Lange, ziemlich lange geht der Plan auf, mit dem der Hallesche FC in dieses erste von zwölf Endspielen um den Aufstieg in die 2. Liga gegangen ist. Der Gast aus Cottbus, in der 3. Liga ums Überleben kämpfend, startet zwar energisch. Doch die wie zuletzt daheim stets in weiß aufgelaufenen Rotweißen von der Saale wirken nie, als wackele da irgendetwas. In der Besetzung vom fabelhaften Uerdingen-Sieg wirbeln Ajani und Manu auf den beiden Außen, Toni Lindenhahn organisiert mit sehenswerten Ansätzen die Offensive und vor lauern Sohm und Fetsch, um ein möglichst frühes Tor zu machen, das die Fronten hier, so der Plan, gleich klären soll.
Aber auch Cottbus hat einen Plan mitgebracht, der erstmal darin besteht, alles gaaaanz langsam angehen zu lassen. Torwart Rauhut lässt sich bei jedem Abstoß unendlich viel Zeit, dann geht es los, aber nein, doch nicht. Erst muss der Ball neu zurechtgelegt werden. Schiedsrichter Timo Gerach betrachtet das interessiert, aber auch desinteressiert. Der HFC bleibt unbeeindruckt und geht jeweils mit drei Mann auf den ballführenden Cottbusser. Es ist kein Spaß, gegen die Zeigner-Elf zu spielen, die bei einem Sieg weiter dicht hinter dem zweitplatzierten KSC bliebe und Verfolger Wiesbaden weiter um mindestens fünf Punkte hinter sich gehalten hätte.
Der Plan geht auf. In der 12. Minute gelingt, was schon lange nicht mehr geklappt hat: Nach einem Freistoß, den Gerach Manu zugesprochen hat, ist Sohm am kurzen Pfosten am schnellsten. Und trotz der wackeren Gegenwehr der Gäste steht es 1:0.
Nach der Statistik kann der Abend damit beendet werden. Führt der HFC, dieses Gesetz gilt bereits seit geraumer Zeit, verliert er nicht mehr, so zumindest war das bis hierher. Zudem deutet nichts darauf hin, dass ausgerechnet der Tabellen-18. etwas am normalen Lauf der Dinge ändern wird. Cottbus ist nach vorn harmlos, spätestens, wenn das dritte HFC-Trio den ballführenden Mann in Blau attackiert, ist jede offensive Andeutung vergessen. Der HFC hingegen spielt konzentriert sein Spiel, mal außen rechts lang, mal außen links, mal über Ajani, mal über Manu, mal tauschen die beiden auch die Seiten.
Zwar fehlt der letzte Pass und einige Passversuche mit Hacke und Außenrist wirken fast schon zu spielerisch. Aber selbst der zwischenzeitliche Ausgleich, den Weidlich in der 28. Minute erzielt, nachdem Braydon Manu bei einem Konterversuch nicht hart genug gegengehalten hatte, so dass Energie seinerseits in die eben aufrückende HFC-Formation kontern konnte, wirkt eher wie ein Schönheitsfehler denn bedrohlich. Noch vor der Halbzeit ist alles wieder gut: Niklas Landgraf, seit einiger Zeit ein neuer Standardschütze im HFC-Team, lässt in der 43. Minute eine Ecke von rechts auf den langen Pfosten segeln. Moritz Heyer da. Und erzielt die erneute HFC-Führung.
Alles klar nun. Der HFC erzielt selten mehr als ein Tor, tut er das aber, gewinnt er auch. In der Hlabzeitpause um kurz vor 20 Uhr ist die Welt für 8700 der 9000 Zuschauer im früheren Kurt-Wabbel-Stadion die schönste aller denkbaren. Konkurrent Karlsruhe liegt 0:2 gegen den Tabellenletzten Aalen zurück. Und bei Verfolger Wiesbaden steht es noch 0:0. "Es fehlen noch fünf Tore, um auf Platz 2 vorzurücken", grummelt es auf den Tribünen. Der erspart in jedem Fall das Relegationsspiel gegen Magdeburg, das inzwischen schon wie ein grausames Glücksversprechen diskutiert wird.
