Es war spät, aber noch nicht zu spät, als die SPD im Februar mutig den Startschuss gab für eine Aufarbeitungsrallye, die endlich Schluss machte mit dem Überzeichnen des Osten als homogene, bedrohliche, faszinierende Landschaft voller Gruselgeschichten und Abenteuer, in der tribale Sippen herrschen, deren demokratischer Willen nur den Mustern ihrer kollektiven Krankheit folgt. Auf einmal aber war da dieser Beschluss der ältesten deutschen Partei: "Wir wollen die Erinnerung an 30 Jahre friedliche Revolution und Mauerfall mit einem neuen Aufbruch für Ostdeutschland verbinden", rief die entschlossen. Und sie erinnerte daran, wie "die Menschen im Herbst 1989 Grenzen gemeinsam eingerissen und auf friedliche Weise ein freies Leben und demokratische Strukturen erkämpft" hatten.
Die neue Freiheit aber ging mit harten beruflichen und familiären Veränderungen einher. Das anfängliche Gefühl des Aufbruchs, von Stolz und dem Willen, unsere Gesellschaft besser machen zu wollen, es verlor sich. Die Schatten der düsteren vergangenheit kehrten zurück, die Angst vor Obrigkeit und Strafe, die Furcht, eine Aufarbeitung der DDR-Zeit könne nach vorne gerichtetnach hinten losgehen und die beabsichtigte Debatte um die Anerkennung der Lebensleistung scheitern wie einst Oskar Lafontaines Sturm auf das Kanzleramt.
Der Mut der SPD
Denn die Traumata, sie wirken nach, die ganze Generationen Ostdeutscher schon in frühester Kindheit erlitten - damals, als ihnen mit dem Bären Bummi, einem brummigen sandgelbe Kerl, der seinem Meister Nadelöhr treu Gesellschaft leistet, eine Liebe genommen wurde, die niemals wiederkehrte.
Brutal zeigte die Staatsmacht den Ihren hier ihre Macht: Bummi, der die fröhlichen Kinder der Arbeiter und Bauern der sozialistischen DDR ab Ende der 50er Jahre immer Sonntagsnachmittags „Zu Besuch im Märchenland“ empfing, wurde beobachtet, beargwöhnt, gegriffen und entführt. Von einem Tag auf den anderen verschwand der liebenswerte Plüschteddy mit dem großen Herzen, der erst das Feld bereitet hatte für Schnattchen und Pittiplatsch, der 1962, kurz nach dem Mauerbau, in einem offensichtlichen Westpaket in die Schneiderstube kam, um systemerhaltende Streiche zu spielen und Rock-Roller-Sprüche wie "Ach, du meine Nase" und das später durch PPQ weltweit bekanntgewordene "Platsch-Quatsch!" in die Kamera zu sagen.
Der kleine Schwarze ist eine legendäre Figur der deutschen Geschichte. Er war dabei, als der Bummi-Bär in die Sowjetunion verschleppt wurde, als ein zwielichtiger KGB-Agent das Kinderfernsehen der DDR übernahm und er verkörperte über Jahrzehnte das rebellische Moment in der ostdeutschen Jugendkultur. Als im Mai 2016 seine Mutter Emma Maria Lange starb, trauerte auch das Märchenland-Board PPQ um Pittiplatsch den Lieben, eine mythische Figur, die zuletzt weltweit für Aufsehen gesorgt hatte, als sie im legendären Sommer 2012 im EM-Halbfinalspiel der deutschen Mannschaft gegen Italien alle Titelträume der deutschen Elf beendete: Zweimal traf der wiedergeborene Pitti gegen Manuel Neuer. Ein typisches Statement des ewigen Querkopfs, der sich nie um Konventionen und Erwartungen gekümmert hat, sondern stur seinem eigenen Kompass folgte.
Der Hass der Spitzel
Dennoch war es nicht der schwarze Kobold, den der Bannstrahl traf. Pittiplatsch, bis heute Namensgeber eines der elaboriertesten Internetblogs, wurde nach Protesten von sozialistischen Pädagogen zwar für einige Zeit vom Sender genommen und hinter den Kulissen auf zahm umerzogen. Heiligabend 1962 durfte der runde schwarze Fex wieder Possen reißen und Schnatterinchen ärgern - nur wenige erkannten, dass der, der da wieder Faxen machte, ein gebrochener Mann war, ein Schatten seiner selbst. Ihm zur Seite gestellt worden waren nun die Kobolde Nickeneck, Drehrumbum der Runde und Wuschel, drei Figuren von großer Undurchsichtigkeit. Waren sie Spitzel, die auf ihn angesetzt wurden? Waren sie seine Betreuer, weil den Machthabern der labile Zustand Pittis nicht entgangen war und sie einen öffentlichkeitswirksamen Ausfall des Stars fürchteten?
