Freitag, 19. Oktober 2018

SPD-Wahlkampf: Arbeitslosigkeit für alle

Wer in Griechenland arbeitslos wird, soll künftig direkte Hilfe von deutschen Kolleginnen und Kollegen bekommen.


Martin Schulz, der große alte Mann Europas, wollte noch harte Maßnahmen, drastisch und rigoros. Noch vor dem endgültigen Dieselverbot in Frankreich und der nächsten Wahl zum EU-Parlament werde er, so der Hoffnungsträger der deutschen wie der europäischen Sozialdemokratie, alle Staaten, die der neuen Verfassung einer zu "Vereinigten Staaten von Europa“ umgebildeten EU nicht zustimmen, aus der Gemeinschaft werfen. Nur weil die Menschen draußen im Lande noch nicht so weit waren, obwohl Schulz regelmäßig mit den Müllmännern in seiner Straße über alles spricht, musste der aussichtsreichste Kanzlerkandidat der SPD seit Gerd Schröder die Segel streichen und sich aufs Altenteil bei Twitter zurückziehen, wo er seine Zeit inzwischen überwiegend mit dröhnendem Schweigen verbringt.

SPD wird europaskeptisch


Glück für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, deren weit verbreitete europaskeptische Ansichten selbst im Willy-Brandt-Haus deutliche Spuren hinterlassen haben. Europa gilt in der SPD-Spitze inzwischen als Killerthema, von dem man sich besser fernhält. Die "Vereinigten Staaten von Europa" hat die Partei aus ihrem Sprachschatz gestrichen, die anstehende EU-Wahl gilt als so unwichtig, dass es monatelang nicht gelang, irgendeinen Funktionär von wenigstens gelinder Bekanntheit zu finden, der als "Spitzenkandidat" antritt.

Doch im Hintergrund hat die SPD, seit Andrea Nahles Putsch gegen Schulz mit dauerhafter Erneuerung beschäftigt, die Europa-Pläne des Altvorderen aus Würselen nun in aller Stille nachgeschärft: Finanzminister Olaf Scholz, perspektivisch angetreten, Nahles als Parteivorsitzende des Übergangs abzulösen, hat jetzt einen Plan ausgearbeitet, der die Sehnsucht vieler Europäer für europaweit einheitliche Arbeitslosenversicherung zu erfüllen verspricht. Über die Süddeutsche Zeitung ließ der frühere Hamburger Oberbürgermeister testhalber durchsickern, dass er mit einem "European Unemployment Stabilization Fund" (EUSF) den Wünschen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nachkommen wolle, die auseinanderstrebende EU wieder enger zusammenzubinden.

Hinter dem vom englischsprachigen Invention-Department der Bundesworthülsenfabrik entworfenen Wortungetüm, das sich sprachlich "European Financial Stabilisation Mechanism" (nicht zu verwechseln mit der "European Financial Stability Facility") orientiert, versteckt eine schlaue Konstruktion. Der "EUSF" verspricht, den bislang noch in 28 (demnächst 27) Teile aufgesplitteten europäischen Arbeitsmarkt endlich zu vereinheitlichen. Dazu nutzt Olaf Scholz einen Umweg: Zwar sollen alle europäischen Arbeitnehmer in den Fonds einzahlen, das aber nicht direkt, sondern über einen Umweg. Der Beitrag der einzelnen Staaten bemisst sich nach der Anteil am europäischen Bruttoinlandsprodukt, deutsche Arbeitnehmer würden danach ein Fünftel der Beiträge schultern, mit deren Hilfe "Volkswirtschaften der Euro-Zone in plötzlichen Krisen" dann später "stabilisiert werden" sollen, wie die Süddeutsche Zeitung analysiert.

Typisch europäische Lösung


Eine typische "europäische Lösung", wie sie auch Angela Merkel stets anstrebt: Deutschland zahlt, die anderen halten dafür die Klappe. Hier locken wie im Falle der Griechenland-Rettung  "schnelle, unbürokratische Hilfen mit geringen Auflagen", indem der neue Fonds die eingezahlten Beiträge der Arbeitnehmer aus Nicht-Krisenstaaten im Bedarfsfall als sogenannte "Kredite" direkt an nationale Arbeitslosenversicherungen von Krisenstaaten ausreicht.

