Sie selbst hat die Frage noch vor ihrem frühen Tod beantwortet: Eine politische Zukunft für sich sah Petry Kelly, die mittlerweile weitgehend vergessene Gründungsikone der heutigen Partei Bündnis 90/Die Grünen, nur "jenseits der Grünen".
Als die ewige Aktivistin das sagte, stand sie allerdings unter dem Eindruck der grandios verlorenen ersten gemeinsamen Bundestagswahl in Ost und West, bei der die Wähler ihre Partei aus dem Parlament katapultiert hatten. Die aus heutiger Sicht in vielen Belangen erstaunlich visionär aufgelegte "Anti-Partei-Partei" (Kelly) hatte die Abstimmung über die deutsche Einheit zu einer Abstimmung über das Wohl von Sonnenblume und Schmetterling machen wollen. Nur der Erfolg der eingemeindeten ostdeutschen Bürgerrechtler rettete das große Projekt. Für vier Jahre hielten die aus Parteigeschichte und Gegenwart inzwischen weitgehend entsorgten Ostanschlüssler die grüne Fahne im Bundestag hoch.
Tod einer Ikone
Danach war die Krise überstanden. Und Petra Kelly war tot. Die Frau mit den hochfliegenden Plänen für die ganze Welt war nach dem Verlust der politischen Perspektive psychisch krank geworden, sie litt wegen öffentlicher Drohungen gegen sich unter ständiger Angst vor Angriffen, lehnte aber Personenschutz ab. Schließlich träumte Kelly von einer gewaltfreien Welt - wie hätte sie da Polizisten als potenzielle Anwender staatlicher Gewalt bei sich dulden können?
Der Mann, der sie tötete, kam dann aber ohnehin aus der Familie. Gert Bastian, zum Friedensaktivisten gewendeter Ex-General und Mitgründer des Krefelder Appells, erschoss Kelly im Schlaf, ehe er sich selbst die Kugel gab. Vermisst wurde die grüne Ikone lange nicht: Erst Wochen später wurden die Leichname der beiden prominenten Alternativen gefunden.
Die Frage, ob Petra Kelly heute noch Mitglied der Partei wäre, die sie mitgegründet hat, muss so eine rein theoretische bleiben. Kelly stand mit ihrer ganzes Person für eine Partei, die ihr "inneres organisatorisches Leben und unser Verhältnis zu den Menschen, die uns unterstützen und wählen" als "das genaue Gegenbild zu den in Bonn etablierten Parteien" verstand. Weil diese - wie ein Echo dieser Einschätzung klingt heute das AfD-Geschrei von den "Altparteien", "unfähig und nicht willens" seien, "neue Ansätze und Gedanken und die Interessen der demokratischen Bewegung aufzunehmen" seien die Grünen "entschlossen, uns eine Parteiorganisation neuen Typs zu schaffen, deren Grundstrukturen in basisdemokratischer und dezentraler Art verfasst sind", hieß es damals im Parteiprogramm. Man glaubte noch fest daran, dass "eine Partei, die diese Struktur nicht besitzt, niemals in der Lage wäre, eine ökologische Politik im Rahmen der parlamentarischen Demokratie überzeugend zu betreiben".
"Jederzeitige Ablösbarkeit"
Wo heute alle zufrieden sind mit zwei Aushängeschildern, hinter denen der Rest der Partei nahezu unsichtbar ist, galt das Bestreben der Kelly-Grünen der "ständigen Kontrolle aller Amts- und Mandatsinhaber und Institutionen durch die Basis", der Öffentlichkeit aller Entscheidungen und der zeitliche Begrenzung aller Ämter inklusive, wie das Parteiprogramm formulierte "jederzeitiger Ablösbarkeit, um Organisation und Politik für alle durchschaubar zu machen und um der Loslösung einzelner von ihrer Basis entgegen zu wirken". Dann kamen Fischer, Trittin und Roth. Dann kam die Regierugnszeit mit Schröder. Dann kam das endgültige Ende des grünen Traums vom Anderssein.
Prophetisch fast wirken Passagen des 80er Grundsatzprogramms, die sich mit der gesellschaftlichen Debatte der endenden 70er und beginnenden 80er Jahre geschäftigen. "Wir stehen gegenwärtig mitten in einer entscheidenden Auseinandersetzung um den Erhalt und die Durchsetzung demokratischer Rechte", schreiben die Grünen da, und sie warnen: "Es gibt starke Tendenzen zu einem autoritären Maßnahmen- und Überwachungsstaat."
Der Blickwinkel auf die Dinge verändert sich offensichtlich mit der Sichtachse auf die Wirklichkeit. Stritt die selbsternannte Alternative zu den etablierten Parteien seinerzeit noch rigoros für eine "freie und uneingeschränkte Ausübung demokratischer Grundrechte", die "für alle Bürger unabdingbare Voraussetzung" sei, "um ihre sozialen Interessen vertreten und politisch handeln zu können", hält der heutige Parteichef Verbote für "die Bedingung für Freiheit“ und eine staatliche Kontrolle der Ausübung der Meinungsfreiheit für geboten.
Die Angst der frühen Grünen
Davor hatten die frühen Grünen Angst. Die Politik der etablierten Parteien habe "mit Berufsverboten, Bespitzelung und polizeilicher Überwachung ein Klima in unserem Lande geschaffen, das Duckmäusertum und Anpassung hervorruft, welches freie politische Betätigung, Wahrnehmung demokratischer Freiheiten einschneidend behindert und jede Form des Widerstandes gegen Umweltzerstörung, Arbeitslosigkeit und politische Unterdrückung einschüchtert", klagten sie. Der Abbau demokratischer Rechte sei keine vereinzelte Erscheinung, er vollziehe sich vielmehr "umfassend und in vielen Bereichen". Deshalb wollten die Grünen damals "gegen die Gesamtheit der bisher ergriffenen Maßnahmen umfassend und nicht selektiv antreten" und sich "gegen jede politische Unterdrückung in der gesamten Welt" wenden.
Eine Gesetz wie das Lambrecht-Law, mit dem die SPD-Justizministerin eine Art verbale Gewalt erfinden und tatsächlich ausgeübter Gewalt gleichstellen will, wäre für die Kelly-Grünen der 80er unmöglich zustimmungsfähig gewesen. "Die zunehmende Einschränkung von Grundrechten durch eine Reihe von strafrechtlichen Bestimmungen", schrieben sie unter ausdrücklicher Nennung der Paragrafen zur sog. "Gewaltbefürwortung" (§§ 88 a ff StGB), der Staatsverunglimpfung (§ 90 a StGB) und einer den Artikel 5 des Grundgesetzes mißachtenden Auslegung der Beleidigungsbestimmungen (§§ 185 ff StGB) würden "der Justiz die Möglichkeit eröffnet worden, freie Meinungsäußerung zu kriminalisieren".
Dass es eines Tages wirklich so kommen und ausgerechnet die Grünen dazu laut klatschen würden, konnte seinerzeit niemand wissen.
Wäre die Merkel von 2010 heute noch in der CDU?
AntwortenLöschenalso eintreten würde sie sicher nicht
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