Spätestens als die Bremer Siebenkämpferin Birgit Dressel im April 1987 plötzlich und unerwartet starb, wusste die ganze Welt Bescheid. Dressel, am Tag ihres Todes 26 Jahre alt, war gedopt gewesen, über Jahre, systematisch. Ihre Dopingpläne hatten Sportmediziner geschrieben - anders ging es wohl nicht, wenn die viermalige deutsche Meisterin international mithalten wollte.
Birgit Dressel starb an multiplem Organversagen, ihr Tod aber war ein individueller Fall. Während der staatssozialistische Sport auf der anderen Seite der Mauer das Wettrüstens der großen Sportnationen mit Geheimplänen zum staatlich organisierten Doping anfeuert, steht der Sport im Westen wenigstens der Legende nach immer noch sauber da. Es sind viele, die auffliegen, aber es sind Einzelfälle. Und im Fußball, da sind sich die Sender, die die Übertragungsrechte gekauft haben, mit allen Experten, die vom Fußball leben einig, gibt es das gar nicht. Es würde nichts bringen!
Leitmedien rühren den Quark gern breit, nicht stark - im Fall der Tour de France, einem Weltgipfeltreffen der Chemiebranche, sogar noch, als das Publikum sich längst restlos darüber im Klaren ist, dass hier nicht Ulrich gegen Armstrong, sondern Epo gegen Eigenblut trampelt.
Umso größer ist der geheuchelte Schock nun, nachdem die Süddeutsche Zeitung aus einer Studie der Humboldt-Universität zitiert, nach der es auch in der alten Bundesrepublik ein staatlich gestütztes und finanziertes Dopingkonzept für Spitzensportler gab.
Ist das noch unsere gute alte unschuldige BRD? Das Land, in dem Weltmeister aus Talent und hartem Training gemacht wurden? Das Land, in dem Steffi Graf und Boris Becker die hochgespritzten Navratilovas und Lendls dieser Welt mit purer Willenkraft niederschmetterten? Das Land, in dem Fußball-Nationalmannschaften mit Trainingsfleiß und technischem Geschick selbst Extremtemperaturen trotzten und siegreich blieben? Der "etwa 800 Seiten dicke Bericht" (SZ), der der Süddeutschen vorliegt, dessen Seitenzahl aber offenbar nicht exakt zu ermitteln war, führe detailliert auf, "in welchem Umfang und mit welcher Systematik zu Zeiten des Kalten Krieges auch in Westdeutschland Doping und Dopingforschung betrieben wurden". Demnach habe der Staat über Jahrzehnte aus Steuermitteln Versuche mit leistungsfördernden Substanzen wie Anabolika, Testosteron, Östrogen oder dem Blutdopingmittel Epo finanziert - und das nicht "als Reaktion auf das Staatsdoping in der DDR, sondern parallel dazu".
Wer hat dazu geraten? Sozialdemokraten! Mit dem ersten SPD-Kanzler Willy BRandt entstand das Bundesinstitut für Sportwissenschaft zusammen, das bis heute dem Bundesinnenministerium untersteht und dafür sorgt, dass sportmedizinische Standorte in Freiburg, wo Birgit Dressel betreut wurde, und Köln und Saarbrücken ausreichend finanziert waren. Vordergründig sei es, so schreibt die SZ, meist um den Nachweis gegangen, dass bestimmte Stoffe gar nicht leistungsfördernd seien. "Stellte sich dann aber heraus, dass das Gegenteil zutrifft, kamen Präparate rasch zur Anwendung."
Dass es Dopingmissbrauch auch im Westen gegeben haben muss und das massenhaft, dafür sprechen allein die Ergebnisse deutscher Sportler bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache, analysierte das kleine Doping-Board PPQ bereits im Sommer 2008. 1988 holten deutsche Sportler 142 Olympia-Medaillen. Doch je mehr der Kampf gegen Doping in Deutschland verschärft wurde, umso drastischer brachen die Leistungen der Spitzenathleten ein. 1992 langte es noch zu 82 olympischen Medaillen, 1996 waren noch 65 drin, 2000 sank die Zahl auf 56 und 2004 holte das vereinige Deutschland schließlich gerademal noch soviel Edelmetall wie die - staatlich geförderten Dopings angeblich unverdächtige - alte Bundesrepublik 16 Jahre vorher noch hatte allein einheimsen können. Was hatte sich geändert? Läge es nur am Zusammenbruch des DDR-Sportsystems, müsste doch die alte BRD regelmäßig wenigstens Medaillen in der Größenordnung wie 1988 gewinnen? Was sie nicht annähernd tut.
