Sonntag, 18. November 2018

Schuh-Gate: Der große Blonde mit dem braunen Schuh


Braune Schuhe sind wärmer als hohe, die EU ist eine Friedensgemeinschaft, die derzeit nur an sechs Kriegen und kriegerischen Konflikten offiziell beteiligt ist. Und Jean-Claude Juncker, der Chef der EU-Komission, leidet an Ischias.

Eine quälende, schmerzhafte Erkrankung, die Betroffene vor die Wahl stellt, sich mit starken Medikamenten zu betäuben, um ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllen zu können. Oder sie ins Bett zwingt, bis der oft lange andauernde Ischias-Anfall überstanden ist. Jean-Claude Juncker, Herz und Hirn der EU, hat sich für den Dienst an der Gemeinschaft entschieden. Wenige Monate vor der nächsten Schicksalswahl, inmitten der Brexit-Verhandlungen und angesichts des Schuldenzwists mit der italienischen Nazi-Regierung bleibt dem hochgeachteten Staatsmann, der sich einst selbst von allen Vorwürfen freigesprochen hatte, er habe in seiner Zeit als Luxemburger Regierungschef Großkonzernen üppige Steuergeschenke gemacht, gar nichts anderes übrig.

Juncker ist inmitten einer bröckelnden EU, in der die beiden nach dem Abgang Großbritanniens dominierenden Staaten Deutschland und Frankreich immer öfter bizarre Alleingänge unternehmen, die letzte Konstante. Macron steht daheim unter Druck, Angela Merkel sieht dem Machtverlust entgegen, will sich aber ihren Platz in den Geschichtsbüchern noch selbst zuschreiben. Juncker muss ausgleichen, den Schein gemeinschaftlicher Beschlüsse wahren, die zusehends radikaler werdenen Forderungen aus Paris - etwa nach einem Ende der Bundeswehr als Parlamentsarmee - die Spitze nehmen.

Aber kann er das? Ist der 64-jährige Stahlarbeitersohn aus dem ehemals französischen, ehemals deutschen und ehemals niederländischen Redingen wirklich noch stark genug, die 500 Millionen Europäer zusammenzuhalten? Kann er, der 1989 einen schweren Autounfall überlebte und seitdem an Ischiasschmerzen leidet, der verbleibenden 27 Ländern in der EU Optimismus, Tatkraft und Zukunftsfreude vermitteln? Sie mitreißen und ihnen deutlich machen, wie wichtig Vertrauen in die bestehenden Institutionen ist? Und gelingt es ihm tatsächlich weiter, sich selbst im Rahmen bestehender Konzessionen anzukleiden?

Ein von Rechtspopulisten im Internet verbreitetes Video soll daran Zweifel wecken. Die zwölfsekündige Sequenz zeigt Juncker, der sich auf einer Bühne vorbereitet, eine von der ganzen zivilisierten Welt sehnsüchtig erwartete Stellungnahme zum Landraub in Afrika zu geben. Während sich der EU-Kommissionschef locker macht, tritt eine Bedienstete hinzu, die den altgedienten Weltpolitiker auf ein marginales Versehen hinweist: In der Eile am Morgen, bewirkt durch die Vielzahl an Verpflichtungen, die ein Kommissionspräsident zu erledigen hat, hat Juncker nach einem braunen und einem schwarzen Schuh gegriffen.

Im Zusammenspiel mit der blauen Rückwand hinter der Bühne, Junckers dunkelblkauen Anzug, seinem weißen Hemd und dem blau-schwarzen Binder ergibt das eigentlich ein spannungsvolles Bild, das mit so mancher konservativer Erwartungshaltung bricht und Junckers Botschaft wiederholt: "Es ist Zeit in Europa neue Schuhe anzuziehen", hatte er erst im vergangenen Jahr gefordert. Nun ist es soweit: Nach einem Hinweis der jungen Mitarbeiterin eilt flugs zum Seitenausgang, um sein Schuhwerk zu tauschen: Der EU-Chef zeigt sich der Situation absolut gewachsen, er wirkt hellwach und ansprechbar, diskutiert nicht lange herum, sondern tut, was ihm gesagt wird. Selbst der schmerzende Ischiasnerv, wie so oft in solchen Fällen sicherlich die Ursache für die Schuhverwechslung, scheint ihn kaum zu behindern.

Aber im Kampf gegen die gemeinsamen Errungenschaften der EU ist deren Feinden eben jedes Mittel recht. Selbst der Umstand, dass Europas mächtigster Politiker einen Fehler nicht nur rundheraus eingesteht, sondern sich sofort daran macht, ihn zu korrigieren, liefert Hetzern, Hassern und Zweiflern Munition, längst widerlegte Gerüchte über Alkohol und und Champagnerdurst erneut zu streuen.

Die demokratischen Medien in Europa haben auf die einzige angemessene Weise reagiert: Abgesehen von gemeinschaftsfeindlichen britischen Blättern und einem niederländischen Hetzportal ("Beschamend") schweigen sie kollektiv und höflich.

4 Kommentare:

  1. Die Polizei konnte bisher auch die Handynutzung am Steuer nicht effektiv überwachen, dabei ist die Ablenkung durch das Handy viel gefährlicher als Stickoxide. Warum gab es dann nicht einen Gesetzentwurf, dass die Innenraumkamera verpflichtend wird - von der Behörde abrufbar?

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  2. Wennde Ischias hast, ziehste die Schuhe an, wode reinkommst. Bei Ischias und im Karneval ist das so.

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  3. ...der hat zu Hause noch so ein Paar Schuhe

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  4. Damit sowas nicht passiert, hatte der Maddin 'nen Butler.

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