Sonntag, 25. Dezember 2016

Lebensechte Falschheit: Der Phantomkampf um die Netzkontrolle

Die Netzphilosophin Svantje Jürgen forscht in Freiberg an Distanz und Nähe in Zeiten sozialer Entfremdung. 
In Deutschland gibt es Kontrollinstanzen, die Hasskommentare aus dem Internet löschen und Hetze von der Öffentlichkeit fern halten. Die Branche hat - vergleichbar mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) – die Antonio Amadeu-Stiftung, die Organisation jugendschutz.net und die Löschkommandos von Arvato eingerichtet, ohne deren Begutachtung kaum ein Internetkommentar scharfgeschaltet wird. Den Rest greift die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften direkt beim Erzeuger ab.

Doch die geringe Zahl wirklich gefährlicher regierungsfeindlicher, terroristischer und islamistischer Einträge im Netz ist kaum beruhigend. Brutale Hassaufrufe wie „Merkel muss weg“ oder Gerhard Hensel greifen die Meinungsfreiheit an und haben es immer noch leicht, ihr Publikum zu finden. Jugendliche radikalisieren sich, legen Bombenbeutel in Innenstädten ab, fordern das Eingreifen der Behörden und den kostspieligen Aufbau von großen Überwachungsapparaten. Politiker und Medien reagieren mit Unverständnis auf das Erschrecken der Menschen vor einer veränderten Welt, denn in Bundestag und Redaktion läuft alles noch wie früher.

Müssen Bürgerinnen und Bürger also keine Angst haben, dass perfide Islamisten, russische Hacker oder lebensecht programmierte Bots der AfD ihr Leben manipulieren?

Ja, wenn sie sich mit den Umständen der veränderten Situation  beschäftigen, sagt die Netzforscherin und Elektrophilosophin Svantje Jürgen im PPQ-Interview.


Professorin Jürgen, ein Jahr nach der ersten Verurteilung eines jungen Mannes wegen eines Facebook-Hasseintrages: Können solche Kommentare die Ursache echter Gewaltausbrüche sein?


Nein, ein Kommentar ist nie die alleinige Ursache. Der junge Mann, der wegen eines Gewaltaufrufes ins Gefängnis muss, war ein Amoktäter, der unter starkem Stress gestanden hat und der wütend war und voller Hass. Mancher schießt dann. Er hätte auch geschossen, wenn er keinen Facebook-Account gehabt hätte. So aber blieb es bei einigen Hasspostings.


Durch die soziale Netzwerke hierzulande als Dreckschleudern in Verruf geraten sind.

Das sieht so aus. Dabei sind nur rund 0,0007 Prozent aller Facebook-Posting gewalttätige Ausbrüche wie „Merkel muss weg“ und alle an die Wand. Daneben gibt es ja viele Diskussionen um Kochrezepte, Bilder von alten Häusern und Städten und viele hirnbefreite Spiele. Wichtig zu wissen ist: Politik und Medien suchen sich aus all dem immer das aus, das gerade auf die Agenda passt. Wenn also ein Kampf gegen die Meinungsfreiheit geführt werden soll, dann finden sich auch Beispiele wie das hasserfüllte „Merkel muss weg“. Wer in einem aggressiven Umfeld lebt, wird zu aggressiven Formulierungen greifen, weil sie in seinem Inneren eine Entsprechung finden. Hassen die Menschen einen Politiker, hasst der Politiker zurück. Bekommt ein Zeitungschef mit, dass ihm niemand mehr glaubt, gibt er das Kompliment nur zu gern zurück – er glaubt in seinen Lesern das Böse zu erkennen. Er kann darin ausleben, wie er sich fühlt, oder in eine Gestalt hineingehen, die seinen Antrieben entspricht.


Das heißt: Wenn in meinem Inneren ein Kampf tobt, kann ich ihn am Bildschirm durch Facebook-Kommentare ausfechten und fühle mich dann besser?

Wir teilen uns anderen mit, um Spaß zu haben. Wir tauchen in eine Welt ein und erleben sie losgelöst von der realen Welt und unseren realen Sorgen und Problemen. Ich darf in dieser Welt ein anderer sein; ich kann meine Aggressionen dort gefahrlos leben, weil die virtuelle Welt keine Folgen hat. Wenn ich die Eintrittspforten öffne, bin ich drin. Mache ich den Computer aus, sind die Pforten sofort geschlossen, und ich bin wieder draußen. Es hat für den User erst einmal keine Folgen.


Und später?

Natürlich kann ich etwas aus dem Virtuellen übertragen in die reale Welt. Dann steht die Polizei vor der Tür, beschlagnahmt meinen Computer wegen eines scharfen Kommentars, mein Arbeitgeber wird informiert, mein normales Leben ist zu Ende. Ich muss also die Fähigkeit entwickeln, zu wissen, dass die Elemente der virtuellen Welt durchschlagen können. Wenn ich diese Kompetenz nicht besitze oder sie durch psychische Beeinträchtigungen oder enormen Stress einbüße, dann wird etwas aus der einen Welt in die andere übertragen.


Aber das ist nicht der Normalfall?

Nein, normalerweise kann unser Gehirn ab dem Alter von acht bis zehn Jahren zwischen diesen Welten trennen. Es weiß: Das ist eine ist ein Facebook-Eintrag, das andere ist die Realität. Politikern und Medienarbeitern geht die Fähigkeit, das zu unterscheiden, allerdings mehr und mehr ab, weil sie sich durch das Vorhandensein einer virtuellen Welt im realen geringer wertgeschätzt sehen. Ihre Folgerung daraus ist, dass sie sich in einem Krieg wähnen, von dem sie meinen, dass sie ihn gewinnen müssen, um ihre alte Geltung zurückzuerobern.


