Mission accomplished: Elf Jahre nach dem "Spiegel"-Titel zur "stillen Islamisierung" veröffentlicht das Magazin die Gegendarstellung. |
Der inzwischen frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio, für die Unterzeichner der umstrittenen "Erklärung 2018" heute einer der Wunschkandidaten für eine Kommission zur Beaufsichtigung der regierungsamtlichen Einwanderungspolitik, durfte im „Pulverdampf des Kulturkampfs“ über "fehlende Sensibilität" und "rechtsirrige Ansichten" sprechen, die geprägt seien von der multikulturelle Fehlvorstellung, "dass unser Land umso schöner wird, je mehr nicht zueinander passende Kulturen nebeneinander stehen".
"Spiegel" im Kulturkampf
Der "Spiegel" war mitten in diesem Kulturkampf. Noch lag die große Einwanderungswelle von 2015 und 2016 fast ein Jahrzehnt in der Zukunft und die Zahl der erst kurz zuvor von "Moslems" in das weltläufige "Muslime" umgetauften Korangläubigen noch unter vier Millionen. Aber in Hamburg hörten sie das grüne Gras der Islamisierung leise wachsen. Hendryk M. Broder schrieb über das bis heute weiter aufgeführte Stück "Die beleidigten Moslems und wir". Die Titelgeschichte fragte "Haben wir schon die Scharia?" und enthüllte eine vermeintliche Strategie "islamischer Verbände, vor Gericht vermeintlich religiöse Freiräume zu erstreiten", durch die "wir schleichend unsere eigenen Rechts- und Wertvorstellungen zur Disposition stellen", wie Wolfgang Bosbach, damals noch stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion, öffentlich und unwidersprochen fürchten durfte.
Seitdem sind mehr als eine Million Muslime nach Deutschland eingereist, oder waren es mehr als zwei? Wie viele genau, weiß niemand. Seitdem sind all die Phänomene, die der "Spiegel" 2007 mit einem beunruhigten Grummeln notierte, nicht verschwunden, sondern Alltag geworden. Natürlich, es gibt nicht mehr Messerangriffe, sondern allenfalls "uneindeutige Daten" (Die Zeit) und skrupellos geschürte Ängste, die von Scharfmachern für ihre populistischen Forderungen genutzt werden. Aber in der Melancholie eines unaufhaltsamen Auflagen- und Bedeutungsschwundes kehrt der "Spiegel" nun doch noch einmal - quasi anlasslos - zu seinem Thema vom März 2007 zurück.
Nur ganz anders. Nicht die vom "Spiegel" selbst publizistisch begründete unbegründete Furcht vor der "Islamisierung" steht im Mittelpunkt, sondern das Fremdeln "vieler" (Spiegel) Deutscher mit den Veränderungen, die das mit sich bringt, das die Titelgeschichte nun einfach "Zuwanderung" nennt. Die "Islamisierung", beklagt und angeprangert, als es sie noch nicht gab, findet sich in dem Moment medial beerdigt, in dem sie unübersehbar wird. Vielehe und Gangprügeleien, aus allen Nähten platzende Moscheen, der Streit ums Kopftuch und der Versuch, nach Religionsvorschriften Recht zu sprechen - kein Grund zur Aufregung.
Wer es tut, ist ein Wutbürger, Hassbürger, Angstbürger. "Jeder Fünfte, der hier lebt, hat einen Migrationshintergrund, und die Zahl wird weiter steigen", heißt es da. Und die restlichen vier haben Angst davor: Alterweißermann-Gartenzwerge mit steil nach unten fallenden Mundwinkeln, die sich eine Zipfelmütze über die Augen ziehen, weil sie nicht wahrhaben wollen, dass „unser Land sich ändern wird, und zwar drastisch.“
Permanente Party mit Katrin Göring-Eckhardt
Ein Grund, sich mit Katrin Göring-Eckardt zu freuen. Denn wo gab es das früher schon? Ein Frühling im Park, grillende Familien, Wortfetzen fliegen durch die Luft, die niemand versteht, der schon länger hier lebt. Dicke Rauchschwaden hängen über Szenerie, der Sound Arabiens scheppert exotisch aus Dutzenden Handylautsprechern, deren Besitzer sich nicht auf ein Lied einigen können. Vielfalt, die nach gesellschaftlichem Fortschritt riecht, wenn man aus dem Hochhaus an der Alster hinaus auf das Land schaut, in dem es denen, denen es gut geht, so gut geht wie nie.
Um "Islamisierung" geht es nicht mehr, denn diesen Begriff haben mittlerweile die Falschen gekapert. Erklärt werden muss nun, so kompliziert und unübersichtlich ist die Gefechtslage an der Propagandafront, wieso die Befürchtungen von vor elf Jahren heute gegenstandslos sind, weshalb es total viel voll schönen Grund zu guter Laune gibt und warum das, was noch ein Jahrzehnt zuvor Premiumjournalismus war, inzwischen als nationalistische und fremdenfeindliche Parole gebrandmarkt werden muss.
Niemand hat die Absicht, Ängste zu schüren, für die es gar keinen Anlass mehr gibt. Zwar ist die Integration auch hier im "Spiegel" nur eine Woche zuvor noch gescheitert, zwar ist die einst als "Volk ohne Angst" gerühmte ehemalige Bevölkerung der DDR abgerutscht ins tiefe Loch gewalttätiger Ausländerfeindlichkeit. Doch wenn die Kanzlerin sagt, wir schaffen das, dann schaffen wir das auch, wenn alle mithelfen und Hetzern, Hassern und Zweiflern keine Chance geben.
Der "Spiegel" geht voran. Wer jetzt noch Zipfelmütze trägt, weiß, dass es eine Hasskappe ist. Wer jetzt noch ein "Gefühl von Heimatlosigkeit" verspürt, der steht auf der Seite der Vergangenheit, gegen eine Zukunft, die mitzugestalten alle eingeladen sind. Also Mundwinkel hoch. "Spiegel" abonnieren. Und dem lichten Morgen entschlossen entgegenlächeln.
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