Nur die Cottbusser scheinen die Statistik nicht zu kennen. Ohne irgendwelche Bäume auszureißen, spielen sie ihren ruppigen Kampffußball weiter. Und in einer Liga, in der nicht nur jeder jeden schlagen kann, sondern viele das auch gelegentlich tun, reicht das. Fünf Minuten nach Wiederanpfiff ist es erneut Manu, der zu viel tändelt und zu viel nach vorn schaut, so dass der Ball plötzlich auf eine gerade im Vorrücken befindliche HFC-Abwehr zurollt. Niklas Landgraf, bis dahin eine Bank, muss Streli Maba zum ersten Mal passieren lassen. Kai Eislee im HFC-Tor, der bis dahin noch keinen ernsthaften Schuss halten musste, fliegt noch. Aber nicht weit genug.
2:2 und die Statistik kippt damit ins Undenkbare. Nur fünfmal hat der Club in dieser Saison zwei oder mehr Gegentore kassiert. Und immer verloren. Sollte das auch heute? Trainer Torsten Ziegner nimmt Lindenhahn raus und bringt den defensiveren Björn Jopek. Nicht jeder Plan klappt und ist er auch noch so gut gelungen, verträgt er doch auch Änderungen. Bentley Baxter Bahn aber wedelt mit den Armen Richtung Traversen. Anfeuern sollen die Leute, Stimmung machen, die Mannschaft vorwärts peitschen!
Doch da kommt nicht viel, weil alle sehen, dass unten auf dem Rasen gerade eine kunstvoll gedrechselte Strategie baden geht: Aus den drei Spielern, die in der ersten Hälfte wie aufgezogen jeden Mann in Blau beharkten, sobald er den Ball an den Fuß bekam, werden zwei. Dann ist es manchmal nur noch einer. Dass Ziegner Pronichev für Manu und Tuma für Sohm bringt, macht es nicht besser. Die beiden Neuen mögen noch Kraft haben, doch in den Offensivaktionen, die der HFC immer noch im Übermaß hat, fehlt es ihnen jedes Mal an Durchsetzungsvermögen, Auge und Entschlossenheit beim Abschluss.
Es kommen Erinnerungen hoch, Erinnerungen an die Zeiten, die die dunkelsten sind für alle Rot-Weißen. Mitte der 90er Jahre beim Halleschen FC, Jahre des Katzenjammers nach dem tiefsten Sturz, den ein Verein aus der ehemaligen Oberliga der DDR hingelegt hatte. Aus Liga 1 über Liga zwei und drei bis hinunter in die fünfte Spielklasse. Der stolze Klub aus Halle, in seinen besten Tagen Pokalsieger, Meisterschaftsdritter und Europacup-Teilnehmer, war am Ende. Ein Traditionsverein als Witznummer, verlacht von den Stadtoberen, die lieber den Zoo-Klub zur Nummer 1 der Stadt machen wollten. Vergessen von den Fans, die zu DDR-Zeiten zu Zehntausenden ins Kurt-Wabbel-Stadion geströmt waren. Und dann dieser Vollstopp: Geblieben auf den Tribünen waren nur wenige Unbelehrbare, die Wochenende für Wochenende herbeitröpfelten, um Spielern wie Oliver Kühr, Jan Riedl und Maik Rüdiger dabei zuzusehen, wie sie mit mal mehr und mal weniger Erfolg versuchten, mit Fußball-Giganten aus Dörfern wie Braunsbedra, Schönebeck und Bernburg mitzuhalten. Ging es mal aufwärts, folgte wieder ein Absturz. Das Herz wurde hart.
Als Mathias Fetsch eine wirklich großartige Kombination mit einem satten Direktschuss aus zehn Metern abschließt, aber nicht ins Tor trifft, sondern Rauhut Gelegenheit zu einer unfassbar großartigen Parade gibt, sagt schon die Körpersprache einiger Hallenser, dass ihre Hoffnung auf drei Punkte nicht mehr gar so groß ist. Der Glaube ist weg, nicht nur unten, sondern auch oben. Dort auf den Rängen wissen sie, Karlsruhe liegt nun 0:3 hinten und der HFC hätte immerhin einen Punkt nach vorn gutgemacht. Der Spatz in der Hand. Auch nicht so schlecht.
