Wenn die absoluten Zahlen sinken, lässt sich mit Prozenten immer noch etwas reißen. Seit der Druck der Meinungsumfragen zu einem Ende der privaten Seenotrettung im Mittelmeer geführt hat, sind mehrere Effekte zu beobachten: Einerseits gibt es seit Anfang August keine aktuellen Zahlen mehr zu den Todesopfern während der Überfahrt von Afrika nach Europa. Andererseits aber häufen sich Artikel mit Berechnungen von Seenotrettungsorganisationen, nach denen es noch nie so gefährlich war wie heute, das Mittelmeer in einem Flüchtlingsboot zu überqueren.
Dabei ist die Zahl der Toten selbst nach einem Bericht der Hilfsorganisation Sea-Watch in den letzten acht Wochen drastisch gesunken. Von 1800 ertrunkenen Flüchtlingen seit Jahresbeginn spricht Sea-Watch. Als noch monatlich Leichen gezählt wurden und es "einen alarmierenden Anstieg" gab, hatte die Tagesschau von 1400 Toten bis Ende Juni berichtet, die letzte Monatsmeldung dann sprach von 1500 Toten bis Ende Juli. Dennoch waren nach denselben Berichten einer unerfindlichen Logik zufolge "allein im Juni und Juli 850 Menschen" während der Überfahrt gestorben. Das habe das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR herausgefunden.
Seitdem sind neuen Daten zufolge, die nach zwei Monaten Pause jetzt erstmal wieder öffentlich wurden, 300 Menschen auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen. Etwa 150 Opfer zählen die ehemaligen Seenothelfer pro Monat, also etwa ein Fünftel der Opferzahlen von Juni und Juli, als die als Schlepper-Hochsaison eine Rekordzahl von Leben forderte. Und 25 Prozent weniger als im Jahresdurchschnitt, der bei etwa 220 Toten pro Monat liegt.
Das Ende der Seenotrettung, von aktivistischen Magazinen wie der SZ-Kinderzeitung "Jetzt" und der staatsamtlichen ARD gleichermaßen als "Ende der Solidarität" (Jetzt) oder "Ende der Humanität (Georg Restle) kritisiert, steht am Beginn dieses Rückgangs der Zahlen der Todesopfer, das die Hoffnung nährt, die Gesamtzahl der Toten könne 2018 unter 2000 bleiben. Das wäre der zweite Rückgang in Folge, würde eine Mehralshalbierung des Wertes von 2016 bedeuten, als mehr als 5.000 Menschn im Mittelmeer starben. Und markierte zudem den niedrigsten Wert seit 2014.
Eine gute Sache, auch wenn die Zahlen der Behauptung der Kanzlerin Hohn zu sprechen scheinen, dass kein Land in der Lage sei, seine Grenzen zu schützen, weil Grenzschutz in letzter Konsequenz immer Zäune, Mauern, Schusswaffengebrauch und zahllose Tote bedeutet.
Doch gerade hier und jetzt, wo das letzte Gefecht um die Deutungshoheit über die inzwischen beendete Politik der offenen EU-Grenzen läuft, nur noch wenig beachtet, dafür aber umso eifriger geführt, können die, die für den Fall einer erzwungenen Beendigung der privaten Seenotrettung im Mittelmeer eine Explosion der Opferzahlen vorhergesagt hatten, nicht so einfach hinnehmen, dass die Fakten gegen ihre Prognose sprechen.
Nein, stattdessen greifen sie zu alternativen Zahlen: Die "Todesrate" wird nun ins Feld geführt, eine Kategorie, die es erlaubt, trotz der niedrigsten Opferzahlen seit vier Jahren zu behaupten, dass "die Blockade der Häfen durch die italienische Regierung die Todeszahlen im Mittelmeer steigen" (ND)lasse. Die Organisation Sea-Watch, die die alarmierenden Daten aus vorhandenen Zahlen extrahiert hat, sieht die "Todesrate" bei der Überfahrt von Libyen nach Italien bei 19 Prozent. In den Monaten zuvor habe sie immer nur zwischen 0,1 und maximal acht Prozent gelegen.
"Jeder fünfte Flüchtling stirbt bei Überfahrt auf Mittelmeer", zitiert auch der "Tagesspiegel" die entsprechende Werbemitteilung von "Sea-Watch", die - daran lässt sich die klassische Fake News erkennen - zugleich richtig und falsch ist. Denn es stimmt, dass der prozentuale Anteil der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa zu kommen versuchen, stattdessen aber unterwegs ertrinkt, höher ist als im vergangenen Jahr. Richtig ist aber zugleich eben auch, dass seit 2013 nie mehr weniger Menschen die potenziell tödliche Überfahrt gewagt haben. Und dass deshalb so wenige Menschen unterwegs starben wie seit Jahren nicht.
Was ist nun besser? Viele Überfahrten und viele Tote, wie es Sea-Watch und die zitierten Zeitungen nahelegen? Oder wenige Überfahrten und wenige Tote? Wenn das Ende der privaten Seenotrettung zu weniger Opfern führt, weil weniger Flüchtlinge glauben, die Fahrt sei gefahrlos zu absolvieren, ist das moralisch vertretbar? Oder sollte gerettet werden, auch wenn jede Rettung letztlich mehr Tote bedeutet? Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration, die früher Auftrag der australischen Regierung das Flüchtlingsauffanglager auf der Pazifikinsel Nauru betrieb, in dem abgefangene afghanische Bootsflüchtlinge inhaftiert wurden, sind in diesem Jahr 1777 Menschen bei dem Versuch gestorben, das Mittelmeer illegal zu überqueren.
