Die "Zeit" ist ehrlich: Nicht alles, was geschieht, muss auch geschrieben werden. |
Sollen Medien die Realität abbilden? Die Nationalität von Straftätern nennen? Nach der Silvesternacht von Köln wird die Forderung lauter. Aber die Zurückhaltung hat gute Gründe.
Die Medien haben verharmlost, verschwiegen, versagt. Selten waren sich Kommentatoren so einig wie nach den Übergriffen von Köln. Die Kritik richtete sich nicht nur gegen einzelne Berichte oder gegen das tagelange Schweigen. Sondern auch, dass die zuständigen Chefredakteure nicht sofort mitteilten, dass auch Flüchtlinge unter den Tätern waren, wurde beanstandet. Der Berliner CDU-Fraktionschef Florian Graf forderte, die Medien sollten künftig immer sagen, woher ein Täter komme; in Hessen gab es eine Debatte, ob Redakteure angehalten wurden, Straftaten mit Asylbewerbern zu verschweigen. Am Mittwoch schaltete sich auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein: "Ein Migrations- oder ein Flüchtlingshintergrund darf nicht verschwiegen werden", forderte auch er mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen.
Doch was dürfen Staatssender, Private und Verlage in Deutschland eigentlich bekanntgeben und was müssen sie für sich behalten oder nach Kräften vertuschen?
Einheitliche Vorgaben gibt es nicht, trotz gelegentlicher Treffen von Verlagsführern mit der Bundeskanzlerin. Jedes Bundesland entscheidet selbst, wie viele Details Zeitungen und Magazine, aber auch staatliche Sender in Berichten und Meldungen zu Straftätern machen können. Manchmal variiert das von Tag zu Tag. Einige Länder wie Nordrhein-Westfalen, Berlin oder Niedersachsen orientieren sich je nach Lust und Launen am Pressekodex des Deutschen Presserates, der bei anderer Gelegenheit dann wieder als irrelevant beiseite gelegt wird. In dem Papier, das selbst für Verlage völlig unverbindlich ist, heißt es in Punkt 12.1: "In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht."
Was heißt das konkret für die sogenannte Pressefreiheit? Nichts. In Nordrhein-Westfalen erwähnen Medien die Herkunft nur, wenn die Polizei sie ausdrücklich nennt, weil "es für die Ermittlungen erforderlich ist oder um den Sachverhalt zu verstehen", sagt Wolfgang Beus, Pressesprecher des Innenministeriums. Eigene Recherche der Medien findet vorsichtshalber nicht statt, die vierte Gewalt gefällt sich als Streicheltier der Staatsgewalt. Woher ein Ladendieb oder ein Autofahrer stamme, der einen Unfall verursacht habe, spielt für Medien keine Rolle.
Anders ist das, wenn Zeitungen glauben, sie könnten der Staatsmacht zur Hand gehen und einen Tatverdächtigen, den sie dann meist vorab schon bündig „Täter“ nennen, fangen helfen. "Dann gehört alles zu seiner Person in die Meldung - ob er Schwarzafrikaner ist oder rote Haare hat." Wichtig sei die Ethnie auch, wenn sie das Motiv erkläre. "Bei einem Ehrenmord ist es natürlich wichtig, die Herkunft zu erwähnen", sagt Beus. Für die meisten Medien aber gilt auch dann, dass man lieber von „kulturellen Motiven“ für die Tat schreibt. Und zur Abpolsterung gegen Missverständnisse ein paar Berichte zu antisemitischen oder fremdenfeindlichen Straftaten flankierend veröffentlicht.
In Berlin sind die Medien schon weiter, weil die Polizei hier grundsätzlich keine Angaben zu Herkunft, Ethnie oder Religionszugehörigkeit eines Täters machen. Berlin ist arm, hat keine Chance, an solche Informationen heranzukommen. Zeitungen verhalten sich deshalb hier schon lange wie die Polizei: Jeder ist ein Berliner, auch bei Morden und Sexualstraftaten bleibt er das.