Wenn er nicht in der Nachspielzeit davonflattert. Diesmal ist es eine Cottbusser Ecke, fast schon das Letzte, was hier heute noch passieren wird. und wie in einer Wiederholung des ersten HFC-Treffers ist Weidlich am kurzen Pfosten früher als Eisele am Ball und der im HFC-Tor, ehe noch jemand im Stadion begriffen hat, dass das erste Endspiel tatsächlich noch in die Hose gehen kann. Der letzte Konter bringt dann noch mal einen Freistoß, aber nach zwei Standardtoren des HFC, der vor diesem Spiel über Wochen und Monate gar nicht mehr nach Standards getroffen hatte, ist ein Schuss, der knapp drüber geht, schon mehr, als zu erwarten war.
Abpfiff, aus, zu Ende. Einige HFC-Spieler fallen enttäuscht um. Dann liegen sie da, auf dem kalten Boden der Tatsachen, der Plan in Trümmern das Rostock-Spiel am nächsten Montag vor der Brust, das nun schon wieder Druck bedeutet. Heute feiern nur die Gäste mit ihrem Anhang und sie feiern einen nicht unverdienten Sieg, weil die Ersatzbank des HFC eben nicht die Gewähr bietet, dass ein enges Spiel von außen noch einmal positiv beeinflusst werden kann, wenn dem Stammpersonal die Kraft ausgeht. Winter-Neuzugang Christian Tiffert, der das eigentlich können sollen müsste, war ja auch gar nicht im Aufgebot.
Schluss, aus, vorbei. Wie immer. Wieder ein Spiel zwischen leiser Hoffnung und lautem Grausen. Hinten hui, vorne pfui, manchmal aber auch umgekehrt. Kopfschüttelnd gehen sie von der Tribüne, die alten Herren, die Väter mit ihren Söhnen, die Ultras im rot-weißen Putz. „Das war langweilig“, sagt ein Junge zu seinem Vater. Der nickt bedächtigt. „Das war typisch HFC“, sagt er, „wenn Du Fan von einer Mannschaft sein willst, die immer zaubert und immer gewinnt, hättest du eben Bayern-Fan werden sollen“.
Das lernt man früh als Fan des HFC. Doch man kann es sich manchmal nicht aussuchen. Viele von denen , die heute in den Erdgas-Sportpark pilgern, um sich die Spiele in der 3. Liga anzuschauen, sind in den 70er und 80er Jahren Fan der Rot-Weißen geworden. Damals, als Peter Kohl an der Linie stand und auf dem Platz Leute wie Strozniak, Pastor, Peter und Krostitz wirbelten, gehörte viel dazu, einen euphorischen Moment zu erwischen, der einen Teenager für ein ganzes Leben mit dem HFC-Virus infizierte.
Es waren Jahre gepflegter Langeweile, die seit dem Abstieg in die 5. Liga. Meistens ging es um nichts. Keine Meisterschaft stand auf dem Spiel, kein Pokalsieg musste erobert werden. Führte die HFC-Elf mal 2 zu 0, ahnten den Kummer gewohnten 200, 300 auf den Rängen, dass Torwart Maik Völkner gleich noch zweimal würde hinter sich greifen müssen. Hoffnung machte nur die Geduld: Eines fernen Tages wäre der Klub wieder da. Man ist ja Kummer gewohnt als Anhänger eines Vereins, der nie zu den glänzenden, lackierten und schicken gehörte, sondern das Image des Versagens im entscheidenden Moment immer mit sich trug.
Und das hilft in solchen Momenten, wenn Träume sterben, die kaum jemand wirklich zu träumen gewagt hat. Den HFC hat lange nur der Trotz am Leben gehalten. Es waren immer dieselben, die jubelten, immer dieselben, die die Köpfe hängen ließen. Auch heute wieder. Wenigstens das Wetter war gut. Und wenn es nicht gewesen wäre, dann erfreut doch alle der Gedanke daran, dass es nicht so enden wird. Es gibt immer ein nächstes Mal Und irgendwann wird es vielleicht nicht gut. Aber besser.
Nichts gegen ostdeutsche Solidarität - wird im Ruhrgebiet auch so gehandhabt - aber das war der falsche Zeitpunkt.
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