Mehr Gerechtigkeit, das ist, ganz wolkig, der Kern der Marke Martin Schulz, den der kommende SPD-Kanzler gern an den Wähler verkaufen würde. Vor allem mit scharfer Kritik an millionenschweren Boni für für Manager und Plänen für höhere Steuern versucht der neue Mann an der Spitze der deutschen Sozialdemokratie, die Gesellschaft entlang einer gefühlten Wohlstandsgrenze zu spalten: Wer weniger hat, soll neidisch sein auf den, der mehr hat. Und Schulz wählen, der immer zugesehen hat, dass er zu Letzteren gehört, dabei aber wirken will, als sei er einer von den Ersteren.
Wie einst Franz Müntefering mit seiner populistischen Managerschelte zielt auch Schulz mit seiner Pauschalkritik nicht auf Manager, sondern auf Wählerinnen und Wähler. Aus dem Bauch heraus sollen die Schulz glauben, dass die SPD unter seiner Führung dafür sorgen wird, überzogene Gehälter und ausufernde Bonuszahlungen zu stoppen.
Es war damals im November, als Europa und die Welt noch den frischen Wahlschock aus den USA genossen. Komplett verwirrt und irritiert antworteten bei einer Umfrage des Reise-Portals „Urlaubsguru“ mehr als ein Drittel der über 5000 Befragten, dass sie nun nicht mehr in die USA reisen würden. Trump solle, werde und müsse boykottiert werden, bis die Amerikaner zur Vernunft kommen – ein klares Abgrenzungssignal, das die ehemals befreundete Supermacht hätte zum Nachdenken bringen müssen.
Umso schlimmer, dass dies nicht nur nicht geschehen ist, sondern dass Donald Trump mit seinen Einreiseverboten für muslimische Länder auch zahlreiche deutsche Doppelpassler trifft, die alle gerade kurz davor standen, einen Flieger Richtung New York, Miami und Chicago zu besteigen.
Nahezu hundert Prozent aller in Deutschland lebenden Schauspieler, Sänger, Zauberkünstler und Politiker mit jemenitischen, iranischen und irakischen Wurzeln wurden offensichtlich auf dem falschen Bein erwischt: Trotz der Machtergreifung Trumps hatten sie schon alles vorbereitet, heute, morgen oder spätestens übermorgen über den großen Teich zu jetten. Nun nun lässt Trump diesen schönen Traum platzen – vielleicht noch in Erinnerung an die Ankündigung, dass ein Drittel der Deutschen ohnehin nicht mehr in sein großes und schönes Land reisen werde.
Der enge Verbündete Deutschlands im Kampf gegen den Terror vergibt für Touristen traditionell und generell keinerlei Visa. Israelis dürfen gar nicht, Frauen nicht allein einreisen, ledige Frauen unter 45 nur in Begleitung eines volljährigen nahen Verwandten (Vater, Ehemann, Bruder), andere Besucher müssen einen einheimischen Sponsor haben, der sie förmlich zu sich einlädt.Verboten ist es zudem, mit einem Pass einzureisen, der einen israelischen Einreisestempel enthält.
Nicht äußern konnten sich Bundesregierung und EU-Kommission wegen des amerikanischen #muslimban bislang zur einer Einreisesperre, die das Emirat Dubai dem österreichischen Fußballer Munas Dabbur erteilen musste, der aus Israel stammt. Auch das Einreiseverbot, das 15 weitere Staaten gegen Israelis seit Jahren aufrechterhalten, wird in Berlin nur indirekt abgegriffen. Angela Merkel hatte die Deutschen bereits vor längerer Zeit aufgefordert, ihren Urlaub häufiger in Ländern zu verbringen, die Israelis nicht einreisen lassen. Damit fördere man den wirtschaftlich wichtigen Fremdenverkehr im Nahen Osten.
Die Word Cloud zu Schulz´erster Rede: Eine Plattitüdenparade erster Ordnung.
Bei "Anne Will", wo sonst die Kanzlerin exklusiv Hof hält, streckt er nun die schwarzbestrumpften Beine aus. Martin Schulz, seit der im alten monarchischen Amtswechselstil der Ernennung durch seinen Vorgänger Hoffnungsträger der Sozialdemokratie, ist nach seiner umjubelten Antrittrede vor seinen SPD-Genossen ins Fernsehstudio geeilt, um den Aufbruch der SPD dem ganzen Volk zu verkünden. Eine Analyse seiner ersten Rede zeigt: Schulz hat alle Plattitüden drauf. Und nicht die Absicht, zu wirklichen Problemen Stellung zu nehmen.
Er, seit mehr als zwei Jahrzehnten federführend in der Partei, ist entschlossen, in die Rolle des Erneuerers, des Reformers, des Wiederbelebers sozialdemokratischer Grundwerte, ja, des deutschen Obama zu schlüpfen. Spaßvögel haben am Nachmittag schon Plakate hochgereckt, die den 62-Jährigen, der seit 33 Jahren aktiv Politik macht, ironisch im Obama-Design begrüßten. Das Bundesverdienstkreuz heute mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband, die letzte einer unendlichen Kette von hoch- und höchstrangigen staatlichen Auszeichnungen, die Schulz sich über die vielen Jahrzehnte verdiente
, trägt er auf dem Bild nicht.
Denn die Rolle, die der erfahrene Bürokrat, Strippenzieher und Parteisoldat zu spielen anstrebt, ist die des Volkstribuns, des Mannes von Außen, des Neulings, der unverkrampft und energisch daran geht, alte Zöpfe abzuschneiden. Die Lächerlichkeit dieser Pose für einen Mann, der seit einem Vierteljahrhundert im dem Schaum der Parteiendemokratie relaxt, irritiert Schulz nicht im Geringsten. Er bietet hier große Show mit kleinem Karo, schwatzt von Busfahrern und Verkäuferinnen, will sich nirgendwo festlegen, wird um "Vertrauen" und redet mehrfach den Fake News das Wort. Dann geht es um den "Bauch", in dem er Volkes Stimme hört, um "gefühlte" Benachteiligungen und darum, dass die französische Front National genau so heißt wie die Nationale Front der DDR. Untranationalistisch sei diese Partei gewesen, die in Wirklichkeit natürlich keine war, sondern so etwas wie die GroKo. Schulz mahnt dann ansatzlos, so etwas wie das Dritte Reich dürfe es nie wieder geben.
Es ist egal. Wer alle erreichen will, muss auf den Sinn verzichten. Schulz will. Immerhin: Wenn er spricht, zeigt er denselben Sprachfehler, den einst schon Helmut Kohl hatte. Aus "sch" wird dann "ch", aus "zwischen" ein "zwichen". Kanzler aber kann er, gibt der Kandidat aus vollem Herzen zu. Er lebe unter Nachbarn, der eine ist Feuerwehrmann, der andere junger Familienvater. Brüssel ist nur 130 Kilometer entfernt. Anne Will fragt nicht, wie viel ein Tetrapack Milch kostet.
