Montag, 2. Januar 2017

Tod dem Disput: Wie der Maschinenraum des "Spiegel" funktioniert



Man kann kommentieren. Wenn es um die Bahn, Sport oder VW geht. Man kann es nicht, wenn Terror, Flüchtlinge oder die Politik der Bundesregierung auf dem Plan stehen. Der Data-Mining-Experte David Kriesel hat sich per Datenanalyse im Maschinenraum der Internetseite des "Spiegel" umgeschaut und bemerkenswerte Einsichten gewonnen. "SpiegelMining" (Kriesel) filtert aus Metadaten von Spiegel-Online nicht nur Informationen über persönliche Beziehungen der "Spiegel"-Redakteure, ihre Lebensgewohnheiten und ihre politischen Grundüberzeugungen. Sondern manifeste strategische Entscheidungen des führenden deutschen Nachrichtenmagazins.

So fand Kriesel heraus, dass Spiegel Online seit Monaten einem Trend zu kürzeren Meldungen folgt, der eingebettet ist in einem Trend zu bunteren Themen. Statt harter Nachrichten setzt das frühere Sturmgeschütz der Demokratie auf Belanglosigkeiten aus dem sogenannten Panorama-Bereich, auf Sport und Prominente. Gleichzeitig mit der schrumpfenden Menge an Texten zu gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und außenpolitischen Themen schrumpft deren durchschnittliche Länge.

Für Dennoch-Leser besonders relevant aber: Der "Spiegel" verzichtet auf seiner Internetseite mehr und mehr darauf, sein Publikum über Nachrichten, Reportagen, Kommentare und Porträts diskutieren zu lassen. Nicht grundsätzlich, sondern gezielt und taktisch. Wo die vorab erahnten Ansichten einer größeren Gruppe von Spon-Lesern der veröffentlichten Meinung der Redaktion zu widersprechen drohen, gibt es immer häufiger keine Kommentarfunktion. Diese Tendenz korreliere, so David Kriesel, mit der Verschärfung der gegensätzlichen Auffassungen zur Flüchtlingssituation.

Anfangs habe das Magazin sich für seine Verweigerung eines Gesprächs mit der Kundschaft noch entschuldigt. Die Entscheidung sei der Redaktion wohl selbst nicht geheuer gewesen, glaubt der Daten-Forensiker, so dass ein entschuldigender Standardspruch das Fehlen einer Kommentarfunktion erläuterte, wenn auch ohne Gründe zu nennen. Inzwischen aber sei ein weiterer Trend feststellbar: Der Hinweis fehle immer öfter, der Verzicht auf einen Rückkanal zum Leser werde in Problemgebieten stillschweigend standardisiert.

Auf Youtube gibt es einen knapp einstündigen, zum Teil sehr launig gehaltenen Vortrag von David Kriesel zum Thema "SpiegelMining" zu sehen, der nicht nur zeigt, wie viele intime Informationen sich aus vermeintlichen Nur-Metadaten herauslesen lassen.

Eine Stunde, die man sich gönnen kann.

4 Kommentare:

  1. http://www.dkriesel.com/_media/blog/2016/spiegelmining-33c3-davidkriesel.pdf

    AntwortenLöschen
  2. Carl GustafJanuar 03, 2017

    Wirklich bemerkenswert ist aus meiner icht der Zwischenton "wer twittert und hatet, wird nicht ernst genommen". Das sollten sich gewisse Politiker-(Darsteller) dann doch mal gehörig hinter die Ohren schreiben.

    AntwortenLöschen
  3. Zum Glück für alle gibt es Forscher, die Parasiten interessant finden.

    AntwortenLöschen

Richtlinien für Lesermeinungen: Werte Nutzer, bitte beachten Sie bei ihren Einträgen stets die Maasregeln und die hier geltende Anettekette. Alle anderen Einträge werden nach den Vorgaben der aktuellen Meinungsfreiheitsschutzgesetze entschädigungslos gelöscht. Danke.