Oder hatte Pitti selbst bei der Stasi unterschrieben? Entsprechende Gerüchte machten früh die Runde, konnten aber nie belegt werden. Doch der Ablauf der weiteren Ereignisse im Märchenwald spricht eine deutliche Sprache: So lange der gebürtige Wenigeröder Eckart Friedrichson, der in der Rolle seines Lebens den Nadelöhr gab, seine schützende Hand über die Märchenwäldler hielt, ging alles gut. Fröhlich sang er mit seiner großen Zauber-Elle, die als Ersatz für eine Gitarre diente, das Lied „Ich komme aus dem Märchenland“, kein leiser Hauch von kaltem Krieg wehte durch Studio.
"Pitti kam aus Afrika", behauptet der Pittiplatschfrorscher Stefan Schwarz in seinem gleichnamigen Aufsatz, der der Pittiplatschforschung heute als Goldstandard gilt. Wenn wisse, dass Pittiplatsch Anfang der 1960er plötzlich bei Meister Nadelöhr auftauche, also in der Zeit der intensiven Kontaktaufnahmen zwischen dem sozialistischen Lager und den afrikanischen Befreiungsbewegungen, dränge sich der Schluss auf, dass Pitti gar kein Kobold, sondern vielmehr ein zu Ausbildungszwecken in die DDR verschickter Afrikaner sei. Genauere Analyse zeige sogar: "Ethnisch gesehen ist Pittiplatsch wahrscheinlich ein Bantu."
Und ein Wegweiser. Mit Pitti, so Schwarz, das vermutlich vom Suahelischen Wort „Pitia“ wie „Vorbeikommen“ abgeleitet sei, komme "Jahre vorm westdeutschen Gastarbeitermitfühl-Hit „Griechischer Wein“ die Migrantenproblematik im ostdeutschen Fernsehen zur Sprache". Wenn auch marginalisiert, unterdrückt und zeitweise strafversetzt ins Fernseharchiv. Ein Sympathieträger trotzdem oder gerade deshalb. Schwarz sieht Pitti bei den Flüchtlingen, den Kohlenträgern, den Menschen ohne Stimme. "Tatsächlich ist Pittiplatsch von außerordentlich dunkler Hautfarbe, hat eine runde Nase und große leuchtende Augen - die Ähnlichkeit mit dem ehemaligen mosambiquanischen Präsidenten Samora Machel geht ins Doppelgängerische", heißt es. Die saucoole Pelzweste, die der sture Dropout trägt, wird später von der afroamerikanischen Rapperszene übernommen werden.
Klassenkampf im Kinderzimmer
Das gefiel auch in der DDR nicht allen. Hinter den Kulissen, so behaupten Eingeweihte, schraubten die Realpolitiker längst an einer völligen Neuorientierung der kindlichen Sendung, der sie vorwarfen, zu wenig auf Klassenkampf zu setzen, die Völkerfreundschaft zu vernachlässigen und Anarchisten wie Pittiplatsch zu viel Raum zugeben. Mit Herrn Fuchs wurde von den maßgeblichen Kreisen in Pankow und Moskau ein typischer Vertreter des auf dem Boden der DDR endgültig geschlagenen Kleinbürgertums in die Wald-WG aufgenommen. Fuchs sollte als Zielscheibe für böse Späße Adenauer ersetzen. Der Hund Moppi kam als typischer Vertreter des Proletariats hinzu – er redete nicht viel, aber Blödsinn. Zeigte aber stets deutlich, dass er bereit war, die Sache der Arbeiter mit aller Kraft zu verteidigen. Gute Voraussetzungen für eine große Karriere nicht nur im Showgeschäft.
Dann kam der Tag, an dem Bummi-Bär starb. Ein Rollkommando aus Wünsdorf fuhr unangekündigt vor den Märchenwald-Studios in Babelsberg vor. Augenzeugen erinnern sich an sieben bis neun Männer in Uniformen der sowjetischen Fallschirmjägertruppe, eine Eliteeinheit, die für den KGB besonders knifflige Aufgaben erledigte. Während zwei Mann die Eingänge sicherten, so ein Zeitzeuge, seien die anderen in die Aufenthaltsräume der Darsteller gestürmt. „Dort wurde Bummi knallhart gepackt und rausgeschleift“, erinnert sich der Mann, der bis heute unter traumatischen Träumen wegen des Vorfalls leidet. Der in einem Lied besungene („Bummi, Bummi“, oben) Star wurde stellvertretend abgestraft, vermuten Forscher heute, wo Stasiakten, die PPQ vorliegen, zumindest die halbe Wahrheit verraten.