Hier geht es um die "hart arbeitende Mitte", die Martin Schulz so oft im Mund führt, dass bald klar wird: Dies ist seine Idee, das von ihm selbst ausgerufene und komplett hanebüchene Ziel zu erreichen, die SPD in acht Monaten zur "stärksten Partei" zu machen. Ebensogut könnte Schulz verkünden, er wolle in acht Monaten auf einem Fahrrad zum Mond fliegen, sich die Haare bis zum Herbst bis zum Hintern wachsen lassen oder Syrien befreien, nur er allein und bewaffnet mit einer Bibel. Aber er stockt nicht, er lässt die Worthülsen knallen, dieses immer feucht bis nass wirkende Lächeln auf den Lippen. Ein trockener Charismatiker, der er tatsächlich schafft, sich selbst völlig in den Bann zu schlagen.
Alle anderen können nur nicht wegschauen, wie bei einem Autounfall. Der vielleicht erfolgreichste Spesenritter der SPD liefert eine Plattitüden-Parade voller Standardsprüche, gefeiert von einem Studiopublikum, das hörbar im selben Bus mit dem armen Mann da im Sessel auf der Bühne angereist ist. Schulz fallenauf die sanften Fragen der sympathisierenden Moderatorin alle klassischen Antworten ein, die die SPD schon immer gegeben hat. Die Fans jubeln.
"Gesellschaft muss hat gegen Deutschland Menschen", das sind die zentralen Begriffe seiner ersten großen Rede am Nachmittag gewesen (Word Cloud oben), ergänzt um "Partei", "Bildung", "Europa" "Solidarität" und "Wollen". Auch bei Will tastet sich Martin Schulz nicht einmal geschickt an allen Themen vorbei, die derzeit von vielen als wichtig erachtet werden. Terror, Flüchtlinge, Hartz4, Krieg, Russland, Syrien, Sicherheit, Wirtschaft, Internet, Meinungsfreiheit, Praktikantismus - beim Kandidaten des SPD-Adels, dem Favoriten eines inneren Kreises aus altgedienten Funktionären, die alles wollen, nur keine frische Luft in die Hinterzimmer lassen, spielt all das nur eine Nebenrolle.
Schulz macht einfach weiter, wo Gabriel aufgehört hat. Die Medien jubeln ihm dennoch zu. Spannend am Wahlkampf wird damit ausschließlich, zu sehen, wie weit öffentliche Meinung und veröffentlichte Imagination dieser Meinung diesmal am Ende auseinanderliegen werden.
An Reaktionen auf diese erneute Welle an Fake News, die sich unkontrolliert Bahn bricht, mangelt es nicht. Empörung allenthalben, Der "german MP, iranian activist, global green, international, Middle East-passion, آزادى, Adler4life, MC, sometimes-DJ" (Nouripours Selbstbeschreibung) erfährt Solidarität von anderen Unterdrückten. Transatlantiker fürchten um Nouripours Möglichkeiten, sich direkt vor Ort gegen Trump engagieren zu könne , Bundeskanzlerin Angela Merkel hat angekündigt, die Interessen betroffener Doppelpassinhaber "gegebenenfalls gegenüber unseren amerikanischen Partnern vertreten".
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Dieter Janecek, schlägt inzwischen mit Trump-Vorschlägen zurück. Der Grünen-Politiker, offenbar restlos begeistert vom Medienecho auf Nouripours "Ich darf nicht mehr in die USA"-Geschichte, fordert nun seinerseits ein Einreiseverbot für Donald Trump zum G20-Gipfel in Hamburg.
Auch in Europa beobachten wir den gleichen Starrsinn, wenn Vertreter der Eliten sich zu Trump äussern. Man merkt, wie beleidigt sie sind, wie gekränkt, dass das Volk eine Politik verschmäht, die unter den westlichen Eliten so populär ist, nein, als einzig richtig angesehen wird.
Wenn sie darüber reden, verraten sie sich: Der Euro ist «alternativlos», der Klimawandel entspricht dem «wissenschaftlichen Konsens», die EU ist gut, weil sie gut ist, gegen «Migrationsströme» lässt sich nichts ausrichten, Obama schliesslich ist ein grosser Präsident, und wer es anders sieht, muss ein Rassist sein.
Deshalb ist es eine Revolution, deren Zeuge wir werden: Trump, der Aussenseiter, der Partylöwe, der jede Party sprengt, der Elefant, der die ganze Welt als Porzellanladen erscheinen lässt, der Mann, der sich in jedem Fettnäpfchen niederlässt, der Mann aber auch ohne Furcht und Tadel, ein Mann mit sehr viel Mut: Er hat die Eliten des Status quo mit einer Wahrheit konfrontiert, die sie nicht sehen wollen: dass ihre Politik abgewählt wurde, weil sie gescheitert ist.
Markus Somm in der Basler Zeitung mit einer alternativen Sichtweise zu Donald Trump
Grausame Szenen von der Mauer: Europa stellt sich gemeinsam mit dem Iran und anderen freiheitlichen Staaten geschlossen gegen die Pläne des US-Präsidenten, die USA so abzuschotten wie die spanischen Afrika-Exklaven Ceuta und Melilla.
Der Präsident der freien Republik Iran, Hassan Ruhani, schloss sich an und ließ offen Unwillen über Trumps Politik erkennen. „Die Zeiten, Menschen durch Mauern zu trennen, sind endgültig vorbei“, sagte der große Menschenrechtler. Heute sei nicht der Zeitpunkt, Mauern zwischen Staaten zu bauen, betonte er. Alle Anstrengungen müssten der Urananreicherung gelten.
Fünf Wochen und ein sportlich nahezu wertloses 9:0-Pokalspiel gegen Westerhausen, das legendäre Dorf ohne Kanalisation und nun geht sie weiter, die zuletzt mehr nervenraubende als euphorieerzeugende Vielleichtjaaufstiegssaison des Halleschen FC. Rot-Weiß Erfurt, im August letzten Jahres ein dankbarer Aufbaugegner für die Mannschaft von Trainer Rico Schmitt, kommt nach Halle, um nicht zu verlieren. Die Gastgeber in Rot-Weiß wollen gewinnen, wissen aber anfangs sichtlich nicht, wie das gehen soll.
Verkehrte Welt im sonnenüberfluteten Erdgas-Sportpark, der in den großen Zeiten beider Mannschaften noch Kurt-Wabbel-Stadion hieß und zuletzt 1991 Schauplatz einer epischen Schlacht um die 2. Liga zwischen beiden Teams war.
Um die geht es derzeit nur für einen Verein, dessen Elf aber sieht am Anfang aus, als könne sie das noch nicht so recht glauben. Der HFC steht wie schreckensstarr. Erfurt, angereist als traurige Truppe mit allenfalls Mittelfeldambitionen, macht das Spiel. Beim Halleschen FC dagegen scheinen die Beine schwer, nach vorn geht gar nichts und hinten wackelt es, obwohl die Gäste nicht gerade energisch an der neuformierten Innenverteidigung rütteln, in der Tobias Schilk den gesperrten Stefan Kleineheismann ersetzt.
Erfurt mit Problemen
Warum Erfurt solche Probleme hat, mit den besseren Mannschaften der Liga mitzuhalten, zeigt sich aber schon in dieser Phase. Die mit Tyrala, Aydin und Kammlott namhaft besetzte Offensive der Thrüriger entwickelt kaum Torgefahr. Ein Schüsschen von Tyrala, mehr kommt nicht nach vorn. Halle dagegen erwacht. Fabian Baumgärtel flankt in den Strafraum, Ajani zieht ab, Torwart Klewin muss alles geben, um den Ball noch abzulenken.
