Der Anschein verriet es von Anfang an, nun aber zeigen auch die Abschlussdokumente, die aus den Verhandlungsrunden zur neuen Großen Koalition sickerten, dass ein geheimer Plan hinter dem historisch einmaligen zähen Regierungsbildungsprozess von Berlin steckt. Das von Heckenschützen aus dem Umfeld der künftigen Regierungspartner geleakte "Papier des Gebens und des Nehmens" (Merkel) deutet schon mit seiner Überschrift "Ein neuer Aufbruch für Europa" an, dass die beiden noch größten Parteienblöcke bereit sind, die kommenden dreieinhalb Jahre zu nutzen, um weiterhin entschlossen Wahlkampf für die AfD zu machen. Der fertige Koalitionsvertrag bestätigt diesen Eindruck mit dem packenden Motto "Eine neue Dynamik für Deutschland".
Knapp fünf Monate nach der für CDU, CSU und SPD desaströsen Bundestagswahl signalisiert der Inhalt des Papiers, dass die Botschaft aus dem September in den Parteizentralen angekommen ist: Müde, alt und inhaltsleer will die von der Angst um Posten und Pfründe aneinandergeschmiedene Koalition der Wahlverlierer offenbar ab sofort auf einen radikalen Machtwechsel im Jahr 2021 hinarbeiten. Das wahre Ziel aber wartet 2025.
Abstriche von vielen Versprechen
Dazu mussten alle drei beteiligten Parteien zum Teil ganz entschiedene Abstriche an ihren Wahlversprechen machen. Es wird keine Steuersenkungen geben, wie sie alle drei beteiligten Parteien eigentlich versprochen hatten. Sondern an ihrer Stelle ein Versprechen: "Wir werden die Steuerbelastung der Bürger nicht erhöhen." bei der Zuwanderung, dem großen Elefanten, der in jeder Verhandlungsrunde dekorativ in der Ecke stand, stellen die drei Parteien "fest, dass die Zuwanderungszahlen die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden". Damit ist dieses Problem gelöst, ebenso quietsch es bei der Rente, die mittels einer Obergrenze bei den Einzahlungen und einer Mindestgrenze bei der Auszahlung einfach und hochwirksam von allen Entwicklungen der Realwirtschaft abgekoppelt wurde.
Ein Triumph des Primats der Politik über die schnöde Wirklichkeit, der nach Monaten der Feilscherei um nicht existierende Vokabeln wie „sachgrundlos“ und Schachern um Geld für eigene Lieblingsprojekte zeigt, dass der große Plan ein ganz anderer ist. Das Berliner Schmierentheater, das schon ankündigte, was der Koalitionsvertrag jetzt festschreibt, geht weiter: CDU-Chefin Angela Merkel, die nur wenige Tage vor dem noch geheimen, aber nach Ansicht von Vertrauten wichtigsten Ziel ihrer Karriere steht, ist entschlossen, die letzten Tage ihrer Amtszeit, in der drei Generationen Grundschüler groß wurden, zu nutzen, um Deutschland „totaler und radikaler“, zu verändern „als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können“, wie es ein früheres deutsches Kabinettsmitglied einmal in einer ähnlich wichtigen Stunde der Geschichte formuliert hat.
Regiert wird ab 2025
In all dem Kleinklein des in monatelangen peinlichen Verhandlungen aufs Mµ genau austarierten Vertragswerkes geht es nicht mehr um das Heute, sondern sichtlich nur noch um Morgen. 15 Mal wird als Wirkungszeitraum der neuen Regierungspläne das Jahr 205 genannt, wenn die jetzt vor dem Amtsantritt stehende Regierung schon vier Jahre nicht mehr im Amt sein wird. Sollen die sich doch dann kümmern! Die Klimaschutzziele sollen ebenso erst jenseits der Regierungszeit der kommenden GroKo erreicht werden wie der "flächendeckende Ausbau mit Gigabit-Netzen", auch die Rentenvereinbarungen binden weniger die jetzt Handelnden als ihre Nachfolger.
Die sollen, so haben Martin Schulz, Angela Merkel und Horst Seehofer beschlossen, von der AfD kommen. Die Rechtspopulisten, nach einer Analyse der Zeitung „Die Welt“ schon derzeit alleweil mit am Verhandlungstisch, müssten nach 2021 „Farbe bekennen“, heißt es aus Verhandlerkreisen. „Immer nur meckern geht gar nicht“, sagt ein Koalitionär, der den Kurs der drei früheren Volksparteien „gewagt, aber richtig“ findet.
