Bio oder nicht? Die EU kann sich einmal mehr nicht mit sich einigen. |
In jeder guten Ehe ist bekannt, dass es schwieriger ist, sich zu zweit zu einigen, als es allein zu tun. Selbst die Bundespolitik ist von diesem Phänomen der mit ansteigender Menge von zu beachtenden Einflüssen oder Interessen wachsenden Komplexität von Entscheidungen nicht gänzlich in Unkenntnis. Ehe Bundesrat und Bundesregierung sich – zu Siebzehnt – auf irgendetwas verständigen können, vergehen meist Jahre, manchmal Jahrzehnte.
Dennoch ist das Postulat der EU stets gewesen, dass alle zusammen bessere Entscheidungen treffen als einer, zwei, fünf oder 17. Das klappt nie, zumindest nicht, wenn es wie der Finanzkrise oder der Flüchtlingswelle mal wichtig ist. Erst kommen Entscheidungen ohnehin nur zustande, wenn die größeren Mitspieler auf den Tisch schlagen und mit einer Mischung aus Erpressung, Gutzureden und Strafandrohung „Druck“ (SZ) machen. Ganz und gar daneben aber geht es in Fällen, in denen Belanglosigkeiten entschieden werden müssen, von denen alle Beteiligten wissen, dass es kreuzegal ist, ob alle für einen oder einer für alle bestimmt. Wobei in letzterem Fall jeder der sein will, welcher.
Mehr Europa, weniger Entscheidung
So hat die EU natürlich auch eine Bio-Richtlinie, die kontinentweit festlegt, was nun wirklich biologisch richtig ist. Das Ziel der Verordnung klingt denkbar simpel: Wo „Bio“ draufsteht, muss auch „Bio“ drin sein. Was aber ist Bio? In Wirklichkeit?
Nach der Antwort auf diese simple Frage suchen die 28 Mitgliedstaaten der EU nun schon drei lange Jahre. Vergeblich. Jedes Land hat andere Vorstellungen von den Standards, die irgendwann für alle gelten sollen. Die Diplomatie ist überfordert, weil das alles kaum jemand bemerkt, ist auch kein Staatenlenker gezwungen, wenigstens öffentlich so zu tun als sei ihm an Kompromissen gelegen. Zuletzt wurde ein inoffizielles Treffen zur Verständigung von Europäischer Kommission, EU-Parlament und Mitgliedstaaten kurzfristig abgesagt, weil die Gefahr bestand, dass am Ende offiziell hätte erklärt werden müssen, dass keine Chance auf eine Einigung besteht.
Bio wurde Chefsache. Aber als die Agrarminister der Gemeinschaft in Luxemburg zusammensaßen, um – nach Jahren intensiver Verhandlungen – erstmal ein bisschen informell über das Thema zu beraten und Kompromisslinien auszuloten, brachte das auch nichts.
Binnenmarkt ohne Bio-Standard
Zu viele Köche mit zu verschiedenen Rezepten, zu viele Öfen, Backröhren, Zutaten. Und nichts in der Hand, um die übliche Nummer mit dem Gibst du mir, geb ich dir abzuziehen. Die schärfste Drohung an die „Partnerstaaten“, die dem deutschen Agrarminister Christian Schmidt einfiel, lautete: „Wenn wir in den nächsten Wochen nicht zu einem Ergebnis kommen sollten, dann muss ein neuer Anlauf gestartet werden“.
Nichts geht mehr, denn es geht ja auch so, wenn es nicht weitergeht. Derzeit sorgen im „einheitlichen Binnenmarkt“ (Bundesregierung) 64 Import-Standards dafür, dass irgendwas mit Bio in den Regalen steht. Ob das dann, wie einige EU-Länder fordern, aus Bio-Anbau mit Pestiziden, von Bio-Höfen mit Gen-Saatgut oder aus Viehställen voller unglücklicher Rinder kommt, ist dem biobewussten Verbraucher augenscheinlich völlig egal, denn er gibt Jahr für Jahr immer mehr Geld für Produkte aus, die vielleicht irgendwo irgendeinem Bio-Standard, auf jeden Fall aber ein fair gehandeltes hübsches Bio-Siegel aus eigenem Anbau tragen.
Die neue Brüsseler Öko-Verordnung soll solchen Werbepraktiken einen Riegel vorschieben. Der aber ist - jeder gut Verheiratete weiß das - schwierig zu schmieden, wenn 28 Klempner herumschrauben, 120 Parteien Vorschläge machen und 290 Verbände Nachforderungen stellen.
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