Dass bisschen Druck reicht nun schon, um die in Rot-Schwarz-Weiß aufgelaufenen Gäste komplett aus dem Konzept zu bringen. Dorian Diring, der den wiedereinmal gesperrten Gjasula verlustlos ersetzt, und Fennel, der wie immer den Wunsch weckt, es gäbe irgendwo noch drei von seiner Sorte zu kaufen, schließen das halleschen Zentrum. Sascha Pfeffer, in seiner ersten Partie als Kapitän noch eifriger als sonst und in der 2. Halbzeit mit einer starken Aktion, als er einen bereits gegen Erfurt verhängten Freistoß zurückgibt, läuft vorn mit Pintol an. Auch die Anfeuerunger der Erfurter Fankurve, die im Zeichen des Mainzer Rades aus dem Wappen ihres Klub fortwährend singen, nützen da nichts. Erfurt steht nun so wie der HFC zu Beginn, augenscheinlich weitestgehend unfähig, den gezielt über die Außen vorgetragenen Angriffen der Hallenser Paroli zu bieten.
Die aber tun sich im Detail schwer. Marvin Ajani trödelt vor und nach jedem Anspiel gerade immer so lange, dass die Gelegenheit, einen Angriff schnell auf Klewins Tor zu bringen, vorüber ist, wenn er endlich in die Gänge kommt. Auf der anderen Seite, wo Lindenhahn und Baumgärtel den mittig postierten Benjamin Pintol bedienen sollen, bleiben Offensivversuche sogar noch früher stecken. Und der Zufall hilft auch nicht: Als Fennel einen von Klewin weggeschlagenen Ball auf den Fuß bekommt, ist das Tor verlassen. Aber der Amerikaner verzieht bei seinem Fernschuss um zwei, drei Meter.
Pintol trifft mal wieder
So muss es Brügmann richten. Der in der Hinrunde aussortierte Verteidiger zeigt vor 7700 Zuschauern eine ganz andere Dynamik als Ajani. Bissig, kantig und schnell geht er in der 39. Minute bis fast zu Grundlinie durch, entblößt so die Erfurter Abwehr, flankt, findet den vor dem Tor völlig blank stehenden Pintol. Und der köpft zum 1:0 ein.
Eine verdiente Halbzeitführung, nur zu niedrig. Und dabei bleibt es auch. Halle hat nach Wiederanpfiff noch einmal zehn starke Minuten, doch weder Pintol noch Baumgärtel noch Pfeffer, der den Ball an den Innenpfosten setzt, schaffen es, das spielentscheidende 2:0 zu machen. Und irgendwie kommt Erfurt dann von den Toten zurück. Ohne wirklich zwingend vor dem Tor der Hallenser auftrumpfen zu können, drücken die Gäste die jetzt physisch nachlassenden Gastgeber in deren Hälfte. Halle wartet auf Konter, doch wenn neun Spieler das direkt vor dem eigenen Strafraum tun, ist niemand da, mit dem der eine Spieler zusammenspielen kann, der im Mittelfeld auf seine Gelegenheit wartet.
Die traurige Nachricht für Martin Schulz: Vorgestern noch gleichauf mit Merkel, sieht ihn eine neue Umfrage nun schon wieder vier Punkte hinter der Kanzlerin.
Gut gemacht, SPD! Die Euphorie, die die ehemalige Arbeiterpartei seit der Ernennung des früheren Europa-Parlamentschefs Martin Schulz zum designierten Kanzlerkandidaten fest im Griff hält, hat offenbar nicht nur die Parteibasis in Verzückung versetzt, sondern auch die breite Bevölkerung.
Geradezu raketenhaft lässt Schulz die SPD-Umfragewerte steigen: In nur drei Tagen holte der Würselener ein Plus von drei Prozent. Der "Umfragehammer" (Bild) zeigt, dass der frühere beinharte Linksverteidiger alle Chancen hat, im Herbst Kanzler zu werden. Da erst in 238 Tagen Bundestagswahl ist, könnten die Sozialdemokraten nach einer Hochrechnung der Daten des ZDF-Politbarometers bis zum Wahltag mit einem Plus von bis zu 238 weiteren Punkten auf dann rund 262 Prozent der Stimmen rechnen, wenn Schulz weiter so an Beliebtheit zulegt.
Zukunftsmusik vom Hoffnungskandidaten
Zukunftsmusik, die der Hoffnungskandidat der europäischen Linken aber erst noch einspielen muss. Derzeit liegt die Partei Willy Brandts noch klar hinter der CDU/CSU, die unverändert auf 36 Prozent käme.
Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer: Unter dem Eindruck des energischen Auftretens von Schulz gegen jeden Populismus, Rechtsextremismus und jedewede Form von Europakritik verschlechtert sich die AfD erdrutschartig um zwei Punkte auf nur noch 11 Prozent. Die Partei verliert damit rund 15 Prozent ihrer Wähler auf einen Schlag – eventuell schon der Anfang vom Ende. Eher traurig für Demokraten: Auch die Grünen würden zwei Punkte abgeben und auf 8 Prozent rutschen. Bei der einstigen Öko-Partei sind damit binnen einer Woche rund 20 Prozent aller Wähler zur neuen Schulz-SPD abgewandert.
Um politisch denkbare Dreierbündnisse muss nach den starken Startzahlen von Martin Schulz nicht mehr herumgerechnet werden. Hält der Trend, reicht es zum ersten Mal ganz allein für die SPD. Fraglich wäre dann, ob CDU/CSU, Grünen, Linke, AfD und FDP überhaupt noch Abgeordnete stellen müssten.
Alles sieht nach Erdrutschsieg aus
Für das „Politbarometer“ befragte die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen vom Tag der Veröffentlichung der von Sigmar Gabriel nach Beratungen mit dem "Stern" und der "Zeit" getroffenen Entscheidung über den SPD-Kanzlerkandidaten am Dienstag bis Donnerstag dieser Woche telefonisch 1303 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte. 283 kannten Schulz bis zu diesem Anruf nicht, weitere 211 verwechselten ihn mit dem früheren Boxer gleichen Namens.
Bei der Frage, wen die Deutschen nach der Bundestagswahl lieber als Kanzler oder Kanzlerin hätten, wünschten sich wohl deshalb 44 Prozent Angela Merkel und nur 40 Prozent den neuen Mann an der Spitze der SPD. Martin Schulz verlor so zu drei Prozent seiner Wähler im Vergleich zu einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage.
Und noch ein postfaktisches Bild von einer Inauguration: So sah es bei Hillary Clintons Vereidigung aus.
Die modische Frage über Postfaktismus und alternative Wahrheiten verstellt den Blick auf das zugrundeliegende Prinzip der erst im Moment der Beobachtung entstehenden Wirklichkeit, die natürlich vorher schon da war, aber nicht wirklich, weil unbeobachtet.
Quantenmechanisch wurden etwa die Inaugurationsfeiern der Präsidenten vor Donald Trump beobachtet, so dass es durchaus Zahlen über die dort vertretenden Zuschauermengen gibt. Nur wurden die Menschenmengen nie miteinander verglichen: Dass Bill Clinton zu seiner zweiten Feier nicht mehr 800.000, sondern nur noch 250.000 Fans bejubelten und dass Barack Obama von seiner ersten zu seiner zweiten Vereidigung sogar 800.000 Fans verlor, wurde beobachtet, aber nicht bemerkt. Ebenso wie gänzlich unterging, dass der vor allem in Deutschland so unbeliebte George W. Bush es schaffte, bei seinem zweiten Amtsantritt ein Viertel mehr Zuschauer anzuziehen.
