Auch Griechenland war einmal ein großes Medienthema, dann aber wurde es gezielt vergessen. |
Als die angeschlagenen ukrainischen Regierungstruppen vor drei Jahren den Befehl erhielten, aus dem Kessel von Debalzewe auszubrechen, war das ein großes Thema. Russland knabberte, zu zumindest schien es, am äußersten Rand dessen, was aus deutscher und europäischer Sicht das Abendland ist. Die Truppen zog ab - und mit ihnen die Berichterstatter.
Nach Februar 2015 gab es in deutschen Leitmedien keine Reportagen mehr über die Lage, keinen Hinweis auf den Ausgang der Schlacht. Ein Vergessen hatte eingesetzt, das der Medienwissenschaftler Hans Achtelbuscher "Themendemenz" nennt: Aufgeregt um neuer vielversprechende Empörungsherde hüpfend, die umso lautstärker diskutiert werden, je belangloser sie für den Lauf der Geschichte sind, geraten gerade noch mit Feuereifer verfolgte andere Themen erst an den Rand des Blickfeldes. Und dann völlig außer Sicht.
Es sei ein Phänomen, das sich immer beobachten lasse, sagt Achtelbuscher, der am An-Institut für angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung seit vielen Jahren zum grassierenden Themensterben in deutschen Medien forscht. Die Griechenlandrettung etwa sei nie endgültig vollzogen worden, zuletzt habe die Weigerung des Internationalen Währungsfonds (IWF), sich an einer weiteren Rettungsrunde zu beteiligen, sogar die erneute Gefahr einer Staatspleite heraufbeschworen.
Nach einer letzten Weigerung Deutschlands, damals noch durch Alt-Finanzminister Wolfgang Schäuble, die Forderungen des IWF zu erfüllen, sei das Thema jedoch fallengelassen worden. "Es gab keine Lösung, also hat man sich gesagt, dann belassen wir es beim status quo, sonst könnte das teile der Bevölkerung beunruhigen", beschreibt der Medienwissenschaftler, der mit der Maßeinheit "Emp" schon vor Jahren eine einheitliche Einheit zur Messung medialer Empörung konzipiert und in die Medienforschung eingeführt hatte.
Ist ein eben noch als Großthema behandelter Komplex erst einmal in das Loch gefallen, das Achtelbuscher die "deskriptive Demenz" nennt, gebe es kein Zurück: Nur wenige Ausnahmen bestätigen dann, dass es in Randbereichen der Berichterstattung noch ein gewisses Bewusstsein dafür gebe, dass das Thema weiterhin existiere. "Aber wie in der Quantenphysik tritt das Phänomen auf, dass ohne Beobachtung auch keine Bewegung stattzufinden scheint".
Wo Echos zurückgegebenwerden müssen, neofaschistische Kleinstbewegungen zu bekämpfen sind und Diskussionen darüber zu führen sind, ob bestimmte Begriffe noch verwendet werden dürfen und warum nicht, geraten die weiten Ebenen der gloablen Konflikte leicht aus dem Blick. Wie vom Donbass-Krieg oder der Griechenlandkrise ist auch von Auslandseinsätzen in Mali, der Eurokrise, dem Brexit und der nahenden Klimakatastrophe samt Zwei-Grad-Ziel nichts mehr zu hören. Obwohl doch Wissenschaftler schon 2007 fürchteten, "dass beim Klimawandel schnelle, katastrophale Veränderungen anstehen" (Der Spiegel).
Doch so schnell schießen die Schreibmaschinengewehre nicht. Manches ist völlig vergessen, anderes wird es jeden Tag neu. Im Zeitalter der "Gleichschaltung durch Abschreiben", wie es Hans Achtelbuscher nennt, gibt es keine Reportage von den immer noch stattfindenden Pegida-Demonstrationen, wenn es keine Reportagen von den immer noch stattfindenden Pegida-Demonstrationen gibt. Es gibt auch keine Reporterbesuche in faschistischen Freital, wo sich auf dem Höhe der medialen Gereiztheit Reporter gegenseitig interviewen mussten. Und keine wagemutigen Jungredakteure, die zusammen mit verzweifelten Flüchtlingen auf der Balkanroute wandern oder in unmenschlichen griechischen Geflüchtetenlagern dahinvegetieren, um aus erster Hand zu berichten, wie es sich anfühlt, von Deutschland erst eingeladen und dann verraten zu werden.
Nein, das Thema Seenotrettung auf dem Mittelmeer ist durch. Die Kanzlerinnendämmerung vertagt. Selbst die aktuellen Kriege schrumpfen in der akuten Phase der Demenz ins Kleingedruckte. An ihrer Stelle gibt es weiträumige Diskussionen zu wirklichen Grundsatzfragen und unkommentiertes Zähneknirschen angesichts des bedrohlichen Treibens des "Irren" (FR) im Weißen Haus. Dazu eine Prise Aufregung um das absurde Reimwerk muslimischer Rapper und ein bisschen Chronistenpflicht bei der Neuordnung der desaströsen deutschen USA-Politik.
"Ich verspreche Ihnen", sagt Hans Achtelbuscher zum Abschied schmunzelnd, "dass wir auch davon niemals wieder etwas lesen werden."