Trotzdem gelangt die Herkunft eines Täters manchmal an die Öffentlichkeit, weil die sozialen Netzwerke querschießen. Dann ist die Presse dafür verantwortlich, wie sie mit den missliebigen Daten umgeht: Ignorieren? Oder auf eine Empörungswelle aufspringen? Hier fehlt es noch an einheitlichen Regelungen – auch in Bayern oder Hessen, wo die Polizeipräsidien entscheiden, welche Zeitung was veröffentlichen darf. "In Bayern gibt es in der Regel keine Scheu, die Herkunft der Täter zu benennen ", sagt Michael Siefener, Sprecher im bayerischen Innenministerium. Medien haben dann oft Mehrarbeit dadurch, dass die entsprechenden Informationen mühevoll per Handarbeit gelöscht oder durch unverfängliche Formulierungen wie „südländisches Aussehen“ ersetzt werden müssen.
„Einerseits wollen wir das gesellschaftliche Klima nicht weiter anheizen und andererseits müssen wir auf die Auflage schauen ", sagt ein Chefredakteur, der es damit nicht so genau nimmt. Nach den Vorfällen in Köln halte er es für fatal, bei einem Sexualstraftäter zu verschweigen, dass es sich um einen Asylbewerber handele - die Öffentlichkeit wisse das meist sowieso schon. "Das Wichtigste für uns ist, dass die Zeitung ihre Glaubwürdigkeit behält. Im Zweifel entscheiden wir uns für eine hohe Transparenz und gegen den Pressekodex", sagt er.
Rafael Heer sieht das mit der Glaubwürdigkeit etwas anders. Der Polizeiwissenschaftler und Soziologe findet es bedenklich, dass in der Öffentlichkeit der Anspruch wächst, von den Medien über alles genau informiert zu werden. "Die Medien sind nicht dazu da, interessierten Gruppen Öl ins Feuer zu gießen. Sie haben den Auftrag, die Öffentlichkeit vor schädlichen Einflüssen zu schützen und die Demokratie zu verteidigen", sagt Heer. Deshalb dürften die Medien, erst recht nicht die öffentlich-rechtlichen, nicht dem Druck von Hetzern, Hasser, Populisten und alarmistischen Politikern nachgeben und Informationen nun weniger schützen. Er sei froh, "dass die Medien sich in Deutschland einen gewissen Grad an Zurückhaltung zugelegt hat".
Die Medien haben verharmlost, verschwiegen, versagt. Selten waren sich Kommentatoren so einig wie nach den Übergriffen von Köln. Die Kritik richtete sich nicht nur gegen einzelne Berichte oder gegen das tagelange Schweigen. Sondern auch, dass die zuständigen Chefredakteure nicht sofort mitteilten, dass auch Flüchtlinge unter den Tätern waren, wurde beanstandet. Der Berliner CDU-Fraktionschef Florian Graf forderte, die Medien sollten künftig immer sagen, woher ein Täter komme; in Hessen gab es eine Debatte, ob Redakteure angehalten wurden, Straftaten mit Asylbewerbern zu verschweigen. Am Mittwoch schaltete sich auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein: "Ein Migrations- oder ein Flüchtlingshintergrund darf nicht verschwiegen werden", forderte auch er mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen.
Doch was dürfen Staatssender, Private und Verlage in Deutschland eigentlich bekanntgeben und was müssen sie für sich behalten oder nach Kräften vertuschen?
Einheitliche Vorgaben gibt es nicht, trotz gelegentlicher Treffen von Verlagsführern mit der Bundeskanzlerin. Jedes Bundesland entscheidet selbst, wie viele Details Zeitungen und Magazine, aber auch staatliche Sender in Berichten und Meldungen zu Straftätern machen können. Manchmal variiert das von Tag zu Tag. Einige Länder wie Nordrhein-Westfalen, Berlin oder Niedersachsen orientieren sich je nach Lust und Launen am Pressekodex des Deutschen Presserates, der bei anderer Gelegenheit dann wieder als irrelevant beiseite gelegt wird. In dem Papier, das selbst für Verlage völlig unverbindlich ist, heißt es in Punkt 12.1: "In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht."
Was heißt das konkret für die sogenannte Pressefreiheit? Nichts. In Nordrhein-Westfalen erwähnen Medien die Herkunft nur, wenn die Polizei sie ausdrücklich nennt, weil "es für die Ermittlungen erforderlich ist oder um den Sachverhalt zu verstehen", sagt Wolfgang Beus, Pressesprecher des Innenministeriums. Eigene Recherche der Medien findet vorsichtshalber nicht statt, die vierte Gewalt gefällt sich als Streicheltier der Staatsgewalt. Woher ein Ladendieb oder ein Autofahrer stamme, der einen Unfall verursacht habe, spielt für Medien keine Rolle.
