Samstag, 23. Dezember 2017

Berliner Mahnmal: Terrorgedenken in Goldborte

Ein Riss, der das Davor und das Danach mit einer Goldborte verbindet.

Zwölf Tote, ein Jahr, ein Denkmal – das ist die Formel, nach der das moderne, weltoffene Deutschland Menschen ehrt, die ihr Leben durch einen Lkw-Unfall im winterlichen Berlin des Jahres 2016 verloren. Pünktlich zwölf Monate danach der Besuch der Kanzlerin, ihre Kondolenz und eine Trauerfeier als Messe der Kunst, die Denkmaleinweihung, aber auch fröhliches Fest der Behauptung unseres gewohnten Lebens sein soll, das Linderung verschafft: Niemals werden Terroristen, werden Lastkraftwagen oder Kleintransporter uns bezwingen.


Germar Seidenschu, der nach Jahren an der Kunstakademie in Lima als Galerist in Wurzen lebende ehemalige Oberbürgermeister von Freiwalde, hat sich die neue Sehenswürdigkeit im Herzen des alten Westens der neuen deutschen Hauptstadt Berlin angeschaut und einige Beobachtungen notiert. Die Botschaft des Mahnmals, das nun der Öffentlichkeit übergeben worden ist, sei, dass nach der großen Teilung eine kleine folge, nach dem Ost-West-Spalt nun einer zwischen den Anhängern verschiedener Aberglauben.

Germar Seidenschus Kritik einer neuen Riss-Ästhetik.


Ein 14 Meter langer Riss zieht sich durch das Berliner Pflaster, er steht für den „Vorfall“ (Grüne) vom 19. Dezember 2016 und verweist zugleich auf die gesellschaftliche Kraft, der Versuchung zu widerstehen, einfache Antworten zu geben. Das Ritual des Gedenkens wird hier von Pablo von Frankenberg vom Architektenbüro Merz Merz+ in eine offene Schale gegossen. Im alltäglichen Einkaufsgedränge wird das Mahnmal künftig leicht zu übersehen sein, es stört nicht, es passt sich ein in das Flair einer Weltstadt. Der "Riss" im Boden, in der Metropole des Wohlstandes natürlich mit goldener Füllung, steht für Vergessen und Verschwinden, für eine Sicherheit, die immer brüchig ist, und den notwendigen gesellschaftlichen Heilungsprozess, den nur der Einzelne mit sich aushandeln kann.

Mahnmal mit Botschaft


Die ansprechende Formgebung hat die Entscheidung zur Errichtung des Denkmals jedoch nicht vor voreingenommener Kritik bewahrt. Die Gravur der Namen der Opfer in die flachen Treppenstufen vor der Gedächtniskirche empfinden viele als unangemessen. Die Opfer werden in einem buchstäblichen Sinn mit den Füßen getreten, lautet ein Einwand.

Doch den unterschiedlichen ästhetischen Bedürfnissen der Angehörigen der Opfer kann ein Denkmal ohnehin nicht gerecht werden. Es muss für alle da sein – und wer sich in den letzten Jahrzehnten für Ästhetik interessierte oder für politische Philosophie, vielleicht auch für die Tradierungen kritischer Architektur oder die architektonischen Folgen von Terroranschlägen, der weiß das auch. Das Aufregende an Mahnmalen ist ja nicht nur, dass sie systematisch am Verhältnis von Ästhetischem und Politischem arbeiten, sondern auch, dass ihre Wirkung sich im Laufe der Zeit verändert. Was gerade noch mahnte, als Staatsräson gehalten, Gemüter zu beruhigen, kann morgen abgemahnt werden, weil es für Irritationen oder Streit sorgt.
 

Morgen schon abgemahnt


Mahnmalkenner wissen darum, dass in der kritischen Theorie dieses Verhältnis unter Verdacht steht, zwei Extreme zu bewirken: den Ästhetizismus oder die Institutionalisierung. Das neue Berliner Kunstwerk zum Gedenken an den Lkw-Vorfall nimmt diese beiden Positionen in sich auf und reflektiert sie, um diesem Dilemma zu begegnen. Nicht die plakative Frage, wie konnte das passieren?, spielt hier ein Rolle, noch die Klage über die vielen Toten.

