An diesem Schwarzen Brett im russischen Twer suchen KGB und GRU regelmäßig und höchst "секрет" nach "убийца младший", also talentiertem Mördernachwuchs für Auslandseinsätze. |
Die hundsmiserabel es um Russlands Geheimdienste bestellt ist, wurde im März 2018 aller Welt vor Augen geführt. Zwei Mordagenten Putins schlichen sich damals in der englischen Stadt Salisbury an den nach Großbritannien geflüchteten Putinkritiker Sergei Wiktorowitsch Skripal an und ermordeten ihn und seine Tochter. Mit Giftgas und jedenfalls beinahe, denn die beiden Opfer wurden bewusstlos aufgefunden und mit Anzeichen einer Vergiftung in eine Klinik eingeliefert. Wer aber würde so etwas tun? Wenn nicht Putin? Und welcher Geheimdiest weltweit wäre wohl so unterwandert von Regierungsgegnern einerseits, andererseits aber auf Personal aus der letzten Reihe angewiesen, dass seine Auftragsmörder sich zwar vielfach bei der Arbeit filmen lassen und einen Spurenkorridor breit wie eine Autobahn hinter sich herziehen. Es ihnen aber nicht gelingt, ihren eigentlichen Auftrag auszuführen?
Nur der russische kommt infrage, denn KGB und GRU, die beiden ehemals von allen Konkurrenten außer der Staatssicherheit und dem Mossad so bewunderte größte und gefährlichste Geheimdienstkomplex der Welt sind unter Wladimir Putin sichtlich genauso unter Druck geraten und zusammengebrochen wie die russische Börse unter den Sanktionen der EU. Wo ein Auftragsmord, Grundschulstoff auf jeder Geheimdienstakademie von Washington bis Tokio, etwa beim japanischen Kempetai oder dem griechischen EYP still und ohne jedes Aufsehen abgewickelt wird, ist die Bedeutung des Begriffs "секрет", auf Russisch "потайной", in Moskau bis heute nicht verstanden worden.
Der Fall des islamistischen Menschenrechtlers Selimchan Changoschwili zeigt, wie weit der Verfall inzwischen schon fortgeschritten ist: Zweimal versuchte Putin, seinen Widersacher umbringen zu lassen - einmal vor zehn Jahren mit Gift, dann noch einmal vor vier Jahren mit acht Schüssen aus der Waffe eines Profikillers, der allerdings nur viermal traf, so dass der frühere Kommandant einer friedfertigen tschetschenischen Terrorgruppe zum Ärger des Kreml überlebte.
Vier Jahre gelang es Putin dann offenbar, seinen Zorn auf den inzwischen nach Deutschland geflüchteten Familienvater zu bezähmen. Dann aber, kurz vor den wegweisenden Verhandlungten über Entspannungsübungen im festgefrorenen Ukraine-Konflikt, beschloss der Potentat auf seine typische Art, aktiv zu werden. Ein weltbekannter Profikiller, dessen blutige Handschrift von Behörden in aller Welt ohne Übersetzungshilfe gelesen werden kann, wurde in Marsch gesetzt, dem noch nicht so lange hier lebenden Changoschwili endgültig den Garaus zu machen und die immer lauter werdenden deutschen Stimmen, die für ein Ende der Sanktionen gegen Russland eintreten, endlich zum Verstummen zu bringen.
Wenn das der Plan war, klappte er endlich einmal reibungslos. Es dauerte nur Stunden, da hatten die deutschen Behörden den Täter gefasst, der natürlich wie üblich die "besonders in Geheimdienstkreisen beliebte 9-mm-Pistole Glock 26 mit Schalldämpfer" (Spiegel) benutzt hatte und wie immer auf einem Fahrrad geflohen war. Ursprünglich war ein Lada vorgesehen gewesen, das Fahrzeug aber hatte nach einem Dichtungsschaden am карбюратора (Vergaser) kurzfristig ersetzt werden müssen. Bond-like ließ der Mörder sich dann dabei beobachten, wie er die Tatwaffe, das Notfahrrad und eine Perücke in die Spree warf. Selbst die normalerweise kaum zur Verbrechensbekämpfung geeigneten deutschen Behörden kamen nun nicht umhin, seiner habhaft zu werden.