Ein Träumer, wer da an Zufall denkt, und ein Heuchler, wer da noch eine Studie benötigt, um an Doping auf beiden Seiten zu glauben. Inzwischen sind Medaillen nur noch drin, wo es um Finessen geht, um deutsche Tugenden wie Gleichschritt, Tierliebe und modernes Material. Minderjährigen-Doping, aufgeputschte Fußballer, Epo-Experimente und alles unter der Aufsicht der Politik, die mit dem Dopingsystem genauso umging wie mit dem eigenen Wissen um Überwachungspraktiken befreundeter Staaten: Schweig fein still und keiner merkt etwas.
Der Bericht, aus dem die SZ zitiert, ist seit April 2013 fertig. Veröffentlich wurde sie bisher nicht.
Die gerügten Handlungen liegen in der Natur der Sache. Des Strebens nach dem Sieg. Des Leistungssports. Zutiefst alberner Befindlichkeiten.
AntwortenLöschenDoping, Tuning kann nur dadurch ein Riegel vorgeschoben werden, indem Wettkämpfe und Ligen geächtet oder ihre Ergebnisse in ausgewogenen Verhandlungen vorherbestimmt werden. Damit könnten die Vereine, Ligen, Regionen, Staaten besser planen. Das Modell ließe sich auch auf die politische Ebene übertragen.
Ultima ratio könnte ein Testosteron-Verbot, und damit eine Stärkung der weiblichen Seite und Rationalisierung des Lebens sein. Nur ist das leider auch wieder irgendwie Doping.
Leistungssport mit seinem mechanistischen Menschenbild passt dem Wesen nach zu totalitären Strukturen. Wundert sich ernstlich jemand über die schnelle und ziemlich reibungslose Übernahme des DDR-Sports samt stasitreuen Funktionären und Trainern ins bundesdeutsche System? Ines Geipel hat in "No Limit" einiges aufgeklärt - trotz ihrer medialen Präsenz dürfte sich in der Praxis der mediengetriebenen Sportmaschine nix ändern.
AntwortenLöschenNur noch 'ne aparte Personalie: Vorsitzender des Sportausschusses des Deutschen Bundestages war von 2005 bis 2009 Peter Danckert von der SPD, vormals Anwalt von Schalck-Golodkowski http://de.wikipedia.org/wiki/Sportausschuss
AntwortenLöschenIm großen und ganzen hat man schon vor 20 Jahren die Nachtigall trapsen hören.
AntwortenLöschenRica Reinisch hatte Anfangs der 90er über die Doping-Praktiken veröffentlicht und ward seitdem persona non grata. Im Osten und im Westen. Mit Einladungen zum Sportlerball und allen anderen "Weißt Du noch damals"-Veranstaltungen wurde sie nicht mehr belästigt. Da werden nur solche eingeladen, die sich benehmen (vulgo: Klappe halten) können.
Auch die Prozesse gegen DDR-Doping-Trainer- und Ärzte erlebten einen mysteriösen Sinkflug auf der Empörungsskale. Gesprungen als "Giftbeibringung" (und anderen harten Beschuldigungen), landeten die durch die Bank weg als Lappalie, für die leider nicht mehr als eine Geldstrafe verhängt werden konnte. Und am Tenor hat man schon gesehen, dass das Wichtigste nicht die Strafe, sondern der Schlussstrich war. Ist das Urteil erst mal rechtskräftig (das geht innerhalb einer Woche ganz unbürokratisch durch Rechtsmittelverzicht der Doping-Ärzte und –Staatsanwälte), ist die Sache tot. Mausetot.
Vor 20 Jahren (oder so) hatte die in Doping-Sachen sachkundige Liesel Westermann in einer Fernsehreportage ganz gut erklärt, warum in der allgemeinen Wahrnehmung der Osten das Doping-Land ist und der Westen nicht. Die DDR war zentral organisierter Staat. Wenn der zusammenbricht und man kommt an die Akten der Zentrale, hat mit einem Schlag alles. Die BRD ist mehr dezentral und einen richtigen Zugriff auf die Akten hat keiner. Wenn was rauskommt, sieht es deshalb immer so aus wie "ein einzelner Trainer" oder "ein einzelner Arzt".
