Freitag, 2. August 2019

Sommerkino: Was in der großen deutschen Gewaltdebatte schiefläuft

 PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl hat dazu eine klare Meinung.

Was hat die Täter von Wächtersbach, die Sturmbrigadisten von Köthen und die Hetzer der Hasser, die in Terror umschlägt, getrieben? Wie auch immer die Antwort: Es ist kein Grund, gegen alle Rechten oder Rechtsradikalen zu hetzen.

Der Leitartikel von PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl.

Vier Tage danach ist die Kuh vom Eis. Noch ein paar wenige mediale Nacharbeiten, ein wenig Kontergruseln. Und zurück zum Wetter. Moderatoren gehen ungestört ihren Geschäften nach, Nachrichtensprecher zeigen sich bestürzt über Trump. Es ist Friday inmitten der future, die Demo heute fällt aus, der Aufstand tagt im Saal. Nur wenige Umweltschützer widerstanden dem Drang, zum #fff-Kongress nach Dortmund zu fahren. Fast Alltagsbetrieb in der Medienrepublik.

Auch für die Menschen draußen an den Empfängern war das Verbrechen von Frankfurt nicht mehr so wichtig. Ein Emp (Einheit für einheitliche Empörung) für eine solche Tat verwandelten den Mord von Hessen zum Nachrichtenthema unter anderen. Dass ein Mann einen kleinen Jungen ermordet hat, ein anderer Mann einen anderen Mann mit dem Schwert dahinmetzelt und ein anderer Mann seine Freundin ermordet, verblasst angesichts der Gefahr durch böse Tweets und Nazi-Propaganda.

Was da geschieht, ist schrecklich, unfassbar, aber medial offenbar sehr viel interessanter als Morde mit schwertähnlichen Gegenständen.

Wie anders ist doch das Empfinden der meisten Menschen in ihrem privaten Umfeld. Da bestimmt Entsetzen die Gedanken und Gespräche. Was treibt eine schwule Frau aus der Schweiz zu solchen Tweets? Wie gewalttätig – oder psychisch krank – müssen Politiker sein, die sich so in der Öffentlichkeit äußern? Welches Motiv haben sie? Gibt es überhaupt eines, da so etwas entschuldigen kann?

Empörung über die Empörung



Und schnell mischt sich in die Fassungslosigkeit, die der gewaltsame Tod eines Politikers ausgelöst hat, die instrumentalisierende Empörung darüber, wie sich Leute über die Tat empören, nur um ihr Weltbild bestätigt zu sehen. Nur weil es jeden treffen können, auch einen selbst, auch den eigenen Abgeordneten! Zur Ehrlichkeit gehört, offen zu sagen: Nun,  vor einer derart brutalen Willkür ist niemand sicher. Wo das Leben pulsiert wie in Hessen, wo man Macho-Messer, aber nicht alle Schwerter verbieten kann wie in Stuttgart und Passanten trotz modernster Terrorsperren immer noch allerlei öffentliche Orte und Plätze bevölkern, ist die Gefahr besonders groß.

Sollen wir Menschenmengen deswegen verbieten? Sie als Zusammenrottungen auflösen? Müssen wir uns in Zukunft genau umschauen, bevor aus dem Haus treten, in eine Öffentlichkeit, die gefährlich ist? Gilt es nun, endlich einmal genau hinzuhören, wenn es heißt "Vorsicht beim Betreten der Bahnsteigkante"? Schadet es der Klimawende, wenn das Fahren mit Zügen unter Angstvorbehalt steht? Die Menschen erwarten zu Recht, dass wir alles tun, um sie zu schützen. Eine potenzielle Gefahr sind vor allem die vielen Gewalttäter, privat und in der Familie. Bereits vor längerer Zeit hat das Kabinett ja beschlossen, solche Leute, wenn sie beim Fußballfans ihren Umtrieben nachgeben, in einer speziellen Datei zu erfassen und ihnen mit Hilfe von Meldeauflagen die Ausreise aus Deutschland zu untersagen. Das sind richtige und notwendige Schritte.

Gesetze allein aber genügen nicht. Unsere Sicher­heitsbehörden müssen auch in der Lage sein, gewaltbereiten Menschen, ob Nazis oder nicht, 24 Stunden am Tag auf den Füßen zu stehen. Kein gewaltbereiter Rechtsextremer darf sich in Deutschland mehr unbeobachtet fühlen, meine Damen und Herren.