War es das Wetter? Lag es daran, dass in Washington 95 Prozent der Wähler Clinton wählten? Und dass Trumps Wähler an einem Freitag keine Zeit hatten, aus dem Bible belt anzureisen, weil sie arbeiten mussten? In der Berichterstattung spielte die Suche nach Antworten darauf ebensowenig eine Rolle wie in Trumps Lager. Es ging um Symbole, um das Meme der beiden aneinandermontierten Bilder, von denen sich Trump reflexhaft vorgeführt sah. Seine Reaktion ist nicht präsidiabel, aber ganz Trump ist das nicht, jedenfalls nicht im traditionellen Sinn. Deshalb wurde er ja gewählt. Und weil er deshalb gewählt wurde, wird er nach der Wahl mit derselben Munition weiterbeschossen, die sich schon im Wahlkampf als Rohrkrepierer entpuppt haben.
Fakt ist: Erst mit Donald Trump feierte der Schwanzvergleich der Fangemeinden Premiere, wurden Zahlen zum Beweis dafür, dass der neue Mann im Weißen Haus nicht im Namen des Volkes dort sitzt.
Junckers bunte Truppe, alle sind irgendwie zumindest indirekt gewählt.
Kurz vor der Entdeckung einer amerikanischen Verschwörung, die den Trumpismus in konkludentem Zusammenspiel mit russischen Bemühungen, Europa zu spalten, in die EU tragen soll, hat die renommierte "Zeit" ihren Redakteur Lenz Jacobsen eine Analyse schreiben lassen, wonach es im Grunde genommen verboten ist, sich wider die Europäische Union zu äußern oder Bestrebungen zu unterstützen, die Europäische Union zu verlassen.
"Die Mächtigen der EU sind, zumindest indirekt, demokratisch gewählt und kontrollierbar", schreibt Jacobsen in einer länglichen Argumentation gegen die Behauptung, die EU sei eine Art Diktatur. Sein Einschub "zumindest indirekt" lässt schon erkennen, dass es dem studierten Volkswirtschaftler und Politikwissenschaftler ein wenig an innerer Überzeugung fehlt: "Zumindest indirekt" war Hitler auch gewählt, sogar Stalin, erst recht Erich Honecker und Wladimir Putin ist es sogar noch.
Wie aber sieht es mit der Liste der "zumindest indirekt" gewählten EU-Kommissare aus? Die stammen aus den 28 Mitgliedstaaten, einschließlich des Präsidenten, der zuletzt tatsächlich indirekt gewählt wurde. Die Vizepräsidenten allerdings werden direkt gewählt - und zwar vom Kommissionspräsidenten, der zuvor vom Europäischen Rat ernannt wird, einem Gremium, in dem die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten sitzen, die zuvor zumeist von den nationalen Parlamenten ihrer Länder gewählt wurden.
Die "indirekte Wahl" erreicht hier Stufe 4: Bürger wählen Abgeordnete, Abgeordnete wählen Regierungen, Regierungen entsenden Kommissare und schließlich bestätigen sich alle Regierungen zusammen die eigenen Entsendungen. Man könnte es direkt indirektes indirektes Wählen nennen.
Im Kommissariat
Die Kommissare hingegen, von denen einer aus jedem EU-Land kommt, so dass 83 Millionen deutsche genausoviele Kommisare stellen wie 570.000 Luxemburger, werden von niemandem gewählt, nicht einmal indirekt oder indirekt indirekt. Sie erhalten ihre Posten auf Vorschlag ihrer nationalen Regierungen. Die komplette Liste aller Vorschläge muss anschließend nur noch vom Rat der Europäischen Union und dem künftigen Komissionspräsidenten mehrheitlich abgenickt werden, damit die Kommissare ihrer fünfjährigen Amtszeit die politische Führung Europas antreten können.
Unter Präsident Jean-Claude Juncker dient zur Zeit der frühere niederländische Außenminister
Frans Timmermans als Erster Vizepräsident. Timmermans ist zugleich nicht nur für Recht, sondern, sondern für "Bessere Rechtsetzung", für "interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechtecharta" zuständig.
Die frühere italienische Außenministerin Federica Mogherini hat nicht ganz so viele Titel, darf sich dafür aber mit dem der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik schmücken. Die frühere Kommunistin konvertierte zuerst zur Sozialdemokratie, später wurde sie dann Demokratin und die linksdemokratische Regierung Renzi schickte sie schließlich nach Brüssel.
Der Este Andrus Ansip war früher mal estnischer Premier, scheiterte dann aber an seiner Sparpolitik. Nach seinem Rückzug nach Europa wurde er von seinem Nachfolger, einem Parteikollegen, als Kommissar für den Digitalen Binnenmarkt vorgeschlagen und wunschgemäß ernannt.
Der Slowake Maroš Šefčovič, zuständig für die "Energieunion" war früher mal Botschafter der Slowakei bei der EU, dann wurde er Mitglied der EU-Kommission Barroso, damals noch mit Spezialgebiet Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.
Tradinedum, der Kommissar geht um
Auch der Lette Valdis Dombrovskis ist ein altes Schlachtroß der Europa-Politik. Einst war er lettischer Ministerpräsident, nach dem Einsturz eines Supermarktes in der Hauptstadt Riga musste er zurücktreten und seine Nachfolgerin, eine Parteikollegin, ebnete ihm den Weg in den europäischen Ruhestand. Aus dem heraus kümmert sich Dombrovskis um den Euro und den sozialen Dialog sowie um Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und die Kapitalmarktunion
Auch der Finne Jyrki Katainen war mal Ministerpräsident, trat zurück und ging nach Brüssel, wo er für "Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit" zuständig ist. Der Deutsche Günther Oettinger, eine Betriebsnudel des Politbetriebes im größten Mitgliedsland, verdarb es sich beim Projekt Stuttgart 21 mit der öffentlichen Meinung. CDU-Mann Oettinger ließ sich von Angela Merkel die Kommissarsnominierung versprechen und trat als Ministerpräsident zurück. In seinem siebten Jahr als Kommissar ist Oettinger nicht mehr wie zuvor für Digitale Gesellschaft und Wirtschaft oder Energie zuständig, sondern für Haushalt und Personal.
Die Schicksale sind alle ähnlich, die Biografien wie mit der Plätzchenform ausgestochen. Die "indirekt gewählten" Mächtigen der EU heißen Neven Mimica (Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung), Miguel Arias Cañete (Klimapolitik und Energie - nicht zu verwechseln mit Maroš Šefčovič Amtsbereich "Energieunion"!) oder Karmenu Vella (Umwelt, Meerespolitik und Fischerei), sie haben wie Vytenis Andriukaitis und Dimitris Avramopoulos Jahrzehnte Zeit gehabt, Stallgeruch anzunehmen, um sich nun um "Migration, Inneres und Bürgerschaft" oder "Gesundheit und Lebensmittelsicherheit" kümmern zu können.