Vor einem Jahr waren es zum gleichen Zeitpunkt 2749 Menschen. Tausend Menschen, die noch leben. Womöglich einfach nur, weil sie nicht gerettet wurden.
Dabei ist die Zahl der Toten selbst nach einem Bericht der Hilfsorganisation Sea-Watch in den letzten acht Wochen drastisch gesunken. Von 1800 ertrunkenen Flüchtlingen seit Jahresbeginn spricht Sea-Watch. Als noch monatlich Leichen gezählt wurden und es "einen alarmierenden Anstieg" gab, hatte die Tagesschau von 1400 Toten bis Ende Juni berichtet, die letzte Monatsmeldung dann sprach von 1500 Toten bis Ende Juli. Dennoch waren nach denselben Berichten einer unerfindlichen Logik zufolge "allein im Juni und Juli 850 Menschen" während der Überfahrt gestorben. Das habe das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR herausgefunden.
Seitdem sind neuen Daten zufolge, die nach zwei Monaten Pause jetzt erstmal wieder öffentlich wurden, 300 Menschen auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen. Etwa 150 Opfer zählen die ehemaligen Seenothelfer pro Monat, also etwa ein Fünftel der Opferzahlen von Juni und Juli, als die als Schlepper-Hochsaison eine Rekordzahl von Leben forderte. Und 25 Prozent weniger als im Jahresdurchschnitt, der bei etwa 220 Toten pro Monat liegt.
Das Ende der Seenotrettung, von aktivistischen Magazinen wie der SZ-Kinderzeitung "Jetzt" und der staatsamtlichen ARD gleichermaßen als "Ende der Solidarität" (Jetzt) oder "Ende der Humanität (Georg Restle) kritisiert, steht am Beginn dieses Rückgangs der Zahlen der Todesopfer, das die Hoffnung nährt, die Gesamtzahl der Toten könne 2018 unter 2000 bleiben. Das wäre der zweite Rückgang in Folge, würde eine Mehralshalbierung des Wertes von 2016 bedeuten, als mehr als 5.000 Menschn im Mittelmeer starben. Und markierte zudem den niedrigsten Wert seit 2014.
Eine gute Sache, auch wenn die Zahlen der Behauptung der Kanzlerin Hohn zu sprechen scheinen, dass kein Land in der Lage sei, seine Grenzen zu schützen, weil Grenzschutz in letzter Konsequenz immer Zäune, Mauern, Schusswaffengebrauch und zahllose Tote bedeutet.
Doch gerade hier und jetzt, wo das letzte Gefecht um die Deutungshoheit über die inzwischen beendete Politik der offenen EU-Grenzen läuft, nur noch wenig beachtet, dafür aber umso eifriger geführt, können die, die für den Fall einer erzwungenen Beendigung der privaten Seenotrettung im Mittelmeer eine Explosion der Opferzahlen vorhergesagt hatten, nicht so einfach hinnehmen, dass die Fakten gegen ihre Prognose sprechen.
Nein, stattdessen greifen sie zu alternativen Zahlen: Die "Todesrate" wird nun ins Feld geführt, eine Kategorie, die es erlaubt, trotz der niedrigsten Opferzahlen seit vier Jahren zu behaupten, dass "die Blockade der Häfen durch die italienische Regierung die Todeszahlen im Mittelmeer steigen" (ND)lasse. Die Organisation Sea-Watch, die die alarmierenden Daten aus vorhandenen Zahlen extrahiert hat, sieht die "Todesrate" bei der Überfahrt von Libyen nach Italien bei 19 Prozent. In den Monaten zuvor habe sie immer nur zwischen 0,1 und maximal acht Prozent gelegen.
"Jeder fünfte Flüchtling stirbt bei Überfahrt auf Mittelmeer", zitiert auch der "Tagesspiegel" die entsprechende Werbemitteilung von "Sea-Watch", die - daran lässt sich die klassische Fake News erkennen - zugleich richtig und falsch ist. Denn es stimmt, dass der prozentuale Anteil der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa zu kommen versuchen, stattdessen aber unterwegs ertrinkt, höher ist als im vergangenen Jahr. Richtig ist aber zugleich eben auch, dass seit 2013 nie mehr weniger Menschen die potenziell tödliche Überfahrt gewagt haben. Und dass deshalb so wenige Menschen unterwegs starben wie seit Jahren nicht.
Was ist nun besser? Viele Überfahrten und viele Tote, wie es Sea-Watch und die zitierten Zeitungen nahelegen? Oder wenige Überfahrten und wenige Tote? Wenn das Ende der privaten Seenotrettung zu weniger Opfern führt, weil weniger Flüchtlinge glauben, die Fahrt sei gefahrlos zu absolvieren, ist das moralisch vertretbar? Oder sollte gerettet werden, auch wenn jede Rettung letztlich mehr Tote bedeutet? Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration, die früher Auftrag der australischen Regierung das Flüchtlingsauffanglager auf der Pazifikinsel Nauru betrieb, in dem abgefangene afghanische Bootsflüchtlinge inhaftiert wurden, sind in diesem Jahr 1777 Menschen bei dem Versuch gestorben, das Mittelmeer illegal zu überqueren.
Vor einem Jahr waren es zum gleichen Zeitpunkt 2749 Menschen. Tausend Menschen, die noch leben. Womöglich einfach nur, weil sie nicht gerettet wurden.
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