Montag, 7. August 2017

Urbane Legenden: Wie der "Spiegel" den Fidschi erfand

Liebevoll als "Vietschis" bezeichnet, wurden die Vietnamesen in der DDR vom "Spiegel" später zu "Fidschis" erklärt.

Je weiter sie in die Vergangenheit rutscht, desto mysteriöser wird die DDR. Zahlreiche Gerüchte umschwirren ihre Geheimnisse, viele Zeitzeugen, die sich noch selbst erinnern, glauben nach der zehnten ZDF-Erklärsendung über das, was war, dass es wohl doch anders gewesen sein muss. Wurden wir nicht alle getopft? Waren wir nicht alle bei der Stasi? Hatte nicht jeder einen Trabi bestellt? Oder zwei? Und waren wir nicht alle so latent ausländerfeindlich, dass wir jeden Fremden sofort beschimpft und fortgejagt hätten, wäre denn irgendwann mal einer erschienen?

Im Westen, der schon immer mehr über das Leben in der DDR wusste als Menschen, die in der DDR lebten, jemals werden erfahren können, besteht kein Zweifel daran, dass die ostdeutsche Ausländerfeindlichkeit und die permanente Resistenz früherer DDR-Bürger gegen Aufklärungsbemühungen wohlmeinender Institutionen wie der ARD, des "Spiegel" oder der Zentralen für Politische Bildung tief im Wesen der Honecker-Krüppel und ihrer arbeitslosen Nachfahren wurzelt.

Als gesicherte Erkenntnis gilt zudem, dass DDR-Menschen die von ihrer Staatsführung als Äquivalent zu den im Westteil eingesetzten Türken in den Osten geholten Vietnamesen "Fidschis" nannten, weil sie - weltabgeschlossen, wie sie nun mal leben mussten - glaubten, die schmaläugigen stillen Menschen stammten von den Fidschi-Inseln.

Dass viele Ostdeutsche das unterdessen auch glauben, ist ein klarer Beleg für die westliche Deutungshoheit über die ostdeutsche Geschichte, die am Ende irgendwann nicht mehr gewesen sien wird, wie sie war. Sondern so, wie westdeutsche Forscher sie ausgeschrieben und weitererzählt haben.

Der Begriff "Fidschis" ist ein schönes Beispiel. Er müsse eigentlich "Vietschis" geschrieben werden, weil die damit bezeichnete Gruppe aus Vietnam kam und sich ihren Namen durch die liebevolle Logik verdiente, mit der DDR-Bürger alle ihre ausländischen Nachbarn bezeichneten.  Wo der Türke im Westen zum "Kanaken" und der Kongolese zum "Nigger" wurde, streichelte der internationalistische geschulte Ostdeutsche seine Gäste verbal mit Verniedlichungs-Is.

Kam der schwarze Gastarbeiter aus Mocambique, dann war er ein "Mosi". Kubaner hießen "Gubbis", wobei das sächsische "G" das "K" ersetzte. Außerdem gab es noch "Ruskis", die der Sowjetunion entstammten und unabhängig ihrer Ethnie so genannt wurden. Und "Algis", die  aus Algerien kamen und das Kose-I sogar erhielten, obwohl sie immer Westgeld hatten und damit leichtes Spiel dabei, die nach exotischer Romantik ebenso wie nach harten Devisen ausgehungerten DDR-Mädchen in der Disko abzuschleppen. Schlägereien mit Algis waren häufig, der Grund aber war nicht deren Herkunft, sondern ihr - auch dem Westgeld zu verdankender - Erfolg bei den Frauen. Gleiches galt für die damals noch "Bundis" genannten "Wessis". Auch hier wurde das Kose-I nicht aus Sympathie, sondern aus Gründen der ostdeutschen Ordnungsliebe vergeben.