Mix aus hohen Sgteuern


Auch der bei Linken beliebte politische Mix aus hohen Steuern, der Ablehnung jeder Privatisierung öffentlicher Aufgaben und der Aufblähung des Sozialstaates wird den ökonomisch Abgehängten, die die Linken gewählt haben, nicht helfen. Letztere hatten zuletzt oft aus Protest und Fremdenfeindlichkeit rechts gewählt. Nun haben sie sich für links entschieden. Beides hilft vermutlich aber nicht. Das ist das Paradox der Gegenwart. Künftig dürfte es noch größere Probleme geben, wenn die Wähler erkennen, dass sie mit ihren Erwartungen erneut in die Irre geführt worden sind. Nur in die andere Richtung, um anderen Hass zu hegen.

Gewiss, vor heimtückischen Überfällen, vor Terrorattacken gibt es keinen ausreichenden Schutz. In einer offenen Gesellschaft mit offenen Grenzen ist allen bewusst, dass es einen Preis auch zu zahlen gibt für Dinge, die man geschenkt bekommt. Dennoch bewegen uns diese Fragen nach jedem Anschlag, jedem mörderischen Amoklauf – ein Kreislauf-Diskurs, der immer wiederkehrt, den ein Mensch, der über seine Angst nicht spricht und Möglichkeiten beschwört, sie durch praktische Massnamen zu bekämpfen, hat einen wichtigen Teil seiner menschlichen Eigenschaften verloren.

Dass sich die Nazischläger auf den Nationalsozialismus berufen und damit das Empfin­den vieler friedlicher Rechtsradikaler mit Füßen treten, das ist eigentlich schon schlimm genug. Wenn aber Millio­nen friedfertiger Rechter in Deutschland in einen Topf mit Nazis geworfen werden, die Verbrechen begangen haben, dann ist das eine un­verantwortliche politische Brandstiftung.

Ja, wir müssen uns fragen, warum sich junge Menschen aus Deutschland der rechten Terrorgruppe NSU angeschlossen haben. Der rechte Terror übt mit seiner Ideologie von Gewalt, Macht und Märtyrertum offenbar eine große Anziehungskraft auf junge Menschen aus. Unter dem Deckman­tel der Ideologie nutzt er die Schwäche junger Menschen. Wer keinen Schulabschluss hat, wer keine Arbeit findet, wer ein schwaches Selbstwertgefühl besitzt, wer sich ausgegrenzt fühlt, in Sachsen lebt und keine Aufstiegschancen hat, der ist anfälliger für eine solche Ideologie. Die Bundeskanz­lerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das in keiner Weise Terror und Gewalt rechtfertigen kann.

Vorurteile und Ressentiments mit Ängsten schüren


Aber: Wer Ängste benutzt, um Vorurteile und Ressentiments zu schüren und die Gelegenheit zu schaffen, Gesetze zu verabschieden, die Menschen unter Generalverdacht stellen, nimmt sich keineswegs der berechtigten Sorgen von Menschen an. Ihm geht es ausschließlich darum, niedere Instinkte und eine Ideologie der Ungleichheit zu bedienen. Diese Instrumentalisierung einer Gewalttat setzte auch nach dem Mord an Walter Lübcke und den Schüssen von Wächtersbach umstandslos ein. Kaum waren die ersten Meldungen gelaufen, kaum hatte die Polizei die Identität des Täters veröffentlicht, tobte die Hetze gegen Rechte, Rechtspopulisten, rechtsradikale, Rechtsextreme und Rechtsextremisten.

Ja, es ist ein Nazi aus Hessen, der den Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke erschoss. Ja, es war der Besitzer eines SS-Koppelschlosses, der in Wächtersbach auf einen Eritreer schoss. Ja, auch unter Menschen deutscher Nationalität befinden sich Kriminelle. Und was folgt daraus? Gar nichts – außer dass ein Mann ein furchtbares Verbrechen begangen hat und ein anderer auch, für das beiden nun der Prozess gemacht werden muss. Hilft das Wissen um den Hintergrund des Täters den Opfern? Der Witwe, dem verletzten Geflüchteten? Mitnichten. Es ändert nichts an dem Trauma.

Die innere Überzeugung der Gewalt



Warum also ist es so selbstverständlich geworden, die inneren Überzeugungen eines Gewalttäters mit der Gewalttat in unmittelbare Beziehung zu setzen? Selbst seriöse Medien sind inzwischen mit einer Erklärung von solchen Taten mit einer Gesinnung zur Hand, wenn diese sich dafür anzubieten scheint. Es gibt auch keine Richtlinie des deutschen Presserats, die es verbietet, die Parteizugehörigkeit, frühere Mitgliedschaften in Vereinen oder Kirchgemeinden, berufliche Tätigkeiten, Auslandsaufenthalte, Anwesenheiten bei Sommertreffen Verdächtiger oder frühere Hobbys zu erwähnen, wenn ein begründetes öffentliches Interesse besteht.