Ihre Namen sind Legion, ihre Taten bleiben meist ungenannt. Marianne Thyssen Bereich etwa sind "Beschäftigung, Soziales, Qualifikationen und Arbeitskräftemobilität", Pierre Moscovici hat nicht nur "Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten" (nicht verwechseln mit Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit!), sondern auch "Steuern und Zoll" unter sich. Christos Stylianides dagegen plagt sich mit "Humanitäre Hilfe und Krisenmanagement", Violeta Bulc mit "Verkehr" und Elżbieta Bieńkowska mit "Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU" (nicht verwechseln mit "Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung - das macht Neven Mimica!).
Europas Beste sind den 400 Millionen Menschen, für die sie arbeiten, so unbekannt wie Vĕra Jourová(Justiz, Verbraucher und Gleichstellung), Tibor Navracsics (Bildung, Kultur, Jugend und Sport), Corina Creţu (Regionalpolitik), Margrethe Vestager (Wettbewerb - nicht verwechseln mit Wettbewerbsfähigkeit, das macht Jyrki Katainen), Carlos Moedas (Forschung, Wissenschaft und Innovation) und Julian King (Sicherheitsunion). Aber sie sind im Grunde genommen fast indirekt gewählt, oder sie wären es doch beinahe so gut wie, wenn es denn nötig wäre.
Gut, dass das nicht notwendig ist, weil es auch so geht.
Kaum auserkoren als Nachfolger von August Bebel, Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder legt Martin Schulz als neuer Führer der deutschen Sozialdemokratie einen Blitzstart in der Beliebtheit bei den Medien hin. Jubel, Trubel, Begeisterung wohin das Auge schaut. Selbst auf der Facebook-Seite des Kandidaten, die offenbar von einer überaus aufmerksamen Redaktion geführt wird, gibt es Lob und nur Lob für den neuen Mann, der am Tag seines Amtsantrittes als Kanzler ein Jahr älter sein wird als Angela Merkel, sechs Jahre älter als Helmut Schmidt zu Beginn seiner ersten Kanzlerschaft, acht Jahre älter als Gerhard Schröder bei seiner Inthronisierung, neun Jahre älter als Helmut Kohl am Tag seiner Vereidigung und 13 Jahre älter als Erich Honecker, als er SED-Generalsekretär wurde.
Der Trend geht zu alten Männern wie in Amerika, der Trend geht aber auch zu nationalistischen Tönen, wie sie Martin Schulz nach jahrelangem Training so formvollendet beherrscht. Der Mann, der seinen Antisemitismus sogar schon im israelischen Parlament ausführte, wo mit frei erfundenen Zahlen behauptete, ein Jude dürfe am Tag 70 Liter verbrauchen, einem Palästinenser aber gestehe Israel nur 17 Liter zu, kommt gut an draußen im Land, wo hin die meisten Menschen gar nicht kennen.
Wie macht der das? Woher kommt diese Martin-Magie? Nun, Schulz versteht es, alle Register zu ziehen. Er trägt rote Schlipse wie Gabriel und das Haar wie Pep Guardiola, er "hat nichts zu verlieren" (Die Zeit), lächelt aber wie ein Gewinner. Und er scheut sich nicht, vor der Kamera zu knutschen wie sein Vorgänger Rudolf Scharping. Schulz inszeniert sich damit volksnah, ein Typ wie dieser und jener, ohne Bildungsabschluss, aber mit der Landschaftsarchitektin Inge Schulz an seiner Seite und augenscheinlich verliebt wie am ersten Tag.
Rudolf Scharping hatte noch ein knappes Jahr im Amt, nachdem er sich mit seiner Gräfin Pilati im Pool beim Küssen hatte ablichten lassen.
Was treibt sie nur in diese Selbstmordmission? Woher kommt der Hang, sich vor aller Augen in das Schwert der öffentlichen Verachtung zu stürzen? Wieso wirken rapide fallende Auflagen, Kommentarspalten voller Widerspruch, persönliche Gespräche im Freundes- und Bekanntenkreis und eigene Beobachtungen über eine Demokratie, die bereits im 67. Jahr ihres Bestehens zu einem Ringelrein der Rituale geworden ist, nicht auf den Erkenntnisprozess?
Deutsche Medien am Tag nach Martin Schulz, eine Einöde aus Einhelligkeit, die über weite Strecken nur noch sarkastisch wirkt. Der Brüsseler Bürokrat, charismatisch wie ein Blatt Löschpapier, fotogen wie ein Autounfall und originell wie die EG-‐Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, wird gefeiert, als sei ein Messias herabgestiegen.
Massaker im Meinungszirkus
Zu Besuch in einer Parallelwelt, der Welt der Zeitungsredaktionen. Der zweite Rückzug des Sigmar Gabriel von der rein imaginären SPD-Kanzlerkandidatur geht hier als "treu geblieben" durch, sein Rückzug vom SPD-Vorsitz als mutiger Schachzug. Der ins Loch geschobene Martin Schulz aber, den meisten Deutschen mutmaßlich völlig unbekannt und nur mit Mühe in der Lage, seine letzte, von der "Süddeutschen Zeitung eilfertig als "emotional" berühmte Rede stockend vom Blatt abzulesen, wird als Umfragen-Liebling präsentiert, als einer, der Europa toll gemacht hat, der Visionen habe und eine Art Volkstribunen.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich die deutsche Presse wie von einer Feder geschrieben der Besoffenheit flächendeckend gleichgearteter Ansichten ergibt. Von Sarrazin bis Ukraine, von Pegida und Putin bis zu Trump schaffen es ehemals so unterschiedlich angelegte Blätter wie die FAZ und die Taz, die SZ, die "Bild"und die Welt, der "Spiegel" und der "Focus" immer wieder, wie abgesprochen ähnliche Thesen zu vertreten. Böse und gut, schlecht und schön, verdammenswert und unser Mann, alles ist sauber eingeteilt. Der Widerspruch, der eigentlich Inhalt der veröffentlichten Debatte sein müsste, findet sich weggekämmt und ausrasiert wie in der Legende vom nordkoreanischen Einheitshaarschnitt.
Nicht nur das Parteiensystem, das meistensteils wie eine einzige Partei agiert, stößt an seine Grenzen. Sondern auch die 4. Gewalt, die ihre Rolle als die eines Transmissionsriemens für die Botschaften der Macht nach unten sieht. Ein Land, das seiner DNA treu bleibt, ein einig Vaterland auch im Äußern und Denken.
Quittung für fortgesetztes Versagen
Wirtschaftlich allerdings ist es offenkundig Selbstmord, sein Publikum gegen dessen Willen erziehen zu wollen - und von ihm zu erwarten, dass es dafür auch noch zahlt. Die aktuellen Auflagenzahlen der IVW lesen sich wie eine Quittung für fortgesetztes Versagen. Mehr als zehn Prozent verliert die Bild-Zeitung, die FAZ sackt um 6,8 Prozent ab, die Welt um sieben, die Taz um knapp vier. Bei den Illustrierten sieht es ähnlich aus, ebenso bei den Wochenblättern und den Sonntags- und Regionalzeitungen.
