Immer wieder trifft Claudia Roth (r.) in Supermärkten Wähler, mit denen sie das Gespräch sucht. |
"Ihr wollt das also durchziehen", sagte ich. Claudia Roth schaute mich verwundert an. Die frühere Grünen-Chefin trug wie immer eines dieser Kleider, die in anderen Weltgegenden als Duschvorhang verwendet werden. Ich hatte sie in der Kassenschlange vom Edeka direkt vor mir entdeckt und zuerst nicht recht gewusst, ob sie es wirklich war.
Claudia Roth stand in einer langen Schlange, ganz am Anfang sammelte eine ältere Dame Kleingeld aus ihrem Portemonnaie, dahinter stand ein Rentner oder Trinker oder beides mit einem Korb voller Bierflaschen, in der Hand einen Packen Pfandquittungen. Hinter ihm eine Frau, die wohl noch nicht ganz so lange hier lebte und Mühe hatte, ihre drei Kinder von den Bonbonauslagen wegzuhalten. Claudia Roth fragte: "Meinen Sie mich?" Sie sprach ganz ruhig, gar nicht so, wie man sie kennt, mit diesem quälenden Diskant innerer Empörung. "Natürlich", sagte ich, entschlossen, die Gelegenheit zu nutzen.
Sie müssen wissen, ich habe die Grünen quasi mitgegründet, damals, als die Sonnenblume noch ein Sonnenblumenkern war. Wackersdorf, Rheinwiesen, Brokdort, Startbahn West, ich war immer dabei, wo wir versucht haben, den Doppelbeschluss zu stoppen, den Atomtod zu verhindern und das kalte System der kapitalistischen Profitmaximierung ein Stück zurückzudrehen, um der Welt Frieden und Gerechtigkeit zu bringen.
Und dann nun diese Wahl. Und die empörenden Nachrichten, dass die Grünen... Teil einerkünftigen Bundesregierung aus Rechtspopulisten, Neoliberalen und Klimaleugnern.
Mir läuft es schon beim Gedanken heiß den Rücken herunter. "Ihr wollt tatsächlich mit den gelben Nazis und den schwarzen Rechten und den bayrischen Nationalisten in ein Bett, oder", sagte ich und unterdrückte dabei jeden Frageton. Roth schaute mich entsetzt an, aus großen Roth-Augen, die tief in jahrelang sorgsam herangezüchteten Fettschwämmchen lagen. "Sie wollen das nicht wirklich hier diskutieren", sagte sie und ein klein wenig kam der berühmte Hysterie-Diskant schon zum Tragen.
"Aber freilich", sagte ich. Als Grünen-Mitgründer von damals stand mir das schon zu, obwohl ich mein Mitgliedsbuch abgegeben habe, als Joschka Fischer den Hufeisenplan erfand, um deutsche Bomber auf den Balkan schicken zu können. "Sind wir nicht angetreten, der gnadenlosen Verwertungslogik des Systems unsere eigenen Vorstellung von Freiheit und Nachhaltigkeit entgegenzusetzen", sagte ich, wieder ohne Frageton. Roth schüttelte den Kopf. "Wir müssen Verantwortung übernehmen, staatspolitisch", sagte sie.
Wenn ich das schon höre. Staatspolitisch. "Das Klima fragt nicht danach, wer ihm aus welchen Gründen schadet", ätzte ich. Kompromisse, die zum kleineren Übel führen, das weiß ich seit Brokdorf, sind am Ende Grund für Übel, die es real gibt. Während Kompromisse, die man sich zu schließen weigert, zu Schäden führen, die ein Umdenken befördern. "Ihr seid Verräter", sagte ich, mitten hinein ins staunende Gesicht der Frau, die wir damals, als es um die Startbahn West ging, für eine von uns gehalten hatten.
Claudia Roth schaute jetzt angefasst aus, oder wenigstens hätte sie selbst ihr Aussehen sicher so genannt. "Noch haben wir nicht einmal Koalitionsverhandlungen", sagte sie. Ich prustete einen Laut in die Supermarkt-Landschaft, der etwa wie "pfffffffffffff" klang. "Und wenn ihr welche habt, dann guckt ihr alle nur auf Ministerposten und Staatssekretärsstellen", sagte ich. Der diesjährige war nicht der erste Wahlsieg der Grünen, den ich miterlabt hatte. Das Ergebnis hatte sich noch jedesmal sehen lassen können. Zumindest für die, die nah genug an der Vorstandsebene waren,um für treue Dienste mit Posten und Pöstchen bedacht zu werden.