Anders ist das, wenn Zeitungen glauben, sie könnten der Staatsmacht zur Hand gehen und einen Tatverdächtigen, den sie dann meist vorab schon bündig „Täter“ nennen, fangen helfen. "Dann gehört alles zu seiner Person in die Meldung - ob er Schwarzafrikaner ist oder rote Haare hat." Wichtig sei die Ethnie auch, wenn sie das Motiv erkläre. "Bei einem Ehrenmord ist es natürlich wichtig, die Herkunft zu erwähnen", sagt Beus. Für die meisten Medien aber gilt auch dann, dass man lieber von „kulturellen Motiven“ für die Tat schreibt. Und zur Abpolsterung gegen Missverständnisse ein paar Berichte zu antisemitischen oder fremdenfeindlichen Straftaten flankierend veröffentlicht.
In Berlin sind die Medien schon weiter, weil die Polizei hier grundsätzlich keine Angaben zu Herkunft, Ethnie oder Religionszugehörigkeit eines Täters machen. Berlin ist arm, hat keine Chance, an solche Informationen heranzukommen. Zeitungen verhalten sich deshalb hier schon lange wie die Polizei: Jeder ist ein Berliner, auch bei Morden und Sexualstraftaten bleibt er das.
Trotzdem gelangt die Herkunft eines Täters manchmal an die Öffentlichkeit, weil die sozialen Netzwerke querschießen. Dann ist die Presse dafür verantwortlich, wie sie mit den missliebigen Daten umgeht: Ignorieren? Oder auf eine Empörungswelle aufspringen? Hier fehlt es noch an einheitlichen Regelungen – auch in Bayern oder Hessen, wo die Polizeipräsidien entscheiden, welche Zeitung was veröffentlichen darf. "In Bayern gibt es in der Regel keine Scheu, die Herkunft der Täter zu benennen ", sagt Michael Siefener, Sprecher im bayerischen Innenministerium. Medien haben dann oft Mehrarbeit dadurch, dass die entsprechenden Informationen mühevoll per Handarbeit gelöscht oder durch unverfängliche Formulierungen wie „südländisches Aussehen“ ersetzt werden müssen.
„Einerseits wollen wir das gesellschaftliche Klima nicht weiter anheizen und andererseits müssen wir auf die Auflage schauen ", sagt ein Chefredakteur, der es damit nicht so genau nimmt. Nach den Vorfällen in Köln halte er es für fatal, bei einem Sexualstraftäter zu verschweigen, dass es sich um einen Asylbewerber handele - die Öffentlichkeit wisse das meist sowieso schon. "Das Wichtigste für uns ist, dass die Zeitung ihre Glaubwürdigkeit behält. Im Zweifel entscheiden wir uns für eine hohe Transparenz und gegen den Pressekodex", sagt er.
Rafael Heer sieht das mit der Glaubwürdigkeit etwas anders. Der Polizeiwissenschaftler und Soziologe findet es bedenklich, dass in der Öffentlichkeit der Anspruch wächst, von den Medien über alles genau informiert zu werden. "Die Medien sind nicht dazu da, interessierten Gruppen Öl ins Feuer zu gießen. Sie haben den Auftrag, die Öffentlichkeit vor schädlichen Einflüssen zu schützen und die Demokratie zu verteidigen", sagt Heer. Deshalb dürften die Medien, erst recht nicht die öffentlich-rechtlichen, nicht dem Druck von Hetzern, Hasser, Populisten und alarmistischen Politikern nachgeben und Informationen nun weniger schützen. Er sei froh, "dass die Medien sich in Deutschland einen gewissen Grad an Zurückhaltung zugelegt hat".
O Blogwart, das ist wert, in Stein gemeißelt zu werden.
AntwortenLöschenDennoch - Perlen vor die Medien-Säue gekippt.
Zonendödel
Sagte mir meine grauhaarige, eloquente Kollegin in der Pause entrüstet: "Es ist doch wohl egal, ob man von einem Deutschen oder einem Araber vergewaltigt wird!"
AntwortenLöschenNach einigem Schlucken und Zähneknirschen wegen dieses "Am-Thema-vorbei" entgegnete ich ihr ernsthaft: "Natürlich. Wären da am Bahnhof nicht die Zuwanderer gewesen, hätten es eben Deutsche getan."
Sie schaute mich völlig verwirrt an.