Und vor 19 Jahren der damals noch ganz lesenswerte SPIEGEL schon mal zusammengefasst, was die Universitäten und Institute uns heute als neue Erkenntnis auftischen.
Man sollte sich auch einmal fragen wer denn von der Anti Doping Propaganda profitierte.
AntwortenLöschenDie Doping Dienstleister können Gefahrenpauschalen kassieren.
Die Medien bekommen ihre melodramatischen Stories von den wegen den Umständen gezwungenen Lügner welche dann später tränenreich der Presse die "Wahrheit" "beichten".
Material für Wochen.
Ganz zu schweigen von dem Geld was in die Kontrollstrukturen gepumpt wurde. Labore und Überwachung. Die nächste Eskalation ist doch schon angedacht mit subdermalen Biochip Implantaten zur Kontrolle.
Welcher normale Bürger würde sich so etwas überhaupt unterwerfen ? Was sollen diese parasitären Strukturen welche Abhängigkeiten erzeugen ?
Während sich der Normalbürger auch täglich dopt um sich zur Arbeit zu schleppen oder seine eigene Existenz zu ertragen oder Schwächen zu kompensieren.
Zigaretten, Kaffee, Tee, Cola, Energiedrinks, Alkohol, Vitaminpillen, Viagra, Medikamente, Haschisch, Kokain und andere Drogen.
Ich bin für dafür Doping ab 18 Jahre frei zu geben. Dann können sich die Sportler, die sich dazu entscheiden auch die beste ärztliche Versorgung sicherstellen.
Alles andere ist einfach Prohibition mit den entsprechenden Seiteneffekten, welche eigentlich nur von Profiteuren gewünscht sein kann.
Der professionelle Sport ist ohne Doping selbst nur beim Wiederaufbau bei Verletzungen heutzutage total unrealistisch.
Das Risiko muss der Sportler selbst treffen. Diese Betroffenheitsindustrieparasiten braucht der Sport sicherlich nicht.
Ich sag Euch jetzt mal was: Ich war auch gedopt, als führendes Mitglied meines Nürnberger Turnier-Schachclubs, jawoll! Mit allerhöchster Deckung der Regierung und der örtlichen Rotary-Clubs. Als ich auspacken wollte, wurde aus dem Doping eine gemeingefährlich Geisteskrankheit, so sieht es aus! Viel Spass beim "Dope-Outing", da werden sich noch viele Zabels etc. finden. Und ich sitze weiter hier mit meinem Zimmernachbarirren im Forensik-Loch! Ist das Gerechtigkeit!
AntwortenLöschen"warum in der allgemeinen Wahrnehmung der Osten das Doping-Land ist und der Westen nicht."
AntwortenLöschenGanz einfach: Doping war im Westen die Ausnahme, im Osten die Regel und institutionalisiert.
Ich muß jetzt Ostdeutschen ganz doll weh tun: An der Berichterstattung "soll", "aus Steuermitteln" (*gröööööhl*) oder den "es wurde Forschung betrieben" und den vagen Andeutungen sieht man, daß "skandalisiert" werden soll.
Selbstverständlich gab es Forschung und selbstverständlich wird hier und da "experimentiert" worden sein, weil man nicht wußte, wie der Hase läuft. Es wurde also eher *geduldet* als *angewiesen*.
Ich kann aus dem, was bisher veröffentlicht wurde, nichts erkennen, was *neu* gewesen wäre.
Der Westen hatte keine KJS, keine Schädel... äh... Handknöchelvermessung bei Kindern, keine Lenkung von Kindern zu Sportarten. Im Westen war Sport kein Staatsziel, die Talentförderung auf Amateurniveau und JEDER konnte sich dem Zugriff oder dem Doping entziehen.
Und es gab im Osten keine Öffentlichkeit, die verhindert hätte, daß ein "Plaudern" purer Selbstmord gewesen wäre.
Es gab im Westen keine Schwimmerinnen, die aussahen wie Dolph Lundgren und es gab keinen Wolfgang Lötzsch.
