Dienstag, 10. März 2015

Politisches Wörterbuch: Wenn Putin Присоединение sagt

Es muss nicht immer gleich eine Lüge sein, manchmal reicht es auch schon, ein bisschen an der Wahrheit herumzudrehen. Der "Focus" macht das im Fall einer neuen Doku des russischen Staatsfernsehens zur Krim-Krise vor einem Jahr mit der Überschrift "So befahl Putin die Krim-Annexion". Auch die "Zeit" berichtet von der "Krim-Annexion", ebenso die "Süddeutsche", der Tagesspiegel nennt es "Annexion der Krim", auch der "Spiegel" und der Rest vom Schützenfest sind an Bord: Ganz offen habe Russlands Präsident Wladimir Putin in der TV-Doku über seinen Befehl zur "Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim vor einem Jahr" gesprochen, ja, "geplaudert" habe er gar über diese "Krim-Annexion", die eine "schleichende Annexion" (N24) gewesen sei.

Ein dicker Hund, denn bisher hatte Putin alles vermieden, was ihm als Eingeständnis einer direkten Einmischung auf der Krim hätte ausgelegt werden können. Ist der Zar im Kreml nun seiner eigenen Almmachtsfanatsie erlegen? Treibt ihn die Arroganz, unangreifbar zu sein, zu einem Geständnis? Will er den Westen verhöhnen, unerreichbar in seiner festen Burg mitten in Moskau, während die Welt ringsum durch seine Untaten bluten muss? Gesteht er deshalb seinen "Befehl zur Annexion"?

Aber hat er überhaupt wirklich? Ist der Teufel aus dem Kreml sich seiner Sache so sicher? Nun, Putin benutzt das Wort Присоединение (Prisoyedineniye), das man auf vielerlei Art übersetzen kann. Beitritt läge wohl am nächsten, Anschluss, Angliederung, Aufnahme, Hinzufügung oder sogar Einverleibung - alles denkbar, all diese deutschen Vokabeln wären vom Sinn des Originals gedeckt. Wäre Putin Deutscher, würde er wohl höchstwahrscheinlich воссоединение gesagt haben, "Wiedervereinigung", ein Begriff, der dem englischen Reunion entspricht wie Prisoyedineniye dem englischen "Accession" oder "Addition".

So viele verschiedene Möglichkeiten. Und so eindeutig habe sich alle deutschen Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehsender und Onlineportale auf eine Übersetzung geeinigt, die man in keinem Wörterbuch finden und die kein Dolmetscher empfehlen wird: "Annexion". Auf gut russisch Aннексия.

Die Anmerkung zur Übersetzung aus dem politischen Wörterbuch

22 Kommentare:

  1. In dem Trailer hat Putin возвра́т gesagt, was so viel wie Rückholung heißt, also heim ins Reich, was die Deutschen also verstehen können sollten, denn exakt das war bis 1990 offizielle Staatsdoktrion des anderen deutschen Unrechtsstaates.

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  2. Ich hab das mal im Blog upgedatet, oder wie das heißt.

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  3. danke, ich habe das mal oben im text verlinkt

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  4. Huch, der Fefe hat das verlinkt, da schießen die Klicks in den Weltraum.

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  5. ich dachte FefE produziert endlich mal einen neuen Redebeitrag für alternativlos.org

    der Sepp

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  6. Das könnte unsere Frau Bundeskanzler doch verifizieren oder falsifizieren dank ihrer Kenntnisse der russischen Sprache.

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  7. Die hat Angst, dass dann die Annexion Ostdeutschlands in die Medien kommt

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  8. @ Merkelversteher: Bitte keinen Revanchismus treiben. Die Annexion Ostdeutschlands ist in den vergangenen 70 Jahren mehrmals in internationalen Verträgen bestätigt worden. Zuletzt in den 2+4-Verträgen von 1990.
    Der Beitritt Mitteldeutschlands zu dem Staatgebilde der alliierten Siegermächte, das auf dem Gebiet Westdeutschlands bestand, war eher keine Annexion sondern der nachträgliche Vollzug des Wunsches, doch lieber von den Amis besetzt gewesen zu sein als von den Russen.
    Nur deshalb war das überhaupt möglich gewesen. Man stelle sich vor, was passiert wäre (oder besser: was nicht passiert wäre), wären die DDR-Oppositionellen keine Anhänger des dritten Weges a la "Prager Frühling" gewesen, sondern Patrioten wie die Polen.