Woher kommt nun aber die Behauptung, dass der strunzdumme DDR-Bürger durch seine von der Partei verordnete Weltabgeschiedenheit hinter  Mauer und Stacheldraht so schlecht informiert war, dass er aus Vietnam stammende Menschen irrtümlich als von den Fidschi-Inseln kommend als "Fidschis" bezeichnete? Nun, die erste urkundliche Erwähnung des Begriffes außerhalb der - nie niedergeschriebenen - Gespräche im ostdeutschen Alltag stammt aus einem "Spiegel"-Artikel (Ausriss), in dem der damals noch namenlose Autor einen privaten Hörfehler in die Historie einführte: Im Artikel mit dem Titel "Nahe am Pogrom", der aus dem Frühjahr 1990 datiert, legt er die Schreibweise für "Vietschis" grund- und anlasslos mit "Fidschis" fest. Es gibt dafür keine Notwendigkeit und keine Erklärung.

Doch es ist der "Spiegel", das führende Nachrichtenmagazin der westdeutschen Republik. Hier schreibt einer vom anderen ab, so dass die Falschschreibung bereits wenig später mit großer Selbstverständlichkeit als Standard verwendet wird. Alle anderen großen Medienhäuser tun dann, was sie immer tun: Sie schreiben ab. Und so entsteht tief im Westen, in Hamburg, in einem Hochhaus mit Blick über die Hafenstadt, eine der hartnäckigsten urbanen Legenden, eines der irrwitzigsten  Medienmärchen und eine der bizarrsten Fake-News der deutsch-deutschen Geschichte: Dass Ostdeutsche Vietnamesen "Fidschis" nennen, weil sie anfangs glaubten, dass die neuen schmaläugigen Arbeitskollegen von den Fidschi-Inseln stammen.

Das geht nun nicht mehr weg, das ist nach 27 Jahren festsitzendes Allgemeinwissen, im Westen erfunden, vom Westen in die Welt gestreut, wie üblich nie hinterfragt, sondern durch unendliche  Wiederholung zu einem feststehenden Volksglauben gemacht.

13 Kommentare:

  1. Eine erfreuliche und korrekte Richtigstellung, die weitere zahllose Mannstunden halbärschiger Scheinrecherche der Leitmnedien in die Mülltonne befördert - wo 90% dessen hingehören, was da produziert wird.

    Überhaupt in Betracht zu ziehen, DDR-Bürger hätten glauben können, dass Vietnamesen von der Fidschi-Inseln stammen, offenbart aus weiteren Gründen komplette Unfähigkeit und Ignoranz:
    Der Bildungstand im Fach Geographie war mit Sicherheit höher als bei den Teilanalphabeten mit Abitur heute, und Vietnam war als Opfer des Imperialismus (Vietnamkrieg) in allen Medien und in jedem politischen Gespräch der Erzieher und Lehrkräfte ab dem Kindergarten omnipräsent. Die westlichen Medienversager haben von alledem freilich nie gehört.

    Da wir gerade in der Archiven weilen, sei noch der Muschkote hervorgeholt. Das war die Alternative zum Russkie (Doppel-S) und bezeichnete spezifisch asiatische Angehörige der Roten Armee, wurde aber auch als allgemeiner Name für Sowjetsoldaten verwendet.
    Der Muschkote war, wie auch die Asche für NVA, eher Sprachgebrauch der Gedienten, und darum waren beide Begriffe für die Verweigerer bei den Westmedien unerreichbar.

    AntwortenLöschen
  2. Jetzt tut mal nicht so !

    Es mag ja sein, daß "Vietschi" richtig wäre aber Ihr habt doch ALLE "Fidschi" gesprochen.

    AntwortenLöschen
  3. Als Zeugin dieser Fehlwahrnehmung steht den Hamburger Medien die berühmte Freya Klier zur Verfügung, die die westdeutsche Lesart des Wortes seit Jahren vertritt. Und zwar, weil sie damit den heutigen Alltagsrassismus des Ostdeutschen beweisen wollte. Damit fuhr sie lange auf derselben Schiene wie Anetta Kahane.

    AntwortenLöschen
  4. Carl GustafAugust 07, 2017

    Gerade die aufrechte Freiheitskämpferin und Sinnstifterin Freya Klier muss uns hier belehren. Jene Volkspädagogin Freya Klier, die als notorische Querulantin zu DDR-Zeiten nach der Wende dann ganz schnell die Weisheit "wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing" verinnerlicht hat.