Und doch überstrahlt der Wunsch der Journalisten, wie die Welt sein möge - Sigmar Gabriel ein mutiger Entscheider, Martin Schulz ein Charismat, Angela Merkel beliebt wie nie, Europa stark wie nie, Deutschland zufrieden wie nie - das Bild, das die Realität wirklich abgibt. Als könnte ausdauerndes Anschreiben gegen die Wirklichkeit, wie sie Leser, Abonnenten und Zuschauer erleben, diese davon überzeugen, dass sie sich irren, hält nahezu die komplette Medienbranche an ihrem Konzept fest, die Bürger aus Regierungsperspektive zu kritiseren. Statt, was einstmals ihre Aufgabe und Lebensversicherung war, den Regierenden im Auftrag der Wähler auf die Finger zu schauen.
Im Fall des Martin Schulz, eines in 23 Jahren in Brüssel gestählten Profiteurs einer Kultur, in der Prinzipienlosigkeit zum obersten Grundsatz geworden ist, schlägt die trotzige Deutung eingebildeter Fakten Schaum. Völlig losgelöst von der Realität schwingen sich Hymnen auf, Lobpreisungen stapeln sich im Altpapier. Als liege in einer absurden Übertreibung die Möglichkeitkeit, das mitzuteilen, was anders nicht mitgeteilt werden kann, wird der dröge Machtmensch Schulz als "feinfühliger Polit-Berserker", als "erster Mann gegen den Abstieg der SPD", als "der unbequemere Gegner", als "Joker" und "Mister Europa" beklatscht wie einst Erich Honecker beim Einmarsch zum SED-Parteitag.
Kabarett, das nicht einmal zum Schmunzeln ist. Sollen die Leser doch in Scharen von der Fahne gegen. Hauptsache, im Willy-Brandt-Haus schmunzelt der Praktikant beim Zusammenstellen der Pressemappe. Ist es Trotz? Ist es Todessehnsucht? Ist es der unterdrückte Wunsch, von Schulz oder Gabriel oder Merkel oder sonstirgendwem ein Schulterklopfen,einen dankbaren Händedruck, ein verstehendes Lächeln zu ergattern?
Wichtig ist, die Namen zu korrigieren. Einen schlechten Namen zu haben, ist so, als ob man sich an einem Ort versteckt, wo alles Schlechte der Welt auf einen einstürzt.
"Jetzt ist Schulz" hieß es zuletzt, als Martin Schulz die Europawahl verlor.
Schicksalsstunden für Deutschland, Neuanfang in der SPD. Schulz statt Gabriel als SPD-Wahlverlierer: Angela Merkel soll ausnahmsweise den Sekt aufmachen lassen haben, als die Nachricht vom neuen SPD-Wahlverlierer im Kanzleramt eintraf. Einfacher kann es für die Kanzlerin nämlich nicht mehr werden: Draußen im Lande kennt kaum jemand den früheren Buchhändler, der die letzten 23 Jahre in Brüssel abgeparkt worden war.
Kurz nach dem Terroranschlag vom Breitscheidplatz verstummte der Hoffnungsträger der SPD. Martin Schulz, die letzte Patrone im letzten Gefecht der deutschen Arbeiterbewegung um einen Platz am Katzentisch der nächsten Ganz Großen Koalition mit CDU, CSU und Grünen, meldete sich auffällig nicht zu Wort, um wie sonst üblich zu mahnen und zu warnen. Beobachter schlossen messerscharf: Parteichef Gabriel, der sich gerade seinen Magen verkleinern ließ, um den eigenen Machthunger in den Griff zu bekommen, kann nichts sagen. Also darf Schulz auch nicht, um nicht Porzellan in der Partei zu zerschlagen.
Selbstmordpakt der Schaumschläger
Der Verdacht aber, dass dem russischen Diktator Wladimir Putin Schulz als Kanzler haben will, trog. Denn damals im Dezember hatten die beiden Gefährten im andauernden Überlebenskampf der SPD, das weiß man heute, bereits ihren Selbstmordpakt geschlossen, der nun als „Paukenschlag bei der SPD“ (ARD-Hauptstadtstudio) die schreibende Republik erschüttert. Zum "Weltbürger aus Würselen" hat der "Spiegel" ihn prompt ernannt, "Gabriels Husarenstück" bejubelt die FAZ, einen "starken Abgang" sieht die Taz. Die "Bild", ein Zepter und Thron des Gerhard Schröder, treibt die Kandidaten-Mythologisierung auf die Spitze. Hier "spricht" Schulz, er "kennt" und "prangert", "stärkt", "nimmt" - vom Tun hingegen ist ncith die Rede.
Nur zweimal nahm der "wortgewaltige EU-Politiker" (Bild) anno 2015 an Abstimmungen im EU-Parlament teil, dem er vorstand. „Herausragende Arbeit und herausragendes Engagement für Europa“, wie "Bild" schreibt.
Bald nun für Deutschland. Gabriel tritt als Parteichef zurück und macht Platz für Schulz, den gescheiterten Europa-Politiker. Der übernimmt auch das undankbare Amt als Zählkandidat der SPD zur Bundestagswahl, wird dafür aber mit dem Wirtschaftsministerposten abgefunden. Zum Dank erhält Gabriel den Stuhl des Außenministers, den Walter Steinmeier freimacht, weil ihm der prestigeträchtigere Posten des Bundespräsidenten versprochen ist.
Eine reife Demokratie, die wie eine Skatrunde funktioniert
Eine reife, eine runde Demokratie, die wie eine Skatrunde funktioniert. Vorhand, Mittelhand, Hinterhand, Reizen, Abwerfen, Buben sind Trumpf. "Wenn ich jetzt anträte, würde ich scheitern und mit mir die SPD", begründete Gabriel seinen zweiten Verzicht auf die Kandidatur, die ihm nach den Regeln der Monarchie zustünde. Schulz dagegen hat noch keine acht Jahre Versagen hinter sich, ihm wird zugetraut, dass er auch SPD-Wahlergebnisse unter 20 Prozent weglächeln kann.
Die würden reichen, um das Trio Infernale der mehr als hundert Jahre alten Partei weiter in die Lage zu versetzen, irgendwie weiter mitzuregieren mitzurumpeln. Schulz, beim Versuch gescheitert, den EU-Parlamentspräsidentensessel zu seinem persönlichen Thron zu machen, „steht für einen Neuanfang“, witzelte Sigmar Gabriel dem Magazin "Stern" gegenüber, das wie die „Zeit“, die ARD und weitere Blätter seit Monaten in den Coup eingeweiht war, aus Gründen der Staatsräson aber getreulich schwieg.
"Das Europa der Ultra-Nationalisten, wenn die siegen, dann werden wir dieses Europa, nicht nur in dieser Frage, sondern in vielen anderen Fragen auch, bekommen. Das Europa des Gemeinschaftsgeistes brauchen wir, und das muss sich notfalls jetzt auch mal mit Macht durchsetzen.
Es kann nicht sein, dass die – ich gehöre zu diesen Leuten – die sagen, wir werden im 21. Jahrhundert, im globalen 21. Jahrhundert, globale Probleme nicht mit Nationalismus lösen, dass die irgendwann auch mal kämpfen und sagen: Wir setzen uns notfalls auch in einem Kampf gegen die anderen durch."
Für das frühere Nachrichtenmagazin ein Grund, einen Nachruf auf den Mann zu schreiben, der einst ohne Abschluss Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft studierte, dann Europabeauftragter der Bertelsmann AG wurde und von dort aus direkt ins europäische Parlament rutschte.