Ein Vernichtungsschlag gegen die AfD - irgendwann
CDU, CSU und SPD waren auch mächtig in der Bredouille. Mangels eigener Inhalte schafften sie es zuletzt nicht mehr, sich ausreichend deutlich voneinander zu unterscheiden. Und beim alles entscheidenden Thema Flüchtlinge hatten sich beide Parteiführungen im September 2015 festgelegt: Und wenn alles in Scherben fällt, Deutschland rettet die Welt. Die Strategie der AfD musste seitdem stets nur darin bestehen, bei jedem Versuch der Regierung, aus unwichtigen Experten- und Spartenthemen eine Grundsatzfrage zu machen, laut „Islam“ oder „Flüchtlinge“ zu rufen. Sofort kletterten die Umfragewerte der „Nazis“ (Sigmar Gabriel) um einen weiteren Punkt.
Diese Strategie müsse ein Ende finden, hatte CSU-Chef Horst Seehofer schon seit einiger Zeit gefordert. Jetzt bekommt er seinen Willen: Mit der Übergabe der Ministerien Außen, Finanzen und Arbeit an die SPD, dem Rückzug der CDU auf reine Kanzlerschaft und Verwaltung der maroden Bundeswehr und der fast schon peinlich hilflosen Einführung eines „Heimatministeriums“ unter dem greisen Symbolpolitiker Seehofer erhöht die Groko die Chancen, dass nach der kommenden Bundestagswahl eine noch größere AfD-Fraktion ins Parlament einzieht. Die, so spekulieren die Großkoalitionäre, werde sich dann bald selbst entzaubern, so dass einer Rückkehr zu geordneten Verhältnissen nichts mehr imWege steht.
Das ist ein riesiger Erfolg für den scheidenden SPD-Chef Martin Schulz, der weiß, dass ein Husten erst richtig ausbrechen muss, damit der Patient wirklich ausheilen kann. Ganz geschickt hat Schulz, der alte EU-Fuchs, hier um die Ecke gespielt, über Bande und hoppelnd übers Loch: Die Gefahr für die Demokratie, die in den dunklen Spätherbststunden 2017 nicht nur eine Gefahr für die Sozialdemokratie zu sein schien, sondern auch eine für sein persönliches Lebenswerk, bedeutet am Ende wie das griechische Wort "krisis" nicht nur eine hoffnungslose Situation, sondern den Wendepunkt einer gefährlichen Lage.
Die Rechte in der CDU ist gerettet
Ein Erfolg aber auch für die im Moment noch verdruckste Rechte in der Union, ein verschwindend kleines Häuflein marginalisierter Gestalten, die im Schatten Merkels blass wie ein getünchte Wand geworden sind. Gelänge es, 2012 wenigstens noch um die 20 bis 24 Prozent zu holen, könnte die CDU als Juniorpartner der AfD auch in die nächste Regierung schlüpfen. Da nach Merkel ohnehin kein Personal von Kanzlerformat mehr zu Verfügung steht, wäre das die Rettung für den Mittelbau der Partei – im Mantel der staatspolitischen Verantwortung, in den sich im Moment gerade die SPD hüllt, ließe sich der Tabubruch auch gut an den Wähler verkaufen.
Darin läge, so spekuliert Andrea Nahles, die neue starke Frau an der SPD-Spitze, dann auch eine Chance für ihre Partei. Fällt die Union den Nazis um den Hals, stärkt das naturgemäß den Widerstand der Anständigen, die dann bei der Bundestagswahl 2025 eher wieder bereit sein werden, unabhängig von deren eventuellen Politikangeboten ein Kreuzchen bei der deutschen Sozialdemokratie zu machen. Schon im Herbst in sieben Jahren könnte dann ein Traum in Erfüllung gehen: Andrea Nahles, mit Mitte 50 dann im selben schönen Kanzleramtsantrittalter wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder, wird erste sozialdemokratische Kanzlerin.
Vorab-Reportage: Außenminister Schulz auf Antrittsbesuch in Washington
fabelhaft. radikal spektakulaer.
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