    Ansonsten wurden die Vietnamesen bei uns in der Gegend bis vor der Wende allgemeinhin "Schlitzochen" genannt. Der Kampfbegriff "Fidschis" kam dann erst nach der Wende auf.

    AntwortenLöschen
  5. Nanana, nicht ganz so zartbesaitet ! Ihr habt doch "Vietschi" immer wie "Fidschi" ausgesprochen.

    AntwortenLöschen
  6. http://i.imgur.com/R4VqzbJ.jpg

    AntwortenLöschen
  7. Bachulken kommen ja auch nicht aus Bachulkisthan.

    AntwortenLöschen
  8. Wäre mir allerdings neu (als nicht vöm säggsischen Schbrochfähler infidziert), dass man in Dä-Dä-Ärr-ien, schbedziell in den säggsischen Rechiönen das stimmhafte "dsch" (wie zum Bleistift im engl. "John") richtig aussprechen konnte, sondern gerade falsch herum (wenn Stimmhaftigkeit erfordert) stimmloses "tsch" artikulierte. - Z. B. statt:
    "Genosse Dschugaschwili", "Kenözze Tschugaschwili" ("z" hier für stimmhaftes "s", wie in "Sonne"). - Derohalben kann ich mir nur lebhaft vorstellen, dass die besagte "Schmäh-Titulierung" viel mehr nach wie "Fittschi" als nach "Fidschi" klang.

    AntwortenLöschen
  9. Fortsetzig:

    An fast dem gleichen Sprachfääähler leidet der Schwaaabä (Württemberger)
    und in ähnlichem Ausmass der Badenser. - Denn, statt den Namen "DieTer" mit stimmlosem, aspiriertem "T" und dann mit stimmhaftem "D", klingt das dort gerade anderers herum, nämlich "TieDer".

    AntwortenLöschen
  10. By the way:

    Noch abstruser ischt die "intime" Beziehung des Schwaben zu Nasalen (in frz. Namen), werden doch die bekannten frz. Mathematiker/Physiker "Coulomb" bzw. "Poisson" gnadenlos wie "Coulooo" u. "Poissooo" artikuliert. - Benutzt er indes das Adjektiv "unangenehm" in seinem Dialekt, klingt es eindeutig wie "ON-AN-gnähm" (mit "ON" als das frz. Phonem, wie in "ButtON", bzw "AN", das frz. Phonem, wie in "ANgoisse".

    AntwortenLöschen
  11. Gut geschrieben, aber nicht plausibel. Als Quelle für die Erfindung des "Fidschi" wird hier der Spiegel mit einem Artikel von 1990 genannt. Ich wurde in den 60ern in der DDR geboren. Wir haben dort schon lange vorher das Wort "Fidschi" für Vietnamesen verwendet. Ich hatte z.B. selbst, als ich anfing zu arbeiten, vietnamesische Kollegen. Wir haben die so nicht genannt, denn wir wussten damals schon, dass das Wort beleidigend und sowieso irgendwie falsch entstanden war. Aber das Wort gab es durchaus in der DDR und ist keineswegs eine Erfindung des Spiegel.

    Junge, Junge ... jetzt werde ich schon selbst zum Zeitzeugen, der erzählt, wie es früher wirklich war. Zeitzeugen sind aber die, die ständig alle aussterben. Gibt mir zu denken ;-)

    AntwortenLöschen
  12. deshalb gab es in der ddr kein geschriebenes Wort dafür. das hat uns dann der Spiegel beschert

    AntwortenLöschen
  13. @herold: der sachse etwa kennt gar kein T. und viet-schi war wohl zu nahe an eurem schimpfbegriff vietkong

    AntwortenLöschen

Richtlinien für Lesermeinungen: Werte Nutzer, bitte beachten Sie bei ihren Einträgen stets die Maasregeln und die hier geltende Anettekette. Alle anderen Einträge werden nach den Vorgaben der aktuellen Meinungsfreiheitsschutzgesetze entschädigungslos gelöscht. Danke.