Vorn rückte die Schlange weiter und eines der Kinder ningelte, weil Mutti ihm keine Dropse kaufen wollte. Claudia Roth schüttelte den Kopf, der aus dem kreischbunten Kragen ihres Sommerzeltes schaute wie eine Lutscherkuller aus der Plastikverpackung. "Noch ist nichts entschieden", hielt sie mir entgegen, klang dabei aber seltsam kleinlaut.
Ich war in diesem Moment heilfroh, diese Partei diesmal wieder nicht gewählt zu haben. Nicht wegen Roth, die politisch ohnehin keine Rolle mehr spielt, seit sie unter der Regie von Yüksel Aksu im Kinofilm „Entelköy Efeköy’e karşi“ eine temperamentvolle Tänzerin gespielt hat, die mit Hilfe einer senfbunten Bluse mit grüngelbem Pokemon-Jäckchen Claudia Roth darstellte. Die erst kürzlich zu uns gekommene Frau rückte ein Stück weiter in der Schlange vor, nachdem der Pfandflaschensammler sein Quittungsbündel gegen zwei frische Flaschen Bier eingetauscht hatte. Roth schob sich in all ihrer opulenten Körperlichkeit hinterher wie eine Düne im Kostüm einer Dame. "Wir werden die Basis entscheiden lassen", sagte sie, "und als künftige Bundestagsvizepräsidentin werde ich mich mit dafür einbringen, dass wir als Grüne den erfolgreich eingeschlagenen Pfad von Kontinuität und Erneuerung beibehalten."
Ich schüttelte mit dem Kopf, nun schon hilflos. Claudia Roth schien mir in diesem Moment nicht mehr wie eine frühe Wegbegleiterin, die gleiche Ideale und Visionen von einer atomwaffenfreien, klimaneutralen und gendergerechten Welt teilt, auf der Tier- wie Verbraucherschutz gewährleistet und Kriegstreiber für alle Zeit entmachtet sind. Sie wirkte auf mich wie eine Machtmaschine, im Einkaufswagen einen Kohlkopf, eine Flasche Beaujolais, abgepackte Backkartoffeln und einen Müller-Joghurt, wie ich sehen konnte.
Die Partei, ihre Partei, hat mich immer sehr viel Kraft gekostet und sie tat es hier noch einmal. "Dieser ewige Kampf zwischen Illusion und Realität, diese Diskussionen mit Leuten, die manchmal kaum wissen, worüber sie reden, haben mich erschöpft", hauchte ich nur noch in Richtung Roth, die inzwischen sichtlich schwitzte. Für mich war immer klar - beugt sich die Partei der Mehrheitsgesellschaft, verliert sie ihre Kraft als Avantgarde einer besseren Zukunft. Roth wollte mich unterbrechen. Sie schmirgelte "Wir wollen alle mitnehmen". Ich aber sagt: "Sie wissen, dass der Weg ins Abseits für uns immer mit Kompromissen gepflastert war".
Der Hinweis war für mich überdeutlich. Doch Roth, einst ein grüner Superstar, schüttelt den Kopf. "Wir wollen und müssen gestalten", sagte sie, "auch in Verantwortung für künftige Generationen." Mein Vorwurf, die Partei sei keine Alternative mehr, sondern verlängerte Werkbank der CDU ins Gentrifizierungsmilieu, ließ sie abprallen. Ebenso den Vorhalt, mit einer Beteiligung an der Bundesregierung trügen die Grünen zu Kriegstreiberei, Stärkung der Nato, Verarmung Afrikas und Klimaerwärmung bei. Vor Claudia Roth bezahlte die Kopftuchfrau mit den vielen Kindern. Vor der Automatiktür öffnete der Rentner sein Frühstücksbier. Claudia Roth schniefte mich wie abschiednehmend an: "Mit Leuten wie ihnen", sagte sie, "verabschiedet sich die grüne Partei Richtung Illusionen".
Die mächtige Frau, die ich für Claudia Roth hielt, stapfte davon, als ginge sie durch tiefen Schnee. Sie geht zu einer Limousine, die ihr als Bundestagsvizepräsidentin zusteht. Das will sie auch wider werden. Und sie wird es. Wir werden uns nie wiedersehen.