Der Beginn einer fantastischen Karriere, durch die Brok stets zweigleisig fuhr: In Brüssel kassierte er seine Diäten, in Gütersloh ein auskömmliches Zubrot. Brok, lange vor Donald Trump ausgestattet mit einer Frisur, die aus dem Inhalt eines zerschossenen Sofakissens genäht zu sein scheint, spricht aus eigener Erfahrung, wenn er sinniert: "Wenn ich nur die Vorteile der EU haben will wie die Briten, dann wollen das am Ende doch alle. Das wäre das Ende der EU". Brok weiß, Gestalten wie ihn kann sich auch Gebilde wie die EU nur begrenzt leisten, weil auch die weltgrößte Friedensgemeinschaft einfach nicht genug Geld hat, 400 Millionen Bürger für solche Leistungen zu zahlen.
Ein Mann für Bertelsmann, EU & Talkshow
Elmar Brok ist nicht unbemerkt geblieben in den endlosen Jahren seiner Tätigkeit als Vorsitzender zahlreicher weltweit unbekannter Vereinigungen (Union der Europäischen Föderalisten, Europäischer Demokratiefonds) und Absitzender noch viel zahlreicherer Talk Shows. Kaum war seine freiwillige Übergabe des Postens als Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments an den von Angela Merkel ernannten Nachfolger David McAllister durch den "Spiegel" bekannt gemacht geworden, prasselten die Glückwünsche auf den 71-Jährigen Erzeuropäer ein.
"EU-trunkener Dampfplauderer", "Schwätzer", "den braucht nun wirklich keiner" und "wirrer Politkopf" wird der verdienstvolle Christdemokrat von einem außer Rand und Band geratenen Online-Mob aus hasserfüllten Putin-Trollen genannt. "35 Jahre in Brüssel - und will weitermachen! Aber am Zustand der EU will er nicht schuld sein, wie er in einer Talkshow mal von sich gab", schreibt einer, "wieder so ein Politiker, der mit keinerlei Abschluss über Jahrzehnte im Brüsseler Sumpf überlebt hat und bestimmt meint, er hätte wer weiß was bewegt", ein anderer.
Putin-Trolle hassen Elmar Brok
"Die Lücke, die er in Brüssel hinterlässt, wird ihn voll ersetzen", schreibt ein gehässiger Putin-Troll voller Hass. Elmar Brok, für den immer galt "Wer das Aber zu groß macht, zerstört das Ja" (Brok), sei "ein Unsympath 1.Klasse, borniert, bräsig und arrogant", heißt es da, und "Elmar Brok, ist das nicht der, der wie das verkörperte HB-Männchen immer in die Luft ging, wenn es um das Versagen der Europäischen Union ging, obwohl er das alles hauptamtlich mit zu verantworten hatte?"
Doch was heißt denn "ging"? Noch ist Broks Ära nicht vorüber, noch wird der Ostwestfale in so mancher Talkshow sitzen und die EU engagiert gegen ihre populistischen, russischen oder vom Trumpismus infizierten Feinde verteidigen, vor Populisten warnen, "die Hass säen", und Grußworte für Ayurveda-Kongresse bei Yoga Vidya in Bad Meinberg zuliefern.
Der stellvertretende Chefredakteur des ZDF, Elmar Theveßen, kommentiert den Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump - und liefert dabei alternative Fakten zur Weltgeschichte.
Trump steht bei Theveßen noch einmal als Zielscheibe für ungebremste Kritiksalven. Der neue Präsident beleidige und entwürdige Menschen, rede Frauenfeindlichkeit klein, schüre "Ängste vor Zuwanderern, Muslimen, Homosexuellen", so Theveßen, der jahrelang als US-Korrespondent diente und genau weiß, dass die Präsentation alternativer Fakten mit jeder Wiederholung gewinnt. Wenn jemand keinen Respekt vor seinen Vorgängern zeigt, dann hat er kein Recht dazu. Theveßen sieht ihm die fehlende "Demut vor der Aufgabe" an und er ahnt die Gefahr, dass seine "simplen Antworten" in die Katastrophe führen könnten.
Hitler - bei Theveßen ein "gekränkter Anführer"
Theveßen, bei der ARD inzwischen je nach Bedarf als "Experte" für Terrorismus, organisierte Kriminalität, Wirtschaftskriminalität und Geheimdienste im Einsatz, kommt von hier aus direkt zu einer neuen Deutung der Menschheitsgeschichte. "Die schlimmsten Konflikte der Geschichte", sagt er, "wurden von Anführern verursachte, die zu selbstgewiss waren, die sich zu schnell gekränkt fühlten, zu impulsiv handelten, ohne Folgen für andere und das große Ganze zu bedenken."
Ein frischer, unverbrauchter Blick auf den 1. und den 2. Weltkrieg, auf die Judenverfolgung im Dritten Reich, die Unterdrückung und Ermordung von Millionen in der Sowjetunion, aber auch auf Maos mörderische Amtszeit in China und auf Pol Pots Vernichtungsfeldzüge, die der aus Viersen stammende Autodidakt voller Selbstbewusstsein in die Kamera spricht. Bisher galten Hitlers Taten, galten Stalins Morde, galt auch Maos brutale Terrorherrschaft als zielbewusste Handlungen, ganz darauf ausgerichtet, einer politischen Vision zu folgen.
Kriege - bei Theveßen Folge fehlender Demut
Bei Hitler war es das rassisch reine Reich, Stalin strebte wie Mao nach dem neuen Menschen, der die Vergangenheit hinter sich lässt und am Aufbau einer Utopie arbeitet. Zu töten, gehörte für diese drei "Anführer", wie sie Theveßen respektvoll nennt, zum Tagesgeschäft. Ihre Kriege brachen alle drei nach bis eben geltender Deutung nicht vom Zaun, weil sie beleidigt worden waren oder sich gekränkt gefühlt hatten. Sondern weil Kriege ihnen als notwendiges und legitimes Mittel erschienen, gesteckte Ziele zu erreichen.
Hitler ließ die Juden nicht ermorden, weil er selbstgewiss war oder impulsiv handelte. Stalin steckte nicht Millionen in Lager, weil es "die Folgen für andere und das große Ganze" nicht bedachte. Und Mao entfesselte die Kulturrevolution nicht, weil er sich zu schnell gekränkt fühlte, so glaubte die Geschichtswissenschaft bislang.
Erst Elmar Theveßen hat diesen Irrtum mit seinen alternativen Fakten zur Geschichtsdarstellung im ZDF begradigen können: Nun waren die schlimmsten Konflikte der Geschichte, sind millionenfache Morde, mindestens ein Weltkrieg und die kommunistische Unterdrückung der halben Welt nicht mehr politisches Programm gewesen. Sondern nur eine überaus bedauerliche Folge "fehlender Demut" (Theveßen) einiger "Anführer", die "zu selbstgewiss waren, die sich zu schnell gekränkt fühlten, zu impulsiv handelten, ohne Folgen für andere und das große Ganze zu bedenken".
Ralf Stegner ist ein wütender weißer Mann, wütend auf einen anderen wütenden weißen Mann.
