Freitag, 4. November 2016

Die Unlust der Demokraten

Junge Leute zum Mitreisen gesucht: Keiner will Kanzler werden, niemand Bundespräsident.
Der Parteivorsitzende hat keine Lust. Sein einziger Gegenkandidat eigentlich auch nicht. Doch der derzeit noch amtierende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist in, an und mit Europa gescheitert, und er sucht deshlab händeringend einen neuen Job. Zur Not kann das auch der des  SPD-Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl sein. Will ja sonst keiner.

Und die Konkurrenz gleicht der, die Donald Trump in den USA großgemacht hat. Angela Merkel wird noch einmal antreten, die CDU hat ja sonst niemanden. Aber inzwischen wird Merkel von Teilen der Bevölkerung nicht mehr gewählt, weil sie Angela Merkel ist. Sondern weil alle Alternativen noch schlimmer erscheinen.

Deutschland 2016, eine Republik in ihrem 67. Jahr. Müde, reif für den Ruhestand. Die bundesdeutsche Demokratie ist zu einer lähmenden Übung in Routine geworden. Keiner will mehr so richtig. Niemand brennt noch auf den mächtigsten Posten im Land wie damals, als Helmut Kohl unbedingt Kanzler werden wollte oder später, als Gerhard Schröder am Zaun rüttelte und bereit war, alles zu geben, wenn er nur dort hinein dürfte.

Nicht einmal 20 Jahre danach liegt Resignation über dem Land. Ausgezehrte Parteien präsentieren in ihren ersten Reihen Opportunisten und rundgelutschte Pragmatiker, denen es nur noch um die Frage geht, ob die große Koalition noch größer werden muss, damit es noch einmal zur Regierung reicht.

Alle streben nach der Mitte oder sind schon da, alle sind Demokraten, die sich selbst das Demokratischsein attestieren. Wer nicht dazu gehört, ist ein Feind unserer Ordnung, wer Schärfe in die Auseinandersetzung zu bringen versucht, besorgt das Geschäft derer, die Zweifel wecken wollen, ob diese Gesellschaft in dieser Verfassung nnoch weitere 67 Jahre durchhalten und ihren Bürgern Wohlstand bieten kann.

Was ist passiert? Wo sind die Unruhen im gesellschaftlichen Uhrwerk hin, die in jedem System aller paar Jahre benötigt werden, um das große Kreuzfahrtschiff Staat auf Kurs zu halten?


Wie zuletzt beim Eindringen der PDS ins feste Gefüge der FDGO und zuvor beim Auftauchen der Grünen wehrt sich der sich selbst genügende demokratische Block der allumfassenden Mitte dagegen, dass er Teilen der Bevölkerung nicht mehr ausreicht, um alle existierenden Auffassungen abzubilden. An die Stelle der Beleidigung der Grünen als "Chaoten" und der Linken als "rote Socken" ist die Einstufung der AfD als "Rechtspopulisten" und die ihrer Anhänger als Hetzer, Hasser und Zweifler getreten. Und wie damals, als Joschka Fischer die Fortexistenz der westgebundenen Bundesrepublik infrage stellte oder Gregor Gysi den Schulterschluss mit Russland suchte, hält der etablierte Teil der angestammten Parteien gegen die neuaufkommende Konkurrenz zusammen.

Nur oben dran sein und führen will niemand mehr. Angela Merkel hat ihre Partei noch gründlicher domestiziert und zum reinen Kanzlerinnenwahlverein umgebaut als das ihrem Vorgänger Helmut Kohl je gelungen ist. Ohne Merkel ist die CDU vielleicht nicht denkbar, sicher aber nicht regierungsfähig.

Oder zumindest wäre sie es nicht, legten nicht auf der anderen Seite alle ehemaligen Konkurrenten inzwischen größeren Wert auf Partizipation an Merkels Macht als auf Konfrontation mit dem Ziel der eigenen Machtübernahme. Die SPD gleicht dem Körperbau ihres Vorsitzenden: Wohlgenährt durch Regierungsämter und eine Teilhabe am versteinerten Patronagesystem, das von Staatsfirmen über Staatssender bis in Ministerien und Behörden reicht. Leicht aufgeschwemmt zudem vom guten Leben an den Trögen der ewig sprudelnden Steuermilliarden und schon lange zu schwer übergewichtig, als dass sie noch Lust auf große Bewegungen hätte.

Hinter dem großen Vorsitzenden, den Historiker dereinst vielleicht auf eine Stufe mit dem längst vergessenen Rudolf Scharping oder der ein epochales Vakuum umschließenden charismatischen Menschenhülle Björn Engholm stellen werden, kommt nichts. Niemand. Keiner.

Gleiches bei den Grünen, die in ihrer Kampfzeit Donnergestalten wie eben jenen Fischer, wie Ströbele, Jutta Ditfurth, Rainer Trampert, Thomas Ebermann, Claudia Roth oder Jürgen Trittin hervorbrachten. Wo die einst standen, um Petistessen zankten, als gelte es die Welt, schwanken heute Federgewichte wie Özdemir, Göring-Eckhardt und Simone Peter auf der Suche nach den Brosamen, die irgendwo von einer Regierungsbank fallen könnten. So lange sie mitmachen dürfen, sind sie dabei.

Genau wie die selbsternannte Linke, die politisch etwa dort steht, wo die deutsche Sozialdemkratie Mitte der 70er war. Figuren wie Gesine Lötsch, Katja Kipping, Bernd Riexinger und Caren Lay, mehr aber noch Axel Troost, Tobias Pflüger, Janine Wissler und Matthias Höhn - sämtlichst Strippenzieher, die niemand kennt - imitieren unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit eine linke, etatistische und staatsgläubige Opposition zu einer etatistischen, staatsgläubigen und mithin linken Regierung.

Schon macht sich selbst Heribert Prantl Sorgen, der im Namen des Guten noch bereit wäre, einen Wahlkampf Merkel gegen Merkel als spannendes Spektakel auszugeben. Vielleicht der ultimative Beweis dafür, dass Deutschland am Ende ist.




1 Kommentar:

  1. Eigentlich hoffen doch alle, dass es endlich mal wieder richtig knallt, dass wieder eine Zeit für Helden und Erlöser anbricht.
    Aber vermutlich reicht es nicht einmal mehr für einen Knall, sondern nur für einen lauen Furz, und es wird wie immer keine der Vorhersagen eintreffen.

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