@herold: du schießt aber weit über das ziel hinaus. bundeswehr-sportkompanie? zeitsoldaten mit kampfauftrag leichtathletik? polizisten im ruderachter?
AntwortenLöscheneine schöne, ganz und gar private sache - 239 mio vom bund letztes jahr, versteckte kosten wie die durch die BW aufgebrachten nicht mitgerechnet.
zum vergleich: die ddr hat jährlich 5 Mio für dopingforschung ausgegeben...
"bundeswehr-sportkompanie? zeitsoldaten mit kampfauftrag leichtathletik? polizisten im ruderachter?"
AntwortenLöschen@ppq_Hasi, wie alt ist man denn, wenn man a) Soldat oder b) PolizistIn wird ?
In der BeÖrDe mußte man schon "hallo, hallo ! Hier, ich bin ein Talent !!" gerufen haben, um "entdeckt" zu werden.
"Sportfördergruppe" hieß 3 Monate weitgehend Trainingspause, weil zumindest eine richtige Grundausbildung absolviert wurde, z.B. in Essen-Kray. Und Ruderer sind eher (Sport-)Studenten.
Bw und Polizei/Zoll waren bis vor 15(?) Jahren eher die klassischen Arbeitgeber für Sportler aus Dorf-Sportarten (Ski-Langläufer aus Ruhpolding, Degenfechter aus TBB, Ski-Springer aus dem Schwarzwald, Sportschütze von der Ponderosa, weil die in AdW-Leistungszentren wechseln mußten). In den 90igern gab es kaum Leichtathleten und erst Recht keine Frauen bei den o.g. "Arbeitgebern".
Ich kenne spätere Profi-Fußballer der 1.+ 2. Bundesliga, die in den 80igern noch mit 17, 18 Jahren nur zweimal pro Woche trainiert haben.
Als die DDR noch existierte, hieß als (angehender) Leistungssportler eine Lehre zu machen, tatsächlich eine Berufsausbildung zu machen.
Nachwuchstrainer von Olympiateilnehmern hatten tatsächlich noch einen Halbtagsjob mit "richtig arbeiten" und Chef-Nachwuchstrainer im Bundesliga-Sport gingen einer regulären 30-Std.-Woche im "Hallen- und Bäderamt von Quakenbrück" nach.
In der DDR hatte selbst Wismut Gera umunfuffzich hauptamtliche Mitarbeiter und Nachwuchstrainer, die selbstverständlich nicht beim Staat oder beim Verein beschäftigt waren, sondern "bei der Wismut" ... d.h., die haben bei der Weihnachtsfeier mal die Räumlichkeiten des Betriebs gesehen.
@herold: das mag alles sein, klingt aber, als würdest du denken, dass in der ddr-liga leute zweimal täglich trainiert haben. haben sie nicht.
AntwortenLöschenwir machen das mal anders. ich gucke mir noch mal die zahlen an, da muss das ja drinstecken. these: 80er jahre, ddr vollgedopt bis oben hin = 100 medaillen, brd weniger gedopt, 50 medaillen
90er beide weniger gedopt: ex-ddr-sportler 50 medaillen, alte brd: 25
heute: beide so gut wie sauber, während in anderen ländern fröhlich weitergedopt wird = zusammen 40 medaillen
außerdem kann man ja jetzt den bericht lesen
@ppq: Vielleicht bedeutet das ja aber, daß Doping gar nicht so einen Unterschied macht ? ;-)
AntwortenLöschen@Herold
AntwortenLöschenEs ist zwanzig Jahre her, als das Thema hochgepoppt ist. Das meiste leider vergessen.
Was die Ostauspacker zu berichten hatten, war haarsträubend. Aber auch die Wessies waren keine Kinder von Traurigkeit.
Westermann hatte erzählt, dass eine Sportlerin sich zeitgleich 25 (oder so) Medikamente reingepfiffen hat. Jedes einzelne zwar legal. Aber glaubst Du wirklich, die Ärzte haben auch nur im Ansatz die komplexen Wechselwirkungen überrissen? Die hatten einen Auftrag und mussten Resultate bringen. Egal wie. Also haben die losgelegt. Try and error. Bei manchen ging es gut. OK, warum nicht.
Aber bei Todesopfern wie Birgit Dressel bleibt einem dann irgendwie das Lachen im Halse stecken.