Jede nur denkbare Gewalt, alle Gräueltaten wurden und werden hierzulande traditionell zumeist von Tätern mit deutschem Pass begangen. Vergewaltigung – findet massenhaft im familiären deutschen Umfeld statt. Missbrauch – die Kinderschänder sitzen in deutschen Schulen und Kirchen. Mord und Totschlag – wie viele der Verurteilten sind wohl stolz auf ihre deutschen Wurzeln? Raub, Schlägereien, Hasskommentare, Geschwindigkeitsüberschreitungen - auch wenn immer noch die überwiegend meisten Deutschen gesetzestreu leben, sind weit mehr Straftäter hierzulande Deutsche als Angehörige sonst einer Nation. Und es fällt auf, dass sich nahezu jeder Rechte Jahr für Jahr strafbar macht, seit Jahrzehnten schon: 24.000 amtliche anerkannte Nazis im Land begehen jährlich fast 23.000 Straftaten. Das ist Weltrekord.

Pauschale Urteile, Überzeugungen, gewonnen ohne eigene Einsicht, eine globale Verdammung, die sich gegen eine ganze Gruppe von Menschen richtet, obwohl stets nur Einzeltäter hier Schuld auf sich laden - das hilft nicht, dieses unsägliche Verhalten weiter Teile der Gesellschaft entschieden anzuprangern. Eine offene Gesellschaft wie die unsere darf kein Blatt vor den Mund nehmen. Sie muss fordern, was sie verlangt und mehr Differenzierung, einen klareren Blick auf Verantwortliche und Mitläufer wagen - vor allem aber mehr Verständnis, um Ausgrenzung radikaler und extremistischer junger Menschen zu verhindern.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Sowjetunion, die Briten und unsere amerikanischen Freunde hier die beispielhafteste Antwort gegeben, die man sich vorstellen kann. Sie ha­ben nicht nach Vergeltung und Rache gerufen, sie haben nicht den Polizeistaat gefordert, sondern Millionen sind an die Front gegangen, um zu kämpfen und um klar zu zeigen: Wir lassen uns von den Nazis nicht spalten, wir stehen zusammen, wir bieten dem Terror die Stirn, und wir verteidigen die Freiheit, die Demokratie und die Menschlichkeit und am Ende laden wir die, die aus falschverstandenen Motiven heraus gegen uns gekämpft haben, ein, zusammen eine neue, bessere Welt zu bauen.

Jeder Fall, in dem Rechte eine Rolle spielen, wird deshalb völlig zu rechts zum Beweis für die Gefahr durch NPD, AfD, Identitäre, Kameradschaften, Rechtsrockbands und wie sie alle heißen. Denn Deutschland wäre ein friedliches und gewaltfreies Land, könnten wir die vermeintliche Bedrohung von rechts nur endlich eliminieren. Niemand müsste mehr Angst auf Bahnhöfen haben, in dunklen Parks oder tagsüber beim Drogenkauf im Berliner Görli. Es wird Zeit, hier anzupacken, denn so, wie es aussieht, läuft sie uns davon.


Nach Motiven von Bascha Mika: "Nach dem Verbrechen am Hauptbahnhof Frankfurt: Was in der Debatte schiefläuft"

3 Kommentare:

  1. Angela Marquardt @MV_AM

    Es muss gesagt werden. Ich habe einen Kumpel, der #Usedom gebucht hat. „Problem“: seine Freundin hat dunkle Hautfarben&die beiden Kinder auch. Sie haben Usedom vorzeitig verlassen, weil sie mehrfach rassistisch beschimpft wurden. #Realität #Osten

    https://twitter.com/MV_AM/status/1157013296727449615
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    Ich bin auf Usedom auch mal urlauberfeindlich beschimpft wurden und drei Tage später abgereist.

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  2. Ich habe einen Kumpel, der #Usedom gebucht hat. „Problem“: seine Freundin hat dunkle Hautfarben&die beiden Kinder auch ...

    Tel Aviv - so ist das Leben. Mit diesem Kalauer habe ich Anfang der Neunziger eine welsche Germanistikstudentin aus Mongpälljeh quieken gemacht.
    Ansonst: Wie man in den Wald hineinruft, so schlägt's dem Fass die Krone ins Gesicht. Kharma is a bitch.

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  3. https://www.wir-sind-gruen.com/

    rot/grün unironisch bekämpfen

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