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  9. @Kurt, ich als Wessi, hatte bereits sehr früh (1994ff) den Eindruck, daß man alles tut, um den Ostdeutschen (intellektuell, geistig, moralisch, spirituell) das Rückgrat zu brechen.

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  10. Vielleicht sind die zitierten Medien auch einfach der Meinung, dass "Annexion" eine passende Bezeichnung für einen Vorgang ist, bei dem ein Staatsoberhaupt Soldaten ohne Hoheitsabzeichen in ein andres Land schickt, um dort ein Regionalparlament zu besetzen und eine Abstimmung zu organisieren. Ganz unabhängig davon, ob jenes Staatsoberhaupt selber den Vorgang nun "Rückführung" oder "Карнавальные" (Karnaval'nyye) nennt?

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  11. @Vincent
    Dann sollten diese Medien das vielleicht auch als deren "Meinung" kennzeichnen, anstatt selbiges als "Putin hat es selbst so gesagt!" zu verkaufen.

    Ganz davon abgesehen das "persönliche Meinungen" von Journalisten in eine Kolumne gehören, und eben nicht als "Tatsachenberichte" verkauft werden sollten. Da gibt es nämlich durchaus einen Unterschied...

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  12. > anstatt selbiges als "Putin hat
    > es selbst so gesagt!" zu verkaufen.
    Das wurde auch so nicht verkauft.

    Zumindestens beim Spiegel steht die Annektion nur im Hintergrund als Beschreibung des Journalisten. Konkret auf Putin bezogen wird das Zitat aber so gebracht: "Wir müssen beginnen, die Krim zurück zu Russland zu holen".

    Und "zurück zu holen" ist ja wohl eine auch von ppq als richtig angesehene Übersetzung.

    Die übrigen Medien müßte man noch einmal überprüfen, aber in der Regel haben die wohl wie der Spiegel berichtet.

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  13. Der werte Autor kann ja gerne Beispiele bringen, wo die Medien Putin das Wort "Annexion" klar als eigene Aussage unterjubeln und es im Artikel nicht für die Beschreibung des Vorganges an sich verwenden. Denn der Vorgang war zweifelsfrei eine solche. Zumal der Begriff Annexion neutral ist, während "Wiedervereinigung" eine deutliche Färbung aufweist.

    Der Autor macht hier genau das, was er den Medien vorzuwerfen versucht. Doppelmoral hat.

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  14. wirklich bemerkenswert, dass sich sogar leute finden, die dieses unseriöse zuschreiben auch noch verteidigen. gute erziehung, dicke haut oder selbst stille-post-mitarbeiter: putin sagt "rückholung", wir verstehen "annxion", das schreiben wir zumindest mal in alle überschriften. wer liest denn schon noch das kleingedruckte? dankbare leser, zukunft der freien presse

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  15. Wie gesagt: Ich lasse mich gerne umstimmen. Aber man kann den Medien nicht vorwerfen, eine Annexion als solche zu bezeichnen. Oder hat die Ukraine vor oder nach der Abtrennung der Krim zugestimmt und ich habe das verpasst?
    http://de.wikipedia.org/wiki/Annexion

    Ganz umgekehrt kann man dem Blog sehr wohl vorwerfen, dass es behauptet, die Medien würden Putin mit "Annexion" zitieren. Das habe nirgendwo ausser hier gelesen. Ja, sie verwenden den Begriff Annexion. Aber im Text zur Beschreibung des Krim-Vorfalls und nicht als Aussage Putin. Oder kannst du einen Grund nennen, warum das keine Annexion sein sollte? Die Ukraine ist ein weltweit und auch von Russland anerkannter Staat.