Es geht vielmehr um ein anderes Philosophieren, um ein Beschäftigung mit dem Bösen, das sich auch von ofenen Grenzen nicht aufhalten lässt, weil es wie der Igel im Märchen im mer schon da ist. Das ist die Doppelgestalt einer ästhetischen Terroranthropologie, als Lehre vom Ungeist, und einer ästhetischen Theorie, die als Lehre von der Kunst in sich selbst endet. Der Schmerz wird dadurch philosophisch, dass er das Begreifen der Katastrophe und das Begreifen des Weiterlebens zusammen-und vom Kanzleramt fernhält, ohne sie dabei miteinander gleichzusetzen.


Eine solche Ästhetik kann das Unbestimmte der Kunst, das Neue, was mit dem Geübten oder Gewöhnten bricht, begreifenmachen. Der neue Riss von Berlin, nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen zwei Gehwegplatten, umschließt nicht nur ein Ich, sondern das ganze Wir. Aus dem Kunstwerk als Gegenstand wird ein Kunstwerk als Symbol, das die Ästhetik Hegels spottet: Dessen Modellierung einer Anthropologie aus Elementen einer theologischen Theorie verliert sich in den Schaumkronen einer Zwecksetzung, die die Begriffe Freiheit, Gleichheit und Unmöglichkeit von absoluter Sicherheit zusammendenkt.

Zugespitzt könnten wir sagen: Das Mahnmal vom Breitscheidplatz zielt nicht auf eine Politisierung der Ästhetik, sondern auf eine Ästhetisierung des Politischen, um uns die Begrifflichkeiten für eine Reflexion in die Hand zu geben, warum die Veränderung unserer Praktiken auf das Ästhetische angewiesen bleibt. Wir müssen helfen. Aber auch uns.

Geworfen in Umstände


Denn wir sind geworfen in die Umstände, die wir vorfinden, wenn wir ankommen. Das ist nicht ‚subjektivistisch‘, blendet weder das ‚Gegenständliche‘ oder ‚Objektive‘ aus und konzentriert sich nicht zu sehr auf die einzelne Tat, das einzelne Tun. Denn das Mahnmal mitten im Schatten von Kirche und Konsumtempel wendet sich eben einer philosophischen Tradition zu, die einer bestimmten Situierung von Subjekt und Objekt misstraut, die nicht den Widerspruch zwischen Subjekt und Objekt oder Substanz anvisiert, sondern den Widerspruch im Subjekt: Der Lkw, der hier zum Einsatz kam, wurde verschrottet, damit nicht Nazis ihn zu Hetze und Hass missbrauchen. Der Riss aber, er lebt fort, er stellt das Subjekt im Widerstreit mit dem Menschen dar, dieses Unbewusste, dieses Dunkle in jener Weise; er deduziert es und führt es Touristen und Einheimischen vor Augen.


Kräfte wirken in der Kunst, die ein großer deutscher Bildhauer auch in den fallenden Türmen vom 11. September vergegenständlicht sah. Aber es bedarf des Anderen der Kräfte, um diese Bilder als Werk vergegenständlichen zu können. Dadurch wird der Riss von Berlin zu etwas, was auf alle Praktiken als etwas Gefährdendes oder Problematisierendes wirkt, sich den Maßstäben des allgemeinmenschlichen Urteilens oder Handelns entzieht und die Monströsität der Tat, die als sein Ausgangspunkt fungiert, begreifbar macht.


2 Kommentare:

  1. BlitzableiterDezember 23, 2017

    Das prangt er nun, der Metall gewordene Riss in den Hohlköpfen einer obrigkeitshörig devoten Schuldkultgesellschaft, die aus naivherzlicher globaler Naturliebe Massen von exotischen Schlangen importierte und nun peu en peu erleben muss, das verdammt viele giftige darunter sind, die im wahrsten Sinne des Wortes Todesopfer fordern.

    Ansonsten ist über dieses scheinheilige Betroffenheitstheatergesülz jedes weitere Wort überflüssig, denn mit aus Fehlern lernender Vernunft haben all die Gefühlsduseleirituale nix zu tun. Ursachenforschung? Fehlanzeige! Hauptsache, Muddi kann in ihrem Deutschland gut und gerne leben, wofür auch ihr Altersruhesitz in Uruguay spricht. Ein fernes Exil vieler deutscher Völkermord-Schergen, nachdem sie hier viel Elend anrichteten!

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  2. BlitzableiterDezember 23, 2017

    Kleine Korrektur:

    Zu Beginn Da statt Das.
    Zweite Zeile peu à peu.

    Danke für Ihre Aufmerksamkeit und frohe Weihnachten.

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