Nach Februar 2015 gab es in deutschen Leitmedien keine Reportagen mehr über die Lage, keinen Hinweis auf den Ausgang der Schlacht. Ein Vergessen hatte eingesetzt, das der Medienwissenschaftler Hans Achtelbuscher "Themendemenz" nennt: Aufgeregt um neuer vielversprechende Empörungsherde hüpfend, die umso lautstärker diskutiert werden, je belangloser sie für den Lauf der Geschichte sind, geraten gerade noch mit Feuereifer verfolgte andere Themen erst an den Rand des Blickfeldes. Und dann völlig außer Sicht.
Themendemenz - wenn Krisen vergessen werden
Es sei ein Phänomen, das sich immer beobachten lasse, sagt Achtelbuscher, der am An-Institut für angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung seit vielen Jahren zum grassierenden Themensterben in deutschen Medien forscht. Die Griechenlandrettung etwa sei nie endgültig vollzogen worden, zuletzt habe die Weigerung des Internationalen Währungsfonds (IWF), sich an einer weiteren Rettungsrunde zu beteiligen, sogar die erneute Gefahr einer Staatspleite heraufbeschworen.
Nach einer letzten Weigerung Deutschlands, damals noch durch Alt-Finanzminister Wolfgang Schäuble, die Forderungen des IWF zu erfüllen, sei das Thema jedoch fallengelassen worden. "Es gab keine Lösung, also hat man sich gesagt, dann belassen wir es beim status quo, sonst könnte das teile der Bevölkerung beunruhigen", beschreibt der Medienwissenschaftler, der mit der Maßeinheit "Emp" schon vor Jahren eine einheitliche Einheit zur Messung medialer Empörung konzipiert und in die Medienforschung eingeführt hatte.
Ist ein eben noch als Großthema behandelter Komplex erst einmal in das Loch gefallen, das Achtelbuscher die "deskriptive Demenz" nennt, gebe es kein Zurück: Nur wenige Ausnahmen bestätigen dann, dass es in Randbereichen der Berichterstattung noch ein gewisses Bewusstsein dafür gebe, dass das Thema weiterhin existiere. "Aber wie in der Quantenphysik tritt das Phänomen auf, dass ohne Beobachtung auch keine Bewegung stattzufinden scheint".
Wo Echos zurückgegebenwerden müssen, neofaschistische Kleinstbewegungen zu bekämpfen sind und Diskussionen darüber zu führen sind, ob bestimmte Begriffe noch verwendet werden dürfen und warum nicht, geraten die weiten Ebenen der gloablen Konflikte leicht aus dem Blick. Wie vom Donbass-Krieg oder der Griechenlandkrise ist auch von Auslandseinsätzen in Mali, der Eurokrise, dem Brexit und der nahenden Klimakatastrophe samt Zwei-Grad-Ziel nichts mehr zu hören. Obwohl doch Wissenschaftler schon 2007 fürchteten, "dass beim Klimawandel schnelle, katastrophale Veränderungen anstehen" (Der Spiegel).
Ladehemmung im Schreibmaschinengewehr
Doch so schnell schießen die Schreibmaschinengewehre nicht. Manches ist völlig vergessen, anderes wird es jeden Tag neu. Im Zeitalter der "Gleichschaltung durch Abschreiben", wie es Hans Achtelbuscher nennt, gibt es keine Reportage von den immer noch stattfindenden Pegida-Demonstrationen, wenn es keine Reportagen von den immer noch stattfindenden Pegida-Demonstrationen gibt. Es gibt auch keine Reporterbesuche in faschistischen Freital, wo sich auf dem Höhe der medialen Gereiztheit Reporter gegenseitig interviewen mussten. Und keine wagemutigen Jungredakteure, die zusammen mit verzweifelten Flüchtlingen auf der Balkanroute wandern oder in unmenschlichen griechischen Geflüchtetenlagern dahinvegetieren, um aus erster Hand zu berichten, wie es sich anfühlt, von Deutschland erst eingeladen und dann verraten zu werden.
Nein, das Thema Seenotrettung auf dem Mittelmeer ist durch. Die Kanzlerinnendämmerung vertagt. Selbst die aktuellen Kriege schrumpfen in der akuten Phase der Demenz ins Kleingedruckte. An ihrer Stelle gibt es weiträumige Diskussionen zu wirklichen Grundsatzfragen und unkommentiertes Zähneknirschen angesichts des bedrohlichen Treibens des "Irren" (FR) im Weißen Haus. Dazu eine Prise Aufregung um das absurde Reimwerk muslimischer Rapper und ein bisschen Chronistenpflicht bei der Neuordnung der desaströsen deutschen USA-Politik.
"Ich verspreche Ihnen", sagt Hans Achtelbuscher zum Abschied schmunzelnd, "dass wir auch davon niemals wieder etwas lesen werden."
Zum Glück naht mit Riesenschritten das Sommerloch.
AntwortenLöschenZu Miguel de Cervantes' Lebzeiten, so las ich einst, ging ein Gemurre über die Langweiligkeit der zeitgenössigen Literatur um (Mundstuhl: "Aber Spanien war damals kein Land ...") - aber was a Wunder: Drohte einem doch im Fall, dass man das Maul ein wenig zu weit aufriss, eine Grillfete, auch Autodafé genannt. Jahwe sei Dank, diese Zeiten sind vorbei.
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