Die Spuren nach Moskau glichen wie im Fall MH17 oder bei der in Russland organisierten Wahl Donald Trumps ins US-amerikanische Präsidentenamt dem Trampelpfad einer Elefantenherde. Zwar bemängelten Ermittler zuerst, dass weder ein von Putin unterschriebener Marschbefehl im Hotel des mutmaßlichen Täters gefunden worden sei noch die von KGB- und GRU-Agenten gewöhnlich auf allen wegen verstreute Menge Giftgasampullen entdeckt wurden. Doch nach dreimontiger Ermittlungsarbeit war klar: Es handelte sich um "einen direkten Angriff des russischen Staates gegen Deutschland!" (Die Zeit).
Bereits im Frühjahr war aufgefallen, dass Russlands Fünfte Kolonne ihre Strategien und Taktiken längst verfeinert hat, dabei aber stets überaus auffällig agiert. So spielten russische Trollfabriken wie die geheime Agentur Internet Research nach Ansicht des früheren Stasi-Internetexperten Horst Kranheim heute über Bande, um ihr Ziel zu treffen. "Hier passt eigentlich alles", ´sagt der letzte Chef der Abteilung für funkelektronische Aufklärung im Ministeriums für Staatssicherheit nach dem Auffliegen des Strache-Skandals in Österreich, "die eigenen Angaben zufolge lettische Animierdame, die Rundumerfassung mit modernsten Kameras, der professionelle Videoschnitt, der satte, saubere Ton."
Für Kranheim, der seine ersten Dienstjahre noch an der Seite sowjetischer Sonderaufklärer als DDR-Vertreter des Rechenzentrums Jena bei der Internet Assigned Numbers Authority (IANA) verbrachte, traut dem gefürchteten russischen Geheimdienst GRU zu, nach dem Skripal-Anschlag im englischen Salisbury nun die Demokratie in Europa auf besonders miese Weise ins Visier zu nehmen. "Dass der Kreml bereit ist, mit Strache einen Mann zu opfern, der als direkter Lohnempfänger Russlands gilt, täuschte sogar Spiegel und SZ über die wahren Urheber", freut sich der Geheimdienstprofi aus Deutschland über die "makellose Arbeit der GRU-Kollegen".
Dabei hatte Věra Jourová die Methoden der Russen zur Manipulation der Europawahl schon vor Wochen enthüllt. Es gehe nicht um die plumpte Unterstützung bestimmter Kandidaten oder fortschrittsfeindlicher Bewegungen wie früher, als der frühere Dresdner Putin in seiner alten Heimatstadt Pegida aus der Taufe heben ließ. Ein Vorgehen, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte. Der deutsche Verfassungsschutz gab der dreisten Methode den Namen "halboffene Beschaffung", nachdem er entdeckt hatte, dass diese Form der Spionage auch von anderen Staaten angewendet werde, um an Quellen zu kommen. Allein Moskau soll es pro Jahr auf "mehr als hundert Anwerbeversuche" bringen - gelingt nur die Hälfte, könnte Moskau bereits binnen zweier Jahre mehr Gewährsmänner in Deutschland gewinnen als deutsche Mitglieder bei der renommierten Atlantik-Brücke deutsche Interessen vertreten.
Heute zielten "organisierte Desinformationskampagnen aus dem Ausland darauf ab, existierende Polarisierungen in der Gesellschaft aufzugreifen und zu verstärken", ist die tschechische Politikerin sicher. Falsche Spuren wie die, die jetzt zum deutschen "Zentrum für Politische Schönheit" (ZPS) und zum Fernsehmoderator Jan Böhmermann gelegt werden, tragen nach Kranheims Ansicht "gerade aufgrund ihrer Uneindeutigkeit die deutliche Handschrift hervorragender Geheimdienstarbeit". Mit Strache als Gegenstand der Video-Enthüllung, glaubt der Experte, habe der Kreml die "Publikation dieses Videos zur demokratischen Pflicht eines jeden Journalisten" gemacht, obwohl der Mienungskampf um die Honigfliegenfalle die Gesellschaften in der EU noch weiter auseinanderzutreiben droht.