Damit umgeht Olaf Scholz in der ersten Stufe der gemeinsamen europäischen Arbeitslosenversicherung geschickt den politisch heiklen Punkt, dass deutsche Arbeiter und Angestellte mit ihren Beiträgen direkt Arbeitslose in europäischen Partnerländern alimentieren. Stattdessen sorgt der als weitere graue Kasse neben EZB, ESFM und EFSF dazwischengeschaltete europäische Arbeitslosenstabilisierungsfonds dafür, dass zu tief im Defizit steckenende Partnerstaaten zusätzliche Schulden machen können, ohne dass das auf ihre Schuldenquote angerechnet wird.

"Wir stärken die Solidarität unter den Mitgliedstaaten", heißt es in der Vorlage aus dem Finanzministerium, aus der die SZ freudig erregt zitiert. In dem drei Seiten umfassenden deutschen Arbeitspapier seien "die Voraussetzungen beschrieben, unter denen Euro-Staaten teilnehmen dürfen": Jeder Mitgliedstaat muss zuerst eine eigene Arbeitslosenversicherung haben, die minimalen Standards genügt. Zudem müsse er "gegen Lohndumping vorgehen" und er "sollte in guten Zeiten Reserven anlegen". Sollte, nicht müsse.

Wenn dann "wegen eines wirtschaftlichen oder finanziellen Schocks" (SZ) nichts da ist, hilft der neue Fonds, der Kredite zu Nullzinsen oder mit einem kleinen Aufschlag, mit  geringen Auflagen oder ganz ohne ausreicht. "Dass die Kredite nach der überstandenen Krise zurückgezahlt werden sollen, steht fest", heißt es weiter.

Unklar dagegen sei, "wann eine Krise als überstanden gilt", als Vorbild könnten hier aber die erfolgreichen Rettungspakete für Griechenland dienen: Das Land wurde zwischen 2010 und 2018 mit 279 Milliarden Euro vor der Pleite gerettet. Ab 2034  - also 24 Jahre nach der ersten Auszahlung - soll es beginnen müssen, die nahezu zinslosen Darlehen zurückzuzahlen.  Zahlungsziel ist das Jahr 2060: Menschen, die 2010 als Facharbeiter, Angestellte oder Beamte mitgeholfen haben, die Kredite zu finanzieren, werden dann gerade im richtigen Alter sein, um ins Gras zu beißen, ohne je einen Cent wiedergesehen zu haben.

5 Kommentare:

  1. Was soll einem da noch einfallen?
    Im Grunde nur: "Wer wählt eigentlich solche Leute? Oder solche Parteien?"
    Oder: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!"

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  2. Ich kann die genannte Zeitung aus ästhetischen Gründen leider nicht konsumieren. Vielen Dank daher für die Schmutzarbeit. Tatsächlich scheint mit dem European stabilization x** ein Mechanismus gefunden worden zu sein, der zur systematischen finanziellen Vernichtung der in Deutschland wertschöpfend tätigen Nazis geeignet ist und gleichzeitig bis zum zerbrechen des Kruges ein durchaus lustiges mediterranes treiben garantiert. Man kann beruhigt davon ausgehen, dass 99% der Wahlberechtigten zu doof sind diese Zusammenhänge zu kapieren. Mit globalen Grüssen

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  3. Lieber Anonym2: den Tatort genannter Zeitung, also deren Kasten mit den vielen Stockwerken, muss ich jeden Tag sehen, wenn ich nur aus dem Küchenfenster schau. Im Volksmund längst "Alpenprawda" genannt, versuche ich seit Jahren, meinem den Mist täglich lesenden Nachbarn klarzumachen, dass er durch das Käsblatt nur erfährt, was er denken und glauben soll und er denen endlich das Geld entziehen soll. Es hilft nichts, manche sind einfach zu bled zu kapieren..

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  4. Wir werden von skrupellosen Verbrechern regiert.
    Selbst gewählt.
    Das isses, mehr nicht.

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  5. Immerhin, mein seliger Oppa väterlicherseits hat als Spezialdemokrat, Arbeiteraristokrat und Pfaffenfresser verhindert, daß ich durch Schmadden befleckt würde, so daß meine Seele in die Walhall gelangen kann. Mit Taufe, oder auch ohne Vorhaut, ist es doch recht schwierig.
    Der mütterlicherseits hat sich Anfang der Dreißiger mit Kraftnummern auf Rummelplätzen durchgebracht (hier kommt der große Zampano), bis ER ihn wieder in Lohn und Brot brachte. Er verschied Ende der Vierziger, weil Antibiotika dem gemeinen Volk nur höchstens ausnahmsweise zugestanden wurden. Ihm nicht.
    Der Erstgenannte hat übrigens die Rheinwiesenlager überlebt, er kam relativ spät dazu.

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