Claudia Roth stand in einer langen Schlange, ganz am Anfang sammelte eine ältere Dame Kleingeld aus ihrem Portemonnaie, dahinter stand ein Rentner oder Trinker oder beides mit einem Korb voller Bierflaschen, in der Hand einen Packen Pfandquittungen. Hinter ihm eine Frau, die wohl noch nicht ganz so lange hier lebte und Mühe hatte, ihre drei Kinder von den Bonbonauslagen wegzuhalten. Claudia Roth fragte: "Meinen Sie mich?" Sie sprach ganz ruhig, gar nicht so, wie man sie kennt, mit diesem quälenden Diskant innerer Empörung. "Natürlich", sagte ich, entschlossen, die Gelegenheit zu nutzen.
Ich bin ein Grünen-Gründer
Sie müssen wissen, ich habe die Grünen quasi mitgegründet, damals, als die Sonnenblume noch ein Sonnenblumenkern war. Wackersdorf, Rheinwiesen, Brokdort, Startbahn West, ich war immer dabei, wo wir versucht haben, den Doppelbeschluss zu stoppen, den Atomtod zu verhindern und das kalte System der kapitalistischen Profitmaximierung ein Stück zurückzudrehen, um der Welt Frieden und Gerechtigkeit zu bringen.
Und dann nun diese Wahl. Und die empörenden Nachrichten, dass die Grünen... Teil einerkünftigen Bundesregierung aus Rechtspopulisten, Neoliberalen und Klimaleugnern.
Mir läuft es schon beim Gedanken heiß den Rücken herunter. "Ihr wollt tatsächlich mit den gelben Nazis und den schwarzen Rechten und den bayrischen Nationalisten in ein Bett, oder", sagte ich und unterdrückte dabei jeden Frageton. Roth schaute mich entsetzt an, aus großen Roth-Augen, die tief in jahrelang sorgsam herangezüchteten Fettschwämmchen lagen. "Sie wollen das nicht wirklich hier diskutieren", sagte sie und ein klein wenig kam der berühmte Hysterie-Diskant schon zum Tragen.
"Aber freilich", sagte ich. Als Grünen-Mitgründer von damals stand mir das schon zu, obwohl ich mein Mitgliedsbuch abgegeben habe, als Joschka Fischer den Hufeisenplan erfand, um deutsche Bomber auf den Balkan schicken zu können. "Sind wir nicht angetreten, der gnadenlosen Verwertungslogik des Systems unsere eigenen Vorstellung von Freiheit und Nachhaltigkeit entgegenzusetzen", sagte ich, wieder ohne Frageton. Roth schüttelte den Kopf. "Wir müssen Verantwortung übernehmen, staatspolitisch", sagte sie.
Claudia und das Klima
Wenn ich das schon höre. Staatspolitisch. "Das Klima fragt nicht danach, wer ihm aus welchen Gründen schadet", ätzte ich. Kompromisse, die zum kleineren Übel führen, das weiß ich seit Brokdorf, sind am Ende Grund für Übel, die es real gibt. Während Kompromisse, die man sich zu schließen weigert, zu Schäden führen, die ein Umdenken befördern. "Ihr seid Verräter", sagte ich, mitten hinein ins staunende Gesicht der Frau, die wir damals, als es um die Startbahn West ging, für eine von uns gehalten hatten.
Claudia Roth schaute jetzt angefasst aus, oder wenigstens hätte sie selbst ihr Aussehen sicher so genannt. "Noch haben wir nicht einmal Koalitionsverhandlungen", sagte sie. Ich prustete einen Laut in die Supermarkt-Landschaft, der etwa wie "pfffffffffffff" klang. "Und wenn ihr welche habt, dann guckt ihr alle nur auf Ministerposten und Staatssekretärsstellen", sagte ich. Der diesjährige war nicht der erste Wahlsieg der Grünen, den ich miterlabt hatte. Das Ergebnis hatte sich noch jedesmal sehen lassen können. Zumindest für die, die nah genug an der Vorstandsebene waren,um für treue Dienste mit Posten und Pöstchen bedacht zu werden.
Lutscherkuller im Sommerzelt
Vorn rückte die Schlange weiter und eines der Kinder ningelte, weil Mutti ihm keine Dropse kaufen wollte. Claudia Roth schüttelte den Kopf, der aus dem kreischbunten Kragen ihres Sommerzeltes schaute wie eine Lutscherkuller aus der Plastikverpackung. "Noch ist nichts entschieden", hielt sie mir entgegen, klang dabei aber seltsam kleinlaut.