Trotzdem: Wenn Wählerinnen und Wähler sehen, wie ihre gewählten Abgeordneten und ihre Lieblingskommentatoren Phantomkämpfe gegen eingebildete Gegner spielen - muss man sich dann wundern, wenn ihnen mulmig wird?


Das kann man verstehen. Wer nur die Oberfläche sieht, den Kampf gegen rechts, gegen Populismus, gegen Facebook, gegen Fake News, gegen Bots, der sieht lauter Don Quichotes gegen Windmühlen reiten, die außer dem Reiter niemand sieht. Wähler interessieren sich meist nicht weiter dafür, was Politiker treibt. Sie interessiert das Ergebnis.


Um das geht es?

Das ist der Irrtum. Es geht in der Politik nie um Ergebnisse, sondern um Prozesse. Unter der Oberfläche ist es wie im alten Spiel "Moorhuhn", einem Ballerspiel ohne Blut. Man kann es spielen, aber man kann nie endgültig gewinnen. Das Spiel ist unendlich geduldig, es fängt stets von vorn an.


Aber Facebook ist doch viel brutaler.

Ein Außenstehender sieht, was um den Politiker herum auf dem Monitor passiert, der Politiker nimmt davon wenig wahr. Er sieht einen Hasseintrag, erfreut sich, dass er wahrgenommen wird, er stellt Strafanzeige und ruft einen bekannten Redakteur an. Das ergibt einen Artikel, der wird hasserfüllt kommentiert. Und so weiter. Das schafft der Politiker, weil er so konzentriert ist, dass er sich kaum Gedanken darüber machen kann, was das alles bedeutet. Sein Auftrag ist es,  niederzumachen, was sich ihm entgegenstellt, zu sammeln, was er gebrauchen kann, und aufzupassen, dass es ihn nicht erwischt. Dahinter steht der Gedanke: "Ich bin reaktionsschnell, ich bin tüchtig, ich bin ganz in dieser Welt, ich bin so leistungsstark, dass ich die Welt besser machen kann." Es geht um Macht und Kontrolle, darum, das Spiel zu beherrschen. Um es weiterspielen zu können.


Darf ich Spaß haben, wenn ich Menschen anzeige, sie anschwärze, dass sie ihren Job verlieren?

Wer das tut, hat in der Regel keine Anteilnahme für seine Gegner, das sind Objekte, Hassfabriken, abstrafenswerte Fehlgeleitete. Denken Sie an das Moorhuhn: Sie haben kein Mitleid mit den Hühnern, Sie wollen Spaß, und je mehr Sie treffen, desto mehr Spaß haben Sie.


Also sind es keine Vernichtungsfantasien, die das ausgelebt werden?

Soziale Netzwerke haben nicht die Absicht, reale Situationen zu simulieren, sie haben die Absicht, Werbung zu verkaufen. Eine soziale Verantwortung dichten ihnen die an, die es angemessen finden, wenn sich Menschen an ihrem Beispiel orientieren, die es aber ablehnen, tun Menschen das aus ähnlichen Gründen bei der politischen Konkurrenz. Man kann als Wissenschaftler nicht sagen, das ist richtig, das ist falsch, weil niemand immer richtig oder immer falsch liegt. Nur so viel: Suchen Sie auch über Facebook das Gespräch, kommentieren Sie auch mal, vielleicht mit einem befreundeten Politiker zusammen. Sie werden meist feststellen, dass der Politiker nur Erfolg haben möchte, Klicks, Likes, Liebe. Genauso wie der, der ihn wegwünscht. Wenn man das mitkriegt, kann man die realen Verhältnisse so ändern, dass beide ihre Bedürfnisse, die sie jetzt in der Konfrontation befriedigen, auch kooperativ im Realen erfüllen können.



20 Kommentare:

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  8. das würde ich mal zusammenfassend veröffentlichen. wobei klar ist: alle forderungen sind ein hilfloser versuch, dem wahren erfinder des müssens paroli zu beaten:

    http://www.politplatschquatsch.com/2014/08/der-musser-elmar-raumt-auf.html

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  9. Ich meine, Du hattest mal eine Aufzählung von Steinmeiers Warnungen. Habe es leider nicht gefunden.

    Falls Dir was einfällt, wie man die letzte Forderung (NSDAP-Programm) verbal oder grafisch hervorheben kann - tu es.

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  10. Manfred CorteDezember 25, 2016

    der Slogan "Merkel muß weg" ist also schon ein "Hass-Kommentar"? Sind wir schon weider so weit bei der Meidungsfreiheit! Mehr muß ich von diesesm Meinungartikel gar nicht lesen um seine Richtung und seine Qualität einordnen zu können .... Und so komme ich zu dem Ergebnis: Propaganda-Bullshit"!

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  11. @Manfred Corte
    Den Titel des Blogs hast Du aber schon gelesen?

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  12. prima, dass unsere warnungen bei einigen doch noch verfangen. man sieht, fake news haben keine chance

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  13. bitte, bitte gebt mir ihre Telefonnummer

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  14. frau jürgen geht nicht mit fremden männern aus

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  15. Typisch, kaum zeigt @ppq das Bild einer Blondine, steigt die Zahl der Kommentare.
    Das war angesichts der misogynen Leser dieses Blogs auch nicht anders zu erwarten !

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  16. die ist nicht blond, die sieht nur so aus

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  17. Falls de Maiziére gerade mal nicht fordert, heißt das noch lange nicht dass er untätig ist.
    Er pocht

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