Es soll eine Intervention von ganz oben, sprich aus Moskau gewesen sein, die zu dieser Aktion führte. Bummi verschwand spurlos. Eckhard Friedrichson verkraftete es nicht. Das Herz. Meister Nadelöhr, seit seiner Kindheit an Diabetis erkrankt, starb völlig unerwartet, für eine ganze Generation endete mit diesen beiden Verlusten die Kindheit. Das Ende der DDR, es deutete sich bereits an. Im Herbst danach folgte die Biermann-Ausbürgerung, später gingen auch Manfred Krug und Nina Hagen in den Westen, um nicht ebenfalls wie Bummi in die Sowjetunion verschleppt zu werden.
Verschleppt nach Workuta
Den Feinden des Friedens im Märchenwald aber kam das nur recht. Hintergrund der Disziplinierungsaktion gegen Bummi, so wurde es später bei einer geheimen Parteiversammlung mitgeteilt, seien Hinweise darauf gewesen, dass der altgediente Bär mit seiner Rolle als Sidekick der dominanten Schnattchen und Pitti nicht mehr zufrieden gewesen sein. Bummi sei in Kreise geraten, die der DDR nicht wohlgesonnen gewesen seien, der Verdacht der Spionage und des Dissidententums habe im Raum gestanden, heißt es in den Stasi-Unterlagen, die von Mielke selbst gegengezeichnet wurden.
Gemeinsam mit der Stasi-Kinderabteilung entwarf der KGB den Plan, Bummi „zu seiner eigenen Sicherheit“ nach Moskau zu bringen. Offiziell wurde dann über den Sender erklärt, der beliebte Bär sei auf Reisen im sozialistische Ausland, um Freundschaft mit Bären aus aller Welt zu schließen.
Die Lücke im Märchenwald schloß sein bärbeißiger sowjetischer Vetter Mischka, ein hochrangiger KGB-Offizier mit Einzelkämpferausbildung, Typus Putin, der bis zum Ende der DDR tatsächlich mit Drohungen und zuweilen auch blanker Gewalt für stabile Verhältnisse im Märchenland sorgte. Gemeinsam mit Pittiplatsch und Schnatterinchen trat der alptraumhafte, dunkelhaarige Bär, der nach dem Chef der DDR-Auslandsaufklärung Mischa Wolf benannt worden war, auch in hunderten Ausgaben des Abendgrußes „Unser Sandmännchen“ auf. Noch laufen wissenschaftliche Untersuchungen, um zu ermitteln, welche Langzeitschäden die dauernde Konfrontation mit dem wortkargen Russen bei den Kindern verursacht hat.
Ein gebrochener Bär
Bummi hingegen, für viele ahnungslose DDR-Kinder immer noch ein Idol, wurde allenfalls zu hohen staatlichen Feiertagen aus seinem Moskauer Exil zugeschaltet. Er sagte dann ein paar Worte, Kenner spürten, dass er zuvor unter Drogen gesetzt worden war. Nach dem Mauerfall gab es einige hilflose Versuche des talentierten Plüschriesen, in sein altes Metier zurückzukehren. Keiner glückte. Heute lebt Bummi, immer noch schwer bewacht, inzwischen aber auch leicht umnachtet, in einem Heim für verdienstvolle Kulturschaffende der Sowjetunion in Wladiwostok. Interviewbitten von PPQ wurden von der Heimleitung ohne Begründung abgelehnt.
Wieder einmal muss die deutsche Geschichte umgeschrieben werden! Aber wo war Heidemann? Und der Stern? Wallraff? Rassistische Vorurteile, weil ja nur Ossi-Kinder der sinistren psychischen Folter ausgesetzt waren? Wären die Montagsdemonstranten etwa doch mit Fackeln und Mistgabeln durch Plauen und Leipzig gezogen, wenn sie das gewusst hätten? Hatte Kahane ihre gichtigen Finger im Spiel?
AntwortenLöschen"...weil ja nur Ossi-Kinder der sinistren psychischen Folter ausgesetzt waren."
AntwortenLöschenNein, den Sandmann sah man auch im benachbarten Niedersachsen.
Essay
AntwortenLöschenDie Erziehung des Ostens
Exklusiv für Abonnenten
Seit dem Fall der Mauer vor 30 Jahren geht es nie darum, dass der Westler sich ändern muss. Nein, der Osten ist es, der aus der Gesellschaft auswachsen soll wie eine Dauerwelle. Von
Alexander Osang
-----
Nein. der Osten soll wie von einem Feldarzt aus dem eigentlich gesunden westdeutschen Volkskörper ausgedrückt werden.
AntwortenLöschenhttps://www.youtube.com/watch?v=0GWjp65R3zo
ihre besonderheit
im beste fall..
nichts
also, warum solltest du..
Spitze. Aber wer kennt noch das Fernsehpuppenspiel "Die Heinzelmännchen"?
AntwortenLöschen(Eh, Leute, hier gibt's Arbeit! Hurraaah!
Meister, das Ding ist mit Geld doch überhaupt nicht zu bezahlen. Ich verleihe dir einen Orden!)