Ich war in diesem Moment heilfroh, diese Partei diesmal wieder nicht gewählt zu haben. Nicht wegen Roth, die politisch ohnehin keine Rolle mehr spielt, seit sie unter der Regie von Yüksel Aksu im Kinofilm „Entelköy Efeköy’e karşi“ eine temperamentvolle Tänzerin gespielt hat, die mit Hilfe einer senfbunten Bluse mit grüngelbem Pokemon-Jäckchen Claudia Roth darstellte. Die erst kürzlich zu uns gekommene Frau rückte ein Stück weiter in der Schlange vor, nachdem der Pfandflaschensammler sein Quittungsbündel gegen zwei frische Flaschen Bier eingetauscht hatte. Roth schob sich in all ihrer opulenten Körperlichkeit hinterher wie eine Düne im Kostüm einer Dame. "Wir werden die Basis entscheiden lassen", sagte sie, "und als künftige Bundestagsvizepräsidentin werde ich mich mit dafür einbringen, dass wir als Grüne den erfolgreich eingeschlagenen Pfad von Kontinuität und Erneuerung beibehalten."
Ich schüttelte mit dem Kopf, nun schon hilflos. Claudia Roth schien mir in diesem Moment nicht mehr wie eine frühe Wegbegleiterin, die gleiche Ideale und Visionen von einer atomwaffenfreien, klimaneutralen und gendergerechten Welt teilt, auf der Tier- wie Verbraucherschutz gewährleistet und Kriegstreiber für alle Zeit entmachtet sind. Sie wirkte auf mich wie eine Machtmaschine, im Einkaufswagen einen Kohlkopf, eine Flasche Beaujolais, abgepackte Backkartoffeln und einen Müller-Joghurt, wie ich sehen konnte.
Auf dem Weg ins kapitalistische Abseits
Die Partei, ihre Partei, hat mich immer sehr viel Kraft gekostet und sie tat es hier noch einmal. "Dieser ewige Kampf zwischen Illusion und Realität, diese Diskussionen mit Leuten, die manchmal kaum wissen, worüber sie reden, haben mich erschöpft", hauchte ich nur noch in Richtung Roth, die inzwischen sichtlich schwitzte. Für mich war immer klar - beugt sich die Partei der Mehrheitsgesellschaft, verliert sie ihre Kraft als Avantgarde einer besseren Zukunft. Roth wollte mich unterbrechen. Sie schmirgelte "Wir wollen alle mitnehmen". Ich aber sagt: "Sie wissen, dass der Weg ins Abseits für uns immer mit Kompromissen gepflastert war".
Der Hinweis war für mich überdeutlich. Doch Roth, einst ein grüner Superstar, schüttelt den Kopf. "Wir wollen und müssen gestalten", sagte sie, "auch in Verantwortung für künftige Generationen." Mein Vorwurf, die Partei sei keine Alternative mehr, sondern verlängerte Werkbank der CDU ins Gentrifizierungsmilieu, ließ sie abprallen. Ebenso den Vorhalt, mit einer Beteiligung an der Bundesregierung trügen die Grünen zu Kriegstreiberei, Stärkung der Nato, Verarmung Afrikas und Klimaerwärmung bei. Vor Claudia Roth bezahlte die Kopftuchfrau mit den vielen Kindern. Vor der Automatiktür öffnete der Rentner sein Frühstücksbier. Claudia Roth schniefte mich wie abschiednehmend an: "Mit Leuten wie ihnen", sagte sie, "verabschiedet sich die grüne Partei Richtung Illusionen".
Die mächtige Frau, die ich für Claudia Roth hielt, stapfte davon, als ginge sie durch tiefen Schnee. Sie geht zu einer Limousine, die ihr als Bundestagsvizepräsidentin zusteht. Das will sie auch wider werden. Und sie wird es. Wir werden uns nie wiedersehen.
"Vorn rückte die Schlange weiter und eines der Kinder ningelte, weil Mutti ihm keine Dropse kaufen wollte."
AntwortenLöschenWerter Herr @ppq, "ningeln kenne ich eigentlich nur aus dem (West-)Sächsischen aber nicht aus dem preußischen Halle. Sind Sie etwa ein Karl-Marx-Städter Doppelagent, um nicht zu sagen Diversant ?
ich bin kosmopolit, von ganzem herzen globalist. ich kenne keine heimat außer der, wo die bank sitzt, die mein geld hat
AntwortenLöschenZum Bild: Gleich am Anfang des Schwejk - Schelmenromanes: "... häßlichen, schlechtrassigen Scheusälern ..." - nur mal so in die Tüte gesprochen.
AntwortenLöschenAnti Deutscher Abschaum
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