Diese um mehrere Ecken gedachte Strategie zeichne aus, das sie funktioniere, die Ergebnisse in der zweiten Dimension kaum vorhersehbar seien und die Urheber ihre Beteiligung perfekt zu verbergen wüssten, weil die Beeinflussung der Europawahl subtiler stattfinde als seinerzeit in Amerika.Věra Jourová ahnte damals schon: "Das macht es schwer, sie zu erkennen." Russische Geheimdienstler gehen dabei streng nach Vorgaben eines US-Handbuches vor: In der ersten Phase, die die CIA "Erosion" nennt - auf Deutsch "Erosion" oder auch "Zerfall" - geht es darum, sogenannte Nuklei zu finden ("nuclei"), aus denen mit finanzieller, ideeller, kommunikativer und logistischer Unterstützung von außen eine Widerstandsbewegung aufgebaut werden kann.
Hier kommen nach CIA-Auffassung religiöse, ideologische, aber aus ethnische oder sich einer anderen Sprache oder eines anderen Dialekts bedienende Bevölkerungsgruppen infrage. In DDR etwa setzten die Verantwortlichen auf christlich geprägte Kreise, pazifistische Künstler und Vertreter von Jugendkulturen, in der früheren Sowjetunion auf Reformkommunisten, in Ägypten auf strenggläubige Moslems und in der Ukraine jüngst erst auf die eher westlich orientierten West-Ukrainer, deren Kultur immer noch eher von der Zugehörigkeit zum Habsburger Reich als von der zum Reich der roten Zaren geprägt ist.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer verkündete die Ermittlungsergebnisse höchstselbst, hart in der Sache, mahnend im Ton. Deutschland handelte entschlossen und tat, was auf staatlicher Ebene als Höchststrafe gilt: Wie im Fall Kashoggi wurde der staatlich in Auftrag gegebene Mord mit der Ausweisung mehrerer Diplomaten gesühnt. Wobei diese Konsequenz im Kashoggi-Fall eines Tages womöglich erst noch gezogen wird.
Aber Russland, die Riesenmacht direkt an der von deutschen Truppen auch in diesem sibierischen Winter wieder mutig gehaltenen Nato-Ostgrenze, ist auch eine ganz andere Baustelle. Wo die saudischen Blutprinzen subtil und leise mordeten, zeigten ihre russischen Auftragskillerkollegen sich vollkommen unfähig, auch nur die Standardanforderungen an staatliche Morde zu erfüllen. So wurden keine falschen Spuren gelegt, keine verwirrenden Netzwerke gesponnen und der Täter ging ebenso brachial wie dumm vor, so dass seine Tat zu den zwei Dritteln aller Morde in Deutschland zählen musste, die entdeckt werden.
Dass Wladimir Putin nun wild um sich schlägt und auf "Revanche" (n-tv) aus ist, versteht sich von selbst. Gerade erst hatte die Jugend der Welt seine russischen Staatsdoper für vier Jahre von allen internationalen Wettkämpfen ausschließen müssen. Der Verfall des Rubel und der Ausschluss von der Winter-WM der Fußballer, auf die gerade der Russe große Hoffnungen gesetzt hatte.
Und jetzt auch noch die Blamage, dass der deutsche Generalbundesanwalt nur ein paar Stunden nach Übernahme der Ermittlungen im Fall Changoschwili verkündete, es gebe "genügend Anhaltspunkte" dafür, "dass der Mörder im Auftrag von staatlichen Stellen der Russischen Föderation“ gehandelt habe. Es wird Winter in Russland und Putins Geheimdienste stehen nackt im Wind. Der Kremlchef wird reagieren müssen. Denn ohne große Säuberung wird es auch diesmal keinen Neuanfang mit talentierteren Mördern, gewitzteren Anschlagsplänen und geheimeren Geheimagenten geben.
Fachkräftemangel ist halt kein deutsches Privileg. Die brauchen einfach mehr Zuwanderung!
AntwortenLöschenWieso eine Glock und keine Makarow? Mich als regelmäßigen Tagesschaugucker hätte das noch mehr überzeugt. So könnte es ja genauso der österreichische Geheimdienst gewesen sein.
AntwortenLöschenGiftgas ist nam ordinarius stulti ein erstaunlich wirksames Zauberwort.
AntwortenLöschenAber auch oft für die, welche sich zu unrecht verständig dünken.