    Du kannst das gerne mit Links widerlegen. Bis dahin verbleiben wir wohl dabei, dass du es mit der Wahrheit und Tendenz noch weniger genau als die Lügenpresse nimmst, die du hier so eifrig kritisieren und demontieren willst.

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  16. Tagesaktuelles Beispiel

    ILLUSTRIERTE-ONLINE 12. März 2015, 10:51 Uhr
    Ukraine-Krise

    Putin verteidigt Krim-Annexion als Prävention


    Nein, das hat Putin nicht gemacht. Auch wenn es die Illustrierte zum hundertsten male behauptet.

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  17. Danke für den Artikel! Ich habe das gleich mal verbloggt.

    An diejenigen, die meinen, die Presse hätte das mit der Annexion ja auch gar nicht so gesagt bzw. hinsichtlich Putins Aussage korrekt berichtet: Einfach mal "Annexion" bei Google News eingeben oder eine Umfrage im Bekanntenkreis machen, was die Leute so verstanden haben.

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  18. Molten CoreMärz 12, 2015

    Lieber Anonym,

    ein Jura-Professor hat sich schon im April letzten Jahres in der F.A.Z. ausführlich zum Thema ausgelassen.

    Hier der erste Absatz als Liste, im restlichen Artikel wird recht schön ausgeführt, warum das alles so ist.

    "
    -> Hat Russland die Krim annektiert? Nein.
    -> Waren das Referendum auf der Krim und deren Abspaltung von der Ukraine völkerrechtswidrig? Nein.
    -> Waren sie also rechtens? Nein; sie verstießen gegen die ukrainische Verfassung (aber das ist keine Frage des Völkerrechts).
    -> Hätte aber Russland wegen dieser Verfassungswidrigkeit den Beitritt der Krim nicht ablehnen müssen? Nein;
    die ukrainische Verfassung bindet Russland nicht.
    -> War dessen Handeln also völkerrechtsgemäß? Nein; jedenfalls seine militärische Präsenz auf der Krim außerhalb seiner Pachtgebiete dort war völkerrechtswidrig.
    -> Folgt daraus nicht, dass die von dieser Militärpräsenz erst möglich gemachte Abspaltung der Krim null und nichtig war und somit deren nachfolgender Beitritt zu Russland doch nichts anderes als eine maskierte Annexion? Nein.
    "

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  19. wie gesagt, jeder kann glauben, was er möchte.aber zu verteidigen, dass die gesamte deutsche Presse plötzlich aus fünf bis sieben möglichen übersetzungen kollektiv die eine nimmt, die putin nie im.Mund hatte und das überall in die überschriften geht... ich halte das.für manipulativ, in manipulativer absicht. es ist zudem ebenso abstrus,.ob Annexion oder nicht, völkerrechtlich, spielt keine Rolle, dein putin würde das wort annexion so wenig nutzen wie hitler holocaust gesagt hätte. es ihm unterzuschieben, ist propaganda, fertig

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  20. Als Außenstehender und UNO-Beobachter sag ich mal so: PPQ ist nicht für die Dummheit der neu hinzugekommenen Leser verantwortlich. Die haben sie sich woanders angelesen.

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  21. Wenn auch spät: Typisch - oder bedauerlich - finde ich es, dass in diesem Zusammenhang zwar von Staaten (Ukraine), nie aber von Völkern (Russen) gesprochen wird.
    Was ist wohl wichtiger? Das halbwegs natürlich entstandene Volk oder die menschliche Kopf- und Willkür- und Machtkonstruktion Staat?

    Völlig unrealistisch, aber mal als Fantasie: Die deutschen Belgier in Eupen-Malmedy beschließen gegen die belgische Verfassung ihren Beitritt zur BRD. Die BRD lehnt trotz belgischer Proteste nicht ab.
    Annexion?
    Mit welchem Recht(sempfinden) kann ein Staat per Verfassung den Austritt fremder Völker aus demselben verbieten?

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