Das alles bringt dieser Trump in nur wenigen Stunden zustande. Erst den Klimawandel beendet, dann die größten Demonstrationen der Menschheitsgeschichte provoziert - mächtiger noch als die gegen Vietnamkrieg, Irak-Einmarsch und Nachrüstungsbeschluss. Und nun inspiriert der "Irre" (Rundschau) "Wahnsinnige" (Spiegel) den bislang jeder poetischen Anwandlung unverdächtigen Bad Dürkheimer SPD-Vordenker Ralf Stegner auch noch zum Dichten:
Die Rede von Trump war hauptsächlich plump halbstark statt groß stellt selbst er sich bloß Von Yes we can zu angry white men armes Amerika!
So reimt der Mann vom linken Flügel der deutschen Sozialdemokratie im Holpersound eines Vorschülers. Der würde bei einer Analyse von Stegners Lyrikversuch zuerst einmal über die erste Zeile stolpern. Stegners "die Rede von Trump" ist grammatikalisch richtig, stilistisch aber unteres Kellerniveau. Ein Possessiv im Gassensound, nur knapp über "Trump seine Rede" und Äonen entfernt von "Trumps Rede", der eleganten Flexion von "Trump", die Stegner nicht bemühen konnte, weil "Trump" in seinem Poem hinten stehen musste.
Denn dort wartet "plump" als Reimangebot. Doch um bis dahin zu kommen, muss der SPD-Parteivizechef inhaltlich Abstriche machen. denn er schreibt "hauptsächlich plump" und in diesem "hauptsächlich" versteckt Stegner - sicher von sich selbst völlig unbemerkt - ein Lob für die von seinem Parteichef als "hoch nationalistisch" (im Original mit Trennung) bezeichnete Rede. Wo etwas "hauptsächlich plump" ist, ist es zwingend zumindest in Teilen nicht "plump". Obwohl Stegner eigentlich auszog, Trumps Rede zu verdammen, teilt der Dichter damit offensichtlich zumindest die von ihm als nicht-plump erkannten Passagen.
Dann aber "halbstark statt groß", der Versuch einer Gegenüberstellung, hier insofern gänzlich misslungen, als "halbstark" und "groß" eben keine Antipoden wie in Goethes "Die Kunst ist lang,und kurz ist unser Leben". Ja, sie sind nicht einmal einleuchtende Gegensätze wie "willig" und "schwach". Was werden sollte wie Rückerts "stets einen größeren Teil wirst du vom Ganzen sehn, doch alles Einzelne wird immer kleiner"platzt wie ein Polenböller in der Hand. Ein Halbstarker kann durchaus groß sein; halbstarkes Verhalten, wie es Stegner anzuprangern versucht, zeigt sich oft genau in großen Gesten und großer Lautstärke.
Was Ralf Stegner von Dichtung weiß, legt er in die nächste Zeile seines regellosen, anarchistischen Haikus. "Stellt selbst er sich bloß" folgt der Notwendigkeit, das reimbildende "groß" am Ende zu platzieren. Fällt aber aus dem Metrum, weil Stegner mit dem inhaltlich überflüssigen "selbst" eine Strecke von fünf Silben bis dahin zu gehen hat, obwohl doch die Ausgangszeile nur vier aufweist.
Doch das ist seine Handschrift, das originäre, knitterversische Poesiegefühl des 58-jährigen Twitterpöblers, wie das nächste Zeilenpaar zeigt. Im Sprung vom viersilbigen "von Yes we can" zum sechssilbigen "zu angry white men" geht dem Arbeiterdichter nun jeder Flow verloren. Der Vers fährt auf der Felge, es quietscht, kracht und wäre auch durch eine vertonung nicht mehr zu retten.
Ralf Stegner merkt das wohl auch selbst, denn sein Conclusio "armes Amerika!" bleibt - aus Ideenarmut, Lustlosigkeit, dem plötzlichen Bewusstwerden der Vergeblichkeit des Bemühens, einen US-Präsidenten wegdichten zu wollen - ganz ohne Reim im Nirgendwo hängen.
Wissenschaftlich unmöglich, aber für Heiko Maas ein Kinderspiel: Der Justizminister erinnert sich sogar an Dinge, die er nicht erlebt hat.
"I remember", behauptet Heiko Maas. "I remember" behaupten auch Doris Schröder-Köpf (SPD), Katja Suding (FDP) und Michael Müller (SPD) in einer großen "Bild"-Aktion mit dem World Jewish Congress, die "eine Mahnung gegen das Vergessen" des Holocaust (Bild) sein soll. Sie "erinnern" sich also. Allerdings gründet, was den Deutschen ihre andauernde Mitwirkungspflicht am Tragen der Last der Vergangenheit verdeutlichen soll, auf einer falschen Prämisse: "Erinnern" kann sich ein Mensch nur an das, was er selbst erlebt hat.
Wo war Heiko Maas 1944? Wo hielt sich Schröder-Köpf auf, wie als ist die Schauspielerin Iris Berben wirklich, wann wurde der frühere Schwimm-Weltmeister Michael Groß geboren?
Sie alle erinnern sich hier mit ihren Pappschildern an Dinge, von denen sie gelesen haben, die sie im Fernsehen oder im Kino sahen, von denen ihnen vielleicht auch Zeitzeugen erzählt haben mögen. Zwangsläufig können sie sich also erinnern, dass sie davon gelesen haben, dass sie etwas erzählt bekommen oder im im Kino gesehen haben. Diese Erinnerung aber umfasst zwangsläufig ausschließlich den Vorgang des Erzähltbekommenhabens, nicht das eigentliche Ereignis.
Die ministerielle Supererinnerung
Denn Erinnerung ist das mentale Wiedererleben früherer Erlebnisse und Erfahrungen - hier aber hat der Mensch Maas selbst nur das Lesen über den Holocaust erlebt, das Ansehen von "Schindlers Liste" oder Begegnungen mit Holocaust-Opfern. An den Holocaust selbst aber kann er sich nicht erinnern können, weil er ihn nicht erlebt hat. Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches geboren, kann auch das im Vergessen geübte Ministergedächtnis nicht auf "Erinnerungen" an das Ereignis zurückgreifen.
Denn das menschliche Erinnerungsvermögen verfügt nur über die Fähigkeit, im Langzeitgedächtnis vorhandene Erinnerungen zu finden, die sich auf Erlebnisse beziehen, auf einmal gesehene Gesichter, an dazugehörige Namen oder alphanumerische oder numerische Informationen, die gespeichert worden sind. Niemand kann sich heute noch an die Kreuzgung von Jesus Christus "erinnern", niemand an den 30-jährigen Krieg, an die Amtseinführung von Bismark oder die Geburt von Martin Luther. Denn kein heute noch lebender Mensch war dabei.
Erinnern ohne Erlebnisse
Und Erinnerungen stammen aus dem autobiographischen Gedächtnis und unterscheiden sich deshalb grundlegend von reinem Wissen über Ereignisse, das sich auch auf vielen anderen Wegen erwerben lässt. "Bild", Maas, Schröder-Köpf und Berben nehmen es da mit der Wahrheit nicht so genau. Sie "erinnern" sich an Dinge, die sie nicht erlebt haben, sie lügen, wenn sie ihre Schilder hochhalten, denn sie "remembern", was sie nicht erinnern können, weil es ihnen an Primärerlebnissen und selbstgemachten Erfahrungen gebricht.