wie aus Ziegners Resterampe überwiegend weitgereister Spieler, die zuvor nirgendwo groß aufgespielt hatten, eine Mannschaft hatte wachsen können, die selbst zehnfach höherbewertete Teams an die Wand spielte.
Hinten dicht und in Ziegners zweitem Jahr mit der Neuverpflichtung von Terrence Boyd vorn kreuzgefährlich - die Rotweißen selbst knobelten im herrlichen Herbst des Jahres 2019 nicht mühsam an neuen Freistoßvarianten oder Möglichkeiten, auch mal nach einer Ecke erfolgreich zu sein. Sondern an kreativen Jubelchoreografien, die gebraucht wurden, um den Spaß, den man hatte, auch in soziale Netzwerke und Fernsehsender zu bringen.
Verpuffter Überraschungseffekt
Dass Ziegner ausgeguckt wurde und der Überraschungseffekt des neuen HFC sich schon im Spätherbst zu verlieren begann, fiel gar nicht so auf. Eine Delle im Ergebnispiegel, dank anderer Vereine, die ebenso patzten, war der ersehnte und erstmals ernsthaft anvisierte Aufstieg selbst noch in Sichtweite, als die Tabellenführung aus der Hand geglitten war. Torsten Ziegner, weniger Trainerfuchs als Spielerkumpel, reagierte auf den Trendwechsel, den er früher erkannte als alle anderen, mit der Forderung nach neuem Spielermaterial. Die, die ihn bis dahin zum beliebtesten Trainer der HFC-Fans seit Michael Rehschuh gemacht hatten, waren aus seiner Sicht nicht mehr gut genug, weil sie seine Mannschaft ausrechenbar machten.
Torsten Ziegner schimpfte. Man werde "kein Spiel mehr gewinnen", unkte er. Er bekam seine Spieler. Und als das nichts half, weil irgendwann irgendwie ein tiefer Riss im Kickerkollektiv entstanden war, versuchte er auch sonst alles, was Menschen tun, die auf offener See zu ertrinken drohen. Er zauberte mit Jan Rafael Shcherbakovski ein Nachwuchstalent aus dem Hut, das niemand auf dem Zettel hatte. Er warf die Neueinkäufe aus der Winterpause ohne großes Mannschaftstraining ins Spiel, als habe sich sein Stammpersonal im Dutzend die Beine gebrochen. Er stellte sich vor die Mannschaft. Und er klagte sie an. Er wechselte an jedem Spieltag selbst auf Positionen, die bis dahin noch leidlich funktioniert hatten. Er wechselte nie dort, wo Bedarf zu sehen war. Zuletzt stand sogar ein neuer Torwart zwischen Pfosten. Er bekam eine Bude weniger rein als sein Vorgänger. Aber fünf sind auch viel in einer Liga, in der pro Spiel im Durchschnitt nur drei fallen.
Der Ziegner-Zauber war verflogen, als die Gerüchte kamen. Rauchpausen mit dem Lieblingsschüler, Diskobesuche, Frauengeschichten. Alles, was aus der Jauchegrube des Rufmords aufsteigen kann, kroch jetzt ans Licht, glibbrig und hässlich und traurig und arm. Torsten Ziegner war in dieser Phase seiner Zeit auf dem halleschen Trainersessel schon nicht mehr Herr seines eigenen Schicksals, sondern abhängig von der Gnade einer Vereinsführung, die angetreten war, die Zeit der lähmenden Selbstgenügsamkeit der Ära von Präsident Michael Schädlich und Manager Ralph Kühne mit neuer Energie und viel frischem Geld vergessen zu machen.
Tief unten im Loch
So tief unten im Loch geht es immer nur tiefer und weil Halle nicht Bremen ist und Ziegner nicht Kohfeld heißt, gab es recht schnell keine Treueschwüre mehr für den Mann auf der Bank, der ein paar Wochen zuvor noch Teil eines Erfolgspaketes zu sein schien, mit dem man schnell noch den Vertrag verlängert hatte, ehe es sich nach Dresden oder zu sonst irgendeiner edlen Adresse verabschiedet.
Torsten Ziegner, der ohnehin selbst dann missmutig wirkt, wenn er einen Witz macht oder sich über einen Sieg freut, hatte verloren, als seine Mannschaft immer weiter verlor und dabei immer schlimmer aussah. "Die spielen gegen ihn", hieß es auf der Tribüne, "der hat schon zu Hause in Jena unterschrieben", trauten Fans dem gerade noch als Heilsbringer gefeierten Ex-FCC-Kicker einen freiwilligen Wechsel vom Aufstiegskandidaten zum künftigen Viertligaverein zu, für den Ziegner zuvor auch noch seinen Ruf als Mini-Magier an der Seitenlinie zu verspielen bereit war.
Zurück auf Los
Als es dann endlich zu Ende war, im Grunde genommen in der zweiten Minute des Heimspiels gegen Unterhaching, als Ziegners letztes Aufgebot wie immer im Rückstand geriet, wirkte der Nackenschlag fast erleichternd. Wie die übrigen 6.000 im Stadion schaute sich Torsten Ziegner den Rest der Vorstellung interessiert an. Er sah, dass Spieler wie Bentley Baxter Bahn für ihn um ihr Leben rannten. Er sah aber auch, dass alles Analysieren, Reden und Nachjustieren unter der Woche die wie üblich desolate Abwehrleistung wieder nicht verbessert und das aus langen Bällen durch die Mitte bestehende Angriffsspiel nicht attraktiver gemacht hatte.
Zurück auf Los. Mit Platz 13 und nur noch drei schmalen Punkten Vorsprung auf den ersten Abstiegsplatz übergibt Torsten Ziegner den HFC genau dort, wo er ihn vor 603 Tagen übernommen hatte. Das Team ist verunsichert, es gibt keine feste Stammformation, keinen Stammtorhüter, kein Flügelspiel, keine Mittelfeldachse, die Stürmer treffen nicht und die Abwehr verschickt pro Spiel ein Dutzend Einladungen, sie dumm aussehen zu lassen.
Ziegners bisher unbekannter Nachfolger kann nun ebenso wie die HFC-Fans nur inständig hoffen, dass die Mannschaft wirklich gegen ihren alten Trainer gespielt hat.
Dann wird es leicht, die zum Klassenerhalt notwendigen fünf oder sechs Siege zu holen.
Anderenfalls aber hilft nur noch ein Wunder.
Ziegner, der Mann der Leidenschaft mutierte zum Mann, der Leiden schafft?
AntwortenLöschenDas gab es doch kürzlich erst in München. Nun, da der Assistent, der sowieso die Arbeit macht, übernahm, läuft die Maschine wieder.
Ziegner
AntwortenLöschenWer redet von Ehrmann ?